papa : 02.08 — Ich beobachtete, dass ein kleiner Affe, sobald ich mich mit der linken Hand stoßartig von oben kommend näherte, diese linke Hand als einen Raubvogel betrachtete, vor dem er hupend und fauchend mit geblecktem Gebiss rückwärts über den Tisch gehend die Flucht ergriff, ohne sich an meiner rechten Hand zu stören, die in nächster Nähe mit seinen Sultaninen spielte. Derart gründlich habe ich mit meinen Händen auf dem Tisch das Jagen und Sammeln geübt, dass ich sie von Zeit zu Zeit als zwei separate Lebewesen betrachten kann. Wenn ich meine linke Hand mit meiner rechten Hand berühre, durchbreche ich einen Spiegel. Wenn ich sage, meine Hand ohne Haut, habe ich in meinem Kopf ein Bild zur Verfügung, das sich bewegen lässt. Wenn ich sage, meine schlafenden Hände, spreche ich von Händen, die ich nie gesehen habe. Gerade eben noch habe ich eine Apfelsine geschält. Während ich meine Hände beobachtete, wie sie geschickt die Kerne der Frucht voneinander trennten, ohne dass ich ihnen genauere Anweisungen geben musste, dachte ich darüber nach, wie viele Apfelsinen diese Hände in ihrem Leben bereits geschält haben könnten. — Drei Uhr zwölf in Kobani, Syria. — stop
Aus der Wörtersammlung: apfel
vom nachthausmuseum
sierra : 20.14 — Mein lieber Freund, als ich Deinen nächtlichen Brief las von den Geräuschen im Haus, in dem Du wohnst, erinnerte ich mich an eine Geschichte, die ich vor zwei Jahren notierte. Ich stelle mir vor, diese Geschichte könnte Dich interessieren. Wenn Du Fragen haben solltest, wie man als Nachtmensch unter Tagmenschen sinnvoll existieren kann, melde Dich bitte unverzüglich. Dein Louis. ps. Hier meine Geschichte: Das Museum der Nachthäuser befindet sich am Shore Boulevard nördlich der Hell Gates Bridge, die den Stadtteil Queens über den East River hinweg mit Randilis Island verbindet. Es ist ein recht kleines Haus, rote Backsteine, ein Schornstein, der an einen Fabrikschlot erinnert, ein Garten, in dem verwitterte Apfelbäume stehen, und der Fluss so nah, dass man ihn riechen kann. Während eines Spazierganges, zufällig, entdeckte ich dieses Museum, von dem ich nie zuvor gehört hatte. Es war ein später Nachmittag, ich musste etwas warten, weil, so war zu lesen, das Museum nicht vor Einbruch der Dämmerung geöffnet würde. Es ist eben ein Museum für Nachtmenschen, die in Nachthäusern wohnen, welche erfunden worden waren, um Nachtmenschen artgerechtes Wohnen zu ermöglichen. Als das Museum öffnete, war ich schon etwas müde geworden, und weil ich der einzige Besucher in dieser Nacht gewesen war, führte mich ein junger Mann herum. Er war sehr geduldig, wartete, wenn ich wie wild in mein Notizbuch notierte, weil er überaus spannende Geschichten erzählte von jenen merkwürdigen Gegenständen, die in den Vitrinen des Museums versammelt waren. Von einem dieser Gegenstände will ich kurz erzählen, von einem metallenen Wesen, das mich an eine Kreuzung zwischen einem Gecko und einer Spinne erinnerte. Das Ding war verrostet. Es hatte die Größe eines Schuhkartons. An je einer Seite des Objekt saßen Beine fest, die über Saugnäpfe verfügten, eine Kamera thronte obenauf wie ein Reiter. Der junge Mann erzählte, dass es sich bei diesem Gerät um ein Instrument der Verteidigung handele, aus einer Zeit da Nachtmenschen mit Tagmenschen noch unter den Dächern ein und derselben Häuser wohnten. Das kleine Tier saß in der Vitrine, als würde er sich ducken, als würde es jederzeit wieder eine Wand besteigen wollen. Das war nämlich seine vornehme Aufgabe gewesen, Zimmerwände zu besteigen in der Nacht, sich an Zimmerdecken zu heften und mit kleinen oder größeren Hammerwerkzeugen Klopf,- oder Schlaggeräusche zu erzeugen, um Tagmenschen aus dem Schlaf zu holen, die ihrerseits wenige Stunden zuvor noch durch ihre harten Schritte den Erfinder der Geckomaschine, einen Nachtarbeiter, aus seinen Träumen gerissen hatten. Ja, zum Teufel, schon zum hundertsten Male war das so geschehen, obwohl man allerfreundlichst um etwas Ruhe, um etwas Vorsicht gebeten hatte, nein gefleht, nein geflüstert. Es war, sagte der junge Mann, immer so gewesen damals in dieser schrecklichen Zeit, dass sich jene Tagmenschen, die über geräumigen Zimmern wohnten, sicher fühlten vor jenen Nachtmenschen, die unter ihnen wohnten und mit ihren Schritten die Zimmerdecke niemals erreichen konnten. Aus und fini! — stop
medianusgabel
tango : 3.22 — Hörte Thomas Bernhard sagen: Alles ist immer wirklich, es gibt nichts Erfundenes. Glücklich bin ich über diesen Satz. — Anatomische Arbeitswörter der späten Nacht : Mandelbrotstruktur Lebensbaum Augapfel Pyramidenbahn Venenstern Liquor Medianusgabel Herzbeutel Situs inversus. — stop
batavia
ginkgo : 22.16 — Ich bin nahe daran, mich an die Existenz der Schnecke Esmeralda zu gewöhnen, die am 20. Oktober in der Gestalt eines Geschenks zu mir gekommen war. Es ist so, dass ich nun behutsam durch meine Wohnung laufe, auch niemals im Dunkeln, Esmeralda könnte vielleicht gerade über den Boden wandern. Alle Türen stehen offen, manchmal muss ich längere Zeit nach der kleinen Schnecke suchen. Heute Morgen saß sie an der Decke meines Arbeitszimmers, das war zum ersten Mal, ich entdeckte sie nach einer Stunde, ich hatte sogar hinter den Kühlschrank geschaut, einen Tisch, drei Lampen, Stühle und zwei Kommoden verrückt. Eine Schnecke mit einem Schneckenhaus auf dem Rücken, erscheint als äußerst zerbrechliches Wesen, gerade dann, wenn sie über einem Abgrund wandelt. Eine halbe Stunde begleitete ich Esmeralda auf ihrem Weg von Ost nach West. Ich hörte, wie ich mit ihr sprach. Esmeralda, sagte ich, Esmeralda! Hielt indessen einen Hut in der Hand, um Esmeralda im Notfall auffangen zu können. Gegen den Abend zu, sie hatte eine Weile in einem Meter Höhe an der Wand neben meinen Büchern ausgeruht, erreichte sie den Boden, kroch von West nach Ost quer durch mein Zimmer, um an der gegenüberliegenden Wand wieder zur Decke hin aufzusteigen. Ich lockte mit einem Stückchen Apfel, vergeblich. Ich zog Esmeralda an ihrem Häuschen von der Wand, setzte sie in der Küche neben einem Blatt Bataviasalates ab, auch das war nicht erfolgreich gewesen. Esmeralda wendete unverzüglich, kletterte vom Tisch, um am späten Abend genau jenen Ort wieder zu erreichen, den sie zuvor eingenommen hatte. Nach wie vor wundere ich mich darüber, dass Esmeralda ihr Gehäuse wie ein Schmuckstück auf dem Rücken zu tragen pflegt. Ich habe noch nie wahrgenommen, dass sie sich in ihr Häuschen zurückgezogen hätte. Ihr Körper ist feucht, ihre Stielaugen sinken manchmal zu Boden, das ist der Moment, da sie zu schlafen scheint. — stop
esmeralda
tango : 22.08 — Vor zwei Tagen, später Nachmittag, überreichte mir ein schwer atmender Bote ein Päckchen, auf dessen Anschriftenseite mit wuchtigen Druckbuchstaben eine Anweisung notiert worden war: Do not shake! Der junge Mann, vielleicht um mich zu warnen, deutete auf die Schachtel in seiner Hand und sagte: Ich rieche, dass in diesem Päckchen etwas lebt! Und schon war er wieder auf der Treppe verschwunden. Tatsächlich handelte es sich bei dem Päckchen um einen Lebendtransport, der in der italienischen Hafenstadt Talamone aufgegeben worden war. Eine Schnecke hockte in einer perforierten Schachtel geduckt unter welken Blättern. Als ich das kleine Tier vorsichtig auf einen Teller setzte, machte es zunächst einen sehr müden, erschöpften Eindruck. Sein Haus schien bald vom Körper zu rutschen, auch wurde keinerlei Fluchtversuch unternommen, stattdessen saß die Schnecke nahezu ohne Bewegung und schaute mich an. Selbst, als ich mich mit einem Finger näherte, zog sie sich nicht in ihr Kalkgewinde zurück. Eine halbe Stunde lang betrachteten wir uns geduldig. Dann war später Abend geworden, ich hatte mehrfach telefoniert, der Schnecke ein Apfelstückchen angeboten, das Packpapier, in welches die Sendung eingeschlagen gewesen war, auf der Suche nach einer Botschaft oder einem Absender, eingehend untersucht, und war dann kurz spazieren gegangen. Indessen hatte sich die Schnecke in Richtung der Südwand meiner Küche in Bewegung gesetzt, war von dort aus, eine schimmernde Spur hinterlassend, weiter zur Diele hin gewandert, erreichte dort den Boden, um eine halbe Stunde später mein Arbeitszimmer zu betreten. Derart leise war die Schnecke weitergezogen, dass ich sie beinahe vergessen hätte. Dann war Samstag, der Samstag verging, zwei weitere Stückchen Apfel, und es wurde Sonntag und wieder Abend und es begann zu regnen. In diesem Moment sitzt die Schnecke einen halben Meter hoch über dem Fußboden an der Wand meines Wohnzimmers. Sie scheint zu schlafen. Wiederum ist sie nicht in ihrem Häuschen verschwunden, was höchst merkwürdig ist. — stop
eine alte frau
delta : 7.28 — Eine alte Frau in den Schuhen eines Mannes. Sie ist klein, sie geht gebückt. Der Mann, zu dem früher einmal die Schuhe der alten, gebückt gehenden Frau gehörten, muss ein Mann von stattlicher Größe gewesen sein. Sie kann ihre Füße nicht vom Boden heben, ohne den schützenden Raum der riesigen Schuhe zu verlassen. Deshalb geht sie in einer Weise, als sie würde auf Skiern laufen. Links in der Hand trägt sie einen Stock, auf den sie sich stützt, sobald sie einmal stehen bleibt. Sie trägt einen grauen Wintermantel, graue Hosen, einen grauen Schal. Auch ihr Haar ist von grauer Farbe. Eigentlich fällt sie kaum auf in der Menschenmenge, weil sie zierlich ist und ohne Laut. Sie wandert in ihren Schneeschuhen über den Centralbahnhof von Mülleimer zu Mülleimer, um jeweils in die Tiefe der Behälterschlünde zu spähen. Ich frage mich, was sie suchen könnte, vielleicht Flaschen oder ein Brot oder den Rest eines Apfels. Ich kenne die Erscheinung dieser Frau, ich kenne sie seit Jahren. Sie ist ein Leichtgewicht, wenn ich sie mit den schweren, den vollständig vermummten Gestalten der New Yorker Straßen in Beziehung setze. Als ich sie zum ersten Mal wahrgenommen habe, dachte ich: Diese Frau könnte meine Mutter sein, was ist geschehen? Damals sah die alte Frau sehr krank aus und schmutzig und sie roch sehr streng. Ihre Augen waren gelblich verfärbt, daran erinnere ich mich genau, ich überlegte, ob sie vielleicht bald sterben wird. Das war vor zwei oder drei Jahren gewesen. Wie ich sie heute wieder sehe, die alte Frau in den Schuhen eines Mannes, denke ich, sie ist wie eine Figur, die immer irgendwo in Bahnhöfen anwesend ist, die immer wieder über eine dieser Reisebühnen schreitet, ohne je weiterzufahren, diese Wege von Mülleimer zu Mülleimer und wieder zurück auf der Suche nach etwas Nahrung oder Pfand. An diesem Abend überhole ich sie, wende und bücke mich, so dass ich ihr nahekomme. Sie hält an, schaut mir in die Augen. Ihre Haut ist weich und weiss und ihre Pupillen sind klar. Ich sage: Entschuldigen Sie bitte. Darf ich ihnen etwas geben? In dem Moment da sie mir eine Hand entgegen streckt, sagt sie mit der Stimme eines Mädchens so hell: Danke, warum? — stop
eine sprechende maschine
remington : 6.52 — Vor wenigen Tagen hatte ich von der Entdeckung eines Museums der Nachthäuser erzählt, das sich am Shore Boulevard nördlich der Hell Gates Bridge befindet, die den Stadtteil Queens über den East River hinweg mit Randilis Island verbindet. Es ist noch immer ein recht kleines Haus, rote Backsteine, ein Schornstein, der an einen Fabrikschlot erinnert, ein Garten, in dem verwitterte Apfelbäume stehen, der Fluss so nah, dass man ihn riechen kann. Heute liegt der Garten tief verschneit. Ich stehe unter einem der Apfelbäume, die ohne Blätter sind. Dieser Baum trägt seine Sommerfrüchte so, als ob er sie festhalten würde, sie sind etwas kleiner geworden, voller Falten, aber sie leuchten rot und sie duften. Der junge Mann, der mich bereits einmal durch das Museum geführt hatte, kommt in diesem Moment auf mich zu. Er freut sich, dass ich wiedergekommen bin. Eine Weile stehen wir uns gegenüber, es ist zum Erbarmen kalt, wir treten von einem Bein aufs andere, während der junge Mann eine Zigarette raucht, dann ist es fast dunkel und wir treten wieder in das Museum ein. Er will mir eine kleine Maschine zeigen, die im ersten Stock seit vielen Jahren in einer weiteren Vitrine sitzt. Auf den ersten Blick scheint es sich um eine ähnliche Apparatur zu handeln, wie jene von der ich berichtete. Ein Gecko von Metall, der in der Lage ist, sich zum Zwecke protestierender Kommunikation Wände hinauf an die Decke eines Zimmers zu begeben, um sich dort festzusaugen. Aber anstatt eines oder mehrerer Schlaginstrumente, mit welchen gegen die Decke getrommelt werden könnte, verfügt dieses kleine Wesen über einen Lautsprecher, der wie ein Mund gestaltet ist, und deshalb hervorragend geeignet zu sein scheint, heftige Geräusche des Sprechens zu erzeugen. Bei dieser Apparatur, sagt der junge Angestellte, handelt es sich um den ersten Deckensprecher der Geschichte, ein äußerst sinnvolles Gerät. Er fordert mich auf, näher zu treten. Sehen Sie genau hin, sehen Sie, er ist verbeult! Tatsächlich war der kleine eiserne Gecko von zahlreichen Schlägen so verletzt, dass er vielleicht kaum noch in der Lage gewesen war, seiner Aufgabe nachzukommen. Denkbar ist, dass er in einer Nacht der Tagmenschen derart wirkungsvoll gearbeitet haben könnte, dass man ihn fangen wollte, weshalb man in die Wohnung des Nachtmenschen eingebrochen war, um ihn zum Schweigen zu bringen. Als man das ramponierte Gerät viele Jahre später öffnete, entdeckte man eine Tonbandspule, auf welcher Literatur von Bedeutung festgehalten war. Ein Bruchstück der historischen Aufnahme war noch vorhanden gewesen, und jetzt, in dieser Nacht, spielt mir der junge Mann vor, was der Apparat gesprochen hatte. Eine äußerst laute scheppernde Stimme ist zu vernehmen: Zuerst wollte er mit dem unteren Teil seines Körpers aus dem Bett hinauskommen, aber dieser untere Teil, den er übrigens noch nicht gesehen hatte und von dem er sich keine rechte Vorstellung machen konnte, erwies sich als zu schwer beweglich; es ging so langsam; und als er schließlich, fast wild geworden, mit gesammelter Kraft, ohne Rücksicht sich vorwärts stieß, hatte er die Richtung falsch gewählt, schlug an dem unteren Bettpfosten heftig an, und der brennende Schmerz, den er empfand, belehrte ihn, dass gerade der untere Teil augenblicklich vielleicht der empfindlichste war. — Hier endet die Spule, ums sofort wieder von vorne zu beginnen. — stop
nachtgecko
alpha : 2.28 — Das Museum der Nachthäuser befindet sich am Shore Boulevard nördlich der Hell Gates Bridge befindet, die den New Yorker Stadtteil Queens über den East River hinweg mit Randilis Island verbindet. Ich weiß nicht, ob das Museum noch immer existiert, es war oder ist ein recht kleines Haus, rote Backsteine, ein Schornstein, der an einen Fabrikschlot erinnert, ein Garten, in dem verwitterte Apfelbäume stehen, und der Fluss so nah, dass man ihn riechen konnte. Während eines Spazierganges, zufällig, entdeckte ich dieses Museum, von dem ich nie zuvor hörte. Es war ein später Nachmittag, ich musste etwas warten, weil das Museum nicht vor Einbruch der Dämmerung öffnen würde, ein Museum für Nachtmenschen eben, die in Nachthäusern wohnen, welche erfunden worden waren, um Nachtmenschen artgerechtes Wohnen zu ermöglichen. Als das Museum dann endlich öffnete, war ich schon etwas müde geworden, und weil ich der einzige Besucher gewesen, führte mich ein junger Mann persönlich herum. Er war sehr geduldig, wartete, wenn ich wie wild in mein Notizbuch notierte, weil er spannende Geschichten erzählte von jenen merkwürdigen Gegenständen, die in den Vitrinen des Museums versammelt waren. Von einem dieser Gegenstände will ich kurz berichten, von einem metallenen Wesen, das mich an eine Kreuzung von Gecko und Spinne erinnerte. Das verrostete Ding war von der Größe eines Schuhkartons. An je einer Seite des Objekt saßen Beine fest, die über Saugnäpfe verfügten, eine Kamera thronte obenauf wie ein Reiter. Der junge Mann erzählte, dass es sich bei diesem Gerät um ein Instrument der Verteidigung handelte, aus einer Zeit, da Nachtmenschen mit Tagmenschen noch unter ein und demselben Hausdach wohnten. Das kleine Tier saß in der Vitrine in einer Haltung als würde er sich ducken, als würde es jederzeit wieder eine Wand besteigen wollen. Das war nämlich seine vornehme Aufgabe gewesen, Zimmerwände zu besteigen in der Nacht, sich an Zimmerdecken zu heften und mit kleinen oder größeren Hammerwerkzeugen Klopf- oder Schlaggeräusche zu erzeugen, um Tagmenschen aus dem Schlaf zu holen, die ihrerseits wenige Stunden zuvor noch durch ihre erbarmungslos harten Schritte den Erfinder der Geckomaschine, einen Nachtarbeiter, aus seinen Träumen gerissen haben mochten. Es war, sagte der junge Mann, immer so gewesen damals in dieser schrecklichen Zeit, dass sich Tagmenschen sicher fühlten vor Nachtmenschen, die unter ihnen lebten, die mit Schritten Zimmerdecken ihrer Wohnung niemals erreichten. Aus und fini! - stop
mr. blankfeins schweigen
bamako : 6.45 — In der 37. Minute einer Filmdokumentation, die von den Strukturen der Goldman Sachs Bank erzählt, ereignete sich etwas sehr Merkwürdiges. Lloyd Blankfein, Vorstandsvorsitzender genau dieser Bank, wurde in einem Fernsehinterview befragt. Ein äußerst scharfzüngiger Redner mit heller Stimme, erkundigte sich Mr. Blankfine zunächst bei dem Moderator der Sendung, wie oft er ihn, Blankfine, im Fernsehen gesehen habe? Nie! Wissen Sie was. Das war vermutlich ein Fehler. Wir müssen uns jetzt bemühen, den Leuten zu erklären was wir tun. Sofort spitzte sich die Lage zu. Der Moderator der Sendung, der Mr. Blankfine unmittelbar gegenüber saß, parierte mittels einer weiteren Frage, die der Banker so nicht erwartet haben mag. Er formulierte präzise: Ist es vorgekommen, dass ihre Investment-Berater einem Kunden Anlagen verkauft haben, gegen die Goldman zur selben Zeit spekulierte? Nun geschah folgendes: Mr. Blankfines Augen weiteten sich, er senkte seinen Blick, setzte zu einer Antwort an, ein Geräusch war zu hören, der Teil eines nicht erkennbaren Wortes, sein Mund stand leicht offen, er schwieg, er schwieg sehr gründlich, sieben Sekunden lang, für eine üblicherweise sehr schnell sprechende und denkende Person, die sich unter öffentlicher Beobachtung weiß, ein bedeutender Zeitraum. Ich habe diese Sentenz des Gespräches mehrfach vor und zurück gespielt, da mir Lloyd Blankfine in jenem Moment eine außerordentlich authentische Persönlichkeit gewesen zu sein schien. Ein Mensch, der nach einzelnen Wörtern suchte, nach einem angemessenen Gedanken in seinem Kopf, weil sich bislang dort Sätze formulierten, die so aufrichtig waren, dass Mr. Blankfine sie nicht aussprechen durfte, um nicht für immer Schaden zu nehmen, er selbst nicht und seine Bank nicht. Ich beobachtete sein Gesicht. Dreifach war Lidschlag zu erkennen, seine Augäpfel machten den Eindruck, als würden sie wachsen unter dem Druck eines Blickes, der nicht entscheiden konnte, ob er sich nach innen oder nach außen richten sollte, während ungeheuere, vorbewusste Rechenleistung entfesselt war, um vielleicht doch einen Ausweg zu finden. — stop
winterfliegen
charlie : 6.37 — Regen fällt. Soviel Regen fällt, dass die Nachtluft hell wird vom Wasser. Vielleicht war es diese Helle, die mich an die Frage nach der Existenz der Winterfliegen erinnerte. Vor einigen Tagen hatte ich mich auf die Suche nach dieser Spezies begeben. Nicht in der wirklichen, aber in der Welt der Zahlen, welche Zeichen, Bilder, Filme in Lichtgeschwindigkeit durch den Raum transportieren. Ich suchte nach Winterfliegen vornehmlich in den Magazinen digitaler Bibliotheken, aber ich habe keine Fliegensorte gefunden, die meinen Vorstellungen einer polaren Fliegengattung entsprochen haben würde, denn die Art der Winterfliegen sollte in eisiger Umgebung existieren, in Höhlen, stelle ich mir vor, die sie mit ihren Fliegenfüßen höchstpersönlich in den Schnee gegraben haben. Vielleicht sind sie von Natur aus eher kühle Wesen, oder aber sie tragen einen Pelz, ein Fell, wie das der Eisbären, weiche, weiße Mäntel von Haut und Haar, die ihre äußerst langsam schlagenden Herzen schützen. Diese Fliegen werden einhundert Jahre oder älter, sie könnten sich von feinsten Stäuben ernähren, vom Plankton der Luft, das aus windgebückten Wäldern angeflogen kommt, Moose, Birkenpollen, Kotsand von nordischen Füchsen. Ich stelle mir vor, dass diese Fliegen so weiß sind, dass man sie nicht sehen wird, wenn sie über den Schnee spazieren. Man wird meinen, der Schnee bewege sich selbst oder es wäre der Wind, der den Schnee bewegt, aber stattdessen sind es die Fliegen, die nicht größer sind als jene Fliegen, die nachtwärts in meiner Küche im Sommer aus einem Apfel steigen. — stop