ginkgo : 2.25 — Gestern habe ich einen seltsamen Brief von einem Freund erhalten, der sich gerade in Indien befindet. Der Brief war von seiner äußeren Gestalt her ein Standardluftpostbrief, fühlte sich allerdings weich an, als würde ein dünnes Tuch in ihm enthalten sein. Er war zudem etwas schwerer als üblich. Als ich ihn öffnete, fand ich ein handschriftliches Schreiben vor, eine Fotografie und einen weiteren Brief von kleinerem Format, mit einer Art Ventil in seiner Mitte. Mein Freund notierte am 25. Juni mit einem Bleistift: Lieber Louis, seit zwei Wochen befinde ich mich in Westbengalen nahe Sonada in einem kleinen Haus, das vollständig von Holz gemacht ist. Ich gehe hauptsächlich spazieren und wenn ich einmal nicht spazieren gehe, fahre ich mit dem Zug zwischen Jalpaiguri und Darjeeling hin und her. Eine wunderbare Zeit. Ich kenne inzwischen alle Zugführer persönlich und so darf ich bei Dampfbespannung vorn auf der Lokomotive reisen. Du siehst mich anbei auf der Fotografie vor dem Kessel stehen, ja, ich bin unter den drei kleinen Männern mit den Rußgesichtern der in der Mitte. Ich habe Dir, lieber Louis, etwas indische Eisenbahnluft eingefangen. Sie ruht in den Umschlag gefüllt, der vermutlich vor Dir auf dem Tisch liegt. Es wäre vielleicht am besten, wenn Du einen Strohhalm verwenden würdest, den Du mit dem Ventil verbindest, um dann einen tiefen Atemzug durch ein Nasenloch zu nehmen. Allerbeste Grüße Dein L. — Es ist jetzt 2 Uhr und 30 Minuten mitteleuropäischer Sommerszeit. John Coltrane LIVE: The Green Dolphin Street. — stop
Aus der Wörtersammlung: gerade
funkköpfe
romeo : 6.22 — Ein kleine Geschichte habe ich rasch zu erzählen. Sie ereignete sich gestern Abend gegen 22 Uhr. Ich war zu diesem Zeitpunkt außerordentlich müde geworden, hatte gerade einen Brief an einen Freund geschrieben, in dem ich von neurochirurgischen Konstruktionsarbeiten in Funkvogelköpfen berichtete, wie ich der Einpflanzung eines Peilsenders beigewohnt hatte genauer, von der Öffnung eines Möwenschädels, sowie ersten Flugsteuerungsversuchen, Abstürzen, aber auch geglückten Flugmanövern, Loopings, über welche sich jene erste unter den ferngesteuerten Möwen selbst vermutlich sehr gewundert haben dürfte. Kaum hatte ich den Brief fertig notiert, klingelte das Telefon. Ich wurde in meiner Konzentration gestört, und zwar genau in dem Moment, da ich die Adresszeile meines E‑Mailprogramms bearbeitete. Schon war es passiert, ich hatte meine E‑Mail versehentlich an das Büro Wladimir Putins geschickt, was nun eigentlich von meiner Position aus nicht sehr gefährlich ist, aber doch unangenehm, weil ich dorthin nicht in persönlicher Weise schreiben wollte, weil man nicht weiß, wer bei Putin in Moskau hereinkommende E‑Mails liest, und ob sie vielleicht übersetzt oder weitergeleitet werden. Interessanterweise beobachte ich nun mittels der Live-Version der Google–Analyticsmaschine, dass meine Particles – Texte seit Stunden von Moskau her betrachtet werden. Da ist ein ziemlich eigenartiges Gefühl, das sich schrittweise entfaltet. Bald früher Morgen. Die Amseln vor dem Fenster pfeifen. Ich habe mir eine Entenbrust gebraten. Sie dampft wunderschön auf einem Teller vor mir auf dem Tisch. Ja, eine wirklich unheimliche Geschichte ist das, die Vögel, die Köpfe, der Kreml. — stop
apfelohren
delta : 6.35 — Gestern hab ich eine lustige E‑Mail bekommen. Sie war irgendwann, während ich schlief, auf meinem Computer lautlos eingetroffen. Die Person, die mir geschrieben hatte, wollte wissen, wie ich vorgehe, wenn ich nachts einen Apfel oder eine Aprikose oder Bananen belausche. Ich hatte zunächst einige triftige Gründe auf diese Frage nicht einzugehen, gerade auch deshalb, weil der Absender der E‑Mail, einen seltsamen Namen angegeben hatte, dessen Existenz ich über die Google – Suchmaschine vergeblich zu prüfen suchte. Aber dann schien mir doch reizvoll zu sein, dem Absender der E‑Mail zu antworten. Ich notierte kurz und bündig, dass ich, wenn ich einen Apfel belausche, den Apfel in eine meiner Hände nehme, um ihn tatsächlich an eines meiner Ohren zu führen. Was man, wenn man in dieser Weise vorgeht, hören kann, ist natürlich zunächst das Rauschen des Blutes in den eigenen Ohrgefäßen, sonst aber nichts, abgesehen von Geräuschen vielleicht, die man sich gründlich vorzustellen vermag, Geräuschen organischen Zerfalls zum Beispiel, einem Pfeifen, einem Sausen oder den Beißgeräuschen eines Wurmkiefers in größerer Apfeltiefe. Ich attestierte in einem Antwortschreiben sehr ernsthaft, dass ein Apfel ein stilles Wesen sei, immerhin habe ich nicht nur einen, ich habe mindestens fünf Äpfel belauscht, Birnen, Trauben, Bananen, Pfirsiche, alle sind sie ohne tatsächliche Geräusche in den Frequenzen menschlichen Hörvermögens. Dafür leg ich eine Hand ins Feuer, jawohl, es ist Montag: Rasende Wolken. — stop
lichtluftnetz
india : 2.05 — Ich habe das Haus verlassen. Es ist Nacht. Der Wind raschelt in den Blättern der Kastanienbäume. Gerade eben ist die letzte Straßenbahn des Abends an mir vorübergefahren, ein leeres Gehäuse, nur der Fahrer war zu sehen gewesen. Ich sitze in einem Häuschen einer Haltestelle, weil ich nach einer Erscheinung suche. Ich halte meinen kleinen Computer in der einen Hand, mit der anderen navigiere ich den Mauszeiger über den Bildschirm, auf dem schon ein paar zarte, staubige Falter sitzen. Wenn ich die Anweisung gebe, Netzwerkverbindungen anzuzeigen, die sich in meiner Nähe befinden, ist da eine, die einen besonderen Namen trägt: Lichtluftnetz. Dieses Netzwerk existiert seit ungefähr drei oder vier Wochen. Es ist mittels eines Passwortes geschützt. Irgendjemand muss also das Wort Lichtluftnetz als Bezeichnung für ein neues Netzwerk eingegeben haben. Eine feine Erfindung. Wenn ich auf und ab gehe, kann ich sehen, dass sich die Signalstärke des Netzwerkes verringert oder vergrößert, ein nicht sehr starker Sender. Ich hatte für einen Moment die Idee, dass vielleicht über mir in den Bäumen eine Person mit einem Computer heimlich wohnen könnte. Ich habe, man wird mich vielleicht für verrückt erklären, gerufen: Hallo! Ist da jemand? Bisher war mein Rufen vergeblich gewesen. Und so sitze ich nun ganz still und versuche, mich mit jenem Netzwerk in Verbindung zu setzen. Ich habe den Verdacht, dass ich bereits beobachtet werde. Es ist eine wirklich schöne Nacht. So friedlich. — stop
eine geschichte die mein vater einmal las
nordpol : 6.46 — An einem Sonntag neulich habe ich in Texten gelesen, die ich während der vergangenen Jahre an genau dieser Stelle sendete. Manche dieser Texte waren mir vertraut, andere wirkten, als wären sie von einem Fremden geschrieben. Gemein war ihnen, dass mein Vater sie noch mit eigenen Augen gelesen haben könnte. Wie der alte Mann zu seinem Computer wandert. Wie er auf einer Treppe steht, Rede an sein linkes Bein: Beweg Dich! Einmal rief mein Vater mich an. Ein Text hatte ihm gefallen. Es ist eigenartig, der Text, der meinem Vater gefallen hatte, erzählt heute noch immer dieselbe Geschichte und doch ist alles ganz anders geworden. Ich hatte Folgendes notiert: Man stelle sich einmal vor, Papiertierchen existierten in unserer Welt. Nicht etwa Tierchen, die aus Papier gemacht sind oder vergleichbarer Ware, sondern tatsächliche Lebewesen, die so ausgedacht sind, dass sie sich zu Formen versammeln, die einer Papierseite ähnlich sind. Weil diese Lebewesen, wie ich sie mir gerade male, sehr klein sein sollten, sagen wir in der Fläche so groß wie die Spitze einer Nadel, würde ein Maschinenbogen von nicht weniger als zwei Millionen Individuen nachgebildet sein. Jedes Papiertierchen, sichtbar ganz für sich nur im Licht eines sehr guten Mikroskops, ist nun von dem Wunsch beseelt, sich mit jeweils vier weiteren Tierchen, die es schon immer kennt, mittels feinster Tentakeln zu verbinden oder zu befreunden, und zwar nur mit diesen, so dass man von eindeutiger Ordnung sprechen könnte, nicht von einer beliebigen Anordnung. Ja, jedes der kleinen Wesen für sich spricht von einem ureigenen Ort, den es niemals vergisst. Sobald alles schön zu einer Seite geordnet ist, werden mit Licht, mit einem Lichtstift genauer, Zeichen gesetzt auf das lebende Papier, indem man leichter Hand wie mit einem Füller schreibt. Wird ein schneeweißes Tierchen berührt vom notierenden Licht, nimmt es sogleich die schwarze Farbe an und verbleibt von diesem Schwarz, bis es von weiterem Licht berührt werden könnte, einem Licht natürlich, das sehr stark sein muss, weil doch der Tag oder jede Lampe das Zeichen der Nacht sofort über die Landschaft der filigranen Körper schreiben würde. Ich hatte, während ich diesem Gedanken noch auf einer gewöhnlichen Computerschreibmaschine folgte, die Idee, dass sie vielleicht alle sehr schreckhaft sind, also zunächst unvollkommen oder wild, dass sie, zum Beispiel, wenn ein Feuerwehrauto in ihrer Nähe vorüber kommen sollte, sofort auseinander fliegen in Panik, sich verstecken, um jedes für sich oder in größeren Gruppen an den Wänden meiner Zimmer zu sitzen. Vielleicht lungern sie auch auf Kaffeetassen herum oder in den Haarblättern eines Elefantenfußbaumes, ja, das ist sehr gut denkbar. Ich werde dann warten, ruhig und gelassen warten, bis sie sich wieder beruhigt haben werden und zurückkommen, sagen wir nach einer Stunde oder zwei. Dann weiter schreiben oder lesen oder denken. Und jetzt habe ich einen Knoten im Kopf. — stop
eine elektrische wiese
tango : 6.45 — Nehmen wir einmal an, irgendwo auf dieser Welt würde eine Wiese existieren, die nicht eine wirkliche Wiese ist, sondern eine Wiese künstlicher Gräser, künstlicher Blumen, künstlicher Tiere, eine Hightechwiese, in welcher nicht ein einziges Gramm organischen Materials aufzuspüren wäre. Diese Wiese verhielte sich natürlichen Wiesen gleich, sie würde wachsen und summen und knistern unter der Bewegung künstlicher Winde. Alles ist täuschend ähnlich dargestellt, die Grashüpfer der Wiese, reinste feinmechanische Wunderwerke, wie auch ihre Regenwürmer, Ameisen, Bienen, Farne, Moose, Blütenkelche, die sich öffnen, wenn der Morgen graut, die sich schließen, wenn es Nacht werden soll. Ja, die Nacht über einer Wiese, wie ich sie gerade erfinde, die Tiere der Dunkelheit, die sich in ihren Geräuschen bemerkbar machen, das Zirpen der Grillen, das sonore Brummen der Nachtschmetterlinge. Gerade eben stelle ich mir die Existenz eines Herrn vor, der zu dieser Wiese gehören wird. Tief sitzt er stundenlang über einen Tisch gebeugt, ein Feinmechaniker, der für Reparaturarbeiten an der Wiese in jeder Hinsicht verantwortlich zeichnet. Wie er sich mit Werkzeugen der Uhrmacher vorarbeitet. Seine besondere Brille, die auch kleinste Gegenstände sichtbar werden lässt. Gerade eben öffnet er vorsichtig ein Glühwürmchen, weil es nur noch fliegen, aber nicht mehr leuchten will. All diese kleinen Schrauben, Gewinde, Scharniere. — stop
ein beamter unterirdischer musikabspielgeräte
nordpol : 0.25 — Als der Beamte, der für das Friedhofswesen zuständig ist, winkend eine Wiese überquerte, stand ich mit einem Gärtner unter einer blattlosen Ulme. Der Mann rauchte einen Zigarillo. Später Nachmittag. Flügeltiere, goldfarbene Gespenster, flatterten in der Luft herum. Ich hatte gerade die Frage gestellt, ob der Baum, unter dem wir warteten, noch am Leben sei, als uns der Beamte erreichte. Er war etwas außer Atem und lachte, weil ich ein altes Eisenkreuz in meinen Händen drehte. Er sagte sofort, dass dieses Kreuz an Ort und Stelle denkbar sei. Das können sie hier aufstellen! Also waren wir sehr zufrieden alle, wir hatten in gemeinsamer Gegenwart kaum dreifach geatmet und schon konnten wir wieder auseinandergehen, wenn da nicht jener Baum gewesen wäre ohne Blätter, weswegen wir über das Wetter zu sprechen begannen, über Wintertage, die keine mehr sind. Und über Sommerzeiten, die den Herbstzeiten von Jahr zu Jahr ähnlicher zu werden scheinen. Ein Eichhörnchen tollte über ein Grab in unserer Nähe, grub sich in die Erde, Steine flogen durch die Luft. Vielleicht weil sich das kleine Tier sichtbar in die Tiefe voran arbeitete, hatte ich die Idee, meine Vorstellung unterirdischer Musik vorzutragen, die ich vor Monaten bereits einmal notierte. Und so erzählte ich, wie ich geschrieben hatte, dass nämlich auf meiner letzten Ruhestätte einmal ein Windrad stehen könnte. Das Rad würde, in dem es sich drehte, Strom erzeugen. Mittels eines Kabels würde dieser Strom zu einer Batterie unter die Erde geführt. Sobald nun durch kräftige Winde ausreichende Mengen von Strom gesammelt sein werden, würde sich ein Musikabspielgerät in Bewegung setzen, um etwas Charlie Parker oder Benny Goodman zu spielen. Eine reizende Vorstellung, sagte ich, eine Überlegung, die mich seit dem vergangenen April täglich begleitet. Und wie nun der Friedhofsgärtner anfing zu lachen, ein Lachen, das wärmte, und wie aus dem Beamten der kleinen Stadt, ein Beamter für unterirdische Musik zu werden begann. — stop
fingerknospen
india : 6.32 — Meine Schreibmaschine ist ein merkwürdiges Ding. Sie ist flach und sie verfügt über einen Bildschirm und außerdem über einen lichtempfindlichen Sensor, der ins Innere meiner Schreibmaschine zu melden scheint, ob Tag ist oder Nacht, ob Helle oder Dunkel. Ich habe soeben eine Viertelstunde nach der Position dieses Sensors gesucht, zunächst mittels meiner Augen selbst, etwas später mit einer Lupe, je ohne eine beweiskräftige Spur aufnehmen zu können. Es ist Samstag. Ich mag das Wort Samstag gut leiden. Gerade fällt mir ein, dass ich bald ein weiteres Jahr gelebt haben werde, ohne einen Finger verloren oder um einen Finger zugenommen zu haben. Oft, so auch heute, habe ich mich gefragt, wie sich ein nachwachsender Finger zunächst bemerkbar machen würde? Würde sich neben einem bereits existierenden Finger eine Fingerknospe bilden, die nach und nach sich zu einem vollständigen Fingerglied erheben würde? Oder würde sich vielleicht einer meiner älteren Finger in seiner Mitte teilen? Das sind sehr interessante Fragen, die vielleicht ein wenig unheimlich zu sein scheinen. Vor wenigen Stunden, das geht mir nicht aus dem Kopf, habe ich am Flughafen mit einem jungen Mann gesprochen, der in einem Waschraum stand und eine sehr traurige Geschichte erzählte. Manchmal musste er weinen. Seine Augen röteten sich und er beugte sich rasch über das Waschbecken und begann sein Gesicht mit Wasser zu benetzen. Dann richtete er sich auf, erzählte weiter und weinte erneut, um sich wiederum über das Waschbecken zu beugen bis er so nass geworden war, dass er stehenblieb und erzählte und weinte zur gleichen Zeit, ohne sich noch verbergen zu wollen. — stop
posaune
india : 0.28 — Ich habe vor wenigen Minuten mittels eines Filmdokuments den Posaunisten Fred Wesley solange beobachtet, bis ich der festen Überzeugung sein konnte, die Posaune habe auf Fred Wesleys Schulter wie ein Tier Platz genommen, sie habe den korpulenten, alten Herrn sozusagen okkupiert, um auf ihm Musik zu machen. Funky! Funky! Mit Fred Wesley ist das so: Er bewegt sich geschmeidig und elegant, er scheint zu tanzen, selbst dann noch, wenn er reglos, wie scheinbar angehalten, vor einem Mikrofon verharrt. Seit Monaten habe ich den Verdacht, dass der alte Posaunist außergewöhnlich lange Zeit die Luft anzuhalten vermag. Ich werde deshalb sofort, in dieser Nacht noch, eine E‑Mail verfassen und mich erkundigen, ob ich mit meiner Vermutung recht haben könnte. Sehr geehrter Mr. Wesley, so vielleicht sollte ich beginnen, es ist Mitternacht in Europa. Ich heiße Louis, und ich wüsste gerne, wo Sie sich gerade befinden, weil ich ein Gespräch mit Ihnen zu führen wünsche über das Anhalten der Luft und diese Dinge, die einem Posaunisten, wie sie einer sind, vielleicht außerordentlich gut gelingen. Gestern auf dem Weg von einem Zimmer in ein anderes Zimmer, wäre ich um Haaresbreite umgefallen, weil mir schwindelig wurde, weil ich kurz zuvor eine Minute und eine halbe Minute nicht geatmet hatte. Ich frage mich, ob ich vielleicht etwas falsch gemacht haben könnte. Wie trainiere ich am besten und was sind sinnvolle Ziele, die ein Mensch in diesem Sport erreichen kann, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen? Soll ich mir eine Posaune kaufen? Wie auch immer, verehrter Mr. Wesley, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir recht bald antworten würden, damit ich in meinen Übungen fortfahren kann. Ihr Louis — stop
zeitjazz
sierra : 3.32 — An einer anderen Stelle habe ich bereits von meinem Wunsch erzählt, man möge auf meiner letzten Ruhestätte einmal ein Windrad errichten. Ich hatte notiert, das Rad, indem es rotierte, könnte Strom erzeugen. Mittels eines Kabels würde dieser Strom zu einer Batterie unter die Erde geführt und ein Musikabspielgerät in Bewegung gesetzt, um etwas Charlie Parker oder Benny Goodman zu spielen. Eine faszinierende Vorstellung immer noch, eine Idee, die mich in Gedanken jedes Mal gegen einen Zeitraum führt, der nicht ganz einfach vorzustellen ist, weil ich in ihm nicht wirklich vorkommen werde, es sein denn als eine Person, die man zu den Toten zählt. Man wird vielleicht irgendwann einmal sagen, dieser hier, der dort unter Erde liegt, war einer, der zur Lebenszeit die Idee verfolgte, ein Windrad auf seinem Grab zu errichten. Sein Name ist Louis gewesen, er konnte sich vorstellen, wie das Windrad sich drehen wird und Strom erzeugen, aber er konnte sich nicht wirklich vorstellen, wie es sein wird, in der Nähe dieses Windrades ohne Leben zu sein. Gerade fällt mir ein, dass ich einmal hörte, es werde vielleicht bald möglich sein, das Wissen, das Bewusstsein, das Wesen einer Person in das digitale Gehirn eines Computers zu übertragen. Demzufolge ist denkbar geworden, neben organischen Bestandteilen eines Verstorbenen sein Bewusstsein beizusetzen und mittels eines Windrades mit Strom zu versorgen. Wenn nun Windstille herrschte, würde das Bewusstsein schlafen, und wenn es stürmisch geworden ist, da draußen, da oben im Herbst, beispielsweise, würde es im rasenden Denken vergehen vor Glück. – Es ist kurz nach drei Uhr. Automobile der Polizei schleichen in Kolonnen mit Blaulicht durch die Straße, in der ich wohne. — stop