alpha : 12.08 UTC — In der schwankenden Straßenbahn wieder höre ich wie sie mit brennenden Augen nach Wörtern suchen für das scheppernde Licht des Magnesiums, für das Fauchen der bengalischen Feuer, die sie in ihren kleinen Fäusten hielten. Da ist eine Nachtsekunde, die Sekunde, in der sie das rote, das verbotene Stäbchen entzündet und gerade noch eben rechtzeitig von sich geworfen haben. Das Heulen der chinesischen Pulverpfeifen. Und da sind noch Funkenregen und blaugraue Wölkchen, die sich auf kleine Zungen niederlegten. Nicht die Feuerblumen des Himmels, das Spektakel der nächsten Nähe entfesselt die Erinnerung von Stunde zu Stunde. Zündhölzer, verborgen in Hosentaschen, sind zurückgeblieben, auch dieses Schwefelholz, eine heimliche Geschichte. – stop /koffertext
Aus der Wörtersammlung: grau
luftraum
sierra : 0.05 — Ich erinnere mich: Julio Cortázar erzählt in seinem Kaleidoskop Reise um den Tag in 80 Welten eine Geschichte, in welcher eine Fliege von zentraler Bedeutung ist. Diese Fliege soll auf dem Rücken geflogen sein, als der Autor sie entdeckte, Augen nach unten demzufolge, Beinchen nach oben, ein für Fliegentiere nicht übliches Verhalten. Natürlich musste diese seltsame Fliege unverzüglich näher betrachtet werden. Julio Cortázar erfand deshalb ein Zimmer, in welchem die Fliege fortan existierte, und einen Mann, der die Fliege zu fangen suchte. Wie zu erwarten gewesen, war der Mann in seiner Beweglichkeit viel zu langsam, um die Fliege behutsam, das heißt, ohne Beschädigung, erhaschen zu können. Er bemühte sich redlich, aber die Fliege schien jede seiner Bewegungen vorherzusehen. Nach einer Weile machte sich der Mann daran, das Zimmer, in dem er sich mit der Fliege aufhielt, zu verkleinern. Er faltete Papiere zu Schachteln, die den Flugraum der besonderen Fliege nach und nach derart begrenzten, dass sie sich zuletzt kaum noch bewegen konnte. Fliege und Fänger waren in einem lichtlosen Raum innerhalb eines Schachtelzimmers gefangen, daran erinnere ich mich noch gut, oder auch nicht, weil ich diese Geschichte bereits vor langer Zeit gelesen habe, immer wieder von ihr erzählte, weshalb sich die Geschichte verändert, von der ursprünglichen Geschichte entfernt haben könnte. Das Buch, in dem sie sich aufhält, befindet sich zur Zeit immer noch außer Reichweite. Weil ich diese Geschichte bereits einmal festgehalten hatte, ist sie noch die selbe Geschichte geblieben, die Geschichte einer erinnerten Geschichte. — stop
ferrovia
alpha : 18.02 UTC — Ich kam mit dem Zug nach Venedig, trat auf den Vorplatz des Bahnhofsgebäudes, hörte, vertraut, das Brummen der Vaporettomotoren, bemerkte das dunkelblaugraue Wasser, und einen Geruch, auch er vertraut, der von Wörtern noch gefunden werden muss. Und da war die Kuppel der Chiesa di san Simeone Piccolo im Abendlicht, und es regnete leicht, kaum Tauben, aber Koffermenschen, hunderte Koffermenschen hin und her vor Ticketschaltern, hinter welchen geduldige städtische Personen oder Furien warteten, die das ein oder andere Drama bereits erlebt hatten an diesem Tag wie an jedem anderen ihrer Arbeitstage. Und da war mein Blick hin zur Ponte degli Scalzi, einem geschmeidigen Bauwerk linker Hand, das den Canal Grande überquert. Ich will das schnell erzählen, kurz hinter Verona war ich auf den Hinweis gestoßen, es habe sich dort nahe der Brücke, vor den Augen hunderter Beobachter aus aller Welt, ein junger Mann, 22 Jahre alt, der Gambier Pateh Sabally, mittels Ertrinkens das Leben genommen. Ein Mensch war das gewesen, der auf gefährlicher Route das Mittelmeer bezwang. Niemand sei ihm zu Hilfe gekommen, ein Vaporetto habe angehalten, man habe einige Rettungsringe nach ihm geworfen, aber er habe nicht nach ihnen gegriffen, weshalb man eine oder mehrere Filmaufnahmen machte, indessen man den jungen Mann ermutigte: Weiter so, geh nach Hause! Das war im Januar gewesen, das Wasser der Kanäle kalt wie die Betrachterseelen. In diesem Augenblick, als ich aus dem Bahnhof in meinen venezianischen Zeitraum trat, war keine Spur der Tragödie dort unter dem Himmel ohne Tauben zu entdecken, außer der Spur in meinem Kopf. — stop
elisabeth
charlie : 0.05 UTC – Vor einigen Wochen besuchte ich das Haus der alten Menschen, in dem meine Mutter wohnt. Ich spazierte über die Flure des Hauses mit einem Apfel in der Hand, und wartete, dass ich in das Zimmer meiner Mutter gerufen würde. Auf einem Sofa am Ende eines der Flure vor einem Fenster sass eine alte Frau wie zu einer Salzsäule erstarrt. Als ich zum dritten Male an ihr vorüber kam, erinnerte ich mich an eine Geschichte, die ich einmal in Brooklyn erlebte. Ich hatte sie vor Jahren notiert. Ich schrieb: Im Winter des vergangenen Jahres, an einem windig kalten Tag, besuchte ich in Brooklyn einen alten Herrn, Mr. Tomaszweska und seine Frau Elisabeth. Sie wohnen nahe der Clark Street in einem sechsstöckigen Haus mit Blick auf die Upper Bay von New York. Ich hatte den alten Mann während einer Fahrt auf einem Fährschiff zufällig kennengelernt. Er beobachtete wie ich Fahrgäste fotografierte, die ihre Namen heimlich in die hölzernen Sitzbänke des Schiffes ritzten. Er sprach mich freundlich an, wollte mir einen Schriftzug zeigen, den er selbst drei Jahrzehnte zuvor an Ort und Stelle in der gleichen Weise wie die beobachteten Passagiere eingetragen hatte. Wir führten ein kurzes Gespräch über die New Yorker Hafenbehörde, Eisenbahnen und Flugzeuge, weiß der Himmel, wie wir darauf gekommen waren. Als wir das Schiff verließen lud Mr. Tomaszweska mich ein, einmal zu ihm zu kommen. Darum stieg ich nur wenige Tage später in den sechsten Stock des schmalen Hauses auf den Höhen Brooklyns. Die Tür zur Wohnung stand offen, warme Luft kam mir entgegen, die nach süßem Teig duftete, nach Zimt und Früchten. Die Räume hinter der Tür waren verdunkelt. Ich hatte sogleich den Eindruck, dass ich vielleicht träumte oder verrückt geworden sein könnte, weil in diesem Halbdunkel an den Wänden, auch auf dem Boden, Lampen, Diodenlichter, glühten. Modelleisenbahnzüge fuhren auf schmalen Geleisen herum. Ich höre noch jetzt das leise Pfeifen einer Dampflokomotive, das meinen Besuch begleitete. Es war eine rasende Zeit, Stunden des Staunens, da in der Wohnung des alten Herrn eine sehr besondere Modellanlage gastierte, ja, ich sollte sagen, dass die Wohnung selbst zur Anlage gehörte, wie der Himmel zur wirklichen Welt. Alle Züge fuhren automatisch von einem Computer gesteuert, die Luft über den Geleisen roch scharf nach Zinn. Wir sprachen indessen nicht viel, Mr. Tomaszweska und ich, sondern schauten dem Leben auf dem Boden in aller Stille zu. An einem Fenster, dessen Vorhänge zugezogen waren, saß Mr. Tomaszweska’s Frau Elisabeth. Sie beachtete mich nicht, starrte vielmehr lächelnd auf eine kleine Klappe, die in die Wand des Hauses eingelassen war. Manchmal öffnete sich die Klappe und ich konnte für Momente das Meer erkennen, das an diesem Tag von grüngrauer Farbe gewesen war, wunderbare Augenblicke, denn immer dann, wenn das Meer in dem kleinen Fenster erschien, lachte die alte Frau mit glockenheller Stimme auf, um kurz darauf wieder zu erstarren. Einmal setzte sich Mr. Tomaszweska neben seine Frau und fütterte sie mit warmem Orangenkuchen, den er selbst gebacken hatte. Und wie wir uns wieder auf den Boden setzten, um ein Modell des Orientexpress durch die Zimmer der Wohnung kreisen zu sehen, erzählt der alte Mann, dass sie gemeinsam hier oben sehr glücklich seien. Er könne mit seiner Frau zwar nicht mehr sprechen, er könne sie nur noch streicheln, was sie irgendwie verstehen würde oder sich erinnern an die Sprache seiner Hände. Verstehst Du, sagte er, sie vergisst immer sofort, alles vergisst sie, auch wer ich bin, aber sie vergisst niemals nach den kleinen Engeln zu sehen, die uns besuchen, sie kommen dort durch die Klappe, siehst Du, schau genau hin, es ist schon ein Wunder, sagte der alte Mann, wie schön sie lacht, mein junges Mädchen, nicht wahr, mein junges Mädchen. – stop
take five
alpha : 22.05 UTC — Eigenartig, wie sie vor mir saß, ihre flachen Schuhe gegen die Beine eines Stuhles gestemmt, beide Hände auf dem Tisch, Innenseiten nach oben, derart verrenkt, als gehörten diese Hände nicht zu ihr, als seien das vorsätzlich angebrachte Instrumente, Werkzeuge des Fangens, Blüten. Lange Zeit ist seither vergangen, aber die Geschichte noch nah. Das Bild ihrer Hände, wie sie sich schließen, Finger für Finger, Nacht wird. – ::: – Eine Fotografie kommt über den Tisch, take five, lässige Geste, als würde eine Karte ausgespielt. „Was siehst Du?“, fragt sie. – ::: – „Landschaft!“, – antworte ich, „Afrika. Südliches Afrika. Einen Affenbrotbaum und zwei Männer. Einen jungen Mann schwarzer Hautfarbe, der einen hellen Anzug trägt, und einen älteren, einen weißen Mann, der einen dunkelgrauen Anzug trägt, einen Strohhut und eine Brille. Eine staubige Straße. Menschen, die schwarz sind und bewaffnet. Gewehre. Macheten. Harte Schatten. Spuren von Hitze, infernalischer Hitze. Sie sehen alle so aus, als schwitzten sie. Jawohl, alle, die dort auf der Straße stehen, schwitzen.“ – ::: – „Was noch?“ -, fragt sie, – „was siehst Du noch?“ – ::: – Sie fährt sich mit ihrer rechten Hand über die Stirn. – ::: – „Ich sehe ein Auto. Das Auto steht rechts hinter dem weißen Mann, eine dunkle Limousine, ein schwerer Wagen. Ich sehe einen Chauffeur, einen Chauffeur von schwarzer Haut, Schirmmütze auf dem Kopf. Der Chauffeur lächelt. Er schaut zu den beiden Männern hinüber, die unter dem Baum im Schatten stehen. Der weiße Mann reicht dem schwarzen Mann die Hand oder umgekehrt. Sieht ganz so aus, als sei der weiße Mann mit dem Auto angekommen und der schwarze Mann habe auf ihn gewartet. Historischer Augenblick, so könnte das gewesen sein, ein bedeutender Moment, eine erste Begegnung oder eine letzte. Beide Männer haben ernste Gesichter aufgesetzt, sie stehen in einer Weise aufrecht, als wollte der eine vor dem anderen noch etwas größer erscheinen. Da ist ein merkwürdiger Ausdruck in dem Gesicht des jungen, schwarzen Mannes, ein Ausdruck von Überraschung, von Verwunderung, von Erstaunen.“ – ::: – „Das ist es!“, sie flüstert. „Treffer!“- ::: – Jetzt lacht sie, öffnet ihre Fäuste und das Licht kehrt zurück, der ganze Film. “Die Klimaanlage. Der verdammte Wagen dort unterm Baum. Der Weiße hat dem Schwarzen eine kühle Hand gereicht, Du verstehst, eine kühle Hand. Der Kerl hatte eiskalte Hände.“ — stop
früh wenn die vögel
india : 6.28 — Ich erinnerte mich an diesem schönen Morgen in der Schnellbahn an einen Mann, der in Afghanistan geboren wurde. Noch ein Junge, flüchtete er bald nach Europa. Als ich ihn kennenlernte war er Ende Zwanzig. Wie ich ihm nun wieder begegnete, sah ich einen grauhaarigen Mann, der noch immer fürchterlich stotterte, obwohl er doch unbedingt sprechen wollte. Ich glaube, es war der Krieg oder was er erlebte während seiner Flucht. Noch immer der selbe ängstliche Blick, aber ein fester Händedruck. Er heisst Nuri, und er fährt jeden Tag zur Arbeit mit dem Zug seit 32 Jahren. Sehr früh fährt er los, zu einer Zeit, da schlafe ich noch tief, da denke ich noch gar nicht daran, wach zu werden, so früh. Es ist die Zeit, da die Vögel aufstehen und singen. — stop
ai : TÜRKEI
MENSCHEN IN GEFAHR : “Die Akademikerin Nuriye Gülmen und der Grundschullehrer Semih Özakça sind am 23. Mai in Ankara in das Sincan-Gefängnis verlegt worden. Sie befinden sich in einem langen Hungerstreik, mit dem sie gegen ihre Entlassung aus dem öffentlichen Dienst protestieren. Es besteht Sorge um ihr Wohlergehen, auch deshalb, weil sie gezwungen werden könnten, ihren Hungerstreik aufzugeben. / Am frühen Morgen des 22. Mai veröffentlichten die Akademikerin Nuriye Gülmen und der Grundschullehrer Semih Özakça in sozialen Medien, dass sie zuhause festgenommen und dann in Polizeigewahrsam gebracht worden seien. Am 23. Mai ordnete ein Gericht in Ankara an, sie im Sincan-Gefängnis in Ankara in Untersuchungshaft zu nehmen. / Nuriye Gülmen und Semih Özakça protestierten seit November 2016 am Menschenrechtsdenkmal im Zentrum von Ankara gegen ihre Entlassung per Präsidialerlass. Während der ersten Monate ihres Sitzprotests wurden sie mehrfach von der Polizei festgenommen. Am 9. März traten Nuriye Gülmen und Semih Özakça im Polizeigewahrsam in den bis heute andauernden Hungerstreik. Sie wurden am 14. März 2017 freigelassen, setzten ihren Hungerstreik jedoch am Menschenrechtsdenkmal in Ankara fort. / Ein Gericht in Ankara akzeptierte am 2. Mai eine Anklage wegen „Propaganda für eine terroristische Vereinigung“. Am 23. Mai entschied das Gericht, Nuriye Gülmen und Semih Özakça in Untersuchungshaft zu nehmen, da sie „trotz ihrer Strafverfolgung darauf bestehen, ihre Aktion für die Terrorgruppe DHKP‑C [Revolutionary People’s Liberation Party-Front, eine verbotene linksgerichtete bewaffnete Gruppe] fortzusetzen“ und dass sie „das Vorgehen der Justiz schädigen werden, wenn man sie nicht in Untersuchungshaft nehme“. Die beiden bestreiten jede Verbindung zu DHKP‑C. / Amnesty International befürchtet, dass Nuriye Gülmen und Semih Özakça zwangsernährt werden könnten. Paragraf 82 des Gesetzes Nr. 5275 über die Durchführung von Urteilen gestattet es den Gefängnisbehörden, auf Entscheidung der Gefängnisärzte hin Gefangene im Hungerstreik zwangszuernähren. Eine solche Behandlung kann grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen.” - Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen unter > ai : urgent action
herbst
marimba : 8.12 UTC — Ich geh spazieren wo die alten Menschen wohnen, über Flure wo die alten Menschen sitzen vor den Türen, hinter welchen uralte Menschen liegen, die in ihren letzten Betten schlafen. Ein alte Dame zieht sich im Rollstuhl sitzend Stunde um Stunde am hölzernen Wandgeländer voran. Wie viele Kilometer ist sie so schon unterwegs gewesen? Ich hörte, sie sei 88 Jahre alt. Wenn Sie mir begegnet, lächelt sie wie ein junges Mädchen, fragt warum sie hier sei, antwortet sofort: Wohl weil ich alt bin. Auf einem Tisch, um den herum weitere schlafende Menschen sitzen, steht ein Telefon von grauer Farbe mit einer Ziffernwählscheibe. Der Hörer des Telefons schwebt an einer mageren Hand neben einem Ohr, das lauscht. Eine weitere magere Hand wählt Nummer für Nummer Stunde um Stunde. Draußen vor den Fenstern kühler, herbstlicher Regen. Und hier, gleich komme ich an ihm vorüber, das Zimmer der alten Claudine Tulla, sie schläft schon seit zehn Jahren in ihrem letzten Bett. Wie doch die Zeit vergeht. — stop
nasengeschichte
echo : 22.56 UTC — Auf meiner Nase wurde zufällig ein Haar entdeckt, ein Haar für sich, ein einzelnes Haar, kein Bewuchs in dem Sinne von Wald, aber doch eben ein Haar wie ein Baum. Kurz nachdem ich die Meldung von der Entdeckung des Haares entgegengenommen hatte, habe ich das Haar entfernt, kein Schmerz, aber Verwunderung, weil ich doch sehr lange Zeit ohne Haar auf meiner Nase lebte. Ich fragte mich, wie ich dieses Haar übersehen konnte, es soll sich um ein durchaus gut sichtbares Haar gehandelt haben, ein silbergraues Gewächs. Nun also morgens fortan der kontrollierende Blick zu meiner Nasenspitze hin. Eigentlich wollte ich eine ganz andere Geschichte erzählen an einem Tag, da die Börsenkurse stürzen, weil sich der 49. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in einer Weise äußerte, dass man für möglich hält, er könnte Atomwaffen zünden. — stop
von stimmen
delta : 18.12 UTC — Ich habe lange Zeit über das Bild der Kehlköpfe nachgedacht, wie sie in einem anatomischen Präpariersaal durch die Luft fliegen als wären sie Vögel. Wann dieses Bild zum ersten Mal auftauchte, weiß ich nicht. Vielleicht während eines Spazierganges über den alten Münchner Friedhof St. Georg. Ich stand vor Liesl Karlstadts Grab, plötzlich hörte ich ihre Stimme, die von irgendwo her aus den Kastanienbäumen in nächster Nähe zu kommen schien. Orangenfarbene Blüten, Fuchsköpfen ähnlich, lungerten auf dem kleinen Karlstadthügel. Blaue Fühlerkäfer hetzten über sandigen Boden. Waldbienen, Mooshummeln, Raupenfliegen, es sirrte und brummte in allen möglichen Tönen. Auf dem Gedenkstein für Rainer Werner Fassbinder hockte ein Marienkäfer von Holz, der Schirm eines Fächerahorns spendete Schatten. Auch an Fassbinders Stimme konnte ich mich sofort erinnern, ohne einen konkreten Satz aus seinem Munde zu vernehmen. Es war ganz so, als würden die Stimme in meinem Kopf eine Stimme simulieren. Erich Kästner allerdings war mir entweder abhanden gekommen oder ich habe seine Stimme tatsächlich noch nie in meinem Leben gehört. Aber den Sedlmayr, Walter, erinnerte ich unverzüglich und auch die angenehm warme Stimme Bernd Eichingers, der so plötzlich gestorben war. Sommerfäden schwebten durch die Luft. Das Rascheln der Eichhörnchen unterm Efeu. Über mir ein blaugrauer, blitzender Himmel. Es duftete nach Zimt, warum? — stop / koffertext