ulysses : 16.05 UTC – Wenn ich Menschen, junge oder ältere Menschen frage, ob sie den Moment erinnern, da sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben selbst die Schuhe gebunden haben, sind sie erstaunt, nicht nur deshalb, weil ich mich nach einem weit zurückliegenden Ereignis erkundigte, sondern auch, weil sie nicht selten sofort in der Lage waren, eine Geschichte vom Schuhbinden zu erzählen. Menschen, welche sie lehrten, ihre Schuhe zu binden, auch die Farbe der Schuhe oder Orte, eine Treppe, die Küche oder ein Garten kehrten ins Bewusstsein zurück. Wer sich die Schuhe selbst zu binden vermag, kann das Haus verlassen, kann eine komplexe Figur mit Händen gestalten, überall auf der Welt scheint die Methode der Schleife zu existieren, ja, Schleifen sind komplexe Strukturen, die einerseits sich selbst erhalten mittels Umarmung, andererseits sich auf einen Zugwunsch hin sofort aus ihrer Bindung lösen. Ich selbst habe mich in Landau unter einem Apfelbaum auf einem Bänkchen von Holz sitzend in der Schuhbindung geübt, meine Damalsschuhe waren blau und rot, die Gänseblümchen weiß, der Löwenzahn gelb, die Luft roch nach Stall und meine Tante duftete nach Moos und 4711. Gidhsti, die in Eritrea groß geworden ist, sagte: Was für eine seltsame Frage! Wir hatten nichts zu binden, wir sind barfuß gewesen oder trugen Sandalen. Ich war ungefähr 20 Jahre alt, als ich lernte, meine Schuhe zu binden. Darauf muss man erst einmal kommen, an einem Sonntagnachmittag. — stop
Aus der Wörtersammlung: mensch
beckett
charlie : 6.32 UTC — In dem kleinen Café, das den Namen Sahara trägt, wird Menschen, die am Flughafen arbeiten, Rabatt gewährt. Iclal ist müde, sie kommt gerade von der Arbeit. Außerdem schneit es in einer Weise, als wäre Winter. Sie zieht ihren Mantel aus und die Handschuhe, legt sie auf den Tisch vor sich hin und sagt: Ich will über die Abstimmung in der Türkei nicht sprechen. Sprechen wir über meine nächste Reise, ich weiß nicht, wohin ich reisen soll, ich bin seit ich denken kann, immer in die Türkei gereist, dieses Mal werde ich nicht in die Türkei reisen. — Ist es zu gefährlich, frage ich. — Nein, antwortet Iclal, es ist nicht gefährlich für mich, ich will nicht. Wohin könnte ich nur reisen im Sommer? — Ich sage: Venedig ist schön, aber eher im späten Herbst, vielleicht magst Du in die Berge gehen, Du könntest auf einer Hütte im Karwendelgebirge wohnen und wandern, das ist ganz wunderbar dort. In diesem Moment entdecke ich einen Schriftzug von weißer Farbe, der Iclal’s rosafarbenes T‑Shirt bedeckt: Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better. Das sind wunderbare Worte, sage ich, Samuel Beckett hat sie geschrieben. — Ja, wirklich, antwortet Iclal, wer ist das? Sie sieht an sich herab. Ich habe nicht darauf geachtet, was da steht, das ist Englisch, ich kann kein Englisch, was steht da, das Beckett geschrieben hat? — Ich überlege, wie ich Becketts Sätze korrekt übersetzen könnte. Ich überlege lange. Das ist offensichtlich schwierig, sagt Iclal. Nein, sage ich, das ist Poesie, da muss man sehr behutsam mit den Wörtern umgehen, man muss sehr genau sein. Kurz darauf werde ich mit meiner Übersetzung fertig. Iclal hört zu. Iclal beginnt zu lachen. Bald bekommt sie kaum noch Luft wie so lacht, und ich dachte noch, wie gerne ich ihr Lachen in diesem Moment auf Tonband aufgenommen hätte — stop
kamelschnellbahngeschichte
marimba : 6.28 UTC — Der junge Mann, der mir eine Geschichte von Kamelen erzählt, ist 22 Jahre alt. Er trägt ein leuchtend blaues Hemd, das sieht gut aus, weil seine Hautfarbe dunkel ist, weil er ein Mann ist, der tatsächlich aus Afrika kommt, der aus Afrika geflüchtet ist, obwohl er ganz sicher nicht aus Afrika flüchten wollte. Wäre er nicht aus der Not heraus geflüchtet, mit Zügen und Bussen und zwei Flugzeugen, dann wäre er jetzt tot. Weil er nicht tot ist, sitzt er mit mir in einer Schnellbahn und wir sprechen kurz über sein Land, das ich unbedingt einmal besuchen werde, wenn es dort so sein wird, dass man mich nicht sofort umbringen wird. Der junge Mann kommt aus Somalia, sein Großvater hütete Kamele. In seiner Kindheit trank er immer viel Kamelmilch. Es gibt, sagt er, nichts Gesünderes auf der Welt als Kamelmilch. Sie schillert nicht wie die Milch der Kühe, sie ist etwas bitter und süß zur gleichen Zeit. Er sagt noch, dass er gerade sein Geld zähle, er wolle nach Afrika reisen. In Afrika angekommen werde er so viel Kamelmilch trinken, wie in seinen kleinen Bauch überhaupt jemals hinein passen wird. Und jetzt ist die Schnellbahn am Ziel, und der junge Mann steigt aus. Ich sehe noch seine Hand, wie sie mir winkt über die Köpfe der Pendlermenschen hin. — stop
anjuta
ulysses : 5.25 UTC — Es ist Montag, früher Morgen, und die Vögel pfeifen. Ich bin noch nicht ganz wach, ich habe gut geschlafen, ich hatte einen lustigen Traum: In diesem Traum war ich versucht, Anton Tschechow einen Brief zu schreiben. Tatsächlich habe ich mich im Traum an meine Schreibmaschine gesetzt und notiert: Lieber Mr. Tschechow, gestern las ich eine traurige Geschichte, die Sie einmal aufgeschrieben haben. Sie erinnern sich vielleicht an Anjuta? Sie lebte in der Pension Lissabon mit einem Studenten der Medizin in einem schmutzigen Chaos. Eigentlich wollte ich nachlesen, wie Sie vom anatomischen Studium berichten, vom Lernen oder Pauken, eine Ärztin hatte mich auf ihre Geschichte aufmerksam gemacht. Was mich dann sehr berührte, war das Mädchen Anjuta selbst, ihre Geduld oder Duldsamkeit, wie traurig, wie sie als menschlicher Gegenstand angesehen und behandelt wurde, eine gute Geschichte! Es ist noch etwas Weiteres geschehen, ich erinnerte mich im Traum einmal, vor einigen Jahren, Ihre gesammelten Erzählungen, Novellen, Theaterstücke, Essays in digitaler Spur aus dem Internet geladen zu haben, 19657 Positionen. Ich bemerkte damals, dass es tatsächlich möglich ist, für den Preis einer Pistazieneiskugel Joseph Roths Gesammelte Werke auf ein Paperwhite – Lesegerät zu holen. James Joyces Ulysses kostet soviel wie keine Eiskugel. Virginia Woolfes Mrs. Dalloway eine halbe Kugel. Ihre, Anton Pawlowitsch Tschechows Kurzgeschichten, Novellen, Dramen wiederum eine vollständige Kugel / Downloadreisezeit : 5,2 Sekunden. Sehr beunruhigend, wie ich finde. Gleich werde ich aufwachen, ich werde einen Cappuccino trinken, und dann werde ich Ihnen diesen Brief, den ich träumte, notieren an einem frühen Morgen bald, wenn Montag sein wird bei leichtem Regen, und die Vögel pfeifen. — stop
vom suchen und finden
zoulou : 15.01 UTC — Das Suchen nach Gegenständen in Gärten, oder das Suchen nach Menschen in Wäldern oder Parklandschaften, wo sie sich freiwillig versteckten, Vergnügen, Freude, Glück, wie das Suchen nach Büchern oder Zitaten in Antiquariaten, die zum Zeitpunkt der Suche noch nicht digitalisiert worden waren. Einmal hörte ich eine Freundin an ihrem 85. Geburtstag, wie sie sich nach ihrer Brille erkundigte. Ich wusste genau, wo sich die Brille in dem Moment ihrer Frage aufgehalten hatte, aber meine alte Freundin schimpfte, während sie nach ihrer Brille suchte, so freundlich vor sich hin, und erzählte Geschichten, die sie entdeckte, obwohl sie doch nach ihrer Brille suchte, dass ich mir ein wenig Zeit ließ, um ihr zu sagen, wo sie ihre Brille sofort finden könnte. Ich erinnere mich, wie ich als Kind einen Wald durchsuchte, in dem ein weiterer, etwas kleinerer Wald enthalten war, ein Efeudschungel nämlich, es war ein feuchtwarmer Tag und die Luft duftete nach Löwenmäulchen. Anstatt der erwarteten Schneckengehäuse, fand ich eine Herde goldbrauner Frösche vor, die sich vermutlich über mein Erscheinen wunderten. Vor drei Tagen bemühte ich mich längere Zeit um die Erfindung einer Telefonnummer, die in der Stadt Chicago vorkommen könnte, aber garantiert nicht existiert. Und noch heute, vor drei Stunden, suchte ich nach einer größeren oder kleineren Stadt, in der folgende Adresse existiert: im Schnee 10. Obwohl ich zahlreiche, auch spezielle Suchmaschinen verwendete, war ich nicht erfolgreich gewesen. Ich sollte vielleicht sagen, dass manchmal wunderbar ist, nicht zu finden, was man sucht, es könnte dann reine Erfindung sein. — stop
ai : HAITI
MENSCHEN IN GEFAHR: „Die Menschenrechtsverteidiger David Boniface und Juders Ysemé fürchten nach dem plötzlichen Tod ihres Kollegen Nissage Martyr um ihr Leben. Nissage Martyr starb einen Tag, nachdem die drei in den USA gegen Jean Morose Viliena, den ehemaligen Bürgermeister ihrer Heimatstadt in Haiti, Klage wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen eingereicht hatten. Die Männer berichten seit 2007 von wiederholten Morddrohungen und Angriffen durch den ehemaligen Bürgermeister. Sie müssen daher angemessenen Schutz erhalten. / Am 22. März reichten David Boniface, Juders Ysemé und Nissage Martyr Klage gegen Jean Morose Viliena, den ehemaligen Bürgermeister ihrer Heimatstadt Les Irois im Südwesten von Haiti, bei einem Bundesgericht in Boston im Nordosten der USA ein. Die Klage wurde in den USA eingereicht, weil Jean Morose Viliena Anfang 2009 in die USA geflohen war, nachdem die haitianischen Behörden wegen des Mordes an David Bonifaces Bruder im Jahr 2007 und eines Angriffs auf den Gemeinderadiosender im Jahr 2008 ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet hatten. Bei diesem Angriff verlor Nissage Martyr ein Bein und Juders Ysemé ein Auge. Die drei Männer werfen Jean Morose Viliena vor, dass er für eine Reihe von Angriffen gegen seine Kritiker_innen verantwortlich ist, darunter “Brandstiftung”, “außergerichtliche Hinrichtungen”, “versuchte außergerichtliche Hinrichtung”, “Folter” und “Verbrechen gegen die Menschlichkeit”. Die Verbrechen wurden auf seine Anweisung hin von einer bewaffneten Gruppe verübt, die mit seiner politischen Partei in Verbindung steht. Am 24. März 2017, einen Tag nachdem die Klage gegen Jean Morose Viliena eingereicht worden war, erkrankte Nissage Martyr plötzlich schwer und starb auf dem Weg ins Krankenhaus von Les Irois. Seine Familie gibt an, dass er zuvor ganz gesund war. Mit Hilfe ihrer Rechtsbeistände fordert die Familie eine sofortige unabhängige Autopsie und umfassende Untersuchunge seines Todes. Die örtliche Staatsanwaltschaft hat zwar die Autopsie genehmigt, doch bis jetzt keine Untersuchung aufgenommen. / David Boniface und Juders Ysemé sind Menschenrechtsverteidiger und werden als Unterstützer der Partei Organisation du Peuple en Lutte, einer Oppositionspartei in Haiti, betrachtet. Seit 2007 berichten die beiden Männer und Nissage Martyr, dass Jean Morose Viliena und seine Verbündeten ihnen Morddrohungen schicken und sie tätlich angreifen und versucht haben, sie zu töten, weil sie ihre legitime Arbeit als Menschenrechtsverteidiger ausführen. Im Zuge dessen haben sie das erste Gemeinderadio initiiert sowie die strafrechtliche Verfolgung von Jean Morose Viliena und seinen Verbündeten angestrebt, um der Gewalt in der Gemeinde ein Ende zu bereiten. 2015 gewährte die Interamerikanische Menschenrechtskommission den drei Männern und ihren Familien Schutzmaßnahmen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. David Boniface und Juders Ysemé berichteten Amnesty International, dass die haitianischen Behörden aufgrund der grassierenden Straflosigkeit im Land jedoch nichts unternommen hätten, um diesen Maßnahmen Folge zu leisten. Die beiden Männer sind nach Nissage Martyrs Tod mit ihren Familien aus Les Irois geflohen, da sie um ihre Sicherheit fürchten. Sie gaben an, dass der einzige Weg zu Gerechtigkeit ihre Aussage gegen Jean Morose Viliena sei, doch dass sie ohne angemessenen Schutz fürchten, getötet zu werden, noch ehe sie ihre Aussage machen können.“ — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 24. Mai 2017 hinaus, unter »> ai : urgent action
eine frau
delta : 12.22 UTC — Eine Frau sitzt neben einem Tisch auf einem harten Stuhl. Ihr rechter Arm liegt auf dem Tisch, eine Ärztin misst den Blutdruck. Es ist still in dem Zimmer in diesem Augenblick. Nur das Motorengeräusch des Messgerätes, das Luft in eine Manschette pumpt, die um den Arm der Frau gelegt wurde, brummt als hockte ein große träumende Fliege unter dem Tisch. Dann ist die Fliege plötzlich still und die Ärztin notiert einige Zahlen und nickt mir zu, ohne etwas zu sagen. Als ich mich zu der Frau setze, weicht sie auf dem Stuhl kaum merklich zurück. Ich frage: Wollen Sie vielleicht Tee? — Die Frau schüttelt den Kopf und lächelt. Darf ich Ihnen ein oder zwei Fragen stellen? — Wieder lächelt die Frau. Sie ist scheu. Aber sie will nicht zeigen, dass sie scheu ist, so könnte das sein. Ein seltsamer Moment, alles im Zimmer scheint zu schweben, der Tisch, die Stühle, die Menschen. Ich weiß, dass die Frau, deren Blutdruck gemessen wurde, aus der Ferne gekommen ist, so fern ist das Land, von dem sie gekommen ist, dass ein Jahr vergehen würde, ehe man dieses Land zu Fuß erreichte. Es ist ein Wunder, dass sie meine Sprache versteht, immer wieder denke ich, wie gut, dass Menschen in der Lage sind, die Sprachen anderer Menschen zu erlernen. Und wie sie jetzt lächelt, ich meine, noch nie zuvor ein derart mutiges Lächeln gesehen zu haben, während die Ärztin etwas getrocknetes Blut von ihrem Hals tupft. Behutsam wird eine kleine Wunde versorgt, die unter dichtem Haar im Verborgenen liegt. Die Ärztin nimmt sich viel Zeit, sie geht hinter der verletzten Frau in die Hocke und beginnt leise zu sprechen. Sie sagt: Das ist merkwürdig! Und noch einmal sagt sie: Das ist merkwürdig. Wie sie sich wieder aufrichtet, macht sie ein sehr ernstes Gesicht. Bald kniet sie vor der verletzten Frau auf dem Boden, nimmt eine Hand der Frau und drückt sie fest: Machen sie sich keine Sorgen, das ist nur eine kleine Wunde, die Blutung ist längst gestillt. Die Ärztin, die etwas schwitzt, sieht der mutig lächelnden Frau in die Augen. Plötzlich fragt sie: Sind Sie geschlagen worden? Sofort nickt die Frau, ihr Gesicht scheint zu leuchten, und noch einmal nickt sie und sagt mit heller Stimme: Ja. Und die Ärztin fragt: Sie wissen, von wem sie geschlagen wurden? — Ja, antwortet die Frau ein zweites Mal, das weiß ich. Die Ärztin erhebt und wendet sich wieder dem Ort zu, da die Frau am Kopf verletzt wurde. Erneut geht sie in die Hocke und betrachtet die Verletzung auf das Genaueste. Behutsam fährt sie der Frau über das Haar, sie scheint eine weiterführende Untersuchung vorzunehmen. Und wie sie so arbeitet, schließt die verletzte Frau ihre Augen, als wollte sie vielleicht verbergen, was sie fühlte. So, mit geschlossenen Augen, sagt sie plötzlich mit fester Stimme: Ich würde doch gerne einen Tee trinken! — Das ist gut, antworte ich und stehe auf. Die Ärztin ist indessen mit ihrer Untersuchung zu Ende gekommen, sie setzt sich auf den freigewordenen Stuhl und stellt mit nüchterner Stimme fest: Sie sind nicht zum ersten Mal geschlagen worden! — Die Frau nickt wortlos. Und die Ärztin sagt: Sie sind oft geschlagen worden! Immer wurden Sie auf den Kopf geschlagen, kann das sein? — Wieder nickt die Frau und beginnt zu weinen. — stop
nuevo mundo
lima : 12.15 UTC — Ich stelle mir einen Film vor, ein mediales Arche Noah Prinzip, jedes Lebewesen unseres Planeten wäre darauf verzeichnet, jede Pflanze, auch das mikroskopisch Kleinste, Mikroben, Bakterien, Viren. In kürzeste Schnittfolgen müsste dieser Film zerlegt sein, um in menschlicher Lebenszeit je betrachtet werden zu können. Welches Lebewesen könnte auf dem letzten verfügbaren Bild des Filmes zu sehen sein? — stop
monsun
sierra : 12.01 UTC — Bald einmal ist dringend eine Sammlung von Beobachtungen anzulegen, von Ereignissen, die ich mit meinem persönlichen Leben nicht unmittelbar in Verbindung setzen kann, die jedoch zentrale Erfahrungen ungezählter Menschen sind, die vor meinen Augen auf Fernsehbildschirmen erscheinen, auf Titelseiten papierener oder elektrischer Zeitungen. Kann ich mir Hunger vorstellen? Ich meine, nicht vorsätzlichen Hunger der Fastenzeit, vielmehr tatsächlichen Hunger, Hunger, der einen menschlichen Körper beschädigt oder zerstört. Wie fühlt es sich an, in Brooklyn ohne Ausweispapiere zu existieren? Oder die Furcht einer Frau, in einem Außenbezirk der Stadt Delhi nach einer Spätschicht einen Bus zu besteigen. L., der ich leibhaftig begegnete, erzählte Folgendes: Ich bin in Mumbai geboren, ich liebe mein Land. Ich liebe mein Land zu jeder Jahreszeit. In Indien bedeutet das Wort Regenzeit Monsun oder Barsaat. In Kalkutta wirst Du Monsunregen erleben, der vom Himmel kommt, auch außerdem eine Art Monsun, der aus dem Boden steigt. — stop
im aufzug : zwei hände
charlie : 10.02 UTC — Die plötzliche Langsamkeit meines Denkens im Gespräch mit Menschen, die die Sprache meines Denkens nicht oder nicht wirklich gut verstehen. Unverzügliche, intensive Suche nach Möglichkeiten einfacher Darstellung, oder gar die Erfindung einer individuellen, einer in diesem Moment des Verständigungsversuches wirksamen Zeichensprache, Radare, die anstrengend sind wie Springseiltraining an Ort und Stelle. Einmal begegnete ich einem Mann in einem Aufzug. Sein Gesicht war entstellt, er mochte mich nicht ansehen, er schimpfte lautstark mit seiner Hand. Plötzlich hörte ich Sätze, die an mich gerichtet waren. Als ich dem scheuen Mann antwortete, sprach ich, eine vorsichtige Geste, gleichwohl in die Richtung meiner eigenen rechten Hand, sodass unsere Hände zu Telefonen wurden. — stop