Aus der Wörtersammlung: minute

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kühle augen

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nord­pol : 6.32 — Ges­tern am spä­ten Abend wohn­te ich via Inter­net einer Hin­rich­tung bei. Fünf Män­ner wur­den erschos­sen, und zwar in Alep­po auf offe­ner Stra­ße. Es waren Rebel­len, die das Feu­er auf Gefan­ge­ne eröff­ne­ten. Sie rie­fen: Gott ist groß! Gott ist groß! Als die Per­so­nen, es sol­len Ange­hö­ri­ge einer berüch­tig­ten, mor­den­den und fol­tern­den, regie­rungs­treu­en Miliz gewe­sen sein, längst tot gewe­sen waren, wur­de noch immer auf sie geschos­sen, als woll­te man die Kör­per vor der Haus­wand zu Staub zer­le­gen, den der Wind mit sich fort­tra­gen könn­te. Rechts neben dem gera­de erwähn­ten Film­do­ku­ment von zwei Minu­ten Län­ge, war die Exis­tenz wei­te­rer Fil­me in Vor­schau zu sehen, dar­un­ter der Bericht eines nord­ame­ri­ka­ni­schen Fern­seh­sen­ders über die chir­ur­gi­sche Rekon­struk­ti­on eines schwer ver­letz­ten Gesich­tes. Ein Kan­ni­ba­le hat­te im Staa­te Loui­sia­na Nase, Mund und Augen eines Man­nes ver­speist. Der arme Mann war kurz dar­auf noch am Leben gewe­sen und wur­de nun von zwei Schwes­tern behut­sam über den Flur eines Kran­ken­hau­ses geführt. Auch die­sen Film habe ich mit küh­len Augen betrach­tet. Dann war Mit­ter­nacht vor­über und ich spa­zier­te ein wenig durchs Vier­tel. Kat­zen waren unter­wegs, die mit ihren Schein­wer­fern nach mir leuch­te­ten. Im Park um die Ecke wur­den Fei­gen und Dat­teln gebra­ten. Ein süßer, mil­der Nebel­duft hing in der Luft. Ich saß eine hal­be Stun­de auf einer Bank und beob­ach­te­te Bäu­me, ob sie viel­leicht nacht­wärts arbei­ten, der ein oder ande­re. – stop

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bienengeschichte

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hima­la­ya : 5.52 — Die fol­gen­de Geschich­te ist natür­lich eine erfun­de­ne Geschich­te. Aber ich tue so als wäre sie nicht erfun­den. Am bes­ten begin­ne ich in die­ser Wei­se: Seit zwei Wochen hal­te ich mich stun­den­lang unter frei­em Him­mel auf. Das ist des­halb so gekom­men, weil ich eine Auf­ga­be über­nom­men habe, die mir nach wie vor sehr inter­es­sant zu sein scheint. Ich beob­ach­te Bie­nen, wie sie sich über eine Wie­se fort­be­we­gen. Des­halb lie­ge oder knie ich oder lau­fe gebückt dahin, den Kopf dicht über dem Boden, was nicht immer leicht ist, weil Bie­nen doch schnel­le Flie­ger sind. Jene Bie­nen­tie­re, die ich beob­ach­te, woh­nen in nächs­ter Nähe am Saum eines Wal­des, des­sen prä­zi­se Posi­ti­on ich nicht ver­ra­ten darf. Sie tra­gen Num­mern von 1 bis 100 auf ihren Rücken, was für mei­ne Arbeit sehr bedeu­tend ist, da ich Bie­nen, die ohne eine Num­mer sind, nie­mals beach­te. So lau­tet mei­ne Instruk­ti­on, Bie­nen ohne Num­mer ist nicht zu fol­gen, viel­mehr ist so lan­ge Zeit am Ran­de der Wie­se zu war­ten, bis eine Bie­ne mit Kenn­zeich­nung auf der Wie­se erscheint. Ich tra­ge eine Schirm­müt­ze gegen die Blend­wir­kung der Son­ne und eine Mon­okel­lu­pe, die vor mei­nem rech­ten Auge sitzt und mir einen prä­zi­sen Blick in die klei­ne Welt der Bie­nen in der Nähe des Bodens ermög­licht. Genau­ge­nom­men ist es mei­ne vor­neh­me Auf­ga­be, eine Bie­ne, die ich ein­mal in den Blick genom­men habe, solan­ge wie mög­lich zu beglei­ten auf ihrem Flug von Blü­te zu Blü­te. Ich bin indes­sen nicht ein­mal stumm. Ich sage zum Bei­spiel: Hier spricht Lou­is. Es ist 15 Uhr und 12 Minu­ten. Ich fol­ge Bie­ne No. 58. Wir nähern uns einer But­ter­blu­men­blü­te. Ja, das genau sage ich laut und deut­lich. Ich spre­che in ein Funk­ge­rät, von dem ich weiß, dass mir in der Fer­ne im See­bad Brigh­ton an der eng­li­schen Küs­te irgend­je­mand an einem ande­ren Funk­ge­rät zuhört. Ich sage: Hier spricht Lou­is. Bie­ne No 58: Lan­dung But­ter­blu­me. OVER! Dann betrach­te ich die Bie­ne, wie sie in der Blü­te arbei­tet und war­te. Bald fliegt die Bie­ne wei­ter und ich sage kurz dar­auf: Bie­ne No 58: Lan­dung Feu­er­nel­ke. OVER! Ja, so mache ich das. Ich wer­de immer bes­ser dar­in. Ich glau­be, die Bie­nen mögen mich. Ich bin ihnen ver­traut gewor­den. In eini­gen Tagen wer­de ich viel­leicht etwas genau­er erzäh­len, war­um ich Bie­nen beob­ach­te. Jetzt bin ich müde. Es ist Sams­tag. Nacht­wol­ken rasen über den Him­mel. Was Fran­kie wohl gera­de macht? — stop
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westbengalen luftpostbrief

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gink­go : 2.25 — Ges­tern habe ich einen selt­sa­men Brief von einem Freund erhal­ten, der sich gera­de in Indi­en befin­det. Der Brief war von sei­ner äuße­ren Gestalt her ein Stan­dard­luft­post­brief, fühl­te sich aller­dings weich an, als wür­de ein dün­nes Tuch in ihm ent­hal­ten sein. Er war zudem etwas schwe­rer als üblich. Als ich ihn öff­ne­te, fand ich ein hand­schrift­li­ches Schrei­ben vor, eine Foto­gra­fie und einen wei­te­ren Brief von klei­ne­rem For­mat, mit einer Art Ven­til in sei­ner Mit­te. Mein Freund notier­te am 25. Juni mit einem Blei­stift: Lie­ber Lou­is, seit zwei Wochen befin­de ich mich in West­ben­ga­len nahe Sona­da in einem klei­nen Haus, das voll­stän­dig von Holz gemacht ist. Ich gehe haupt­säch­lich spa­zie­ren und wenn ich ein­mal nicht spa­zie­ren gehe, fah­re ich mit dem Zug zwi­schen Jal­pai­gu­ri und Dar­jee­ling hin und her. Eine wun­der­ba­re Zeit. Ich ken­ne inzwi­schen alle Zug­füh­rer per­sön­lich und so darf ich bei Dampf­be­span­nung vorn auf der Loko­mo­ti­ve rei­sen. Du siehst mich anbei auf der Foto­gra­fie vor dem Kes­sel ste­hen, ja, ich bin unter den drei klei­nen Män­nern mit den Ruß­ge­sich­tern der in der Mit­te. Ich habe Dir, lie­ber Lou­is, etwas indi­sche Eisen­bahn­luft ein­ge­fan­gen. Sie ruht in den Umschlag gefüllt, der ver­mut­lich vor Dir auf dem Tisch liegt. Es wäre viel­leicht am bes­ten, wenn Du einen Stroh­halm ver­wen­den wür­dest, den Du mit dem Ven­til ver­bin­dest, um dann einen tie­fen Atem­zug durch ein Nasen­loch zu neh­men. Aller­bes­te Grü­ße Dein L. — Es ist jetzt 2 Uhr und 30 Minu­ten mit­tel­eu­ro­päi­scher Som­mers­zeit. John Col­tra­ne LIVE: The Green Dol­phin Street. — stop

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vom rechnen

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echo : 6.57 — Als Kind beob­ach­te­te ich mei­nen Vater manch­mal, wenn er schlief. Aber eigent­lich schlief mein Vater damals nie, weil ich glaub­te, dass mein Vater, sobald er sei­ne Augen schloss, zu rech­nen begann. Das waren kom­pli­zier­te Pro­ze­du­ren der Alge­bra, wes­we­gen mein Vater für vie­le Stun­den sei­ne Augen nicht wie­der öff­nen konn­te. Er lag ganz still rech­nend auf dem Sofa im Wohn­zim­mer, vor allem an Sonn­tag­nach­mit­ta­gen oder an Wochen­ta­gen abends. Meis­tens hat­te er zum Rech­nen sei­ne Schu­he aus­ge­zo­gen. Ich erin­ne­re mich an graue oder schwar­ze Strümp­fe, die sich ein wenig beweg­ten. Natür­lich rech­ne­te mein Vater auch dann, wenn er wie­der wach gewor­den war. Er besaß eine Hand­com­pu­ter­ma­schi­ne von Texas Instru­ments, die über Leucht­schrift ver­füg­te in roter Far­be, klei­ne Zei­chen, die sich arbei­tend so schnell beweg­ten, dass sie unbe­weg­ten Krei­sen ähn­lich wur­den. Wenn mein Vater mit die­ser Maschi­ne rech­ne­te, mach­te er sich Noti­zen mit­tels eines Blei­stif­tes auf karier­tes Papier. Das schien sehr viel müh­sa­mer zu sein, als mit geschlos­se­nen Augen auf dem Sofa zu lie­gen, weil man sich in die­ser Wei­se Noti­zen machen muss­te. Wenn ich wie mein Vater sein woll­te, leg­te ich mich auf mein Bett und mach­te die Augen zu. Damals war bereits deut­lich gewor­den, dass ich kein guter Mathe­ma­ti­ker wer­den wür­de. Anstatt zu rech­nen, träum­te ich. Ich träum­te viel­leicht davon, dass ich nicht rech­nen konn­te. Ges­tern habe ich von etwas ande­rem geträumt. Ich habe geträumt, wie ich die Augen­li­der mei­nes Vaters weni­ge Minu­ten nach­dem er gestor­ben war mit zit­tern­den Hän­den berühr­te. — stop

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bienenkönigin

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tama­rin : 6.41 — Eine Urkun­de exis­tiert seit eini­gen Wochen, die bezeugt, dass der Kör­per mei­nes ver­stor­be­nen Vaters tat­säch­lich ver­brannt wur­de. Dort ist in groß­zü­gi­gen Buch­sta­ben alt­deut­scher Schrift ver­merkt, wann die Ver­bren­nung erfolg­te, Jahr, Tag, Stun­de. Die Dau­er des Ver­bren­nungs­vor­gan­ges wur­de auf eine Minu­te genau ange­zeigt. Ich dach­te zunächst, Irgend­je­mand muss sich an einer Uhr ori­en­tiert haben, weil viel­leicht eine Vor­schrift exis­tiert, die prä­zi­se Zeit­an­ga­ben erfor­dert. Nach der Ver­bren­nung, auch das ist nach­weis­bar so gesche­hen, wur­de ein Gefäß, in dem Ato­me mei­nes Vaters ent­hal­ten waren, auf den Post­weg gebracht. Das ist eine durch­aus mög­li­che Metho­de letz­ter Rei­sen, da allein Sen­dun­gen, die leben­de Tie­re oder sterb­li­che Über­res­te von Men­schen ent­hal­ten, vom Trans­port auf dem Post­weg aus­ge­schlos­sen sind. Aus­ge­nom­men von die­ser Vor­schrift: Urnen und wir­bel­lo­se Tie­re, wie Bie­nen­kö­ni­gin­nen und Fut­ter­in­sek­ten. Selt­sa­me Geschich­te. Ich muss dar­über nach­den­ken, obwohl ich im Moment noch nicht weiß, wor­über genau und war­um. — stop

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brennender vogel

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echo : 0.10 — Ich bin noch immer leicht ver­wirrt von dem, was vor weni­gen Minu­ten pas­sier­te. Ein Blitz ist mög­li­cher­wei­se in nächs­ter Nähe ein­ge­schla­gen. Ich erin­ne­re mich, ich hat­te mei­ne Fens­ter geöff­net, es begann hef­tig zu reg­nen, dann wur­de es plötz­lich still. Ich lehn­te noch an der Wand mei­nes Arbeits­zim­mers. Es roch ein wenig nach Metall, mei­ne Zun­ge schmeck­te nach einem Löf­fel von Zinn, wie frü­her, sobald ich ein Früh­stücks­ei öff­ne­te. Wenn ich mir Mühe gebe, kann ich mit mei­nem lin­ken Ohr ein lei­ses Sum­men ver­neh­men, das even­tu­ell nicht außen, son­dern innen in mei­nem Kopf sich ereig­net. Rechts ist wirk­li­che Stil­le. Aber ich kann sehen, mit bei­den Augen sehen. Ein Vogel sitzt auf mei­nem Sofa, er scheint zu bren­nen, wes­we­gen ich mich sofort auf den Weg machen wer­de, ein Glas Was­ser zu holen. Es ist selt­sam, tat­säch­lich ist die Erfah­rung der Gehör­lo­sig­keit in die­ser Nacht, die Erfah­rung voll­stän­di­ger Abwe­sen­heit eines Tei­les mei­nes Kop­fes. – stop

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luftgespräch

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tan­go : 15.01 — Eine Notiz wie­der­ge­fun­den, die Mr. Sal­ter vor eini­gen Jah­ren unter dem Titel Ele­phan­tis­land notier­te. Er schrieb Fol­gen­des: Kurz nach acht Uhr. Kal­te, tro­cke­ne Luft, ich notie­re mit klam­men Hän­den. Um 7 Uhr heu­te Mor­gen haben wir bei stür­mi­scher See Ele­phan­tis­land erreicht. Suche nach Mil­ler unver­züg­lich auf­ge­nom­men. Süd­west­li­che Bewe­gung die Küs­te ent­lang. Gegen 9 Uhr ers­te grö­ße­re See­ele­fan­ten­grup­pen gesich­tet. Hef­ti­ger Schnee­fall. Mit­tags dann auf mensch­li­che Spu­ren gesto­ßen. Eine Mul­de von zwei Fuß Tie­fe im gro­ben Unter­grund, hüft­ho­her Stein­wall nord­wärts. Im Wind­schat­ten: drei gebleich­te Wal­kno­chen, ein hal­bes Dut­zend fin­ger­di­cker Haut­stü­cke, ein Kamm, zwei ros­ti­ge Kugel­schrei­ber, eine Blech­t­as­se, zwölf Pin­gu­in­schnä­bel, fünf Bat­te­rien, drei Klum­pen ran­zi­gen Fet­tes, Bruch­stü­cke eines Son­nen­eil­lek­tors und einer Schreib­ma­schi­ne. Das Werk­zeug war in einer Wei­se sorg­fäl­tig demo­liert, als sei eine Dampf­wal­ze dar­über hin und her gefah­ren. Dann wei­te­re zehn Minu­ten die Küs­te ent­lang, dann auf Mil­ler gesto­ßen. Der Dich­ter stand mit dem Rücken zu einem Fel­sen hin und rich­te­te ein Mes­ser gegen einen See­ele­fan­ten. Das Tier, das sehr gewal­tig vor unse­rem Mann in den Him­mel rag­te, war nur noch zwei Armes­län­gen ent­fernt und scheu­er­te mit dem Rücken über den Fel­sen. Eigen­ar­ti­ge Geräu­sche. Geräu­sche wohl der Lust. Geräu­sche, als habe das Tier eine ver­beul­te Trom­pe­te ver­schluckt. Geräu­sche auch von Mil­ler. Hel­le Geräu­sche, krei­schen­de, irre Töne. Wir haben zu die­sem Zeit­punkt das Fol­gen­de über Mil­ler zu sagen: Unser Mann ist ent­kräf­tet und stark ver­schmutzt. Zwei Fin­ger der lin­ken Hand sind erfro­ren. Kopf­wärts wan­dern­de Spu­ren von Dehy­dra­ti­on. Mil­ler spricht nur einen Satz: All for not­hing. Wir haben den Rück­weg ange­tre­ten, indes­sen, bei genaue­rer Betrach­tung unse­rer Umge­bung, auf Fels­for­ma­tio­nen ent­lang der Küs­te Frag­men­te von Zei­chen­ket­ten ent­deckt. Ein­deu­tig Mil­lers Hand­schrift. Brin­gen Dich­ter Mil­ler jetzt nach Hau­se. — Mitt­woch: Ein wis­pern­der, knat­tern­der, sin­gen­der, knir­schen­der, lirr­pen­der, pfei­fen­der, sir­ren­der Bauch. Tie­re von Luft sind zu Besuch gekom­men, hüp­fen, sprin­gen, sei­len unter dem Zwerg­fell­dach. Gesprä­che tat­säch­lich, die ich hören kann. — stop

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zerstreuung

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mari­ma­ba : 6.36 — In einer Film­do­ku­men­ta­ti­on, die den Schrift­stel­ler Jona­than Fran­zen fünf Tage lang wäh­rend einer Lese­rei­se beglei­tet, fol­gen­de berüh­ren­de Sze­ne, die sich im New Yor­ker Arbeits­zim­mer des Autors ereig­net. Jona­than Fran­zen hält sei­ne Schreib­ma­schi­ne, ein preis­wer­tes Dell – Note­book, vor das Objek­tiv der Kame­ra. Er deu­tet auf eine Stel­le an der Rück­sei­te des Gerä­tes, dort soll frü­her ein­mal ein Fort­satz, eine Erhe­bung zu sehen gewe­sen sein. Er habe die­sen Fort­satz eigen­hän­dig abge­sägt. Es han­del­te sich um eine Buch­se für einen Ste­cker. Man konn­te dort das Inter­net ein­füh­ren, also eine Ver­bin­dung her­stel­len zwi­schen der Schreib­ma­schi­ne des Schrift­stel­lers und der Welt tau­sen­der Com­pu­ter da drau­ßen irgend­wo. Jona­than Fran­zen erklärt, er habe sei­nen Com­pu­ter bear­bei­tet, um der Ver­su­chung, sich mit dem Inter­net ver­bin­den zu wol­len, aus dem Weg zu gehen. Eine über­zeu­gen­de Tat. Im Moment, da ich die­se Sze­ne beob­ach­te, bemer­ke ich, dass die Ver­füg­bar­keit von Infor­ma­ti­on zu jeder Zeit auch in mei­nem Leben ein Gefühl von Gefahr, Zer­streu­ung, Belie­big­keit erzeu­gen kann. Ich schei­ne in den Zei­chen, Bil­dern, Fil­men, die her­ein­kom­men, flüs­sig zu wer­den. Dage­gen ange­neh­me Gefüh­le, wenn ich die abge­schlos­se­ne Welt eines Buches in Hän­den hal­te. Frü­her ein­mal, sobald ich spa­zie­ren ging oder auf eine Rei­se, zur Arbeit, ins Thea­ter oder sonst wohin, ver­ließ ich nie­mals das Haus, ohne eines mei­ner zer­schlis­se­nen Unter­wegs­bü­cher mit mir zu neh­men. Wenn ich ein­mal doch kein Buch in der Hand oder Hosen­ta­sche bei mir hat­te, sofort das Gefühl, unbe­klei­det oder von Lee­re umge­ben zu sein. Als ob ich einen immer­wäh­ren­den Aus­weg in mei­ner Nähe wis­sen woll­te, ein Zim­mer von Wör­tern, in das ich mich jeder­zeit, manch­mal nur für Minu­ten, zurück­zie­hen konn­te, um fest zu wer­den. Da waren also Bücher von Mal­colm Lowry, Kenzabu­ro Oe, Tru­man Capo­te, Frie­de­ri­ke May­rö­cker, Wal­ter Ben­ja­min, Janet Frame, Georg C. Lich­ten­berg, Hein­rich von Kleist, Moni­ka Maron, Alex­an­der Klu­ge, Boho­u­mil Hra­bal, Johann Peter Hebel, Patri­cia High­s­mith, Eli­as Canet­ti, Peter Weiss, Hans Magnus Enzens­ber­ger. Irgend­wann, weiß der Teu­fel war­um, hör­te ich auf damit. Und doch tra­ge ich noch immer ein Buch in mei­ner Nähe. Ich tra­ge mei­ne Stra­ßen­bü­cher nicht län­ger in der Hand, ich tra­ge mei­ne Stra­ßen­bü­cher im Ruck­sack auf dem Rücken. — stop

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transit

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alpha : 1.30 — Es ist still im Haus. Drau­ßen zaust ein küh­ler Wind Bäu­me und Sträu­cher, wäh­rend die Venus, ein Punkt, über den abge­dun­kel­ten Son­nen­ball auf dem Bild­schirm mei­nes Com­pu­ters wan­dert. Das sind Bil­der, die von der NASA gesen­det wer­den, das beob­ach­ten­de Maschi­nen­au­ge befin­det sich auf dem Mau­na Kea, Hawaii. Ich habe die Son­ne noch nie zuvor in die­ser Wei­se betrach­tet, Echt­zeit, in dem Sin­ne Echt­zeit, dass ich die Son­ne betrach­ten kann, ohne mei­ne Augen schlie­ßen zu müs­sen und in die­ser Wei­se wahr­zu­neh­men ver­mag, wie sich ihre Ober­flä­che tat­säch­lich bewegt. Oder irre ich mich? Alles das, was ich sehe, liegt bereits 8 Minu­ten in der Zeit zurück. Es ist denk­bar, dass ich die Bewe­gung nur des­halb zu erken­nen mei­ne, weil ich weiß, dass die­se Bewe­gung exis­tiert. Ja, es ist still im Haus. Der Regen peitscht gegen die Schei­ben. Ich bin ruhig. Alles schläft. — stop

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