Aus der Wörtersammlung: not

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anatomische stille

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hima­la­ya : 6.05 — Viel­leicht kann ich sagen, dass ich dann lei­den­schaft­lich an einem Gegen­stand, an sei­ner Ver­wand­lung in Zei­chen, in Spra­che arbei­te, wenn ich immer und immer wie­der zu ein­zel­nen Wör­tern zurück­keh­re, weil sie noch nicht die rich­ti­gen Wör­ter sind für dies oder das, oder weil über­haupt noch kein geeig­ne­tes Wort bekannt gewor­den ist, um einen bestimm­ten Ort, eine sel­te­ne Stim­mung, eine beson­de­re Far­be, ein atem­lo­ses Geräusch wie­der­ge­ben zu kön­nen. Mein Prä­pa­rier­saal bei­spiels­wei­se, fast voll­stän­dig schon in Zei­len über­setzt, da und dort aber noch die wei­ße Stil­le des Papiers, eine Mor­gen­stil­le, sagen wir, wie ich allein dort im Saal unter Toten sit­ze. Sie sind noch bedeckt von feuch­tem Tuch, und so schlie­ße ich die Augen und notier­te, was ich hören kann. Das knis­tern­de, sau­sen­de Geräusch einer Ven­ti­la­tor­ma­schi­ne. Eine Ambu­lanz von der Stra­ße her. Das Ticken der Saal­uhr minu­ten­wei­se. Die Kör­per aber, ein­hun­dert Kör­per, sind still. Und doch sind sie nicht ohne Laut, weil ich ihre Stil­le zu hören mei­ne. Auch in die­ser Nacht wie­der ver­geb­lich nach dem einen mög­li­chen Geräu­schwort ihrer Abwe­sen­heit gesucht.

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zahlenflüstern

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sier­ra : 5.05 — Unterm Schirm im Pal­men­gar­ten einem Gewit­ter zuge­hört. Nichts getan, als zu lau­schen und zu beob­ach­ten, dass mein Gehirn nicht schnell genug ist, um die Trop­fen eines kräf­ti­gen Regens, ihr Geräusch, nach­zu­zäh­len. Wie ich so erge­ben vor Schild­krö­ten und Karp­fen auf einer Bank lun­ger­te, ist mir auf­ge­fal­len, dass ich nicht ganz sicher sagen kann, ob es nicht viel­leicht doch die Wör­ter sind, die mich zur Zähl­schne­cke machen, jene Zah­len näm­lich, die ich ins­ge­heim ver­wen­de, um in der Sum­me vor­an zu kom­men. Ich bin dann, wäh­rend ich das Flam­men mei­ner Zahl­wör­ter beob­ach­te­te, ein­ge­schla­fen. Ein wei­te­rer Regen weck­te mich bald auf und wie­der ver­such­te ich zu zäh­len. Die­ses Mal zähl­te ich flüs­ternd und ich zähl­te lan­ge. Jetzt weiß ich, dass ich flüs­ternd schnel­ler zäh­len kann, als schwei­gend nur in Gedan­ken Zah­len notie­rend. Was ist das über­haupt für eine Stim­me in mei­nem Kopf? Fan­gen wir noch ein­mal von vor­ne: Auch am ver­gan­ge­nen Abend, wie man mir erzähl­te, wur­de kurz nach zehn Uhr in Tehe­ran unter glanz­vol­len Ster­nen von den Dächern nach Frei­heit gesungen. 

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tiefseeelefanten

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echo

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : MONTAUK

Lie­ber Mr. Kek­ko­la, haben Sie vie­len Dank für die fei­ne Foto­gra­fie, die Sie mir ges­tern Abend über­mit­tel­ten. Wie ich mich herz­lich freue, dass Sie sich an mich erin­ner­ten, an die Geschich­te uralter Ele­fan­ten­wan­der­we­ge, die den Grund des Kari­ba­sees durch­kreu­zen. Und doch glau­be ich, ist der See, an den ich vor lan­ger Zeit ein­mal dach­te, viel zu tief und viel zu breit, als dass Ele­fan­ten ihn pas­sie­ren könn­ten, ohne Scha­den zu neh­men. Nun, wir wer­den sehen. Ich bin beru­higt, weil Sie mir schrei­ben, dass ich Ihren Namen als Pseud­onym wei­ter­hin ver­wen­den darf, auch für unheim­li­che Geschich­ten, wie die Geschich­te mei­ner spe­zi­el­len Käfer­we­sen von Men­schen­haut. Schön muss es bei ihnen sein in Montauk. Ich besuch­te Ihre Gegend mit der Goog­le — Earth­ma­schi­ne, habe ihr Haus beob­ach­tet und am Strand den Schat­ten einer mensch­li­chen Gestalt. Denk­bar, dass Sie das gewe­sen sind, so klein, so win­zig. Habe ich Ihnen berich­tet, dass ich ein Wunsch­buch für Träu­me füh­re seit eini­gen Tagen? Ich könn­te, nein, ich soll­te für die kom­men­de Nacht notie­ren: Schla­fen gegen zwei! Erzähl dir Ele­fan­ten­her­den, die den Atlan­tik durch­que­ren. Schwe­bend unter Rüs­seln von phan­tas­ti­scher Län­ge, leicht, wie Men­schen auf dem Mond, spa­zie­ren sie schnor­chelnd über schnee­wei­ßen Tief­see­sand. Herz­lich grüßt Sie Ihr Lou­is. Ahoi!


gesen­det am
12.07.2009
22.58 MEZ
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lou­is to jonathan
noe kekkola »

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sleeping

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sier­ra : 0.02 — Kurz nach Mit­ter­nacht, das Ende eines feder­leich­ten Tages, an dem ich, gegen den Mor­gen zu, eine fei­ne Geschich­te erleb­te. Das war näm­lich so gewe­sen, dass mei­ne Hand, mei­ne rech­te Hand, wäh­rend ich schlief, das Bett ver­las­sen hat­te. Sie schweb­te, indem ich träum­te, von einem Gewit­ter ange­ru­fen wor­den zu sein, fast bewe­gungs­los über dem Boden und wur­de in die­ser Hal­tung nach einer  Erin­ne­rung zärt­lich foto­gra­fiert, weil ich vor eini­gen Mona­ten notiert hat­te, dass ich, wenn ich sage: mei­ne schla­fen­den Hän­de, von Hän­den spre­che, die ich nie gese­hen habe. Die­ser Satz ist nun natür­lich nicht ganz unwahr gewor­den, weil ich immer­hin noch kei­ne Ahnung habe, wie mei­ne lin­ke Hand aus­se­hen könn­te, wäh­rend sie schläft. Außer­dem habe ich mei­ne schlum­mern­de Hand nicht selbst gese­hen, mit eige­nen Augen, wahr­haf­tig, in ech­ter Zeit, son­dern zeit­ver­zö­gert und durch das Auge einer Kame­ra gebän­digt. — stop

 

 

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von der hölle von der hoffnung

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tan­go : 1.17 — Ein Freund erzählt von Näch­ten, die er vor 30 Jah­ren in den gefähr­lich gewor­de­nen Stra­ßen und auf den Dächern über der Stadt Isfa­han ver­brach­te. Das Rufen tau­sen­der Stim­men: Allah-o-Akbar. Wir haben das erfun­den, um den Schah zu ver­trei­ben, auch älte­re Men­schen konn­ten sich in die­ser Wei­se bemerk­bar machen. Wir kämpf­ten für Demo­kra­tie, hör­ten BBC, um her­aus­zu­fin­den, ob irgend­je­mand wahr­nimmt, was mit uns geschieht. Kannst Du ver­ste­hen, wie ich mich jetzt füh­le? — Furcht­bar wur­den sie betro­gen, eine Gene­ra­ti­on im Exil. – Kurz nach Mit­ter­nacht. Fereshteh Gha­zi, jun­ge Jour­na­lis­tin, notiert: Tonight, like past nights, the chants of “Allah-o-Akbar” were heard on roof tops of Tehr­an & other cities. Seit Tagen schreibt sie sich die Fin­ger wund. Per­sian­ki­wi aber, des­sen Zei­chen ich vie­le Stun­den lang auf dem Bild­schirm erwar­te­te, ist ver­stummt. Vor­ges­tern noch Zei­len auf Twit­ter fol­gen­de: > just in from Baha­re­stan Sq — situa­ti­on today is ter­ri­ble — they beat the ppls like ani­mals 3:34 PM Jun 24th I see many ppl with bro­ken arms/legs/heads — blood ever­y­whe­re — pep­per gas like war 3:35 PM Jun 24th 
they were wai­ting for us — they all have guns and riot uni­forms — it was like a mou­se trap — ppl being shot like ani­mals 3:53 PM Jun 24th saw 7/8 militia bea­ting one woman with baton on ground — she had no defen­se not­hing — sure that she is dead 3:55 PM Jun 24th so many ppl arres­ted — young & old — they take ppl away — we lose our group 3:59 PM Jun 24th ppl run into alleys and militia stan­ding the­re wai­ting — from 2 sides they attack ppl in midd­le of alleys 4:01 PM Jun 24th all shops was clo­sed — nowhe­re to go — they fol­low ppls with heli­c­op­ters — smo­ke and fire is ever­y­whe­re 4:03 PM Jun 24th pho­ne line was cut and we lost inter­net — get­ting more dif­fi­cult to log into net 5:05 PM Jun rumour they are track­ing high use of pho­ne lines to find inter­net users — must move from here now 5:09 PM Jun 24th reports of street fight­ing in Vanak Sq, Tajrish sq, Azadi Sq — now — Sea of Green — Allah Akbar 5:14 PM Jun 24th in Baha­re­stan we saw militia with axe cho­ping ppl like meat — blood ever­y­whe­re — like but­cher — Allah Akbar — 5:16 PM Jun 24th they catch ppl with mobi­le — so many kil­led today — so many inju­red — Allah Akbar — they take one of us — 5:18 PM Jun 24th Lale­zar Sq is same as Baha­re­stan — unbe­le­va­ble — ppls mur­de­red ever­y­whe­re — 5:19 PM Jun 24th they pull away the dead into trucks — like fac­to­ry — no human can do this — we beg Allah for save us — 5:23 PM Jun 24th Ever­y­bo­dy is under arrest & cant move — Mou­sa­vi — Kar­rou­bi even rumour Khat­a­mi is in house guard — 5:28 PM Jun 24th we must go — dont know when we can get inter­net — they take 1 of us, they will tor­tu­re and get names — now we must move fast — 5:34 PM Jun 24th thank you ppls 4 sup­port­ing Sea of Green — pls remem­ber always our mar­tyrs — Allah Akbar — Allah Akbar — Allah Akbar 5:36 PM Jun 24th Allah — you are the crea­tor of all and all must return to you — Allah Akbar 5:39 PM Jun 24th — stop
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Persiankiwi

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romeo : 6.15 — Atem­los auf Twit­ter­chan­nel stun­den­lang PersianKiwi’s <140 Zei­chen­bot­schaf­ten aus Tehe­ran beob­ach­tet: I am online for few minu­tes. total com­mu­ni­ca­ti­on black­out here. gov pani­cking. very dan­ge­rous. mobi­le pho­nes down. sms, outa­ge, face­book and all news chan­nels out. / uncon­firm­ed but peo­p­le say­ing may kil­led last night. / coun­try is at standstill. like war time. peo­p­le con­fu­sed, frigh­ten­ed. reports that militia car­ry­ing live ammu­ni­ti­on to kill. / have seen my inbox. thank you all for sup­port. plea­se help us by pres­su­re. keep us in news plea­se dont for­get. / peo­p­le try­ing to gather for march. roads blo­cked ever­whe­re. 
/ have no news of tehr­an uni dorm. rumours that many kil­led and rema­in­der arres­ted. / i am now at a fri­ends house. try­ing to get in to uni dorm area. all roads blo­cked, 
/ gov spre­a­ding rumous that mach can­cel­led. that is not true. WE MARCH AT 4pm. 
/ almost no mobi­le pho­ne covera­ge in city. land­li­nes working but can­not access mobi­les. they are frigh­ten­ed. / plea­se tell all — march is NOT CANCELLED today. Mou­sa­vi is in dan­ger of being kil­led. / peo­p­le say­ing that army is split. peo­p­le tal­king of coup. uncon­firm­ed. we need army on our side. / I am being told that many gathe­ring at haram Imam Kho­mei­ni for march. gov can­not kill us the­re. but roads clo­sed. / inter­net con­nec­tion v/bad. just heard that tehr­an uni dorm under sei­ge. stu­dents bar­ri­ca­ded insi­de. »>

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afrika

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nord­pol : 0.03 — Beob­ach­te­te in einem Bus ( Take five ) eine Mut­ter und ihr Kind. Zwei Män­ner von dunk­ler Haut­far­be saßen gegen­über. Sie unter­hiel­ten sich. Das Kind hör­te auf­merk­sam zu. Dann lach­ten die Män­ner und das Kind frag­te die Mut­ter, was die Män­ner erzähl­ten, wor­über sie lach­ten. Sogleich lausch­te die Mut­ter zu den Män­nern hin. Sie lausch­te lan­ge, sie lausch­te auch mit den Augen. Es war nicht die eng­li­sche und auch nicht die fran­zö­si­sche Spra­che, die sie ver­nahm, es war eine selt­sam klin­gen­de Spra­che, Klick. Klick. Die Mut­ter sag­te zum Kind: Über Afri­ka. – Wäh­rend ich die­se Geschich­te notier­te, erin­ner­te ich mich an einen Gedan­ken, den G.C.Lichtenberg bereits um das Jahr 1778 her­um for­mu­lier­te. Er schrieb: Vor­stel­lun­gen sind auch ein Leben und eine Welt. – So ist jetzt wie­der Nacht gewor­den. Ein Him­mel schön dun­kel von schwe­ren Wol­ken, gleich wird es Frö­sche regnen.

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elephantisland

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echo

~ : rob salter
to : louis
sub­ject : ELEPHANTISLAND
date : june 2 09 8.58 p.m.

Kurz nach acht Uhr. Kal­te, tro­cke­ne Luft, ich notie­re mit klam­men Hän­den. Um 7 Uhr heu­te Mor­gen haben wir bei stür­mi­scher See Ele­phan­tis­land erreicht. Suche nach Mil­ler unver­züg­lich auf­ge­nom­men. Süd­west­li­che Bewe­gung die Küs­te ent­lang. Gegen 9 Uhr ers­te grö­ße­re See­ele­fan­ten­grup­pen gesich­tet. Hef­ti­ger Schnee­fall. Mit­tags dann auf mensch­li­che Spu­ren gesto­ßen. Eine Mul­de von zwei Fuß Tie­fe im gro­ben Unter­grund, hüft­ho­her Stein­wall nord­wärts. Im Wind­schat­ten: drei gebleich­te Wal­kno­chen, ein hal­bes Duzend fin­ger­di­cker Haut­stü­cke, ein Kamm, zwei ros­ti­ge Kugel­schrei­ber, eine Blech­t­as­se, zwölf Pin­gu­in­schnä­bel, fünf Bat­te­rien, drei Klum­pen ran­zi­gen Fet­tes, Bruch­stü­cke eines Son­nen­kol­lek­tors und einer Schreib­ma­schi­ne. Das Werk­zeug war in einer Wei­se sorg­fäl­tig demo­liert, als sei eine Dampf­wal­ze dar­über hin und her gefah­ren. Dann wei­te­re zehn Minu­ten die Küs­te ent­lang, dann auf Mil­ler gesto­ßen. Der Dich­ter stand mit dem Rücken zu einem Fel­sen hin und rich­te­te ein Mes­ser gegen einen See­ele­fan­ten. Das Tier, das sehr gewal­tig vor unse­rem Mann in den Him­mel rag­te, war nur noch zwei Armes­län­gen ent­fernt und scheu­er­te mit dem Rücken über den Fel­sen. Eigen­ar­ti­ge Geräu­sche. Geräu­sche wohl der Lust. Geräu­sche, als habe das Tier eine ver­beul­te Trom­pe­te ver­schluckt. Geräu­sche auch von Mil­ler. Hel­le Geräu­sche, krei­schen­de, irre Töne. Wir haben zu die­sem Zeit­punkt das Fol­gen­de über Mil­ler zu sagen: Unser Mann ist ent­kräf­tet und stark ver­schmutzt. Zwei Fin­ger der lin­ken Hand sind erfro­ren. Kopf­wärts wan­dern­de Spu­ren von Dehy­dra­ti­on. Mil­ler spricht nur einen Satz: All for not­hing. Wir haben den Rück­weg ange­tre­ten, indes­sen, bei genaue­rer Betrach­tung unse­rer Umge­bung, auf Fels­for­ma­tio­nen ent­lang der Küs­te Frag­men­te von Zei­chen­ket­ten ent­deckt. Ein­deu­tig Mil­lers Hand­schrift. Brin­gen Dich­ter Mil­ler jetzt nach Hause.

ein­ge­fan­gen
22.57 UTC
1817 Zeichen

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amos oz

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char­lie : 5.22 — Amos Oz erzählt, er habe auf sei­nem Schreib­tisch zwei Stif­te lie­gen. Den einen neh­me er zur Hand, wenn er sei­ner Regie­rung notie­ren wol­le, sie sol­le zum Teu­fel gehen, den ande­ren, wenn er eine Geschich­te zu schrei­ben wün­sche. — stop
ping