himalaya : 15.01 — Mit Freude an der Entdeckung, an der Erfindung leuchtender Wörter : Piniensynapse Bobolino Lamelleniris Timbuktu Posaune Patagonien metropolitan Kirschwasser Kolonialwarenladen Unterwasserpanther Kamel Karawane Zündholz Lumumba Gottesanbeterin Kakteenorchester Flaneur Neufundland Penelope Stamperia Ohrfeige Schirokko Himmelsleiter Hibiskus Sandsturm Ohrenkuss Papierlicht Nashornvogel Pingpong luxieren Salamander Depesche Engelszunge Pyramidenbahn Glühbirne Sumatra Madras Semaphoring Centralstation Feuerkäfer Labyrinth Nachthaus Ölträne Schneespinne Holololunder : silenzio. — Sonntag. Leichter Regen. Wie verdammt gut die Luft heut riecht.
Aus der Wörtersammlung: os
salto
tango : 20.01 — Kein Lebewesen, das nicht über eine Sprache verfügte. Aber doch Lebewesen, deren Sprache ich zunächst entdecken oder erfinden muss. — Eine Springspinne, die meinen Schreibtisch bewohnt. Wie sie zwischen Bleistiften tollt, wie sie innehält und mich minutenlang zu beobachten scheint. Vielleicht schläft sie oder sonnt sich in der Wärme meiner Lampe. Wie sie sich duckt, wenn ich mich nähere, aber nicht flüchtet. Vor wenigen Minuten, während ich las, hüpfte sie von Ost nach West über das Buch hinweg. Eine Vorstellung vielleicht, um meine Aufmerksamkeit zu gewinnen.
hibiscilli
himalaya : 22.02 — Stellte mir vor, ich arbeitete im Weltraum. stop. Wort für Wort unbefestigt. stop. Denkbar, dass ich eine Erfindung bin. stop. Grandiose Idee. stop. t w o b l u e f i s h e s k i s s i n g m y w i n d o w
am viktoriasee
himalaya : 0.01 — Bilder. Bildschirmbilder, die ich wahrnehme, die mich berühren, weil meine Augen, mein Gehirn sie wahrnehmen, flüchtig, im Vorübergehen, im Nebenbeisehen. Ein Fischerboot auf dem Viktoriasee. Wie lebende dunkelhäutige Männer in Shorts ( sie stehen balancierend in ihrer hölzernen Schale ) dunkelhäutige leblose Körper ohne Shorts in ihren Netzen aus dem Wasser ziehen. Das leuchtende, hellblaue Fleisch der Toten, die in Ruanda gewaltsam ihr Leben verloren, Nilbarschspeisefische haben von ihren Körpern gefressen. Zwei Tage lang ein Loop ( CNN ) vom Leichenfang, dann verschwanden die Bilder aus der Übertragungswirklichkeit.
copiapoa humilis xd — 82
one man band
himalaya : 2.10 — Einmal, im Alter von fünf oder sechs Jahren, beobachtete ich einen Mann, von dem nichts zu sehen gewesen war, als die Spitzen seiner Schuhe, eine ramponierte Hose, ein rußiges Hemd und ein Hut mit Feder, weil der Mann von Musikinstrumenten geradezu überfallen gewesen zu sein schien. Ich hatte den Eindruck, dass nicht der Mann auf seinen Instrumente spielte, sondern die Instrumente auf einem Gefangenen. An diese Geschichte, von meinem damals jungen Gehirn vor einem wirklichen Bild entworfen, erinnerte ich mich gestern Abend, während ich an der Konstruktion eines Rasselkäfers arbeitete. Bald geisterte die Gestalt eines weiteren Mannes durch meinen Kopf, auf dessen Körper hunderte knatternde Käferwesen Platz genommen hatten. Nein, sie hatten sich nicht eigentlich niedergelassen, sie waren fest mit ihm verbunden, sie waren Teil, sie waren ihm aus der Haut gefahren und knisterten und klapperten ohne eine Pausenzeit einzulegen, weswegen es sich bei jenem von mir eroberten Menschenwesen, um eine Person ohne Gehör handeln musste. Könnte dieser Mann glücklich sein? Ich wüsste gerne, was nun zu unternehmen ist! Schluss jetzt. Fangen wir noch einmal von vorne an. Heute ist Dienstag, Frühling und Winter.
bellevue
ulysses : 6.08 — Vor Jahren einmal entdeckte ich nach stundenlanger Suche in den Archiven der Bayerischen Staatsbibliothek eine Fotografie auf einem Mikrofilmstreifen und ich wusste sofort, dass ich dieses Lichtbild besitzen musste. Ich bat eine Bibliothekarin, aus dem Material das Beste herauszuholen, höchste Auflösung, weswegen ich bald einen kleinen Stapel Papiers entgegennehmen konnte, den ich im Arbeitszimmer an einer Wand zum Bild zurücksortierte, zur Ansicht einer Straße des Jahres 1934 präzise, einer Straße nahe des Bellevue Hospitals zu New York. Staubige Bäume, eilende Menschenschatten, die Silhouette einer alten, in den Knochen gebeugten Frau, der Wagen eines Eisverkäufers, rostige Hydranten, die spröde Steinhaut der Straße, zwei Vögel unbekannter Gattung, Spuren von Hitze, und ich erinnere mich noch gut, dass ich eine Zeile von links nach rechts auf das Papier notierte: Diese Straße könnte Malcolm Lowry überquert haben, an einem Tag vielleicht, als er sich auf den Weg machte, seinem Körper den Alkohol zu entziehen. Und weil ich schon einmal damit begonnen hatte, das Bild zu verfeinern, zeichnete ich in Worten weitere Substanzen auf das Papier, Unsichtbares oder Mögliches. Einen Schuh notierte ich westwärts: Hier flüchtet Jan Gabriel, weil sie Mr. Lowrys Liebe nicht länger glauben konnte. Da lag ein Notizbuch im Schatten eines Baumes und ich sagte: Dieses Notizbuch wird Malcolm Lowry finden von Zeit zu Zeit, er wird es aufheben und mit zitternden Händen in seine Hosentasche stecken. Schon segelten fiebernde Wale über den East River, der zwischen zwei Häusern schimmerte, ein Schwarm irrer Bienen tropfte von einer Fensterbank, und da waren noch zwei Mädchen, barfuss, — oder trugen sie doch Strümpfe, doch Schuhe? — sie spielten Himmel und Hölle, ihre fröhlichen Stimmen. Ich gestehe, dass Daisy und Violet nicht damals, sondern in dieser letzten Stunde einer heiteren Arbeitsnacht ins Bild gekommen sind.
kofferzimmer
echo : 2.18 — Ich stellte mir eine Minute vor, dann eine Stunde, dann einen Tag. Ich stand auf und ging von Zimmer zu Zimmer, aß eine Banane, sah aus dem Fenster, setze mich an den Schreibtisch, stellte mir eine Woche vor, dann einen Monat, dann ein Jahr. Ich erhob mich, sah nach der Uhrzeit, dann aus dem Fenster, verließ das Haus, spazierte und kam zurück, setzte mich aufs Sofa. Eine harmlose Geschichte. Sogleich weiter gedacht. Seltsame Kerne leise in meinem Kopf hin und her bewegt, jene von den Schlafwaben zum Beispiel, von Kofferzimmern, in welchen arbeitslose Menschen dämmernd lagern. Wie ihnen schmerzlos die Zeit vergeht, wie sie, von besseren Zeiten träumend, Blutkonserven aus ihren Knochen destillieren. Kaum hatte ich aufgeschrieben und mich gewundert über das, was ich dachte, stand ich wieder in der Küche, aß eine weitere Banane und einen Pfirsich zum Nachtisch. Dann, endlich, bemerkte ich Geraldines Sommerhut, sein Schaukeln auf atlantischen Wellen. Ungeheuere Stille. Absolute Stille. In dieser namenlosen Stille, ein Hut allein auf dem Meer. Kein Schiff. Kein Land. Aber einhundert Seemeilenkreise von Stille in einem Bild, das ich niemals mit Augen sehen, sondern immer wieder nur denken werde. stop. Guten Morgen!
am viktoriasee
lima : 5.18 — Am Viktoriasee Menschen, junge Menschen und alte Menschen, wie sie sich durch modernde Abfälle einer Fischfabrik wühlen. Gelbe Augen. Salzwunde Hände. Vereiterte Füße. Bauchballone. stop. Beobachtete zum fünften Male den Dokumentarfilm Darwins Albtraum warum? Kurz darauf notierte ich: Licht fällt in kleinen Paketen vom Himmel. Und ich dachte noch, das geht heute nicht, so ein Satz doch nicht nach jenem Film in dieser Nacht. Lange Zeit schon ist von afrikanischen Eisfischen zu erzählen, von Luftreisenden in russischen Warentransportflugzeugen gegen den Norden zu, von all dem Elend erzählen, das sie bewirken, vom Hunger, von dem ich mit eigenen Ohren hörte, von Nilbarschfilets, vom rosenhölzernen Fleisch auf kostbaren Tellern europäischer Sandmanufakturen. stop. Wie erzählen? stop. Wem erzählen? stop. Bald wieder Dämmerung. stop. Licht fällt in kleinen Paketen vom Himmel. stop.
mauritius
~ : louis
to : Mr. lichtenberg
subject : MAURITIUS
Mein lieber Lichtenberg, wie unermesslich meine Freude, seit ich weiß, dass Sie lesen, was ich notiere. Noch immer bin ich wie benommen, sitze herum und überlege, ob sich nun meine Schreibwelt möglicherweise wesentlich verändern wird. Nicht leicht für einen kleinen Schriftsteller, wie ich einer bin, zu wissen, wer von oben her zusieht, ohne sofort alle Unbefangenheit zu verlieren. Nehme an, Sie haben einen vollständigen Blick auf mich, auf meine Person, nicht nur auf Zeichen und Bilder. Ganz sicher beobachteten Sie deshalb meinen Luftsprung gestern kurz nach dem ich das Postfach geöffnet hatte. Ihr Brief, das wunderbar kräftige und raue Papier des Couverts, ein Stempel auf einer blauen Marke. Eine Mauritius, nicht wahr? Ich habe, nein, nein, ich habe sie nicht übersehen und wenn ich mich nicht irre, ausgesorgt mit Ihrer Hilfe bis an mein Lebensende. Jetzt frage ich mich natürlich, schreiben Sie denn noch mit der Hand dort oben? Sitzen Sie auf Stühlen oder schweben sie herum und denken sich alles nur aus und sofort aufs Papier? Wird noch Nacht und Tag oder ist immerzu das richtige Licht, so wie Sie’s gerade brauchen? Ob sie mir wohl manchmal zuhören, verzeichnen, was ich spreche, wenn ich träume? — Ihr Louis, mit herzlicher Freude!