Aus der Wörtersammlung: rom

///

rom : bälle

pic

vic­tor : 17.16 — Nah der Iso­la Tibe­ri­na befin­det sich eine von Men­schen­hand gefer­tig­te Schwel­le im Bett des Tibers, die den lang­sam dahin rei­sen­den Fluss zu einem rei­ßen­den Strom wer­den lässt. Das braun grü­ne Was­ser ist hell gewor­den, blau und frisch von der ein­ge­fan­ge­nen Luft. Fla­schen, Bäl­le, Höl­zer wer­den zu Spiel­zeu­gen der stru­deln­den Wal­ze, die sie fängt, die sie mit sich in die Tie­fe nimmt, um sie kurz dar­auf wie­der frei­zu­las­sen für Sekun­den. Wenn man dort sitzt und war­tet, kann man sich kaum satt sehen an jener lebens­lus­ti­gen Ord­nung des Zufalls. Jun­ge Men­schen kau­ern am Ufer, schau­en zu, zäh­len Bäl­le, Far­ben, For­men, spä­hen fluss­auf­wärts, ob wei­te­re Gegen­stän­de sich nähern, um vom Was­ser bear­bei­tet zu wer­den, bis sie sich irgend­wann ein­mal auf­ge­löst haben wer­den oder so leicht gewor­den sind, dass ein Wind­stoß sie der Umar­mung des Flus­ses ent­zie­hen kann. Die Wän­de der Tiber­fas­sung ragen hoch hin­ter uns auf, zehn oder zwan­zig Meter, kaum Geräu­sche mensch­li­chen Lebens drin­gen bis hier­her, Stadt und Fluss schei­nen getrennt. Schwe­re, dun­kel gefie­der­te See­mö­wen haben vom Meer hier­her gefun­den. Ruhig ste­hen sie am Was­ser, blin­ken mit den Augen, als wären sie Foto­ap­pa­ra­te. Irgend­wo in nächs­ter Nähe sol­len sich Fun­da­men­te Jahr­tau­sen­de alter Brü­cken unter der Was­ser­ober­flä­che befin­den. Wenn man sie ein­mal zu Gesicht bekom­men soll­te, müss­te der Fluss bald ver­schwun­den sein, ver­dampft wie die Spat­zen, deren Spe­zi­es ich bald ver­ges­sen haben wer­de, dass sie je exis­tier­te. — stop
ping

///

rom : katzen

pic

tan­go : 16.08 — In dem ich durch die Stadt spa­zie­re in feuch­ter Luft, die Vor­stel­lung schwit­zen­der Flie­gen, Flie­gen, die sich schüt­teln wie nas­se Hun­de, die aus einem Gewäs­ser stei­gen. Seit drei Tagen strei­fe ich den Fluss ent­lang, sit­ze und war­te, dass eine der berühm­ten dop­pel­köp­fi­gen Tiber­kat­zen vor mei­nen Augen erschei­nen möge. Das Schiff, auf dem ihre Art her­ge­stellt wor­den sein soll vor weni­gen Jah­ren, liegt noch fest ver­täut nahe der Pon­te Sis­to, ein Schiff ohne Leben, da und dort ist es bereits ros­tig gewor­den. Über dem Ach­ter­deck schwingt eine Glüh­bir­ne in ihrer Fas­sung an einem Kabel auf und ab. Ich habe mehr­fach ver­sucht, das Schiff zu errei­chen. Es ist ver­geb­li­che Mühe, kein Weg führt hin­un­ter auf den letz­ten Absatz vor dem Fluss. Sobald ich eine Trep­pe betre­te, die zum Schiff füh­ren soll, kom­me ich an einer ande­ren Stel­le als gewünscht wie­der her­aus. Auch auf Wegen, die unmit­tel­bar das Ufer beglei­ten, ist das Schiff nicht zu errei­chen, man geht und geht und kommt doch nie­mals an. Aber ich kann das Schiff betrach­ten von der gegen­über­lie­gen­den Sei­te des Flus­ses aus. Ein grau­er, wuch­ti­ger Kör­per, Kar­pern­bü­sche haben sich an der Reling zur Son­ne hin fest­ge­setzt. Hier soll er gelebt haben, der Erfin­der der Tiber­kat­zen. Man woll­te ihn ver­haf­ten, man woll­te dem Mann, der in den Blau­pau­sen der Schöp­fung eige­ne Wün­sche ver­zeich­ne­te, Ein­halt gebie­ten. Nun ist er spur­los ver­schwun­den, aber sei­ne Kat­zen­we­sen sol­len noch exis­tie­ren in der alten Stadt. Ich tra­ge fri­schen Fisch in mei­ner Tasche. Manch­mal hal­te ich an. Ich setz­te mich ans Ufer, las­se mei­ne Bei­ne über dem brau­nen Was­ser bau­meln, lege einen Fisch neben mich ab und war­te. Die Stei­ne sind warm. — stop
ping

///

rom : winde

pic

sier­ra : 8.52 — Leich­ter Luft­zug von Süden, schwe­re, blei­schwe­re Hit­ze. Spa­zier­te im Kolos­se­um, präch­ti­ge Rui­ne, Thea­ter der Grau­sam­keit. Da muss über­all noch uralter Kno­chen­staub im Boden ver­bor­gen sein, Mate­ria­li­en vom Tiger, vom Fluss­pferd, von Giraf­fen, von Men­schen. Ges­tern hat­te der öffent­li­che Dienst der Stadt gestreikt, auch die Funk­tio­nä­re der Are­na, wes­we­gen an die­sem Tag tau­sen­de Besu­cher zusätz­lich Zutritt wün­schen. Eine lan­ge Rei­he War­ten­der, hun­der­te Meter weit in der Son­ne tief unten auf der Stra­ße. Robo­ter­ma­schi­nen der Stra­ßen­rei­ni­gung dösen im Schat­ten der Pini­en. Gla­dia­to­ren­imi­ta­to­ren ste­hen zur Foto­gra­fie bereit. Pfer­de­hu­fe klap­pern die Via di San Gre­go­rio auf und ab. Über das Forum Roma­n­um gleich gegen­über fegt ein Wind, der sich genau auf die­sen his­to­risch bedeu­ten­den Bezirk zu beschrän­ken scheint, es ist ein gra­ben­der, wir­beln­der Wind, Sand­tür­me krei­sen zwi­schen Mau­er­res­ten, Stäu­be, die über das Meer geflo­gen kom­men, von Afri­ka her, schmir­geln am alten Euro­pa, ver­fan­gen sich in den Sei­den­tü­chern der Händ­ler, die tat­säch­lich flie­gen­de Händ­ler sein könn­ten, weil sie vie­le und sich der­art ähn­lich sind, dass sie phy­si­ka­li­schen Geset­zen wider­ste­hend über­all zur glei­chen Zeit erschei­nen. Abends sitzt dann ein Mann wie aus hei­te­rem Him­mel mit einem Pro­test­tuch auf der Kup­pel des Peters­doms. Unter­halb der Later­ne, in über ein­hun­dert Meter Höhe, scheint er sich fest­ge­zurrt zu haben. Auf dem Platz bleibt er indes­sen von den Fla­neu­ren unbe­merkt. Er scheint viel zu klein zu sein, zu weit ent­fernt er selbst und auch das Tuch, auf das er etwas notier­te. Zit­tern­des Licht, immer wie­der zu sehen, eine Art Fin­ger. Kei­ne Mor­se­zei­chen. — stop

///

rom : im museum

pic

del­ta : 10.01 — Durch Hal­len, Zim­mer, Flu­re, Säle der vati­ka­ni­schen Muse­en bewe­gen sich Men­schen mit Vor­satz. Eine Ver­samm­lung von Men­schen in Grup­pen, genau­er, die sich zwi­schen einem Ein­gang und einem Aus­gang in gemein­sa­mer Rich­tung ent­lang einer Linie bewe­gen, die sich schlän­gelt, die kurvt, die sich fal­tet. Köp­fe, tau­sen­de Köp­fe vor groß­ar­ti­ger Male­rei, Säle mit Tier­skulp­tu­ren, Men­schen­skulp­tu­ren, Säu­len­skulp­tu­ren. Über der sich lang­sam bewe­gen­den Men­ge zit­tern an Schir­men, Takt­stö­cken, Zei­gern Wim­pel aller Art, dort genau befin­den sich männ­li­che oder weib­li­che Füh­rer, die spre­chen, eine Art beru­hi­gen­des Spre­chen, eine Bän­di­gung der Besu­cher­grup­pen, die wie durch­blu­te­te Schif­fe über einen Hafen zu lot­sen sind. Man kann selt­sa­me Din­ge ver­neh­men, sobald man sich einer der Grup­pen nähert und lauscht. Die Füh­rer spre­chen lei­se in ihre Mikro­fo­ne: Schau­en Sie dort­hin, sehen Sie sich das an, Augen, drei­tau­send Jah­re alte Augen, sehr sel­ten. Und jetzt gehen wir wei­ter! In der Six­ti­ni­schen Kapel­le nur weni­ge Minu­ten spä­ter exis­tie­ren männ­li­che Per­so­nen, die für Geräusch­lo­sig­keit unter den stau­nen­den müden Men­schen sor­gen. Sie tra­gen klei­ne Mikro­fo­ne in der Nähe ihres Mun­des, sie sagen Fol­gen­des: Pss­sst! Oder sie sagen: Silence, plea­se! — stop
ping

///

rom : am tiber

pic

nord­pol : 10.32 — Ges­tern, am spä­ten Abend, von einer Brü­cke über den Tiber aus einen Mann beob­ach­tet, der am Ufer des Flus­ses vor einer Insel­aus­buch­tung kau­er­te. Der Mann füt­ter­te grö­ße­re und klei­ne­re Tie­re mit sei­ner lin­ken Hand, in der rech­ten Hand hielt er eine Angel fest. Das war nicht sofort zu erken­nen gewe­sen, weil sich im Fluss und auch in der Luft über dem Fluss nichts beweg­te, nicht ein­mal das Was­ser zeig­te Strö­mung. Die Fluss­ober­flä­che schim­mer­te im Mond­licht wie ein See, und das Schilf des Ufers schien von Win­den, nicht von wil­dem Was­ser gebeugt. Da waren Schat­ten im Gras der klei­nen Insel, hun­der­te vor­wärts oder rück­wärts sprin­gen­de Sche­men. Noch nie zuvor habe ich so vie­le Rat­ten auf einen Blick gese­hen. Wie Eisen­spä­ne einer phy­si­ka­li­schen Anord­nung zur Unter­su­chung magne­ti­scher Fel­der waren sie zu dem Mann hin aus­ge­rich­tet, wir­bel­ten durch­ein­an­der, sobald der Mann Fut­ter­wa­re unter die Tie­re schleu­der­te. Dann wie­der stil­les War­ten. Eine Bisam­rat­te, scheu­er Herr­scher, enter­te das Land. — Am fol­gen­den Tag keh­re ich mor­gens zur Nacht­brü­cke zurück. Der Mann kau­ert noch immer vor der klei­nen Insel und angelt im Fluss. Möwen haben sich genä­hert. Rat­ten sind nur weni­ge zu sehen, aber Tau­ben. Wenn der Mann einen Fisch erbeu­tet, wirft er ihn sei­nen Freun­den vor die Füße. An den stei­len Wän­den der künst­li­chen Tiber­fas­sung da und dort blü­hen­de Büsche. Eidech­sen zün­geln gegen die Son­ne. — stop
ping

///

rom : antennenbild

pic

nord­pol : 2.28 — Däm­me­rung. Die Kup­pel der Peters­ba­si­li­ka plötz­lich in Sicht, wie ich um eine Häu­ser­ecke kom­me. Selt­sam blau­es Leuch­ten, als wür­de sich das abwan­dern­de Licht des Him­mels auf den Kup­fer­ble­chen des Daches spie­geln. Dann ist’s stock­fins­ter gewor­den und die Kup­pel schim­mert noch immer Blau­tür­ki­se wie zuvor. Win­zi­ge Men­schen spa­zie­ren über Bernini’s Platz, sit­zen in der war­men Abend­luft auf Brun­nen­rän­dern und Trep­pen­stu­fen, die unter Kolon­na­den den Platz umar­men. Ziem­li­che Stil­le. Kaum Tau­ben. Kei­ne Kat­zen, nicht ein­mal schläf­ri­ge Augen­lich­ter. Ein paar Män­ner arbei­ten sich pfei­fend durch Tür­me von Stüh­len. Sobald sie einen Stuhl von einem der Gebäu­de heben, wird es etwas klei­ner, bil­det eine Rei­he aus wie einen Arm, der sich an einer Schnur ent­lang aus­rich­tet, tau­sen­de war­ten­de Objek­te, auf wel­chen bald Men­schen sit­zen wer­den, die beten oder schrei­en oder ihre Stüh­le bestei­gen, weil auch ande­re bereits auf Stüh­len ste­hen. Das ist der Moment, da man als Pil­ger oder Beob­ach­ter viel­leicht sei­nen Namen heim­lich in einen der Stüh­le rit­zen möch­te oder eine Figur zeich­nen, die Ähn­lich­keit zur eige­nen Per­son auf­zei­gen wird, sodass man etwas zurück­lässt auf dem Platz, ein Anten­nen­bild um spä­ter­hin päpst­li­chen Segen aus der Fer­ne ein­fan­gen zu kön­nen. Michel­an­ge­lo heim­lich, eine Vor­stel­lung, die mög­lich ist in der Nacht im sanf­ten Later­nen­licht nahe dem Mader­no-Brun­nen, wie er sich nach Jahr­hun­der­ten wun­dert über das Blau die­ser Kup­pel, das er so nicht ange­ord­net haben mag. — stop

///

rom : ein flugzeug

pic

marim­ba : 22.58 — Man müss­te ein­mal ein Flug­zeug erfin­den, das nicht sicht­bar und doch wir­kungs­voll anwe­send ist. Unsicht­ba­re Sit­ze, auf wel­chen sicht­ba­re Pas­sa­gie­re Platz genom­men haben, durch­sich­ti­ge Steu­er­knüp­pel, durch­sich­ti­ge Flü­gel, ein durch­sich­ti­ges Leit­werk. Man sieht nun Men­schen, wie sie über Taxi­way­bah­nen eines Flug­ha­fens schwe­ben, gut sor­tiert, acht Per­so­nen zu einer Rei­he neben­ein­an­der, so sitzt man. Da und dort lie­gen schlam­pi­ger Wei­se Taschen her­um, Ruck­sä­cke, Zei­tun­gen, auch sie sind sicht­bar wie ihre Besit­zer und die Ben­zi­ne in den Flü­geln der Maschi­nen, das Nest der Kof­fer am Flug­zeug­heck, jene zwei Her­ren mit ihren akku­rat gefal­te­ten Flie­ger­hau­ben an der Spit­ze der Pro­zes­si­on, bald wird man sehen, wie das alles fliegt sehr steil gegen den Him­mel zu. Und die­ser Blick nun nach unten, Seen, Stra­ßen, Wäl­der, Schnee auf den Ber­gen, das Meer, die gro­ße Stadt im Anflug, ein röt­lich brau­ner Fleck in einer hel­len Land­schaft. Es war viel Wind unter­wegs und bestän­dig das Gefühl in die Tie­fe zu fal­len, weil die Sub­stan­zen des Flug­zeu­ges nicht zu sehen gewe­sen waren. Jetzt aber Rom. Da ste­he ich mit bei­den Bei­nen fest auf einem Boden, unter dem viel Zeit­spur im Ver­bor­ge­nen liegt. Das Taxi, das durch das groß­zü­gi­ge Spa­lier der Zedern glei­tet, Schirm­pi­ni­en da und dort in Step­pen­land­schaft jen­seits der Stra­ße. Plötz­lich dich­tes Häu­ser­ge­fü­ge in war­men, erdi­gen Far­ben, braun, ocker, gelb, rot, oran­ge, an den Ampeln hel­le Wölk­chen von Blei­luft, die aus knat­tern­den Rol­ler­mo­to­ren paf­fen. Via del­la Maglia­na, Via Por­tu­en­se, Via Qui­ri­no Majo­ra­na, Via del­le For­naci, Via del­le Mura Aure­lie. Vor dem Haus lie­gen drei scheue, schlan­ke Kat­zen. Das Gespräch der Möwen auf ihrem Flug gegen Tras­te­ve­re. – stop
ping

///

gebete

ping

ping

del­ta : 6.46 — Das war so gewe­sen. Kurz nach dem Abend­essen tref­fe ich im Zug auf einen Freund. Er kam gera­de vom Gebet. Ich weiß nicht, wie er das macht, er betet an allen denk­bar unmög­li­chen Orten, aber immer zur rech­ten Zeit. Wir müs­sen nicht mehr dar­über spre­chen, er ist Mos­lem, über­zeugt, tief­gläu­big, ich bin Christ, einer, der eher zwei­felt, aber nicht NEIN sagen will, nicht, dass das alles Unfug ist mit den Jen­seits­ge­schich­ten. Mein Freund und ich lie­ben Jazz. Er ist ein Schlag­zeu­ger von hoher Bega­bung, ich habe ein fei­nes Gehör, das ist die ande­re Sei­te, mein beben­des Zwerch­fell, wenn er spielt. Was das doch für ein Irr­sinn wie­der ist, die­ser Film, die­se Pro­vo­ka­ti­on, dass das nie auf­hört, sag­te er dann doch in mei­ne Rich­tung. Und dass ihm das vor allem so unan­ge­nehm sei, weil wir doch wie Pup­pen sind, die man auf­zie­hen kann, irgend­wo eine böse sati­ri­sche Zeich­nung, und schon tan­zen wir los. — Ja, das ist äußerst selt­sam, die­se Art der Kom­mu­ni­ka­ti­on über gro­ße Ent­fer­nun­gen hin­weg, die Men­schen­le­ben for­dert. Über­haupt ist das merk­wür­dig, die Schöp­fung, der Tod, das Erzäh­len von der Zeit danach, die Geset­ze, die Bewer­tung nach Gut und Böse. Ich erin­ne­re mich, wie ich vor vie­len Jah­ren ein­mal mit mei­nem Vater vor einem Fern­seh­ge­rät saß. Das war an einem Oster­sonn­tag kurz vor 12 Uhr mit­tags gewe­sen. Auf einem Bal­kon in Rom stand ein alter Mann, er trug einen merk­wür­di­gen Hut auf dem Kopf und sprach in sin­gen­der Wei­se Ver­se, von wel­chen ich ahn­te, dass es sich nur um ein Gebet han­deln könn­te. Das Gebet war in mei­nen Ohren nicht ver­ständ­lich gewe­sen, weil es in ita­lie­ni­scher Spra­che gesun­gen wur­de, aber dann äußer­te sich der geist­li­che Mann plötz­lich in einer mir bekann­ten Spra­che. Mei­ne Mut­ter war indes­sen hin­zu­ge­tre­ten. In genau dem Moment, da der alte Mann sei­nen Segen erteil­te, knie­te sie nie­der und bekreu­zig­te sich. Ich erin­ne­re, mich über ihre Ges­te gewun­dert zu haben, das Knien vor einem Fern­seh­ge­rät. Genau­ge­nom­men wun­de­re ich mich bis heu­te, wie der Segen wan­dert. — stop
ping

///

versuchsanordnung

9

echo : 2.05 — Ges­tern, am spä­ten Abend, wur­de ich wäh­rend mei­ner Arbeit von einem Eich­hörn­chen beob­ach­tet. Das klei­ne Tier kau­er­te im Kirsch­baum auf Höhe der Fens­ter mei­nes Arbeits­zim­mers gut sicht­bar im Licht einer Stra­ßen­lam­pe. Bei­na­he woll­te ich mei­nen, dass es sich mit Absicht zeig­te. Sei­ne Augen leuch­te­ten röt­lich, als wären sie Taschen­lam­pen. Ich trat vor­sich­tig ans Fens­ter und schon war das Tier ver­schwun­den. Es war also fast Mit­ter­nacht gewe­sen, ich ver­such­te zu die­sem Zeit­punkt ein Expe­ri­ment zu wie­der­ho­len, das ich vor 5 Jah­ren bereits erfolg­reich im Inter­net unter­nom­men hat­te. Krapp war mit mei­ner Hil­fe in Chat­räu­men zu Spra­che gekom­men. In einem 30-Sekun­den­rhyth­mus wie­der­hol­te er Sät­ze, die Samu­el Beckett für ihn notier­te. Eine hal­be Stun­de arbei­te­te ich mich damals vor­an, als in der künst­li­chen Welt auf Krapp reagiert wur­de. Das war ein fas­zi­nie­ren­der Vor­gang gewe­sen, ein Ereig­nis, das sich ges­tern lei­der nicht wie­der­hol­te. Extra­or­di­na­ry silence this evening. Wie ich es auch ver­such­te, Krapp wur­de nicht bemerkt oder wur­de unhöf­li­cher­wei­se igno­riert. Hier nun noch ein­mal das Doku­ment aus dem Jahr 2007: >

ping
Versuchsanordnung >
20.05 – 20.07 Uhr MEZ
Krapp im Chat

[Log­in OK]
[Krapp joi­n­ed chan­nel Welcome!]
[82users in chan­nel Welcome!]

RickJ2!!: Bye bye.
Krapp: „Have just eaten I reg­ret to say three bana­nas and
only with dif­fi­cul­ty refrai­ned from a fourth.“
Gulli_S2: Hotmail?
[katsu left chan­nel Welcome!]
UrFix­a­ti­on: Omg, stop it with the bana­na story.
Krapp: „Fatal things for a man with my condition.“
2005Guy!!: Ur…is get­ting visuals..lol
Gulli_S2: Hotmail
[muff’ joi­n­ed chan­nel Welcome!]
Krapp: „Extra­or­di­na­ry silence this evening.“
UrFix­a­ti­on: lol
UrFix­a­ti­on: I am
RickJ2!!: Some old sto­ries krapp.
[muff’ left chan­nel Welcome!]
Devilish.fr is away from keyboard.
UrFix­a­ti­on: Flashbacks
UrFix­a­ti­on: lol
Gulli_S2: Fuck you!
Krapp: „I strain my ears and do not hear a sound.“
RickJ2!!: lol
[Gulli_S2 left chan­nel Welcome!]
2005Guy!!: I bet…not pretty
UrFix­a­ti­on grins evilly.
RickJ2!!: Watch out gulli
Krapp: „Just been lis­tening to an old year,
pas­sa­ges at random.“
[2HOT4YOU left chan­nel Welcome!]
Angus­Y­oung: I just found out i have lung
can­cer and it sucks!
RickJ2!!: aww
Krapp: „I did not check in the book, but it must
be at least ten or twel­ve years ago.“
UrFix­a­ti­on: Whe­re did that come from?
[Gui­tarAd­dic­ted left chan­nel Welcome!]
2005Guy!!: Woaw.
[Play­boyl­overs joi­n­ed chan­nel Welcome!]
Krapp: „Now the day is over.“
2005Guy!!: Zackly.
SlicK­girl: Should i sim­ply mute him?
[Muff joi­n­ed chan­nel Welcome!]
RickJ2!!: Same sto­ries krapp, right?
[Kalkan left chan­nel Welcome!]
[Space Mon­key left chan­nel Welcome!]
Muff greets all.
Krapp: „Night is dra­wing nigh-igh.“
[Por­to-boy joi­n­ed chan­nel Welcome!]
2005Guy!!: I thought i just had dezavu…
RickJ2!!: Get it??
Play­boyl­overs: hi dudes
Play­boyl­overs: lol
Krapp: „Shadows.“
2005Guy!!: Don’t know how to spell it..lol
[Angus­Y­oung left chan­nel Welcome!]
RickJ2!!: Hey baaby
[Bryan1997_4_you joi­n­ed chan­nel Welcome!]
[Desi­ree left chan­nel Welcome!]
Bryan1997_4_you: Hi all
Muff: Chess game anybody?
Bryan1997_4_you: Anyo­ne wan­na chat
RickJ2!!: Krapp do you know english?
[Andriy!!!! left chan­nel Welcome!]
[Lana-puma-hoty joi­n­ed chan­nel Welcome!]
19-m-Fran­cais: Kein Deutsch hier?
UrFix­a­ti­on: Nein
Muff: RickJ2 do you fan­cy me.
Krapp: „Past mid­night. Never knew such silence.
The earth might be uninhabited.“
The­bi­go­ne greets all.
[BlackScor­pi­on left chan­nel Welcome!]
[Joe­NY left chan­nel Welcome!]
Bryan1997_4_you: hi courtney
RickJ2!!: what u mean muff
[Coun­try-Boy joi­n­ed chan­nel Welcome!]
Muff: RickJ2 why do u igno­re me?
Por­to-boy greets all.
[Krapp left channel]
[Wel­co­me!]

ping

///

mr. munki

9

marim­ba : 6.22 — Das Ver­ges­sen ist nicht gera­de eine mei­ner Stär­ken. Ich kann mich noch nach Jah­ren an jedes schwie­ri­ge Gespräch erin­nern, wo es sich ereig­ne­te, mit wem ich mich unter­hal­ten hat­te und wor­über. Dafür ver­ges­se ich auf dem Weg von mei­nem Arbeits­zim­mer in die Küche, wes­halb ich mich eigent­lich in Bewe­gung setz­te. Auch die Uhr­zeit ver­ges­se ich ger­ne, Tele­fon­num­mern, Pass­wör­ter, Namen, gan­ze Bücher, dass sie exis­tie­ren, Buch­sta­ben, mei­nen Regen­schirm. Ein­mal wäre ich bei­na­he im Herbst ohne Schu­he auf die Stra­ße getre­ten. Genau genom­men bin ich im Ver­ges­sen leicht­fü­ßi­ger, als ich dach­te. Ich ver­ges­se aber lei­der in vie­len Fäl­len nicht, was ich ger­ne ver­ges­sen wür­de. Heu­te habe ich bemerkt, dass ich ver­säum­te, also ver­ges­sen habe, in einem Buch wei­ter­zu­le­sen, das ich im Mai zuletzt in Hän­den gehal­ten habe. Viel­leicht erin­nern Sie sich, es han­del­te sich um Pete L. Munki’s Roman Nau­ti­lus. Der Erzäh­ler der Geschich­te, ein jun­ger Mann namens Zezito Lopes, ruh­te zuletzt im 10. Stock eines Hau­ses in der Lex­ing­ton Ave­nue auf einer Trep­pen­stu­fe. Frü­her Nach­mit­tag. Ein schwe­rer Behäl­ter von gepan­zer­tem Glas, in dem sich zwei Fische der Gat­tung Nau­ti­lus befan­den, stand neben dem war­ten­den Mann auf dem Boden. Ich erin­ner­te mich damals, dass der jun­ge Mann, er war ein gut trai­nier­ter Trä­ger, sich kurz dar­auf erho­ben hat­te, um an einer der Woh­nungs­tü­ren, die auf den Flur führ­ten, zu klin­geln und nach einem Glas Was­ser zu fra­gen. Unver­züg­lich wur­de geöff­net, ein Gespräch ent­wi­ckel­te sich, in des­sen Fol­ge Zezito Lopes sich bück­te, sei­nen gepan­zer­ten Behäl­ter in die Hän­de nahm und mit ihm in der Woh­nung ver­schwand. So weit, so gut. Als ich das Buch im Mai im Zug geöff­net hat­te, konn­te ich die mar­kier­te Text­stel­le nicht fin­den. Sofort der Gedan­ke, ich hät­te mög­li­cher­wei­se fan­ta­siert, eine beun­ru­hi­gen­de Vor­stel­lung. Nicht min­der beun­ru­hi­gend schien mir der Gedan­ke gewe­sen zu sein, das Buch selbst könn­te sich ver­än­dert haben, wei­ter- oder umge­schrie­ben wor­den sein, obwohl sich das Buch, auch nachts, immer in mei­ner Nähe auf­ge­hal­ten hat­te. Zu Hau­se ange­kom­men leg­te ich das Buch unter ande­re Bücher auf mei­nem Schreib­tisch ab, wo ich es heu­te wie­der ent­deck­te. Als ich das Buch öff­ne­te, war das Buch leer. Kein Zei­chen zu fin­den, nur der Titel der Geschich­te: Nau­ti­lus. Dar­un­ter ein wei­te­rer Satz: Bit­te war­ten. Pete L. Mun­ki. — stop

polaroidamph



ping

ping