Aus der Wörtersammlung: verschwinden

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tintenfinger

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lima : 0.55 — Mit dem lang­sa­men Ver­schwin­den der Brie­fe flüch­ten unse­re Post­wert­zei­chen in Schach­tel­be­häl­ter, in Alben, in Muse­en, kost­ba­re, bun­te Wesen von Papier, die wir noch mit unse­ren Zun­gen befeuch­te­ten, um sie mit Brief­um­schlä­gen für immer zu ver­bin­den. Auch Ges­ten, die den Brie­fen zuge­ord­net sind, wer­den sich nach und nach ver­lie­ren. Die Ges­te des Zer­rei­ßens bei­spiels­wei­se, oder die Ges­te des Zer­knül­lens. Wann habe ich zuletzt beob­ach­tet, wie der Emp­fän­ger eines Brie­fes sich dem geöff­ne­ten Doku­ment mit der Nase näher­te, um von der Luft der gelieb­ten schrei­ben­den Per­son zu atmen, die mit dem Brief gereist sein könn­te? Ver­lo­ren die Abdrü­cke der Tin­ten­fin­ger, die Rän­der einer Brief­sei­te zier­ten, ver­lo­ren auch das fei­ne Geräusch der Skal­pel­le, indem sie tei­lend durch das sei­de­ne Fut­ter der Kuvert­kof­fer zie­hen. Ein absur­der Gedan­ke mög­li­cher­wei­se, wie ich den E‑Mailbrief einer Behör­de, der mich zor­nig wer­den lässt, aus­dru­cke, wie ich ihn in einen Umschlag ste­cke, wie ich ihn für eini­ge Sekun­den in Hän­den hal­te, wie ich mich kon­zen­trie­re, wie ich den Brief genuss­voll in win­zi­ge Tei­le zer­le­ge. — stop

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aylan kurdi

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sier­ra : 23.25 — Ich hat­te bis zum spä­ten Abend kei­ne Zei­tung gele­sen und auch die Fern­seh­ma­schi­ne nicht ange­stellt. Gegen 22 Uhr rief ein Freund an, frag­te, ob ich die Foto­gra­fie mit dem Jun­gen gese­hen hät­te, der aus Kobanê geflüch­tet, vor einem Urlau­ber­strand der Tür­kei ertrun­ken und Land gespült wor­den sei. Er sag­te, er habe mir die Auf­nah­me gera­de eben geschickt, und ich hör­te genau in die­sem Moment das Geräusch einer ankom­men­den E‑Mail mit dem Betreff: Der Jun­ge. Eine hal­be Stun­de spä­ter öff­ne­te ich die Datei. Auf der Foto­gra­fie war der Kör­per eines Kin­des am Strand zu erken­nen, ein­sam, unend­lich ein­sam, so, als habe das Meer, in dem das Kind ertrun­ken war, sei­nen Kör­per behut­sam am Strand abge­legt, seht her, schaut, was gesche­hen ist, öff­net die Gren­zen, lasst Flücht­lings­men­schen end­lich mit Flug­zeu­gen zu euch kom­men, wehrt sie nicht ab, errich­tet kei­ne Zäu­ne, hört auf, Waf­fen zu lie­fern, mit wel­chen tat­säch­lich auf Men­schen geschos­sen wird, ich bin das Meer, aus dem ihr alle gekom­men seid. Mil­lio­nen elek­tri­sche Exem­pla­re die­ser Foto­gra­fie eines leb­lo­sen Kin­des sol­len sich inner­halb weni­ger Stun­den um die Welt ver­brei­tet haben, eine Foto­gra­fie, die nie wie­der ver­schwin­den wird, ein Gedächt­nis­bild mög­li­cher­wei­se, wie das Bild (Pulit­zer­preis 1973) der durch fri­end­ly fire schwer ver­letz­ten Kim Phúc und der Geschwis­ter des Mäd­chens, flie­hend auf einer Stra­ße im Süden Viet­nams, ein Gedächt­nis­bild, an das sich die Mensch­heit nun gewöh­nen wird, das Bild betrach­ten und beden­ken, damit es sei­nen Schre­cken ver­liert, bis man es nicht mehr wahr­neh­men wird. Der Name des Jun­gen: Aylan Kur­di. Er wur­de 3 Jah­re alt. Nicht alle wer­den sich gewöh­nen. — stop

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e — geparden

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nord­pol : 6.28 — Man müss­te ein­mal ein Pro­gramm erfin­den, das in der Lage wäre, E‑Mailbriefe, die man ver­se­hent­lich ver­schick­te, zu jagen, zu erle­gen, oder ganz ein­fach behut­sam wie­der zurück­zu­ho­len. Ich mei­ne das so: Neh­men wir ein­mal an, eine E‑Mail wäre vor­zei­tig ent­wischt, ohne Gruß und Unter­schrift beweg­te sie sich rasend schnell durch das World Wide Web von Kno­ten zu Kno­ten, ein Brief, der nicht unhöf­li­cher sein könn­te, ein licht­schnel­les Mons­trum, wie glück­lich wür­de man sein, wenn man ihn unge­sche­hen machen oder nach­träg­lich noch bear­bei­ten könn­te, indem zu jeder E‑Mail ein per­sön­li­cher E‑Mailgepard gehör­te, der nach dem feh­ler­haf­ten Stück het­zen wür­de, bis das gejag­te Zei­chen­we­sen getilgt sein wür­de, zu einem Nichts gewor­den, wie nie gewe­sen. Man­che die­ser Gepar­den wären viel­leicht in der Lage, sich bis in die E‑Mailprogramme adres­sier­ter Com­pu­ter selbst fort­zu­be­we­gen, E‑Mailbriefe, die bereits geöff­net wur­den, wür­den vor den Augen der Leser ver­schwin­den oder sehr heim­lich spä­ter, so dass sie nie wie­der gefun­den wer­den könn­ten, als ob sie nie exis­tier­ten, Geis­ter­we­sen, Täu­schung, Gehirn­schat­ten ohne Beweis. Es ist Sams­tag und es reg­net küh­les Was­ser, als wäre die­ser Tag bereits im Herbst. — stop / koffertext
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schatten

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echo : 0.22 — Vor eini­gen Jah­ren stell­te ich mir vor, wie ich eines Tages erwa­che und jedes Wort erin­nern kön­ne, das ich von die­sem Moment des Erwa­chens an den­ken wür­de, erin­nern jedes mei­ner Selbst­ge­sprä­che, auch jene Gedan­ken, die ich nie wirk­lich bemer­ke, weil sie so schnell vor­über­zie­hen, dass ich sie vor­dem bereits ver­ges­sen habe, in dem ich mich schon in dem nächs­ten Gedan­ken­zim­mer befin­de. Nichts, über­leg­te ich, wür­de von die­sem Moment an noch ver­lo­ren gehen. Auch alle Sät­ze nicht, die ich hören oder lesen wer­de, sobald ich das Haus ver­las­se, Notiz­zet­tel, Ein­kaufs­lis­ten, Frag­men­te von Zei­le zu Zei­le fal­len­der Anzei­ge­ta­feln an Flug­hä­fen oder Bahn­hö­fen, Zei­tungs­ar­ti­kel, Film­dia­lo­ge, alles das wür­de gespei­chert sein und könn­te zu jeder Zeit in genau der Rei­hen­fol­ge wie­der­holt wer­den, in der es von lei­sen Wör­ter­stim­men auf­ge­zeich­net wur­de. Ich frag­te, was wür­de mit mir gesche­hen? Wie lan­ge Zeit könn­te ich mit die­sem Ver­mö­gen aus­ge­stat­tet über­le­ben? In wel­cher Art und Wei­se wür­de ich mich erin­nernd durch mei­ne Ver­zeich­nis­se bewe­gen? Wür­de ich nicht viel­leicht in einem die­ser Maga­zi­ne auf der Suche nach einem Wort, einem Satz, einer Erin­ne­rung, für immer ver­schwin­den? — stop

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eine uhr mit pendel nahe garten

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echo : 0.08 — Eine alte Dame am Mor­gen, wie sie vor einer Uhr steht. Es han­delt sich um eine gro­ße, schwe­re Stand­uhr, Zif­fer­blatt und Zei­ger lun­gern in einer Höhe von 1 Meter 80 über dem Boden. Nahe der Stel­le, da die Ach­sen der Zei­ger sich in das Uhr­werk ver­tie­fen, befin­det sich eine Öff­nung für einen Schlüs­sel, mit wel­chem die Uhr auf­ge­zo­gen wer­den kann. Ein Pen­del setzt sich dann nach leich­tem Stoß in dau­er­haf­te Bewe­gung, die Uhr scheint lei­se zu atmen, kaum ein ticken­des Geräusch ist zu ver­neh­men, aber zur vol­len Stun­de, ja, zur vol­len Stun­de, im Gar­ten flie­gen die Vögel von den Bäu­men auf, Frö­sche ver­schwin­den kopf­über im Teich, Kat­zen jagen wie irr umher, am Tisch im Wohn­zim­mer ist dem ein oder ande­ren Gast vor Schreck bereits eine Tas­se oder ein Löf­fel oder eine Gabel aus der Hand gefal­len. Vor die­ser Uhr nun steht die alte Frau, vor einer Zeit­ma­schi­ne, die sie für die Nacht zum Schwei­gen brach­te, ihre pen­deln­de Bewe­gung dem­zu­fol­ge stopp­te, um sie mor­gens wie­der ins Leben zurück­zu­ru­fen. Fol­gen­des geschieht: Die zier­li­che Frau stellt sich auf ihre Zehen­spit­zen und beginnt damit, den Minu­ten­zei­ger der Uhr vor­wärts­zu­be­we­gen. Es geht dar­um, die ver­lo­re­ne Zeit ein­zu­ho­len, Stun­de um Stun­de, ein Anblick, der Phi­lo­so­phen begeis­tert. Drau­ßen im Gar­ten bewegt sich die Welt plötz­lich schnel­ler, und wie­der flie­gen die Vögel auf und die Kat­zen bei­ßen sich in den Schwanz, und die Fische gehen schwung­voll über den Rasen spa­zie­ren, nur die Frö­sche, sie tun so, als wäre all das nichts Beson­de­res. Nach fünf Minu­ten ist Ruhe. – stop

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buenos aires

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nord­pol : Ein­mal, wäh­rend einer Zug­fahrt süd­wärts, lern­te ich Valen­tin Ruiz ken­nen, einen damals schon hoch­be­tag­ten Mann. Er bemerk­te bald, nach­dem ich in sein Abteil getre­ten war, dass ich ihn beob­ach­te­te, wie er in sein Notiz­buch schrieb. Wir kamen ins Gespräch. Herr Ruiz erzähl­te, er habe lan­ge Zeit in Argen­ti­ni­en gelebt, nahe der Stadt Bue­nos Aires. Er mon­tier­te dort Auto­mo­bi­le in einer Fabrik. Als Robo­ter­ma­schi­nen die Stadt besuch­ten, war das eine schwe­re Zeit gewe­sen. Dar­über den­ke er gera­de nach. Er berich­te­te von sei­nen Erfah­run­gen, von erstaun­li­chen Gedan­ken, sodass ich mei­ner­seits mein Notiz­buch öff­ne­te. Kurz nach­dem ich den Zug ver­las­sen hat­te, Herr Ruiz war in der war­ten­den Men­schen­men­ge ver­schwun­den, ver­such­te ich mei­ne Gesprächs­no­tiz zu ergän­zen. Ich muss­te mich beei­len, Herr Ruiz hat­te sehr schnell, ja auf­ge­regt gespro­chen, und ich hat­te den Ein­druck, mei­ne Erin­ne­rung könn­te sich eben­so schnell ver­flüch­ti­gen. Ich notier­te: Mit­tels Wör­tern sind zeit­ge­nös­si­sche Maschi­nen an einem Ort bereits ein­ge­trof­fen, lan­ge bevor auch nur eine ihrer Schrau­ben ange­kom­men ist. Sie sind Gegen­stand der Begeis­te­rung einer­seits, aber auch von Furcht, sodass sie in jeder Rich­tung grö­ßer erschei­nen, als sie in Wirk­lich­keit sind. Wo eine Maschi­ne zum Auf­bau kom­men wird, ist zunächst ein Raum ange­nom­men, ein Raum, der bereits frei­ge­räumt wur­de oder zunächst befreit wer­den muss. Dann kommt die Maschi­ne in der Wirk­lich­keit an, in der Mehr­zahl der Fäl­le in Tei­len. Beglei­tet wird sie von Men­schen, die sich um ihre Rei­se bemü­hen. Manch­mal blei­ben Men­schen, die die Maschi­ne beglei­ten, an Ort und Stel­le, dem­zu­fol­ge in der Nähe der Maschi­ne, um aus Tei­len ein Gan­zes zu fügen. Man kann dar­über stau­nen, dass an einem Ort, an dem zunächst nichts zu sehen war, sehr bald eine Ver­samm­lung tech­ni­scher Par­ti­kel zu bemer­ken ist, die sinn­vol­ler­wei­se bereits sich in einem logi­schen Zusam­men­hang befin­den. Eine Maschi­ne ist stumm, solan­ge sie nicht leuch­tet. Schon eine blin­ken­de Diode genügt, um Gesprächs­be­reit­schaft anzu­deu­ten. Maschi­nen, die mit elek­tri­schen Strö­men in Bewe­gung gesetzt wer­den, nei­gen zur Erhit­zung, wes­halb sie an der ein oder ande­ren Stel­le atmen, also bla­sen. Tei­le der Maschi­nen sind so groß, dass sie von einem Men­schen nicht geho­ben, oder so klein, dass sie von einem mensch­li­chen Auge nicht wahr­ge­nom­men wer­den kön­nen. Wo Maschi­nen erschei­nen, ver­schwin­den Men­schen jeder Grö­ße. — stop

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nachtmann

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lima : 3.28 — Seit Jah­ren, Nacht für Nacht gegen drei Uhr, höre ich das Pfei­fen eines Zei­tungs­bo­ten, der auf einem Fahr­rad von Osten her in unse­re Stra­ße kommt, um nach einer Schlei­fe von weni­gen Minu­ten, die ihn west­wärts führt, wie­der zu ver­schwin­den. Ich bin ihm in die­ser lan­gen Zeit nie per­sön­lich begeg­net, und ich kann auch nicht mit Sicher­heit sagen, wel­che Zei­tung er in die Brief­käs­ten unse­res Hau­ses steckt. Ein ein­zi­ges Mal habe ich neu­gie­rig aus dem Fens­ter gespäht, ich erin­ne­re mich an eine bit­ter­kal­te Nacht. Die Gestalt des Man­nes war weit ent­fernt zu sehen gewe­sen, er trug eine Woll­müt­ze, Hand­schu­he und eine Leder­ja­cke, das ist viel­leicht der Grund, wes­halb er auch in hei­ßen Som­mer­näch­ten in mei­nen Augen wei­ter­hin eine Woll­müt­ze trägt und pfeift, weil ihm mög­li­cher­wei­se kalt ist und ein­sam. Es ist selt­sam, in all den Jah­ren sei­ner Gegen­wart in mei­nem Leben, schei­ne ich kei­nen wei­te­ren Gedan­ken zu sei­ner Per­son hin­zu­ge­fügt zu haben, als wäre der Mann eine abge­schlos­se­ne Geschich­te, die sich exakt wie­der­holt. Plötz­lich, vor weni­gen Minu­ten, die Fra­ge, ob der Mann even­tu­ell in der Zei­tung liest, die er zu den schla­fen­den Men­schen bringt, und ob ihm nicht manch­mal des­halb unheim­lich zumu­te sein könn­te. — stop

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camilla

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hima­la­ya : 5.32 — Ob Camil­la wirk­lich exis­tier­te, ver­mag ich nicht mit Sicher­heit zu sagen. Aber der klei­ne Mann, Feli­pe, der von Camil­la erzähl­te, exis­tiert tat­säch­lich, er hat mir wäh­rend einer mor­gend­li­chen Bus­fahrt die Hand gege­ben, eine klei­ne, raue Hand, die Hand eines Man­nes, der ein Leben lang hart gear­bei­tet haben muss. Ein Fin­ger sei­ner Hand fehl­te, glau­be ich, ja, ich bin mir nicht sicher, ich mei­ne gespürt zu haben, dass etwas fehl­te, sein fes­ter Hän­de­druck, und als ich nach­se­hen woll­te, hat­te Feli­pe sei­ne Hand eilig hin­ter dem Rücken ver­steckt. Ich frag­te ihn, wo er gebo­ren wur­de, er ant­wor­te­te mit einem Namen, der wun­der­schön in mei­nen Ohren klang, einen spa­ni­schen Namen. Er wohn­te in die­ser Stadt sein Leben lang. Fünf­zig Jah­re arbei­te­te er in einer Fabrik, in wel­cher Papie­re erzeugt wur­den, die in der Lage waren, Strom zu lei­ten. Man mach­te aus die­sen merk­wür­di­gen Papie­ren zum Bei­spiel Bücher, die sich in küh­ler Luft erwärm­ten. Beim Schnei­den der Papier­bö­gen könn­te die Geschich­te mit dem Fin­ger pas­siert sein vor lan­ger Zeit, als Camil­la noch nicht in sei­nem Leben gewe­sen war. Wie Feli­pe von Camil­la erzähl­te, leuch­te­ten sei­ne Augen, er ist doch ein groß­ar­ti­ger Erzäh­ler. Dass sie ihn trotz sei­nes feh­len­den Fin­gers lieb­te, erzähl­te er nicht, aber dass sie ein wenig grö­ßer war als er selbst, und dass sie über wun­der­ba­re Ohren ver­füg­te, die wackel­ten, wenn sie lach­te. Mit dem Alter wur­de Camil­la klei­ner. Weil auch Feli­pe klei­ner wur­de, änder­te sich nichts dar­an, dass sie grö­ßer war. Wie ich ihn so sah, neben sei­nem Kof­fer sit­zend im schau­keln­den Bus, dach­te ich dar­an, dass wir noch immer in einer Zeit leben, da Men­schen sich damit abfin­den müs­sen, dass Fin­ger für immer ver­schwin­den, oder Camil­la mit ihren beben­den Ohren. — stop

polaroidwindows

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tian’anmen

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nord­pol : 2.21 — Ich erin­ne­re mich an ein Gespräch vor fünf Jah­ren mit Din. Ihre lei­se sin­gen­de Stim­me. Sie sei, als die Pan­zer kamen, in eine Sei­ten­stra­ße geflüch­tet. Wie sie ihre Augen schloss, wie sie sag­te, sie habe kei­ne Men­schen mehr gese­hen nach kur­zer Zeit, eini­ge Freun­de nur, die sich an Häu­ser­wän­de drück­ten. Die Hand ihrer gro­ßen Schwes­ter. Die Druck­luft, die auf ihrem klei­nen Kör­per beb­te. Aber Men­schen­stil­le. Wie sie nach Wör­tern such­te, nach Wör­tern in deut­scher Spra­che, die geeig­net gewe­sen wären, zu beschrei­ben, was sie in dem Moment, da ich auf die Fort­set­zung ihrer Erzäh­lung war­te­te, hör­te in ihrem Kopf. Das fei­ne, selt­sa­me Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie am Aus­druck mei­ner Augen bemerkt, dass ich wahr­ge­nom­men haben könn­te, dass die Bil­der, die ich wuss­te, tat­säch­lich gesche­hen waren, das Mas­sa­ker auf dem gro­ßen Platz, stol­pern­de Men­schen, Men­schen auf Bah­ren, zer­malm­te Fahr­rä­der, der Mann mit Ein­kaufs­tü­ten in sei­nen Hän­den auf der Para­de­stra­ße vor einem Pan­zer ste­hend. Dann die Flucht ins häus­li­che Leben zurück wie in ein Ver­steck, das stum­me Ver­schwin­den jun­ger Leben für immer. -Du soll­test mit Stäb­chen essen, sag­te Din, das machst Du so, schau! — stop

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lichtbild : damaskus

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fox­trott : 0.15 — Eine hoch­auf­lö­sen­de Foto­gra­fie zeigt eine Stra­ße der Stadt Damas­kus bei Tages­licht. Die­se Stra­ße ist nicht irgend­ei­ne Stra­ße, son­dern eine Stra­ße, die sich in einem von syri­schen Regie­rungs­trup­pen bela­ger­ten Stadt­teil befin­den soll. Davon habe ich Kennt­nis, ich hat­te einen kur­zen Bericht gele­sen, der sich mit jener foto­gra­fier­ten Stra­ße befass­te. Die Häu­ser der Stra­ße sind zer­stört, nicht ganz zum Boden hin gezwun­gen, aber sie sind Rui­nen, sind unbe­wohn­bar gewor­den. Man erzählt, die Stra­ße, ein gan­zer Stadt­teil und die in ihm leben­den Men­schen sei­en voll­stän­dig von der Ver­sor­gung abge­schnit­ten, kein Trink­was­ser, kei­ne Nah­rung. Hun­der­te Men­schen sol­len bereits ver­hun­gert sein. Die Auf­nah­me nun lich­tet tau­sen­de im Infer­no leben­de Men­schen ab, Men­schen, die Bom­ben, Scharf­schüt­zen, Gift­gas und Aus­zeh­rung über­leb­ten, sie haben sich in der Schlucht zer­stör­ter Häu­ser vor der Kame­ra ein­ge­fun­den. Vie­le ste­hen gebeugt, als wür­den sie beten. Ande­re flie­ßen auf den Trüm­mern der Häu­ser­wän­de auf­wärts. Ein Bild wie aus einem Traum, der ein Alb­traum sein muss. Ich kann die Men­schen genau­er betrach­ten, indem ich die Auf­nah­me auf mei­nem Bild­schirm ver­grö­ße­re. Aus einer Men­ge tre­ten ein­zel­ne Men­schen her­vor, ein Mann mit lich­tem Bart und Bril­le, eine jun­ge Frau, die ein grü­nes Kopf­tuch trägt. In dem Moment der Auf­nah­me legt sie ihre Hän­de vor den Mund. Vie­le der Men­schen schei­nen wie die jun­ge Frau in das Objek­tiv der Kame­ra zu bli­cken. Für einen Augen­blick mei­ne ich, dass sie aus ihren Kel­lern gekom­men sein könn­ten, trotz der Gefahr von Ton­nen­bom­ben umge­bracht zu wer­den, um auf die­se Auf­nah­me zu kom­men, um nicht ganz zu ver­schwin­den, ja, das ist denk­bar. Aber ver­mut­lich ist die Wirk­lich­keit die­ser Auf­nah­me eine ande­re, ver­mut­lich wer­de ich nie erfah­ren, war­um die­se Men­schen zusam­men­ge­kom­men sind, so vie­le Men­schen, und wer über­leb­te und wer nicht über­leb­te. — Kin­der. Kei­ne Kin­der. — stop

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