Aus der Wörtersammlung: wand

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nüsse. 20 gramm

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oli­mam­bo : 0.15 — Als ich unlängst von einer Rei­se zurück­kehr­te, ent­deck­te ich Esme­ral­da auf dem Rah­men der Tür zum Arbeits­zim­mer. Die klei­ne Schne­cke hock­te genau dort, wo ich sie vor mei­ner Abrei­se zuletzt gese­hen hat­te. Viel­leicht konn­te sie das Gewicht mei­ner Schrit­te auf der Trep­pe spü­ren, ihre Füh­ler­au­gen jeden­falls waren bereits aus­ge­fah­ren, als ich die Tür zur Woh­nung öff­ne­te. Esme­ral­da schien den heim­keh­ren­den Mann in aller Ruhe zu betrach­ten. Ich über­leg­te, kaum hat­te ich die Woh­nung betre­ten, ob es mög­lich sein könn­te, dass sich das Schne­cken­we­sen in der Zeit mei­ner Abwe­sen­heit nicht von der Stel­le bewegt haben könn­te. Geschäl­te Pekan­nüs­se, die ich im Dezem­ber noch in Küche und Die­le auf den Boden leg­te, waren unbe­rührt. Nun aber, da ich mei­nen Kof­fer aus­pack­te, rühr­te sich Esme­ral­da. Sie schien an Gewicht ver­lo­ren zu haben, war in ihrer Wan­de­rung jedoch so schnell wie üblich, wes­halb ich behaup­ten möch­te, dass Esme­ral­da kei­nen Scha­den genom­men haben dürf­te. Nach einer Wei­le erreich­te sie das Arbeits­zim­mer und klet­ter­te unver­züg­lich zur Decke empor, um direkt über mei­nem geöff­ne­ten Kof­fer Platz zu neh­men. Dort ver­weil­te sie für meh­re­re Stun­den, auch als ich mei­nen Kof­fer längst ent­leert und das Licht im Zim­mer aus­ge­schal­tet hat­te, rühr­te sie sich nicht. Direkt unter ihr, auf dem Sofa, lagen ein Paar Hand­schu­he und ein Notiz­buch. Gegen Mit­ter­nacht mel­de­te sich L. Er berich­te­te, er habe einen Auf­trag ange­nom­men, näm­lich in die Gegend von Nar­vik zu rei­sen, um zwei­hun­dert tief­ge­fro­re­ne Seen, die noch ohne Namen sein sol­len, zu bezeich­nen. Als ich kurz dar­auf in mein Arbeits­zim­mer zurück­kehr­te, genau in dem Moment, da ich das Licht anschal­te­te, ließ Esme­ral­da sich von der Decke fal­len. Sie lan­de­te weich auf mei­nen Hand­schu­hen. Ein unglaub­li­cher Anblick, es schien, als wür­de die Schne­cke in dras­ti­scher Wei­se mit mir kom­mu­ni­zie­ren. Indem ich sie in die Luft hob, ver­such­te sie ver­geb­lich, sich in ihr Haus zurück­zu­zie­hen. Jetzt wie­der Ruhe. Nebel­nacht. — stop

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Viktoria og Marit Ansethmoen

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sier­ra : 6.50 — Ich beob­ach­te­te einen älte­ren Mann, der auf einer Fahrt von Man­hat­tan nach Sta­ten Island Schrift­zei­chen in die höl­zer­ne Sitz­bank einer Fäh­re gra­vier­te. Ein kal­ter Win­ter­tag, der Mann war sport­lich geklei­det, rote Wind­ja­cke, Lapp­land­müt­ze, Wan­der­schu­he, dazu Fäust­lin­ge, die sei­ne kräf­ti­gen Hän­de schütz­ten. Er war über­haupt von mäch­ti­ger Sta­tur gewe­sen. Ich hat­te die Vor­stel­lung, dass es sich um einen Nor­we­ger oder Fin­nen gehan­delt haben könn­te. Als der Mann das Schiff betrat, folg­te ich ihm, setz­te mich in sei­ner Nähe nie­der. Leich­ter See­gang, die Schei­ben des unte­ren Decks waren von der Salz­gischt geblen­det, drau­ßen bedeck­te eine Eis­krus­te die Pro­me­na­de der Fäh­re. Wäh­rend der Über­fahrt, da ich den alten Mann beob­ach­te­te, spiel­ten ein paar schwarz­häu­ti­ge Jungs wun­der­bar schep­pern­den Blues auf Metall­gi­tar­ren. Eine Hand­voll Schul­kin­der toll­ten her­um. Das Horn des Schif­fes grüß­te in die Luft der Upper New York Bay wie immer. Da begann der alte Mann vor mei­nen Augen mit einem Klapp­mes­ser sei­ne Arbeit. Er ver­füg­te über eine schö­ne Schrift. Wäh­rend er arbei­te­te, schien er kei­nen Blick für sei­ne Umge­bung zu haben, er mach­te das so wie einer, der meint, er sei nicht sicht­bar, solan­ge er fest an sei­ne Unsicht­bar­keit glaubt. Eine gute Vier­tel­stun­de schnitz­te er vor sich hin. Dann pack­te er sein Mes­ser in sei­nen Ruck­sack und ver­ließ das Schiff mit allen ande­ren Pas­sa­gie­ren. Kaum waren wir an Land, stell­te ich mich in die War­te­schlan­ge Rich­tung Man­hat­tan, um sofort wie­der zurück auf das­sel­be Schiff zu gelan­gen, mit dem ich zur Insel hin gefah­ren war. Nur weni­ge Minu­ten spä­ter nahm ich genau an der Stel­le Platz, an der der Mann gear­bei­tet hat­te. Auf dem Boden des Schif­fes lag ein Häuf­chen dunk­ler Spä­ne, in den Sitz ein­gra­viert ein Name: Vik­to­ria og Marit Ans­eth­moen. Dem Namen folg­te eine Zif­fer: No 7563. Die­se Zif­fer, und den dazu­ge­hö­ri­gen Namen, ent­deck­te ich ges­tern in einem Notiz­buch wie­der, das ich damals geführt hat­te wäh­rend win­ter­li­cher Fahr­ten auf Sta­ten Island Fäh­ren. Noch immer weiß ich nicht, was die­se Zahl bedeu­ten könn­te, und war­um der alte Mann den Namen einer Frau in die Sitz­bank des Schif­fes ein­ge­tra­gen hat­te. Heu­te Nacht die Vor­stel­lung, ich könn­te mei­nen Text in die nor­we­gi­sche Spra­che über­set­zen las­sen, um ihn der digi­ta­len Sphä­re zu über­ge­ben: Alter Man­hat­tan­mann, mel­den Sie sich bit­te. Code: Vik­to­ria og Marit Ans­eth­moen / No 7563 — stop

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übersee

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tan­go : 6.36 — Am Flug­ha­fen mor­gens um 5 Uhr lehnt ein Mann an einer Wand nahe der Abflug­ter­mi­nals Rich­tung Über­see. Sein Kof­fer, als wür­de er war­ten, steht neben dem Mann ganz still. Der Mann, Augen geschlos­sen, scheint zu schla­fen. Bei­de Arme hän­gen lose am Kör­per. Als ich näher­kom­me, sehe ich, dass der Mann ein Ohr an die Wand presst. Er scheint die Wand zu belau­schen. Viel­leicht, den­ke ich, sind in der Wand alle Wör­ter gespei­chert, die in ihrer Nähe je gespro­chen wur­den. Der Mann könn­te über ein außer­or­dent­li­ches Gehör ver­fü­gen, über fra­gen­de Ohren, die Ant­wor­ten pro­vo­zie­ren. Ein Pas­sa­gen­ge­dan­ke, ein Gedan­ke im Vor­über­ge­hen, ein Sekun­den­ge­schöpf, wenn ich die­sen Mann nicht mehr­fach an genau die­ser Stel­le in genau die­ser beschrie­be­nen Hal­tung ange­trof­fen hät­te. Der Mann trägt einen dunk­len Anzug, Kra­wat­te, hell­brau­ne, ele­gan­te Leder­schu­he. Ich habe kei­ne Vor­stel­lung, wel­che Far­be die Far­be sei­ner Augen sein könn­te. Auch wenn ich den Mann sofort noch ein­mal erfin­de, fällt mir die Far­be sei­ner Augen nicht ein. — stop
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bristolhotel

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alpha : 2.26 — Fol­gen­de Per­son, ein Mann, könn­te rei­ne Erfin­dung sein. Der Mann war mir wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges auf­ge­fal­len, das heißt, ich hat­te einen Ein­fall oder eine Idee, oder ich mach­te viel­leicht eine Ent­de­ckung. Ich könn­te von die­ser Per­son, die sich nicht weh­ren kann, behaup­ten, dass sie nicht ganz bei Ver­stand sein wird, weil sie seit lan­ger Zeit in einem Hotel­zim­mer lebt, wel­ches sie nie­mals ver­lässt. Das Hotel, in dem sich die­ses Zim­mer befin­det, erreicht man vom Flug­ha­fen der nor­we­gi­schen Stadt Ber­gen aus in 25 Minu­ten, sofern man sich ein Taxi leis­ten kann. Es ist das Bris­tol, unweit des Natio­nal­thea­ters gele­gen, dort, im drit­ten Stock, ein klei­nes Zim­mer, der Boden hell, sodass man mei­nen möch­te, man spa­zier­te auf Wal­kno­chen her­um. Nun aber zu dem Mann, von dem ich eigent­lich erzäh­len will. Es han­delt sich um einen wohl­ha­ben­den Mann im Alter von fünf­zig Jah­ren. Er ist 176 cm groß, gepflegt, kaum Haa­re auf dem Kopf, wiegt 73 Kilo­gramm, und trägt eine Bril­le. Sie­ben wei­ße Hem­den gehö­ren zu ihm, Strümp­fe, Unter­wä­sche, dun­kel­brau­ne Schu­he mit wei­chen Soh­len, ein hell­grau­er Anzug und ein Kof­fer, der unter dem Bett ver­wahrt wird. Auf einem Tisch nahe einem Fens­ter, zwei Hand­com­pu­ter. In den Anschluss des einen Com­pu­ters wur­de ein USB-Spei­cher­me­di­um ein­ge­führt. Auf dem Bild­schirm sind Ver­zeich­nis­se und Datei­na­men zu erken­nen, die sich auf jenem Spei­cher­me­di­um befin­den. Auf dem Bild­schirm des zwei­ten Com­pu­ters ein ähn­li­ches Bild, Ver­zeich­nis­se, Datei­na­men, Zeit­an­ga­ben, Grö­ßen­ord­nun­gen. Was wir sehen, sind Com­pu­ter des Man­nes, der Mann arbei­tet in Ber­gen im Bris­tol im Zim­mer auf dem Kno­chen­bo­den. Er sitzt vor den Bild­schir­men und öff­net Datei­en, um sie zu ver­glei­chen, Tex­te im Block­satz. Zei­le um Zei­le wan­dert der Mann mit­hil­fe einer Blei­stift­spit­ze durch das Gebiet der Wor­te, die ich nicht lesen kann, weil sie in einer Spra­che notiert wur­den, die mir unbe­kannt. Es scheint eine ver­schlüs­sel­te Spra­che zu sein, wes­halb der Mann dazu gezwun­gen ist, jedes Zei­chen für sich zu über­prü­fen. Fünf Stun­den Arbeit am Vor­mit­tag, fünf Stun­den Arbeit am Nach­mit­tag, und wei­te­re fünf Stun­den am Abend bis in die Nacht. Der Mann trinkt Tafel­was­ser, raucht nicht, und isst gern Fisch, Dorsch, See­teu­fel, Stein­butt. 277275 Datei­en sind zu über­prü­fen, 12.532.365 Sei­ten. Er scheint noch nicht sehr weit gekom­men zu sein. Die Vor­hän­ge der Fens­ter sind zuge­zo­gen, es ist ohne­hin gera­de eine Zeit ohne Licht. Ein Mäd­chen, das ihm manch­mal sei­nen Fisch ser­viert, macht ihm schö­ne Augen. Mor­gens sind die Hör­ner der Schif­fe zu ver­neh­men, die den Hafen der Stadt ver­las­sen. Es ist der 1. Dezem­ber 2013. — stop
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auf ellis island

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echo : 6.27 — An einem schwül­war­men Tag besuch­te ich Ellis Island. Gewit­ter waren auf­ge­zo­gen, der Him­mel über Man­hat­tan blei­grau. Trotz­dem fuh­ren klei­ne wei­ße Schif­fe von Bat­tery Park aus los, um Besu­cher auf die frü­he­re Qua­ran­tän­e­insel zu trans­por­tie­ren. Ehe man an Bord gehen konn­te, wur­de jeder Pas­sa­gier sorg­fäl­tig durch­sucht, Taschen, Schu­he, Com­pu­ter, Foto­ap­pa­ra­te. Ein grie­chi­scher Herr von hohem Alter muss­te mehr­fach durch die Strah­len­schleu­se tre­ten, weil das Gerät Metall alar­mier­te. Er schwitz­te, er mach­te den Ein­druck, dass er sich vor sich selbst zu fürch­ten begann, auch sei­ne Fami­lie schien von der erns­ten Pro­ze­dur der­art beein­druckt gewe­sen zu sein, dass ihnen ihr gelieb­ter Groß­va­ter unheim­lich wur­de. Die Über­fahrt dau­er­te nur weni­ge Minu­ten. Es begann hef­tig zu reg­nen, das Was­ser wur­de grau wie der Him­mel, Pus­teln, Tau­sen­de, blink­ten auf der Ober­flä­che des Mee­res. Im Café des Ein­wan­der­mu­se­ums kämpf­ten hun­der­te Men­schen um frit­tier­te Kar­tof­feln, gebra­te­ne Hüh­ner­vö­gel, Him­beer­eis, Sah­ne, Bon­bons. Ihre Beu­te wur­de in den Gar­ten getra­gen. Dort Son­nen­schir­me, die der Wind, der vom Atlan­tik her weh­te, davon­zu­tra­gen droh­te. Am Ufer eine her­ren­lo­se Dreh­or­gel, die vor sich hin dudel­te, Fah­nen knall­ten in der Luft. Über den san­di­gen Boden vor dem Zen­tral­haus tanz­ten hand­tel­ler­gro­ße Wir­bel von Luft, hier, genau an die­ser Stel­le, könn­te Mary Mal­lon im Alter von 15 Jah­ren am 12. Juni 1895 sich ihre Füße ver­tre­ten haben, ehe sie mit Typhus im Blut nach Man­hat­tan ein­rei­sen durf­te. Ihr Schat­ten an die­sem Tag in mei­nen Gedan­ken. Ein wei­te­res Gewit­ter ging über Insel und Schif­fe nie­der, in Sekun­den leer­te sich der Park. Dann kamen die Möwen, gro­ße Möwen, gel­be Augen, sie raub­ten von den Tischen, was sie mit sich neh­men konn­ten. Wie ein Sturm gefie­der­ter Kör­per stürz­ten sie vom Him­mel, es reg­ne­te Kno­chen, Ser­vi­et­ten, Bestecke. Unter einem Tisch kau­er­te ein Mäd­chen, die Augen fest geschlos­sen. – stop
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batavia

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gink­go : 22.16 — Ich bin nahe dar­an, mich an die Exis­tenz der Schne­cke Esme­ral­da zu gewöh­nen, die am 20. Okto­ber in der Gestalt eines Geschenks zu mir gekom­men war. Es ist so, dass ich nun behut­sam durch mei­ne Woh­nung lau­fe, auch nie­mals im Dun­keln, Esme­ral­da könn­te viel­leicht gera­de über den Boden wan­dern. Alle Türen ste­hen offen, manch­mal muss ich län­ge­re Zeit nach der klei­nen Schne­cke suchen. Heu­te Mor­gen saß sie an der Decke mei­nes Arbeits­zim­mers, das war zum ers­ten Mal, ich ent­deck­te sie nach einer Stun­de, ich hat­te sogar hin­ter den Kühl­schrank geschaut, einen Tisch, drei Lam­pen, Stüh­le und zwei Kom­mo­den ver­rückt. Eine Schne­cke, mit einem Schne­cken­haus auf dem Rücken, erscheint als äußerst zer­brech­li­ches Wesen, gera­de dann, wenn sie über einem Abgrund wan­delt. Eine hal­be Stun­de beglei­te­te ich Esme­ral­da auf ihrem Weg von Ost nach West. Ich hör­te, wie ich mit ihr sprach. Esme­ral­da, sag­te ich, Esme­ral­da! Hielt indes­sen einen Hut in der Hand, um Esme­ral­da im Not­fall auf­fan­gen zu kön­nen. Gegen den Abend zu, sie hat­te eine Wei­le in einem Meter Höhe an der Wand neben mei­nen Büchern aus­ge­ruht, erreich­te sie den Boden, kroch von West nach Ost quer durch mein Zim­mer, um an der gegen­über­lie­gen­den Wand wie­der zur Decke hin auf­zu­stei­gen. Ich lock­te mit einem Stück­chen Apfel, ver­geb­lich. Ich zog Esme­ral­da an ihrem Häus­chen von der Wand, setz­te sie in der Küche neben einem Blatt Bata­via­sa­la­tes ab, auch das war nicht erfolg­reich gewe­sen. Esme­ral­da wen­de­te unver­züg­lich, klet­ter­te vom Tisch, um am spä­ten Abend genau jenen Ort wie­der zu errei­chen, den sie zuvor ein­ge­nom­men hat­te. Nach wie vor wun­de­re ich mich dar­über, dass Esme­ral­da ihr Gehäu­se wie ein Schmuck­stück auf dem Rücken zu tra­gen pflegt. Ich habe noch nie wahr­ge­nom­men, dass sie sich in ihr Häus­chen zurück­ge­zo­gen hät­te. Ihr Kör­per ist feucht, ihre Stiel­au­gen sin­ken manch­mal zu Boden, das ist der Moment, da sie zu schla­fen scheint. — stop

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schwarzweißballone

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india : 6.52 — Auf einer Schwarz-Weiß-Foto­gra­fie, die ich in den Maga­zi­nen mei­nes Vaters ent­deck­te, sind Wan­de­rer im Gebir­ge zu sehen. Die Auf­nah­me wur­de irgend­wann in den 20er-Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts gefer­tigt, 1926 oder 1928, undeut­li­che Schrift­zei­chen ver­hin­dern genaue­re Bestim­mung. Ich hat­te ein Ver­grö­ße­rungs­glas zu Hil­fe genom­men, um in die Tie­fe der Foto­gra­fie vor­drin­gen zu kön­nen. Acht Men­schen sind zu erken­nen, eini­ge lachen, ande­re schei­nen doch erschöpft zu sein. Sie sind in der Pha­se des Auf­stiegs fest­ge­hal­ten. Ein sehr stei­ler Pfad. Jen­seits die­ses Pfa­des ein Abgrund. Die Wan­de­rer haben Stö­cke in der Hand, Hüte auf dem Kopf, fes­te, schwe­re Schu­he an den Füßen. Bemer­kens­wert ist, dass sie kei­ne Ruck­sä­cke auf dem Rücken tra­gen. Im Bild­aus­schnitt sind außer­dem kei­ne Trä­ger zu sehen, weder Mulis noch Pfer­de, statt­des­sen eini­ge Stein­bö­cke am obe­ren Bild­rand. Dort vor allem Fel­sen, kein Him­mel, eini­ge Lat­schen­kie­fern. Ich leg­te die Foto­gra­fie zur Sei­te. Eini­ge Zeit spä­ter bemerk­te ich unter wei­te­ren Foto­gra­fien, eine zwei­te Schwarz-Weiß-Foto­gra­fie der Wan­der­grup­pe. Sie hat­te nun einen Grat erreicht, Him­mel ist zu sehen, Him­mel ohne Wol­ken. Einer der Män­ner deu­tet abwärts ins Tal. Die Grup­pe scheint ins­ge­samt ange­hal­ten zu haben. Sie besteht noch immer aus acht Per­so­nen. Über die­sen Per­so­nen schwe­ben hel­le Bal­lo­ne, die mit den Men­schen ver­bun­den gewe­sen sein müs­sen, da sie sich je in der­sel­ben Höhe über den Köp­fen der Wan­de­rer befin­den. Unter den Bal­lo­nen hän­gen Körb­chen, in wel­chen sich Waren befin­den, die nur undeut­lich aus dem Pixel­sand des Bil­des tre­ten, Ahnun­gen. Ich hat­te Bal­lo­ne die­ser Art bis dahin weder mit eige­nen Augen gese­hen, noch hat­te ich je von der Erfin­dung flie­gen­der Ruck­sä­cke gehört. Die Foto­gra­fien waren ohne jede Beschä­di­gung, nur etwas gewölbt, als wären sie für kur­ze Zeit feucht gewor­den. Kein Hin­weis auf Ort oder Urhe­ber der Arbei­ten. Viel­leicht Auf­nah­men mei­nes Groß­va­ters, den ich nie per­sön­lich ken­nen­ge­lernt habe, Auf­nah­men, die weni­ge Jah­re vor der Geburt mei­nes Vaters ange­fer­tigt sein müss­ten. Sie schwe­ben nun selbst frei, ohne leben­de Zeu­gen, wie Bal­lo­ne in der Zeit her­um. — stop
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ballon

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sier­ra : 0.58 — Heu­te ist es mir gelun­gen, von einem Fens­ter aus, den ers­ten Flug­kör­per mei­nes erwach­se­nen Lebens auf­stei­gen zu las­sen. Ich hat­te eine Fla­sche Heli­um bestellt, eine Samm­lung roter, kugel­för­mi­ger Foli­en­bal­lo­ne, sowie fes­ten Zwirn. Alle die­se Din­ge wur­den an dem­sel­ben Tag per Post gelie­fert, ein erstaun­li­cher Vor­gang für sich. Ich notier­te also mei­ne Adres­se hand­schrift­lich auf eine Kar­te, die ich etwas spä­ter in einen trans­pa­ren­ten, was­ser­fes­ten Umschlag steck­te, sowie eine klei­ne Bot­schaft, die davon erzähl­te, dass vor­ge­fun­de­ne Kar­te, die ers­te Luft­post­kar­te gewe­sen sei, die ich über­haupt jemals abge­schickt haben wür­de. Es war Nach­mit­tag und es war noch hell. Der Bal­lon, den ich ver­suchs­wei­se mit Gas füt­ter­te, stieg an die Decke mei­ner Küche, um von dort aus lang­sam in Rich­tung mei­nes Wohn­zim­mers zu wan­dern. Am spä­ten Abend dann, vor Kur­zem, es war natür­lich dun­kel gewor­den, mein­te ich, von der Dich­te des Bal­lons über­zeugt zu sein, befes­tig­te mei­ne Kar­te, öff­ne­te das Fens­ter, und der Bal­lon stieg lang­sam auf. Er ist jetzt seit drei Stun­den unter­wegs, und selbst­ver­ständ­lich längst unsicht­bar gewor­den. — stop

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wesen

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echo : 5.11 — In einem Pro­to­koll der Google­such­ma­schine wur­de der Hin­weis ent­deckt, dass ich am 22. Okto­ber 2013 nach einem Eich­hörn­chen namens Fran­kie gesucht haben soll. Kann mich an die­sen Such­vor­gang erin­nern. Auch mein Inter­es­se für Inge­borg Bach­mann war notiert, mei­ne Fahn­dung nach Bil­dern, die his­to­ri­sche Luft­post­schach­kar­ten zei­gen, See­ane­mo­nen­bäu­me, wie schnell sie wan­dern, was sie fres­sen, wo sie leben. Bemer­kens­wert scheint mir zu sein, dass ich über­zeugt gewe­sen war, den Pro­to­koll­dienst der Such­ma­schi­ne vor län­ge­rer Zeit bereits aus­ge­schal­tet zu haben. — stop
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