lima : 3.28 — Seit Jahren, Nacht für Nacht gegen drei Uhr, höre ich das Pfeifen eines Zeitungsboten, der auf einem Fahrrad von Osten her in unsere Straße kommt, um nach einer Schleife von wenigen Minuten, die ihn westwärts führt, wieder zu verschwinden. Ich bin ihm in dieser langen Zeit nie persönlich begegnet, und ich kann auch nicht mit Sicherheit sagen, welche Zeitung er in die Briefkästen unseres Hauses steckt. Ein einziges Mal habe ich neugierig aus dem Fenster gespäht, ich erinnere mich an eine bitterkalte Nacht. Die Gestalt des Mannes war weit entfernt zu sehen gewesen, er trug eine Wollmütze, Handschuhe und eine Lederjacke, das ist vielleicht der Grund, weshalb er auch in heißen Sommernächten in meinen Augen weiterhin eine Wollmütze trägt und pfeift, weil ihm möglicherweise kalt ist und einsam. Es ist seltsam, in all den Jahren seiner Gegenwart in meinem Leben, scheine ich keinen weiteren Gedanken zu seiner Person hinzugefügt zu haben, als wäre der Mann eine abgeschlossene Geschichte, die sich exakt wiederholt. Plötzlich, vor wenigen Minuten, die Frage, ob der Mann eventuell in der Zeitung liest, die er zu den schlafenden Menschen bringt, und ob ihm nicht manchmal deshalb unheimlich zumute sein könnte. — stop
Aus der Wörtersammlung: zeitung
ein junge
india : 7.08 — Im Café No 5 unter dem Flughafenterminal beobachtete ich einen Mann, der sich äußerst sparsam, lange Zeit überhaupt nicht bewegte. Auf dem Tisch vor ihm lag eine Zeitung, neben der Zeitung Folgendes: eine Tasse Kaffee, ein Glas Wasser, Zuckerwürfel, Notizblock und Bleistift. Eine halbe Stunde verging in dieser Weise, die Hände des Mannes ruhten in seinem Schoß. Einmal rückte der Mann seinen Koffer, der hinter ihm an der Wand parkte, ein kleines Stück zur Seite, ein andermal hob er seine Kaffeetasse in die Luft, um sie in einem Zug auszutrinken. Dann wieder keinerlei Bewegung, der Mann schien kaum zu atmen. Er reagierte weder auf Lautsprecherdurchsagen noch kümmerte er sich um Menschen, die das Café auf Laufbändern passierten, es waren viele chinesische Reisende darunter, die gerade erst aus Shanghai und Peking in großen Flugzügen eingetroffen waren. Der Mann starrte auf eine Schwarz-Weiß-Fotografie, die auf der Titelseite einer Zeitung abgedruckt worden war. Ein Junge lag dort unbekleidet auf einer Bastmatte mitten auf einer schmutzigen, feuchten Straße. In einiger Entfernung, im Hintergrund, warteten Menschen, die den Jungen beobachteten. Der Junge schwitze, seine schwarze Haut war von Fliegen bedeckt, er sah mit halb geschlossenen Augen zu einem Wesen hin, das in einem Schutzanzug steckte. Anstatt eines Kopfes war auf den Schultern des Wesens ein Helm zu sehen, eine zerknitterte Haube, genauer, die unter Luftdruck zu stehen schien. Das Wesen hatte seine rechte Kunststoffhand nach dem Jungen, der einsam auf dem Boden liegend verharrte, ausgestreckt, es wollte ihn vielleicht ermutigen, aufzustehen und zu ihm an den Rand der Straße zu kommen. Obwohl sich die Hand nicht bewegte, vermittelte sie den Eindruck, dass sie sich bewegt haben musste und weiterhin bewegen würde, weil die Stellung ihrer Finger nur in dieser vermuteten Bewegung einen Sinn ergab. Ja, diese Hand musste in der Zeit des Bildes eine winkende Hand gewesen sein, aber es war deutlich zu sehen, dass der Junge vermutlich nicht länger die Kraft hatte, aufzustehen oder zu kriechen oder etwas zu sagen, zu rufen, zu flüstern, oder die Fliegen auf seinem Körper zu vertreiben. Es war still, vollkommen still, nichts zu hören. — stop
ein brief
india : 5.56 — Ich entdeckte eine Nachricht in meinem Briefkasten, eine nicht zustellbare Sendung würde im Postamt auf mich warten. Einen Tag später, so gut wie sofort, war ich dort gewesen. Ich stand in einer Schlange von Menschen und überlegte, um welche Sendung, die auf mich in nächster Nähe wartete, es sich handeln könnte. Es war ein nebliger Tag. Möwen waren vom Fluss her tief in die Stadt vorgedrungen. Obwohl eigentlich eher scheue Persönlichkeiten, hockten sie auf dem Fenstersims des Postamtes, als würden sie uns beobachten, Menschen, wie sie warteten, in dem sie langsam in eine Richtung zu einer Schalterreihe vorrückten. Es war eine längere Schlange. Ich holte mein Mobiltelefon heraus und las in einer Zeitung, dass in einer nördlich der Stadt Bagdad gelegenen Gegend Senfgas entdeckt worden sein soll zu einem Zeitpunkt, da es nicht existierte. Es ist sehr merkwürdig, man kann sich in einem Bericht dieser Art verlieren und kommt doch gut voran in einer Schlange von Menschen, ohne berührt zu werden. Nach einer Viertelstunde war ich am Ziel angekommen, ein Schalterbeamter, der sich ganz offensichtlich freute, überreichte mir einen winzigen Brief. Der Brief war derart klein, dass er zunächst zwischen der Beere des Zeigefingers und der Daumenspitze des Mannes, die den Brief fixierten, vollständig verschwand. Kurz darauf hob er den Brief mittels einer Pinzette in die Luft, um ihn auf dem Tresen vor mir abzulegen. Der Mann reichte mir eine Lupe, ich solle mich vergewissern, die Briefmarke fehle. Tatsächlich war auf der Anschriftenseite des Kuverts mein vollständiger Name und meine Adresse vermerkt, eine Briefmarke aber war nicht zu entdecken, vermutlich deshalb, weil Briefmarken für Briefe dieser Größe noch nicht ausgeliefert worden sind. Der Beamte sagte, dass es sich bei diesem Brief, um den kleinsten Brief handele, den er je bearbeitet haben würde, ich sollte ihn gut verwahren: 65 Cent. Der Brief liegt jetzt auf meinem Küchentisch. Ich habe ihn noch immer nicht geöffnet. Es ist kurz vor fünf Uhr. Wieder Nebel. — stop
london tube
echo : 6.50 — In einem Tunnel des Londoner U‑Bahnsystems kauerten Menschen auf dem Boden. Kaum Licht, eine düstere Szene, die ein unbekannter Fotograf aufgenommen hatte, Anfang der 40er-Jahre. Bretter waren über U‑Bahngeleise gelegt. In dieser Weise entstanden unter der Stadt Flächen, die Menschen begehen, auf welchen sie sitzen oder liegen konnten. Auch Kinder waren zu sehen, sie trugen Röcke, Schuluniformjacken und sehr kleine Schuhe. Auf einem Schaukelpferd saß ein Junge, der schon älter gewesen war. Er bewegte sich vielleicht in dem Moment der Aufnahme, weshalb er etwas unscharf wiedergegeben wurde. In seiner unmittelbaren Nähe lehnte eine junge Frau mit dem Rücken zur Wand, sie las in einem Buch oder war eingeschlafen. Ich erinnere mich, dass ich die Fotografie, die ich aus einer Zeitung geschnitten hatte, einmal mit einer Lupe betrachtete. Irgendwann hatte ich sie vergessen. Gestern Abend nun kehrte sie aus meinem Gedächtnis zurück. – Neun Uhr in Luhansk, Ukraine. Zehn Uhr in Mossul, Irak. stop
ohne radioradar
nordpol : 1.55 — Eine stille Arbeitsnacht. Auf dem Tisch in der hölzernen Küche unter dem Dach stapeln sich Tonspulen, die ich nach Zeitpunkt der Aufnahme oder den Namen der Personen, die ich befragte, sortierte: Katinka 1 — 3. Vor wenigen Minuten war ich kurz eingeschlafen, ohne vom Stuhl zu fallen. Balance scheint möglich zu sein, oder ich habe nicht sehr tief geschlafen. Als ich erwachte, saß Esmeralda vor mir auf dem Tisch. Sie betrachtete mich. Ihre Fühleraugen bewegten sich äußerst langsam auf und ab. Dann setzte sie sich in Bewegung, wendete sich einer Banane zu, die auf dem Teller lag, dort schien sie bald eingeschlafen zu sein. Ich kann sie derzeit berühren, ihren schimmernden Leib, sie flüchtet nicht, sie ist kühl und sie riecht nach Eisen und Regen und etwas nach Salz. Gestern hatte ich mich wieder einmal gefragt, ob Esmeralda vielleicht in der Lage sei, zu hören. Ich machte mich sofort auf den Weg zum Computer, um nachzuforschen, ob Schnecken über ein Gehör verfügen. Dann klingelte das Telefon, eine Stunde später erinnerte ich mich, dass ich nach den Ohren der Schnecken fragen wollte. Heute aber ist eine solche Nacht, da ich nichts wissen will, auch nicht ob Esmeralda hören kann, wenn ich pfeife oder spreche. In meiner Nähe, sie schlafen vermutlich gerade, existieren Personen, die nichts ahnen vom Morden in der Ukraine, von Viren, die in Afrika Menschen befallen, von Flüchtlingen, die durch das Singschar — Gebirge irren. Sie lesen keine Zeitung, sie besitzen weder Radio noch Fernsehgerät, aber sie lesen Bücher, die sich immer sehr weit hinter der Jetztzeit bewegen. — stop
papiere in zügen
delta : 0.08 — Ich erinnerte mich an einen Mann, dem ich vor zwei Jahren in einem New Yorker U‑Bahnzug begegnet war. Der Mann saß gleich vis-à-vis, sein Rücken lehnte an der Wand des Waggons, er hatte die Beine übereinander geschlagen, trug ramponierte, blaue Turnschuhe, und einen hellgrauen Anzug, ein weißes Hemd zudem, sowie eine grellbunte Krawatte, deren Knoten locker vor einem langen, schmalen Hals schaukelte. Ich hatte damals den Eindruck, dass der Mann sich freute, weil ich ihn beobachtete, indem er Zeitungen durchsuchte, die sich auf dem Sitzplatz neben ihm türmten, und zwar in einer sehr sorgfältigen Art und Weise durchsuchte, jede der Zeitungen Seite für Seite. Er schien Übung zu haben in dieser Arbeit, seine Augen bewegten sich schnell und ruckartig, wie die Augen eines Habichts, hin und her. Von Zeit zu Zeit hielt er inne, sein Kopf neigte sich dann leicht nach vorn, um mit einer Schere einen Artikel oder eine Fotografie aus der Zeitung zu schneiden. Das Rascheln des Papiers. Und das helle, ziehende Geräusch der Schere, wie es die Seiten zerteilte. Ich notierte in mein Notizbuch: Ein verrückter Mann, ich werde ihm nie wieder begegnen. Diese Notiz habe ich heute bemerkt unter weiteren Notizen, die sich mit dem geduldigen Schlafen in U‑Bahnzügen beschäftigen. Ich frage mich nun, wie ich darauf gekommen sein könnte, den beobachteten Mann als verrückt zu bezeichnen. Vielleicht deshalb, weil ich mir vorgestellt hatte, wie der Mann leben könnte. Ich glaube, ich stellte mir das Leben eines Verrückten vor. In seiner Wohnung türmten sich Zeitungen, Tische, Stühle, Schränke existierten nicht, aber ein Bett, das von Papieren bedeckt war. Auch in der Wohnung, oder gerade eben dort, wurden Zeitungen durchsucht, neuere oder ältere Zeitungen, die der Mann während seiner täglichen Spazierfahrten durch die Stadt mit sich nahm. Eigentlich las der Mann die Zeitungen nicht wirklich, sondern nur Überschriften. Sobald er eine bemerkenswerte Überschrift entdeckte, wurde der dazugehörende Artikel gesichert, Artikel, die sich beispielsweise mit Blumen, Afrika, Ozeanografie, Geheimdiensten, Waffensystemen, Hungersnöten oder erzählender Literatur beschäftigten. Hunderttausende Schriftstücke waren so über viele Jahre gesammelt worden, eine faszinierende Tätigkeit, eine Arbeit, die den Mann glücklich gemacht haben könnte, ich vermute, weil er vor sich selbst verheimlichte, dass er seine gesammelten Dokumente niemals lesen wird, weil seine Lebenszeit nicht ausreichte, selbst dann nicht, wenn er das Sammeln einstellen und mit der Lektüre seiner Beweisstücke ohne Verzug beginnen würde. — stop
lissabon
nordpol : 22.01 — Unter Zeitungen, die sich in meinem Briefkasten befanden, entdeckte ich eine seltsame Postkarte. Auf der einen Seite des Papiers war die Stadt Lissabon zu erkennen, eine gelbe Trambahn zwischen Häusern einer steil ansteigenden Straße. Es muss später Abend gewesen sein, als die Aufnahme gefertigt wurde. Menschen sitzen in beleuchteten Abteilen, einige schlafen, andere schauen aus den Fenstern der Waggons heraus. Wie ich sie betrachtete, die Überlegung, manche der fotografierten Menschen könnten vielleicht nicht mehr unter uns Lebenden sein, weil ihr Licht bereits Anfang der Fünfzigerjahre eingefangen wurde. Das jedenfalls ist so auf der Rückseite der Ansichtskarte vermerkt, Lisboa 1952. Ihr Postwertzeichen, das tatsächlich in Lissabon abgestempelt worden war, ist eines, wie man sie zu jener Zeit verwendete, sodass ich vermutete, die Postkarte habe eine sehr lange Reisezeit hinter sich gebracht. Sie ist in meinen Augen überhaupt eine erstaunliche Erscheinung. In diesem Moment ruht sie im Nachtlicht auf meinem Schreibtisch. Wörter, die ich nicht kenne. Nicht einmal die Buchstaben, die Wörter bilden, vermag ich zu entziffern, äußert feine Zeichen, eine Art geheimer Schrift, Malerei, die viele Stunden Arbeit gefordert haben dürfte. Merkwürdig vor allem, auf der Postkarte ist keine Anschrift zu finden. Sosehr ich nach meinem oder einem anderen Namen suchte, nichts ist zu entdecken, was eine Begründung dafür darstellen könnte, dass gerade ich diese Karte erhalten sollte. Ich habe keine Vorstellung, wer sie geschrieben haben könnte, auch nicht, ob eine Anschrift versehentlich oder mit Absicht vergessen wurde. — Dämmerung. Fledermäuse zwitschern durch die Luft. Vor wenigen Tagen ist Urs Widmer gestorben, vor genau zwei Jahren mein Vater um 17.32 Uhr. — stop
tarasa shevchenko boulevard
alpha : 3.12 — Auf Nachtbänken schlafen Menschen, ärmlich gekleidete Personen. Sie liegen mit ihrem Kopf auf Taschen, in welchen sich Ausweise und Geld befinden. Sobald Menschen schlafen, erscheinen sie in meinen Augen wie Kinder, sie wirken zerbrechlich, auch wenn sie bärenstarke Männer sind, die vor Wochen noch in Rumänien oder Bulgarien lebten. Staubig sind sie geworden, ein strenger Geruch geht von ihren Körpern aus. Wenn sie wach werden am Morgen, wenn sie im goldenen Licht der Flughafentransferräume sitzen, die Luft duftet nach frischem Gebäck und Kaffee, schauen sie mit todmüden, geröteten Augen in den Strom der Passagiere, feine, edle Gestalten dort, viele scheinen fröhlich zu sein, sie führen flache Computer mit sich und Bordzeitungen, sind in graue oder blaue Anzüge gehüllt, in Begleitung schwebender oder rollender Koffer. Es ist kurz nach sechs Uhr. Langstreckenflugzeuge sind gelandet, New York, Los Angeles, Peking, Mumbai, Buenos Aires, Ottawa. Vor einer Rolltreppe warten zwei Frauen. Die eine der Frauen erzählt eine Geschichte in deutscher Sprache mit russischem Akzent. Ich bleibe stehen, ich höre zu. Es ist eine Geschichte, die von der Stadt Kyjiw handelt. Sie sei, sagt die Frau, im Juli des Jahres 1986 nach Kyjiw gekommen, um dort zu singen, das heißt, ein Konzert zu geben. Sie erinnere sich an bleigraue Rohre, die allerorten entlang der Häuserwände in den Straßen verlegt worden seien. Wasser strömte aus diesen Rohren über Gehsteige, es war darum so gewesen, um radioaktiven Staub, der von der Luft herangetragen wurde, fort zuwaschen. Für einen Moment der Eindruck, die Frau habe bemerkt, dass ich ihrer Geschichte folge und dass sie nichts dagegen einzuwenden hat. Sie entnimmt ihrer Handtasche sieben Ausweise in weinroter Farbe, Reisepässe, ungültig gewordene Dokumente, in einem dieser Ausweise befindet sich ein Stempel, jener Stempel, der die Reise nach Kyjiw dokumentiert. Es ist eine Frage von Sekunden, bis die Frau mit ihrem rechten Zeigefinger das Papier, auf dem der Stempel seit Jahren festgehalten ist, berühren wird. — stop
radioisotop
marimba : 6.58 — In der Vergangenheit habe ich mir oft gewünscht, ich könnte mein Leben aus der Sicht eines Vogels aufzeichnen, der mich begleitet, Gespräche, die ich täglich mit Menschen führe oder heimliche Gespräche mit mir selbst. Auch würde aufgenommen, was ich gesehen habe, während ich reiste, einen Kentauren nahe des Müllnerhorn, Regentropfen am Strand von Coney Island, eine Ameise auf Georges Perec’s Schulter während einer Fahrt in der Pariser Metro, meinen Körper, während ich schlief. Manchmal ist es angenehm, sich zu wünschen, was nicht möglich zu sein scheint, eine große Freiheit der Spekulation. Aber in den vergangenen Tagen wurde mir bewusst, dass die Verwirklichung eines mich begleitenden Vogelwesens nicht länger utopisch ist. Ich kann mir eine fliegende Maschine ohne weitere Anstrengung vorstellen, ein künstliches Luftwesen, vier Propeller, angetrieben von einer leichten Radionuklidbatterie, die sich tatsächlich für Jahrzehnte an meiner Seite in der Luft aufhalten könnte, ein beinahe lautloses Wesen in der Gestalt eines Kolibris, eines Taubenschwänzchen oder einer Biene. Kaum hatte ich das Flugobjekt aus seiner Transportbox gehoben und aktiviert, wusste ich, dass es für immer meiner Person verbunden sein wird, meinem persönlichen Luftraum, den ich mit mir führe, wohin ich auch gehe. Seltsam ist vielleicht, dass es gleichwohl unmöglich sein wird, dieses Wesen je wieder einzufangen, weil es schnell ist in seinen Reaktionen, schneller als meine Hand, schneller als eine Gewehrkugel, ein Wesen, das über die Flugflugfähigkeiten einer Stubenfliege verfügt. – Heute Nacht pfeift ein Sturmwind übers Dach. Ich frage mich, was die Vögel gerade machen. Höre das Moped eines Zeitungsboten. Ich habe den Mann, der eine Frau sein könnte, noch nie gesehen. Er ist pünktlich wie immer. Ich werde gleich das Fenster öffnen. — stop
unter wasser
delta : 22.58 — Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn ich durch meine Wohnung tauchen könnte. Machte mich unverzüglich an die Arbeit. Zunächst stieg das Wasser in den Zimmern. Es kam nicht von oben, sondern von unten, das Wasser kam wie ein Gast durch die Wohnungstür herein, die geschlossen war, aber nicht wirklich dicht. Es stieg schnell, viel zu schnell, um meine Bücher noch in Sicherheit bringen zu können. Saß auf einem Stuhl in der Küche, die Füße auf dem Boden, als das Wasser, bernsteinfarben und warm, eine Steckdose erreichte. Ich erwartete, von einem Wandblitz getroffen zu werden, ein Irrtum. Stattdessen begann ich zu leuchten, zunächst leuchtete ich mit den Händen, dann leuchteten meine Arme. In dem Moment, da das Wasser meinen Mund erreichte, holte ich tief Luft und tauchte los. Eine Banane schwebte vorüber wie ein Fisch, Papiere und Zeitungen und zwei heftig zappelnde Mäuse, von deren Existenz ich nichts ahnte. Die Schreibmaschine auf dem Tisch funktionierte noch, wie alle Lampen in der Wohnung. Und so schwebe ich nun also gerade kopfüber und schreibe. Schöne Geräusche sind zu hören, es knistert, vielleicht bin ich das selbst. Später Abend. — stop