Aus der Wörtersammlung: elle

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herr bisaso

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hima­la­ya : 2.08 — Jeden Mor­gen, im Früh­ling oder im Som­mer, Herbst oder Win­ter, erscheint Herr Bisaso gegen 4 Uhr am Ter­mi­nal 1 des Frank­fur­ter Flug­ha­fens. Er trägt eine graue Hose, ein dun­kel­blau­es Hemd, eine gel­be Kra­wat­te und ein Schild­chen, auf dem das Wort SECURITY zu lesen steht, außer­dem ein Stäb­chen von etwa 1 Meter 50 Län­ge, das er in der rech­ten oder lin­ken Hand mit sich zu füh­ren pflegt. Das Stäb­chen scheint aus Bam­bus­rohr gemacht, an sei­ner Spit­ze sitzt eine wei­che Bee­re von Leder und Samt, die von Herrn Bisaso ver­mut­lich höchst­per­sön­lich dort ange­bracht wor­den war. Der alte Mann ist von statt­li­cher Erschei­nung, bei­na­he zwei Meter groß, er wur­de in Mom­ba­sa gebo­ren, lebt aber schon lan­ge Zeit, Jahr­zehn­te, in Euro­pa. Blitz­blan­ke, schwar­ze Schu­he. Auf die­sen Schu­hen macht er sich nun auf sei­nen mor­gend­li­chen Weg, der ihn über das Ter­mi­nal 1 zum Ter­mi­nal 2 und wie­der zurück­füh­ren wird. Ich sehe ihn, wie er sich umsieht und pfeift, er scheint fröh­lich zu sein, er liebt den Mor­gen und viel­leicht auch sei­ne Arbeit, sei­nen Auf­trag. In die­ser Wei­se, lei­se pfei­fend, nähert er sich einer Bank, auf wel­cher ein Mann liegt, der schläft. Das Hemd des Man­nes ist ver­rutscht, sein Bauch zu sehen, auch sind sei­ne Schu­he zu Boden gefal­len. Es riecht ein wenig bit­ter in der Luft. Behut­sam berührt Herr Bisaso den Mann mit jenem wei­chen Ende sei­nes Bam­bus­zei­gers an der Schul­ter, und schon fährt der Mann hoch aus einem Traum, reibt sich die Augen, fuch­telt dann mit den Hän­den, und beginnt laut zu schimp­fen. Guten Mor­gen, ent­geg­net Herr Bisaso mit tie­fer Stim­me. Er steht ganz ruhig und war­tet, bis der noch halb­wegs, Schla­fen­de auf­ge­stan­den ist. Jetzt ist er zufrie­den. Er schlen­dert zur nächs­ten Bank, die zum Nacht­la­ger einer jun­gen Frau gewor­den ist, auch sie scheint ein wenig bit­ter zu rie­chen und ohne Kof­fer zum Flug­ha­fen gekom­men zu sein. Bald steht auch sie, reibt sich die Augen, betrach­tet den gro­ßen Mann und sein Stäb­chen, das Herr Bisaso noch nicht sehr lan­ge Zeit mit sich führt. Fol­gen­de Nach­richt wäre vor weni­gen Wochen noch mög­lich gewe­sen. MELDUNG: Von 4 bis 5 Uhr wur­den in den Ter­mi­nals des Frank­fur­ter Flug­ha­fens 87 Per­so­nen, die auf Sitz­ge­le­gen­hei­ten ruh­ten, von Mr. Bisaso geweckt. Er muss­te des­halb 2 Trit­te, eine Umar­mung, alle­samt unwill­kür­lich, aber nur zwei Ohr­fei­gen ent­ge­gen­neh­men. — stop

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ai : ASERBAIDSCHAN

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MENSCH IN GEFAHR: „Der Gesund­heits­zu­stand der aser­bai­dscha­ni­schen gewalt­lo­sen poli­ti­schen Gefan­ge­nen Ley­la Yunus hat sich ver­schlech­tert, die Gefäng­nis­be­hör­de ver­wei­gert ihr jedoch die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung. Ihr Ehe­mann Arif Yunus wur­de am 5. August fest­ge­nom­men. Sie fühlt sich schwach und hat star­ke Schmer­zen. Zudem lei­det sie an Dia­be­tes und Nie­ren­pro­ble­men. Lei­la Yunus benö­tigt des­halb eine ange­mes­se­ne medi­zi­ni­sche Behand­lung sowie spe­zi­el­le Kost. / Die Gefäng­nis­be­hör­de der Haft­ein­rich­tung in Kurd­ak­ha­ny in der Nähe der Haupt­stadt Baku hat sich gewei­gert, Lei­la Yunus ins Kran­ken­haus ein­zu­wei­sen und ver­wei­gert ihr eine ange­mes­se­ne medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung. Zudem ver­zö­gern sie die erfor­der­li­che Abwick­lung von For­ma­li­tä­ten für den Erhalt benö­tig­ter Medi­ka­men­te. / Lei­la Yunus war am 30. Juli auf der Grund­la­ge kon­stru­ier­ter Ankla­gen, die ihr Hoch­ver­rat und ande­re Ver­bre­chen zur Last legen, fest­ge­nom­men wor­den. Ihrem Ehe­mann Arif Yunus sind Rei­se­be­schrän­kun­gen auf­er­legt wor­den. Am 5. August wur­de er wegen ähn­li­cher Vor­wür­fe fest­ge­nom­men. / Amnes­ty Inter­na­tio­nal betrach­tet Lei­la und Arif Yunus als gewalt­lo­se poli­ti­sche Gefan­ge­ne, die allein des­halb in Haft sind, weil sie Kri­tik an der aser­bai­dscha­ni­schen Regie­rung geübt hat­ten.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 23. Sep­tem­ber 2014 hin­aus, unter »> ai : urgent action

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shanghai

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india : 6.52 — Haru­ki, der in einer klei­nen euro­päi­schen Stadt zu Hau­se ist, erzähl­te eine Geschich­te, die ich kaum glau­ben moch­te. Schon sein Name schien selt­sam zu sein. Er habe, sag­te er, manch­mal das Bedürf­nis, mit­ten in der Nacht zu tele­fo­nie­ren. Nicht weil er fürch­te, ster­ben zu wol­len, son­dern weil er glück­lich sei, wenn er ein­fach nur los erzäh­len kön­ne, wenn ihm sei­ne Wor­te von einem auf­merk­sa­men Ohr sozu­sa­gen aus dem Mund gezo­gen wür­den. Genau die­ses Bild eines Ohres habe er vor Augen, sobald er sich an wun­der­ba­re Gele­gen­hei­ten erin­ne­re, als er im Erzäh­len Geschich­ten ent­deck­te, die ihm ohne die­se Art des Spre­chens nie­mals ein­ge­fal­len wären. Lei­der wür­de ihm inmit­ten der Nacht nie­mand mehr zuhö­ren, Men­schen, die er per­sön­lich ken­ne, eil­ten längst nicht mehr ans Tele­fon, wenn er sich bei ihnen mel­de. Er habe des­halb ande­re, wild­frem­de Men­schen ange­ru­fen, die sich bei ihm beschwer­ten, ob er denn noch bei Ver­stand sei. Das war der Grund gewe­sen, wes­we­gen er vor weni­gen Wochen damit begon­nen habe, Ruf­num­mern in Über­see zu kon­tak­tie­ren. Es mel­de­ten sich dort Men­schen, die Haru­ki in eng­li­scher, fran­zö­si­scher, chi­ne­si­scher oder spa­ni­scher Spra­che begrüß­ten. Sobald die Stim­me eines Men­schen hör­bar wur­de, begann Haru­ki zu erzäh­len. Er for­mu­lier­te in einer so hohen Geschwin­dig­keit, dass er sich selbst kaum noch ver­ste­hen konn­te. 15 Minu­ten, län­ger durf­te ein Gespräch mit Shang­hai nicht dau­ern. Manch­mal ver­neh­me er Stim­men von der ande­ren Sei­te her, hel­le Stim­men, zit­tern­de, wis­pern­de Töne, wes­halb er das Tele­fon­ge­rät ein wenig von sei­nem Ohr ent­fer­ne, ohne indes­sen zu ver­stum­men. Nach 15 Minu­ten ver­ab­schie­de er sich. Er sage dann: Gute Nacht! — stop

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mr. ruby

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sier­ra : 0.02 — Eine Dach­woh­nung im 32. Stock eines Hau­ses an der Madi­son Ave­nue. Auf­zü­ge fah­ren nur noch bis zum 20. Stock, das Gebäu­de scheint lang­sam zu ver­fal­len, irgend­je­mand will Rat­ten in der 15. Eta­ge gese­hen haben. Der Bewoh­ner des klei­nen Habi­tats, ein Mann von 72 Jah­ren, geht kaum noch vor die Tür. Er kann sich glück­li­cher­wei­se einen Boten leis­ten, der sei­ne Hem­den und Hosen zur Rei­ni­gung bringt, Ein­käu­fe erle­digt, Post aus dem Brief­kas­ten holt, sei­nen Kühl­schrank füllt. Zudem genießt er einen groß­ar­ti­gen Aus­blick auf die Stadt. Vor den Fens­tern der Woh­nung war­ten Tele­sko­pe, die wie grö­ße­re Stelz­jagd­vö­gel auf lan­gen Bei­ne ste­hen. Es geht ihm nicht dar­um, in der Nacht heim­lich Men­schen zu betrach­ten, in Woh­nun­gen zu spä­hen, wie man viel­leicht mei­nen möch­te, nein, es geht dar­um, das Licht zu beob­ach­ten, dort, wo zu viel Licht ist, wo man ver­säum­te, das Licht aus­zu­schal­ten. Zum Bei­spiel am ver­gan­ge­nen Sams­tag, da brann­ten in einem Gebäu­de der Hafen­be­hör­de Höhe 48. Stra­ße im sechs­ten Stock noch ein paar Bir­nen. Unver­züg­lich wur­de von der Madi­son Ave­nue aus ein Tele­fon­ge­spräch geführt: Hal­lo, guten Abend, hier Ruby, spre­che ich mit Mr. Bale, oh, lei­ten sich mich doch bit­te an die Haus­ver­wal­tung wei­ter! Kurz dar­auf sehe ich Ruby nach Süd­wes­ten spä­hen. Ich bemer­ke ihn über­haupt zum ers­ten Mal in vol­ler Grö­ße. Ein klei­ner Mann, der immer einen Hut trägt, einen Came­ron Pork Pie, mehr­fach gewa­schen, ich kann nicht sagen, war­um ich das weiß. Ich sehe ihn genau, er ist bar­fuß, sei­ne Kon­tur, sei­nen Umriss, fast bewe­gungs­los vor dem Licht­meer der gro­ßen Stadt ste­hen. Und ich höre ihn seuf­zen als im 8. Stock der Hafen­be­hör­de das Licht erlischt, eines nach dem ande­ren, Zim­mer für Zim­mer. Und schon wech­selt er das Fens­ter und späht wie­der in die Stadt hin­aus. Stadt­plä­ne lie­gen auf dem Boden der Woh­nung her­um. Es ist kurz vor Mit­ter­nacht. Ein Fracht­schiff fährt den Hud­son her­auf. Natür­lich scheint die­se Geschich­te aus sehr unter­schied­li­chen Grün­den nicht mög­lich zu sein. Ers­ter Ver­such. — stop

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herzgeschichte

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tan­go : 5.12 — In der ver­gan­ge­nen Nacht hör­te ich eine Ton­auf­nah­me, die vor eini­gen Jah­ren wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges an der Isar in Mün­chen auf­ge­zeich­net wur­de. Ein herbst­li­cher Tag. Das Rau­schen des Flus­ses, bis­wei­len tosen­de Geräu­sche, wie ein wei­te­res Gespräch im Hin­ter­grund. Und Hun­de, und Gitar­ren­mu­sik immer wie­der, und Schrit­te, nicht die Schrit­te der zwei Gehen­den vor dem Mikro­fon, son­dern Schrit­te ent­ge­gen­kom­men­der Pas­san­ten. Wir unter­hal­ten uns über Arme und Bei­ne, Mus­keln, Seh­nen, Ner­ven­strän­ge. Ein­mal beginnt es zu reg­nen, auf­schla­gen­de Trop­fen sind auf Schir­men deut­lich zu hören. Aber wir ver­lie­ren kein Wort über den Regen. Die jun­ge Frau, die an mei­ner Sei­te wan­dert, spricht sehr lang­sam, macht lan­ge Pau­sen, manch­mal scheint sie nicht mir, son­dern dem Was­ser zuzu­hö­ren. Immer wie­der erkun­digt sie sich, ob das gut so sei, was sie sage, ob ich eine Geschich­te dar­aus machen kön­ne. Sie will nicht, dass ich ihren Namen wie­der­ge­be: Nenn mich ‚jun­ge Frau‘ oder nenn mich ‚Stu­den­tin‘. Manch­mal sei sie müde, sagt sie, weil sie bis spät in der Nacht als Platz­an­wei­se­rin in einem Kino arbei­te. Sie sei so müde, dass sie ein­mal im Prä­pa­rier­saal am Tisch bei­na­he ein­ge­schla­fen wäre. Das Skal­pell sei ihr aus der Hand gerutscht und zu Boden gefal­len, da sei sie gera­de noch recht­zei­tig wie­der ganz wach gewor­den. Der Job wäre aber sehr prak­tisch, weil sie in den Zei­ten der lau­fen­den Fil­me, manch­mal ler­nen kön­ne, sie füh­re ihren Taschen­at­las immer in ihrer Hand­ta­sche mit sich, Noti­zen und das Skript. Als Kind habe sie ihren Eltern gesagt, dass ihr Herz nicht dort schla­gen wür­de, wo es bei den ande­ren Kin­dern üblich wäre. Sie fühl­te ihr Herz immer auf der rech­ten Sei­te schla­gen. Nie­mand habe sie ernst genom­men. Nicht ein­mal ihr ers­ter liebs­ter Freund habe ihr zuge­hört, und auch nicht ihr zwei­ter Freund, der immer an der fal­schen Stel­le sein Ohr an ihre Brust gelegt habe. Der drit­te Freund war ein Medi­zi­ner gewe­sen, ein Stu­dent, der habe end­lich nicht nur nach ihr, son­dern auch nach ihrem Her­zen an der rich­ti­gen Stel­le gesucht. Er habe gesagt: Ein Situs inver­sus, eine Norm­ab­wei­chung. In die­ser Sekun­de habe sie beschlos­sen, Ärz­tin zu wer­den. — stop

polaroidleuchttierchen

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heliumzeit

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echo : 2.55 — Am Abend besu­che ich Lou­is in sei­ner Küche unter dem Dach, Duft von Zimt und war­mem Brot, in einer Lam­pe sirrt eine Wes­pe her­um. Auf dem Küchen­tisch sta­peln sich Ton­band­spu­len, 528 klei­ne Kas­set­ten, die beschrif­tet sind: No 24 — Café Mozart 8. Mai / Lau­ra — Über Lun­gen­flü­gel : 1 Stun­de 25 Minu­ten. Oder: No 48 — Bota­ni­scher Gar­ten 5. Juni / Sebas­ti­an — Herz­be­trach­tun­gen : 2 Stun­den 3 Minu­ten. Ich sehe Lou­is, wie er vor dem Tisch sitzt. Er ist alt gewor­den. Eine Schreib­ma­schi­ne ruht unweit der Spu­len. Es ist eine Hew­lett Packard mit einem Bild­schirm, sehr gro­ße Schrift­zei­chen, weil Lou­is nicht mehr gut sieht. Ein Satz ist dort zu lesen: Die Augen gehen auf, aber nie­mand sieht einen an. Ich höre Stim­men, sehr hel­le Stim­men. Stim­men in etwa so, wie sie klin­gen, wenn ein Mensch spricht, der Heli­um atmet. Lou­is sagt, das kom­me davon, dass er sei­ne Ton­band­ma­schi­ne schnel­ler lau­fen las­se, beschleu­nig­te Zeit, aus einer Stun­de des Spre­chens wür­de eine hal­be Stun­de, aus einem lan­gen Schwei­gen ein kür­ze­res Schwei­gen. So, sagt Lou­is, ist das viel­leicht zu schaf­fen in die­sem Som­mer, wenn ich nicht schla­fe bis Ende Sep­tem­ber. — stop

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josef

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echo : 5.01 — Ich weiß nicht, wie oft ich schon die Trep­pen in Josefs klei­ne Woh­nung gestie­gen bin. Viel­leicht ein­hun­dert­mal in den sieb­ten Stock unters Dach, seit er mich mit der Auf­sicht sei­ner Blu­men beauf­trag­te. Als ich ges­tern am spä­ten Abend die Tür hin­ter mir schloss, ent­deck­te ich eine Nach­richt auf dem Anruf­be­ant­wor­ter sei­nes Tele­fons. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Nach­richt viel­leicht abhö­ren soll­te, ich dach­te, eine wich­ti­ge Nach­richt könn­te hin­ter­legt wor­den sein. Also drück­te ich einen Kopf und die Maschi­ne begann alle bis­her nicht gehör­ten Nach­rich­ten abzu­spie­len, die auf ihr ver­zeich­net und von mir bis dahin nicht bemerkt wor­den waren. Rosie erkun­dig­te sich nach Josefs Ver­bleib, sie waren ver­ab­re­det, Josef nicht gekom­men. Dr. Tau­ber ließ aus­rich­ten, dass eine Unter­su­chung für Okto­ber geplant wer­den müs­se, rei­ne Rou­ti­ne, es war inzwi­schen Juni gewor­den. Im Dezem­ber lud Emi­lie Josef zum Weih­nachts­sin­gen in die Schil­ler­schu­le ein, es ging um ihren Enkel, der in den Chor beru­fen wor­den war. Im Janu­ar wur­den zwei Bot­schaf­ten hin­ter­las­sen, je ohne eigent­li­che Nach­richt, ein­mal waren Men­schen­stim­men zu hören, die Sire­ne einer Ambu­lanz, dann eine Stim­me, die in eng­li­scher Spra­che ver­kün­de­te, dass der nächs­te ein­fah­ren­de Zug in Rich­tung Coney Island fah­ren wür­de. Im März wie­der Rosies einer­seits ärger­li­che, ande­rer­seits besorg­te Fra­ge: Josef, wie geht es Dir? Anfang Mai eine wei­te­re Bot­schaft, die nur aus Geräu­schen bestand, ich glau­be, ich hör­te das Dröh­nen eines Schiffs­mo­tors. Ende des Monats war ein Onkel Josefs gestor­ben, man bat ihn zu kom­men, er soll­te spre­chen, wes­we­gen man sich drei Tage spä­ter noch ein­mal erkun­dig­te. Im Juni wie­der Stadt­ge­räu­sche, ein Gewit­ter im Hin­ter­grund, Stim­men in einer Spra­che, die ich nicht kann­te. Die letz­te Auf­nah­me, die ich hör­te, war von einer ganz beson­de­ren Art gewe­sen, Glo­cken waren zu hören, Glo­cken, wie sie unter den Häl­sen von Kühen bau­meln. Es war eine sehr lan­ge Auf­nah­me, kurz bevor sie ende­te, Josefs Stim­me: Koh­leralm, Sand­wes­pen­ge­sang. — stop

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vom rotkehlchen

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char­lie : 16.02 — Am 28. Juli 2014 bereits wur­de am Fuße eines Ber­ges im Schat­ten einer Buche eine Rechen­ma­schi­ne gefun­den, in ihren Ver­zeich­nis­sen ein Ord­ner, den der Besit­zer der Rechen­ma­schi­ne Herr Lud­wig L. mit der Bezeich­nung Archiv ver­se­hen hat­te. Es han­delt sich um einen unge­wöhn­lich umfang­rei­chen Ord­ner, 425 Giga­byte groß, in dem 1245 ver­schlüs­sel­te Fil­me ent­hal­ten sein sol­len. Wo sich Herr L. zu die­sem Zeit­punkt befin­det, weiß nie­mand so genau. Er soll sich auf den Weg auf­wärts gemacht haben, zuletzt wur­de er auf moos­be­wach­se­nen Stei­nen eines Bach­bet­tes klet­ternd gese­hen. Er mach­te auf einer Höhe von 872 Metern einen fröh­li­chen Ein­druck, war mit fes­ten Schu­hen, einem gel­ben Ruck­sack, Regen­schirm und Regen­um­hang aus­ge­rüs­tet, einem Seil wei­ter­hin, Kara­bi­nern, sowie einem klei­nen Ham­mer und einem Kom­pass. So jeden­falls wur­de er beschrie­ben von meh­re­ren Zeu­gen, die ihm begeg­net sein wol­len. Sie sagen alle das­sel­be: Der Mann war glück­lich. Ein­mal stand er bis zu den Hüf­ten im kal­ten Was­ser eines Kes­sels, den der Bach gleich­mü­tig in das Gestein des Ber­ges gegra­ben hat­te. Er grüß­te zur Brü­cke hin­auf, Wan­de­rer beob­ach­te­ten ihn. Ein Rot­kehl­chen bade­te in sei­ner Nähe. Forel­len hüpf­ten aus dem Was­ser, glän­zen­de Rücken im Licht der Son­ne, die durch die kar­gen Wip­fel strahl­te. Auf 2105 Metern Höhe begeg­ne­te der Mann einem Hir­ten und sei­nem Hund, dann war er ver­schwun­den. Kei­ner­lei Spur seit­her, auch heu­te nicht, da sich ein Zoll­be­am­ter der Unter­su­chung der zurück­ge­las­se­nen Rechen­ma­schi­ne wid­me­te. Es ist 15 Uhr, Frei­tag. — stop

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stimmen

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ulys­ses : 4.02 — Manch­mal, in letz­ter Zeit, ver­mag ich mir Stim­men vor­zu­stel­len, die ich nicht ken­ne oder wie­der­erken­ne. Stim­men, die ich mög­li­cher­wei­se  noch nie zuvor im wirk­li­chen Leben wahr­ge­nom­men habe, höre ich deut­lich. Das ist merk­wür­dig viel­leicht, weil ich bis­lang ver­mu­te­te, in mei­ner Vor­stel­lungs­kraft wür­den nur Stim­men auf­ge­ru­fen, sofern ich ein bekann­tes oder ver­trau­tes Gesicht zur Stim­me fin­den kann. Das Gesicht muss zunächst anwe­send sein, dann kann die Stim­me mit einem Satz, einem Wort oder einem Lachen fol­gen. Nun aber Stim­men, die mir fremd sind, Stim­men, die ich erfin­de, gemisch­te Stim­men oder altern­de Stim­men. – stop

polaroidtanz

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im garten

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ulys­ses : 2.28 — Um mir eine Freu­de zu machen, gehe ich nachts noch in den Gar­ten. Grü­ne Fal­ter mit hauch­dün­nen Flü­geln sind unter­wegs im Dun­keln. Eigent­lich kön­nen sie über­haupt nicht flie­gen, wie sie wol­len, son­dern wer­den von feins­ten Strö­mun­gen der Luft diri­giert. Kaum habe ich mei­nen Mund geöff­net, liegt ein flat­tern­der Kör­per auf der Zun­ge. Sie schme­cken bit­ter und sie weh­ren sich tap­fer. Die­se Flie­gen also, und die­se Nacht, ster­nen­klar. Ich ste­he ganz still, höre einem Flug­zeug zu, das süd­wärts fliegt. Ich war­te. Plötz­lich ist im Gar­ten jen­seits des Zau­nes ein Geräusch zu hören. Ein Mann geht gebückt unter Bäu­men. Es raschelt. Ich ken­ne die­sen Mann, ich ken­ne ihn nicht gut, aber ich weiß, dass er bald eine Taschen­lam­pe zücken und in die Knie gehen wird. Er spricht dann, aber so lei­se, dass ich nichts von den Wör­tern hören kann, nicht ein­mal kann ich sicher sein, dass er Wör­ter spricht, viel­leicht singt er nur vor sich hin, singt, wäh­rend er mit einer Taschen­lam­pe Grä­ser beleuch­tet. Noch vor weni­gen Tagen habe ich mich über den Mann gewun­dert. In die­ser Nacht wun­de­re ich mich nicht. Ich habe erfah­ren, dass der Mann sich bückt, mit sei­nem Licht, um nach Schne­cken zu suchen. Ich stell­te mir vor, der Mann wür­de sei­ne Beu­te in eine sei­ner Hosen­ta­sche ste­cken. Aber so ist das ganz und gar nicht. Sobald der Mann eine Schne­cke fin­det, zückt er im Licht der Taschen­lam­pe eine Sche­re und schnei­det die Schne­cke in zwei Tei­le, sodass sie sich nicht mehr bewe­gen kann, weil sie tot ist. Ein laut­lo­ser Vor­gang, so laut­los, dass ich ihn lan­ge Zeit nicht bemerk­te, ja, viel­leicht nie­mals bemerkt haben wür­de, hät­te ich nicht von dem selt­sa­men Ver­hal­ten des Man­nes erzählt. Nun weiß ich, war­um er sich bückt. Noch zehn Minu­ten, dann geht er wie­der ins Haus zurück und auch ich wer­de nicht mehr da sein. — stop

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