Aus der Wörtersammlung: englisch

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dilip

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ulys­ses : 15.08 UTC — Ein Brief erreich­te mich, der in Kal­kut­ta abge­schickt wor­den war vor zwei oder drei Wochen. Fol­gen­de Zei­len: Sehr geehr­ter Herr Lou­is, es hat gedau­ert, dass ich ant­wor­te, weil ich noch sehr klein bin, ich bin erst 12 Jah­re alt, ich woh­ne an der Jes­so­re Road. Dort habe ich einen Brief gefun­den unter einem Fei­gen­baum bei der Bus­sta­ti­on. Der Brief war nicht an mich geschrie­ben, son­dern an Lili­fer Min­di. Ich ken­ne Lili­fer Min­di nicht, ich habe die schö­nen Brief­mar­ken auf dem Brief ent­deckt und habe mir gedacht, es ist nicht so weit zu der Adres­se wo Lili­fer Min­di wohnt, und ich bin mit mei­nem Fahr­rad dort­hin gefah­ren, aber das Haus gibt es nicht, wo Lili­fer Min­di wohnt oder nicht wohnt, sie müs­sen sich geirrt haben. Auch in dem Haus neben dem Haus, das nicht exis­tiert, wohnt Lili­fer Min­di nicht, das ist sicher, weil ich gefragt habe. Ich sen­de Ihnen den Brief zurück, ich habe ihn nicht geöff­net, ich hei­ße Dil­ip, viel­leicht schrei­ben Sie ein­mal einen Brief an mich, weil ich in einem Haus woh­ne, das es wirk­lich gibt. Vor mei­nem Haus wach­sen zwei Fei­gen­bäu­me, hin­ter dem Haus kann ich Ball spie­len, hin­ten ist das Haus grün, und vor­ne ist das Haus rot. Wir haben einen Bal­kon, mei­ne Schwes­ter ist sehr krank, sie sitzt oft auf dem Bal­kon, weil sie nicht zur Schu­le geht. Bestimmt kön­nen Sie Eng­lisch lesen. Dein Dil­ip — stop

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ein aquarium

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tan­go : 22.02 UTC — Bob erzählt von einem Aqua­ri­um, kei­nem gewöhn­li­chen Aqua­ri­um, viel­mehr einem Aqua­ri­um, das ihm einer­seits gehö­ren, ande­rer­seits sehr weit ent­fernt sein soll, näm­lich bei­na­he auf der ande­ren Sei­te der Welt, in Thai­land in einem Vor­ort der Stadt Bang­kok in einem Café neben einer Tank­stel­le mit Gar­ten, in wel­chem Orchi­deen auf Bäu­men wach­sen. Auch Vögel sol­len dort im Gar­ten zahl­reich leben, und Kin­der spie­len, weil sich in der Nähe eine Schu­le befin­det. Er selbst, erzählt Bob, sei in die­se Schu­le gegan­gen, habe Eng­lisch gelernt und Mathe­ma­tik, gera­de in Mathe­ma­tik soll er sehr gut gewe­sen sein. Jetzt lebt er also in Euro­pa und besucht eine Uni­ver­si­tät, um die Spra­che der Com­pu­ter­ma­schi­nen zu stu­die­ren. Das Café, das mei­ner Mut­ter gehört, und auch ein biss­chen mir selbst, läuft gut, sagt Bob, wir kön­nen von unse­ren Ein­künf­ten gut leben. Ich brau­che ja nicht viel Geld hier, klei­nes Zim­mer. Er holt sein Tele­fon aus der Hosen­ta­sche, tippt ein wenig auf dem Bild­schirm her­um, dann reicht er mir das klei­ne, fla­che Gerät über den Tisch. Schau, sagt er, das ist mein Café, das ist mei­ne Mut­ter in Echt­zeit, es ist gera­de frü­her Mor­gen, sie berei­tet sich auf ers­te Gäs­te vor, die kom­men bald. Tat­säch­lich erken­ne ich auf dem Bild­schirm eine älte­re Frau, die auf einem Brett von Holz irgend­wel­che Pflan­zen zer­teilt. Bob nimmt mir das Tele­fon kurz aus der Hand, tippt noch ein­mal auf den Bild­schirm. Nun sind Fische anstatt sei­ner Mut­ter zu sehen. Das ist mein Aqua­ri­um, sagt Bob, lei­der nur in schwarz­wei­ßer Far­be. Sie sind ziem­lich bunt. Zwei von ihnen habe ich selbst gefan­gen im ver­gan­ge­nen Win­ter. Es ist ein Salz­was­ser­aqua­ri­um. Gleich wird mei­ne Mut­ter die Fische füt­tern. Solan­ge kön­nen wir war­ten. — stop
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von wasserläufern

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nord­pol : 20.25 UTC — Heu­te Nach­mit­tag habe ich eine lus­ti­ge Geschich­te mit mir selbst erlebt. Ich sass vor einem See in einem Gar­ten und beob­ach­te­te sehr klei­ne Tie­re, wie sie sich nahe oder auf der Ober­flä­che des Was­ser beweg­ten. Da waren zum Bei­spiel Flie­gen, die im Was­ser des Sees bade­ten, und Schat­ten der Libel­len­lar­ven, die sich den baden­den Flie­gen nähr­ten, auch Was­ser­läu­fer, die sich gegen­sei­tig jag­ten im Spiel. Plötz­lich frag­te ich mich, ob ich even­tu­ell in der Lage wäre, das Ver­hal­ten der Was­ser­läu­fer vor­her­zu­sa­gen, ob sich ein bestimm­ter Was­ser­läu­fer eher in öst­li­che oder eher in west­li­che Rich­tung fort­be­we­gen wür­de. Ein Wei­le folg­te ich dem von mir gewähl­ten Tier mit mei­nen Augen, dann zeich­ne­te ich sei­nen Weg auf ein Blatt Papier. Wol­ken spie­gel­ten sich im Was­ser, der Him­mel hier unten war grün, er schim­mer­te. Eine Unter­was­ser­schne­cke pas­sier­te mein Beob­ach­tungs­feld sehr lang­sam, und ich notie­re: Schne­cke. In die­sem Augen­blick bemerk­te ich fünf Gold­fi­sche, die sich in einem Halb­kreis im Was­ser vor mir ver­sam­melt hat­ten. Sie beweg­ten sich kaum merk­lich und ich hat­te plötz­lich den Ein­druck, sie wür­den mich betrach­ten. Tat­säch­lich fühl­te ich mich von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de selbst beob­ach­tet. Das war ein merk­wür­di­ger Augen­blick gewe­sen, ein Moment auch von Ver­le­gen­heit, wes­halb ich mich wie­der einem Gespräch auf dem Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne zuwen­de­te, das ich mit einem Com­pu­ter­pro­gramm namens ELIZA in eng­li­scher Spra­che vor lan­ger Zeit ein­mal geführt und kurz dar­auf in die deut­sche Spra­che über­setzt hat­te. Ich, der ich Lou­is gewe­sen war, frag­te Eli­za: guten abend! wie geht es dir, eli­za? Eli­za : > gut! und dir? Lou­is : präch­tig. Eli­za : > schön zu hören. wo liegt dann das pro­blem? Lou­is : ich habe heu­te abend kein pro­blem, eli­za! Eli­za : > wenn du dein pro­blem nicht kennst, bist du hier genau rich­tig! Lou­is : darf ich dir eine fra­ge stel­len? Eli­za : > sicher! Lou­is : was bedeu­tet das wort lie­be? Eli­za : > hast du schmet­ter­linge im bauch? Lou­is : eli­za! bit­te! was bedeu­tet das wort lie­be! Eli­za : > lass uns das eine wei­le zurück­stellen. Lou­is : war­um, eli­za? Eli­za : > du musst mich nicht mit namen rufen, ich bin immer bei dir. Lou­is : das ist beru­hi­gend, eli­za! Eli­za : > erzähl wei­ter! Lou­is : eli­za! lie­be? Eli­za : > hast du schon ande­re gefragt? Lou­is: aber natür­lich! Eli­za : > schön zu hören. wo liegt dann dein pro­blem? Lou­is : ich habe heu­te abend kein pro­blem, eli­za! Eli­za : > wenn du dein pro­blem nicht kennst, bist du hier genau rich­tig! Lou­is : war­um? Eli­za : > ich sehe, du bist ein schwie­riger fall. Lou­is : war­um bin ich ein schwie­riger fall, eli­za? Eli­za : > scherz bei­sei­te, kom­men wir zur sache. — stop
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chicago

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india : 16.28 UTC — Ein­mal, ich habe vor zwei Jah­ren bereits davon erzählt, arbei­te­te ich im Pal­men­gar­ten abends bei leich­tem Regen auf einer Bank. Neben mir saß ein Mann, der mich nicht sehen, aber hören konn­te. Ich bemerk­te nicht sofort, dass er blind war, weil ich unter einem Regen­schirm saß, auch der Mann hat­te einen Regen­schirm über sich auf­ge­spannt. Kaum hat­te ich Platz genom­men, notier­te ich zunächst eine Lis­te von Büchern in mein Note­book, die sich mit der Arbeits­welt der Men­schen beschäf­ti­gen. Sie schrei­ben schnell, sag­te der Mann plötz­lich, sie sind wohl geübt. Sie haben viel­leicht etwas im Kopf, das sie los wer­den wol­len. Als ich mich dem Mann zuwen­de­te, bemerk­te ich, dass er den Regen­schirm in eine lang­sa­me Dre­hung ver­setzt hat­te, sein Gesicht konn­te ich nicht erken­nen. Wenn das mei­ne Schreib­ma­schi­ne wäre, könn­te ich Ihnen genau sagen, was sie gera­de geschrie­ben haben. Ich kann hören, was mei­ne Schreib­ma­schi­ne schreibt. Der Mann mach­te eine kur­ze Pau­se. Was haben sie denn auf­ge­schrie­ben, woll­te er dann wis­sen. Ich ant­wor­te: Eini­ge Namen, Namen, die sie viel­leicht schon ein­mal gele­sen haben. Mel­ville. Bukow­ski. Upt­on Sin­clair. Max von der Grün. – Gele­sen nicht, ant­wor­te­te der Mann, aber gehört habe ich zwei der Namen. Upt­on Sin­clairs Dschun­gel­buch exis­tiert in eng­li­scher Spra­che als Hör­buch für Blin­de oder für Men­schen, die nicht lesen wol­len. Ich wür­de ger­ne lesen, aber das geht ja nicht so leicht, wenn man nichts sieht. Der Mann lach­te. Ich höre dem Regen gern zu, aus mei­ner Sicht der Din­ge ist das so, als wür­de der Regen schrei­ben, hören Sie, wie es reg­net, wie es schreibt. Ist das nicht wun­der­bar! – Ich frag­te den Mann, ob er denn lesen oder hören kön­ne, was der Regen genau notie­re in die­sem Augen­blick. – Aber natür­lich, ant­wor­te­te der Mann, es ist mit jedem Regen etwas ande­res, nicht wahr, der Regen, der auf das Meer fällt, erzählt etwas ande­res, als die­ser Regen hier, der über einem klei­nen See nie­der­geht. Für einen Moment stand der Regen­schirm neben mir ganz still. Ich hör­te ein Flüs­tern: Die­ser Regen hier erzählt von Chi­ca­go. — stop

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beckett

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char­lie : 6.32 UTC — In dem klei­nen Café, das den Namen Saha­ra trägt, wird Men­schen, die am Flug­ha­fen arbei­ten, Rabatt gewährt. Iclal ist müde, sie kommt gera­de von der Arbeit. Außer­dem schneit es in einer Wei­se, als wäre Win­ter. Sie zieht ihren Man­tel aus und die Hand­schu­he, legt sie auf den Tisch vor sich hin und sagt: Ich will über die Abstim­mung in der Tür­kei nicht spre­chen. Spre­chen wir über mei­ne nächs­te Rei­se, ich weiss nicht wohin ich rei­sen soll, ich bin seit ich den­ken kann, immer in die Tür­kei gereist, dies­mal wer­de ich nicht in die Tür­kei rei­sen. — Ist es zu gefähr­lich, fra­ge ich. — Nein, ant­wor­tet lcal, es ist nicht gefähr­lich für mich, ich will nicht. Wohin könn­te ich nur rei­sen im Som­mer? — Ich sage: Vene­dig ist schön, aber eher im spä­ten Herbst, viel­leicht magst Du in die Ber­ge gehen, Du könn­test auf einer Hüt­te im Kar­wen­del­ge­bir­ge woh­nen und wan­dern, das ist ganz wun­der­bar dort. In die­sem Moment ent­de­cke ich einen Schrift­zug von weis­ser Far­be, der Iclals rosa­far­be­nes T‑Shirt bedeckt: Ever tried. Ever fai­led. No mat­ter. Try Again. Fail again. Fail bet­ter. Das sind wun­der­ba­re Wor­te, sage ich, Samu­el Beckett hat sie geschrie­ben. — Ja, wirk­lich, ant­wor­tet Ical, wer ist das? Sie sieht an sich her­ab. Ich habe nicht dar­auf geach­tet, was da steht, das ist Eng­lisch, ich kann kein Eng­lisch, was steht da, das Beckett geschrie­ben hat? — Ich über­le­ge, wie ich Becketts Sät­ze kor­rekt über­set­zen könn­te. ich über­le­ge lan­ge. Das ist offen­sicht­lich schwie­rig, sagt Iclal. Nein, sage ich, das ist Poe­sie, da muss man sehr behut­sam mit den Wör­tern umge­hen, man muss sehr genau sein. Kurz dar­auf wer­de ich mit mei­ner Über­set­zung fer­tig. Iclal hört zu. Iclal beginnt zu lachen. Bald bekommt sie kaum noch Luft wie so lacht, und ich dach­te noch, wie ger­ne ich ihr Lachen in die­sem Moment auf Ton­band auf­ge­nom­men hät­te — stop

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brighton beach ave

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nord­pol

~ : louis
to : mrs. valen­ti­na zeiler
brook­lyn trans­la­ti­on services
23 brigh­ton beach ave,
Brooklyn
sub­ject : BRYANT PARK

Sehr geehr­te Frau Zei­ler, ich dan­ke Ihnen herz­lich für Ihre rasche Ant­wort. Ich will nun abschlie­ßend den Auf­trag ertei­len, mein unten fol­gen­des Schrei­ben in die eng­li­sche Spra­che zu über­set­zen. Ich bit­te um sorg­fäl­tigs­te Arbeit, Sie wer­den erken­nen, in die­sem Text ist von einem Rei­se­tun­nel nach Ame­ri­ka die Rede, der in mei­ner Vor­stel­lung von äußers­ter Bedeu­tung ist, ein poe­ti­scher Ent­wurf, jedes Wort scheint mir für sei­ne Ver­wirk­li­chung von hoher Bedeu­tung zu sein. Mit ver­ein­bar­ter Ver­gü­tung bin ich ein­ver­stan­den, der Betrag von 82 Dol­lar wur­de bereits ange­wie­sen. Wei­te­re Auf­trä­ge wer­de ich mit Ihnen in Kür­ze bei einem Besuch in ihrem Büro per­sön­lich bespre­chen. Darf ich an die­ser Stel­le mei­ner Ver­wun­de­rung dar­über Aus­druck geben, dass die Über­set­zung des­sel­ben Tex­tes in die chi­ne­si­sche Spra­che 122 Dol­lar kos­ten wür­de. Ich fra­ge mich, wor­in die erheb­li­che Dif­fe­renz von 40 Dol­lar begrün­det sein könn­te. Mit aller­bes­ten Grü­ßen — Ihr Louis

BRYANT PARK — 570 WÖRTER > GO /// Es hat­te Stun­den lang gereg­net, jetzt dampf­te der Boden im süd­wärts vor­rü­cken­den Nord­licht, und das Laub, das alles bedeck­te, die stei­ner­nen Bän­ke, Brun­nen und Skulp­tu­ren, die Büsche und Som­mer­stüh­le der Cafes, beweg­te sich trock­nend wie eine abge­wor­fe­ne Haut, die nicht zur Ruhe kom­men konn­te. Boule­spie­ler waren vom Him­mel gefal­len, feg­ten ihr Spiel­feld, schon war das Kli­cken der Kugeln zu hören, Schrit­te, Rufe. Wie ich so zu den Spie­lern schlen­der­te, kreuz­te eine jun­ge Frau mei­nen Weg. Sie tas­te­te sich lang­sam vor­wärts an einem wei­ßen, sehr lan­gen Stock, den ich ein­ge­hend beob­ach­te­te, rasche, den Boden abklop­fen­de Bewe­gun­gen. Als sie in mei­ne Nähe gekom­men war, viel­leicht hat­te sie das Geräusch mei­ner Schrit­te gehört, sprach sie mich an, frag­te, ob es bald wie­der reg­nen wür­de. Ich erin­ne­re mich noch gut, zunächst sehr unsi­cher gewe­sen zu sein, aber dann ging ich ein Stück an ihrer Sei­te und berich­te­te vom Okto­ber­licht, das ich so lieb­te, von den Far­ben der Blät­ter, die unter unse­ren Füßen raschel­ten. Bald saßen wir auf einer nas­sen Bank, und die jun­ge Frau erzähl­te, dass sie ein klei­nes Pro­blem haben wür­de, dass sie einen Brief erhal­ten habe, einen lang erwar­te­ten, einen ersehn­ten Brief, und dass sie die­sen Brief nicht lesen kön­ne, ein Mann mit Augen­licht hät­te ihn geschrie­ben, ob ich ihr den Brief bit­te vor­le­sen wür­de, sie sei so sehr glück­lich, die­sen Brief end­lich in Hän­den zu hal­ten. Ich öff­ne­te also den Brief, einen Luft­post­brief, aber da stan­den nur weni­ge, sehr har­te Wor­te, ein Ende in sechs Zei­len, Druck­buch­sta­ben, eine schlam­pi­ge Arbeit, rasch hin­ge­wor­fen, und obwohl ich wuss­te, dass ich etwas tat, das ich nicht tun durf­te, erzähl­te mei­ne Stim­me, die vor­gab zu lesen, eine ganz ande­re Geschich­te. Liebs­te Mar­len, hör­te ich mich sagen, liebs­te Mar­len, wie sehr ich Dich doch ver­mis­se. Konn­te solan­ge Zeit nicht schrei­ben, weil ich Dei­ne Adres­se ver­lo­ren hat­te, aber nun schrei­be ich Dir, schrei­be Dir aus unse­rem Cafe am Bryant Park. Es ist gera­de Abend gewor­den in New York und sicher wirst Du schon schla­fen. Erin­nerst Du Dich an die Nacht, als wir hier in unse­rem Cafe Dei­nen Geburts­tag fei­er­ten? Ich erzähl­te Dir von einer klei­nen, dunk­len Stel­le hin­ter der Tape­te, die so rot ist, dass ich Dir nicht erklä­ren konn­te, was das bedeu­tet, die­ses Rot für sehen­de Men­schen? Erin­nerst Du Dich, wie Du mit Dei­nen Hän­den nach jener Stel­le such­test, wie ich Dei­ne Fin­ger führ­te, wie ich Dir erzähl­te, dass dort hin­ter der Tape­te, ein Tun­nel endet, der Euro­pa mit Ame­ri­ka ver­bin­det? Und wie Du ein Ohr an die Wand leg­test, wie Du lausch­test, erin­nerst Du Dich? Lan­ge Zeit hast Du gelauscht. Ich höre etwas, sag­test Du, und woll­test wis­sen, wie lan­ge Zeit die Stim­men wohl unter dem atlan­ti­schen Boden reis­ten, bis sie Dich errei­chen konn­ten. – An die­ser Stel­le mei­ner klei­nen Erzäh­lung unter­brach mich die jun­ge Frau. Sie hat­te ihren Kopf zur Sei­te geneigt, lächel­te mich an und flüs­ter­te, dass das eine sehr schö­ne Geschich­te gewe­sen sei, eine tröst­li­che Geschich­te, ich soll­te den Brief ruhig behal­ten und mit ihm machen, was immer ich woll­te. Und da war nun das aus dem Boden kom­men­de Nord­licht, das Knis­tern der Blät­ter, die Stim­men der spie­len­den Men­schen. Wir gin­gen noch eine klei­ne Stre­cke neben­ein­an­der her, ohne zu spre­chen. Ich seh gera­de ihren über das Laub tas­ten­den Stock und ein Eich­hörn­chen mit einer Nuss im Maul, das an einem Baum­stamm kau­er­te. Bei­na­he kommt es mir in die­ser Sekun­de so vor, als hät­te ich die­ses Eich­hörn­chen und sei­ne Nuss nur erfun­den. /// END

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ai : VIETNAM

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MENSCH IN GEFAHR : “Die viet­na­me­si­sche Anwäl­tin und Men­schen­recht­le­rin Lê Thu Hà wur­de am 16. Dezem­ber fest­ge­nom­men. Kurz zuvor am sel­ben Tag war auch der bekann­te Men­schen­rechts­an­walt Nguyễn Văn Đài fest­ge­nom­men wor­den. Bis­her durf­te sie kei­nen Besuch von ande­ren Aktivist/innen erhal­ten. Sie läuft Gefahr, gefol­tert und ander­wei­tig miss­han­delt zu wer­den. / Die Rechts­an­wäl­tin Lê Thu Hà soll am 16. Dezem­ber inhaf­tiert wor­den sein, als Sicher­heits­kräf­te die Woh­nung des Men­schen­rechts­an­walts Nguyễn Văn Đài in der Haupt­stadt Hanoi durch­such­ten. Der Anwalt war am Mor­gen des­sel­ben Tages fest­ge­nom­men wor­den. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen zu sei­nem Fall fin­den Sie in UA-292/2015.  Lê Thu Hà ist Mit­glied der von Nguyễn Văn Đài gegrün­de­ten Orga­ni­sa­ti­on “Bru­der­schaft für Demo­kra­tie” (Brot­her­hood for Demo­cra­cy). Sie befin­det sich der­zeit im B14-Gefäng­nis in Hanoi in Unter­su­chungs­haft. Es ist nicht bekannt, ob sie bereits ange­klagt wurde./ Lê Thu Hà war bereits am 23. Sep­tem­ber fest­ge­nom­men wor­den, gemein­sam mit vier wei­te­ren Mitarbeiter/innen des unab­hän­gi­gen You­Tube-Kanals “Lương Tâm TV” (“Gewis­sens-TV”). Sie war als Eng­lisch-Über­set­ze­rin für den Sen­der tätig gewe­sen, der seit August 2015 auf You­Tube kur­ze Clips über die Men­schen­rechts­la­ge in Viet­nam aus­strahlt. Alle fünf waren bis spät­abends von der Hanoier Sicher­heits­po­li­zei fest­ge­hal­ten wor­den. Im April hat­ten die Behör­den den Rei­se­pass von Lê Thu Hà ein­ge­zo­gen, kurz bevor sie von Hanoi nach Ho-Chi-Minh-Stadt flie­gen und von dort aus einen Flug ins Aus­land neh­men woll­te. / Am 20. Dezem­ber ver­such­ten eini­ge Aktivist/innen, Lê Thu Hà im B14-Gefäng­nis zu besu­chen, durf­ten sie jedoch nicht sehen. Sie läuft Gefahr, gefol­tert und ander­wei­tig miss­han­delt zu wer­den. Verteidiger/innen der Men­schen­rech­te, gegen die in Viet­nam straf­recht­li­che Vor­wür­fe erho­ben wor­den sind, wer­den wäh­rend der Unter­su­chungs­haft bzw. in der Ermitt­lungs­pha­se häu­fig unmensch­lich behan­delt.” — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 2. Febru­ar 2016 hin­aus, unter > ai : urgent action

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von frauen unter zelten

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oli­mam­bo : 0.55 — Vor Stra­ßen­bahn­hal­te­stel­len war­ten Flücht­lings­men­schen in Trai­nings­be­klei­dung, Fami­li­en, sie stei­gen nicht ein, sie schau­en, schau­en die­se selt­sa­men Men­schen an, beob­ach­ten viel­leicht das Leben hier im Nor­den, Ein­hei­mi­sche, wie sie aus Stra­ßen­bah­nen stei­gen. Im Foy­er des Hos­pi­tals ein jun­ger Mann an der Sei­te eines Wesens, das sich als wan­deln­des Zelt dar­stellt, schwarz mit einem Seh­schlitz. Dort sind ein Paar Augen zu erken­nen. Eine irri­tie­ren­de Erschei­nung. Ich wer­fe dem Wesen, ver­mut­lich einer Frau, im geh­ba­ren Zelt einen Blick zu in einer kon­zen­trier­ten, direk­ten, auch fra­gen­den Wei­se, die für mich nicht üblich ist. Im Flur vor der Inten­siv­sta­ti­on, wei­te­re Frau­en in schwar­zen Gewän­der­zel­ten, die Gesich­ter die­ser Frau­en lie­gen jedoch frei. Ich ver­mag ihre Nasen, ihre Mün­der, gleich­wohl ihre Augen zu sehen, ihr scheu­es Lächeln. Sie ste­hen auf Zehen­spit­zen, spre­chen in ein Mikro­phon, das an einer Wand befes­tigt ist neben einer Tür von opa­k­em Glas. In eng­li­scher Spra­che erkun­di­gen sie sich nach ihrem Vater, der auf der Inten­siv­sta­ti­on lie­gen soll. — stop
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