Aus der Wörtersammlung: geräusche

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körpergeräusch

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echo : 18.25 — Hat­te gera­de noch von einem schnar­ren­den Geräusch erzählt, das mei­nem Arm ent­kommt, sobald ich ihn hori­zon­tal bewe­ge, um zur Geschmei­dig­keit zu über­re­den. Ein Ras­peln, das ich spü­re und höre zur sel­ben Zeit. Ich leg­te den Tele­fon­hö­rer zur Sei­te. Genau in die­sem Moment war das Geräusch, von dem ich einem weit ent­fern­ten Men­schen berich­tet hat­te, wie­der im Raum gewe­sen, als ob es sich behaup­ten woll­te, bewei­sen, bestä­ti­gen, dass es tat­säch­lich exis­tiert. Ich über­leg­te, ob das Schnar­ren in mei­nem Arm vor­über­ge­hen­der Natur oder doch eher dau­er­haft sein könn­te, sagen wir, für immer, zeit mei­nes Lebens ein Ras­peln, ein Knar­zen, sehr lei­se, eigent­lich nur hör­bar in der Stil­le bei Bewe­gung. Sturm vor den Fens­tern. Regen knis­tert an den Schei­ben. Ich ent­de­cke in die­sen Minu­ten, dass ich Geräu­sche, die in mei­nem Kör­per unter der Haut sich ereig­nen, auch dann zu hören ver­mag, wenn ich sie nicht hören kann, weil sie zu lei­se sind in einer Regen­wind­um­ge­bung. Es knirscht die Erin­ne­rung an ein Geräusch, oder ich höre, – das ist denk­bar -, das Geräusch durch mei­nen Kör­per wan­dern. — stop

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polartrompete

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gink­go : 6.55 — Eine Käfer­ge­stalt, die glei­cher­ma­ßen die Eigen­schaf­ten eines Trom­pe­ten­kä­fers wie die Eigen­schaf­ten eines Polar­kä­fers in sich ver­ei­ni­gen wür­de, ein Käfer dem­zu­fol­ge, der Trom­pe­ten­ge­räu­sche von sich zu geben in der Lage wäre einer­seits, ander­seits sich vom Licht der Son­ne ernähr­te, von feins­ten Stäu­ben der Luft und vom gefro­re­nen Was­ser zu sei­nen Füßen. Die­se Per­sön­lich­keit wäre das ers­te Wesen sei­ner Gat­tung, die ant­ark­ti­sche Land­schaft bewohn­te, ein Käfer feins­ter Musik. Er wür­de ver­mut­lich Geräu­sche der Eis­stür­me nach­emp­fin­den, wür­de sich mit Horn­fü­ßen in den Boden stem­men, wür­de das erin­ner­te Sau­sen pola­rer Nord­win­de mit dem erin­ner­ten Sau­sen pola­rer Süd­win­de ver­quir­len, West und Ostor­ka­ne dar­über pfei­fen, ohne je zu wis­sen, war­um er in die­ser Wei­se han­del­te. Und wenn man nun reis­te? Nun, der Kof­fer eines Trom­pe­ten­kä­fers pola­ren Ursprungs soll­te einer Zigar­ren­kis­te ähn­lich sein. Ich mei­ne die Grö­ße des Kof­fers, in deren gefüt­ter­ter Mit­te eine Ver­tie­fung zu fin­den wäre, den prä­zi­sen Kör­per­li­ni­en des Käfers fol­gend, sodass sich der Käfer dort ein­schmie­gen wür­de, schla­fen, ohne im Kof­fer selbst hin und her zu fal­len. Nicht rot der Samt des Fut­te­rals, son­dern weiß, näm­lich von Schnee gemacht, weil es sich bei dem Rei­se­kof­fer eines Trom­pe­ten­kä­fers pola­ren Ursprungs nicht eigent­lich um eine Zigar­ren­schach­tel han­del­te, viel mehr um einen Rei­se­kühl­schrank in der Gestalt eines höl­zer­nen Behäl­ters für Rauch­wa­ren in läng­li­cher Form. — Ort: Dome A. Posi­ti­on: 80°22’ S 77° 21’E. Tem­pe­ra­tur: — 82,5 °C. – stop

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radio

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echo : 15.05 — Ich war ein­mal Besit­zer eines Radi­os mit elek­tri­schem Auge. Sobald ich auf einen Knopf drück­te, glüh­te das Auge zunächst däm­mernd, dann leuch­te­te das Auge grün wie das Was­ser eines Berg­sees und ich hör­te selt­sa­me Stim­men und Rau­schen und Pfei­fen. Das Radio war ein sehr gutes Radio. Es exis­tier­te seit dem Jah­re 1952, war also viel älter als ich selbst und muss­te nie zur Repa­ra­tur gebracht wer­den. Nur ein­mal hüpf­te eine Tas­te her­aus und das Radio sah fort­an aus, als habe es einen Zahn ver­lo­ren. An einem sehr hei­ßen Juli­tag des Jah­res 1974 saß ich gera­de vor dem Radio ohne Zahn, als gemel­det wur­de, Fall­schirm­jä­ger sei­en über Zypern abge­sprun­gen. Von einem Kon­flikt war die Rede und das Auge des Radi­os leuch­te­te dazu und die Mem­bran sei­nes Laut­spre­chers zit­ter­te. Ich erin­ne­re mich, dass ich dach­te, dass nun Krieg sei, ein wirk­li­cher Krieg, der ers­te Kriegs­be­ginn, den ich als Wel­len­emp­fän­ger mit­er­leb­te. Irgend­wann ver­schwand das alte Radio und ich bekam ein neu­es Radio. Die­ses Radio konn­te Geräu­sche spei­chern, und so spei­cher­te ich Geräu­sche, sin­gen­de Frö­sche viel­leicht, oder mei­ne Stim­me, die mich befrem­de­te, die nie mei­ne eige­ne Stim­me gewe­sen war, son­dern immer die Stim­me eines ande­ren, der ähn­li­che Din­ge sag­te. Bald mach­te ich mit einer wei­te­ren Maschi­ne Fil­me, nein, ich zeich­ne­te Fil­me auf ein Band, den Film der Stadt Bag­dad an einem Vor­kriegs­mor­gen zum Bei­spiel. Die Son­ne strahl­te vom Him­mel, und ein Vogel, der nicht zu sehen war, zwit­scher­te. Viel­leicht saß der Vogel auf einer gepan­zer­ten Kame­ra, die das Bild der leuch­ten­den Stadt zu mir hin über­trug. Die­ser Vogel war noch Radio gewe­sen. — stop

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alpenregen

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echo

~ : oe som
to : louis
sub­ject : ALPENREGEN
date : okt 31 11 10.52 p.m.

Bes­ten Dank, lie­ber Lou­is, für das fei­ne Ton­ma­te­ri­al, das Du uns gesen­det hast. Wir haben Dei­ne Alpen­re­gen­ge­räu­sche am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag zu Noe in die Tie­fe über­mit­telt. Gro­ße Freu­de! Gleich­wohl sehnt Noe sich nach wie vor eine Uhr her­bei, die wir ihm lei­der nicht gewäh­ren kön­nen. Es ist nun fol­gen­des gesche­hen. Noe press­te, viel­leicht zunächst ohne einen Vor­satz, sei­ne rech­te Hand gegen die Innen­sei­te sei­nes Tau­cher­an­zu­ges und konn­te in die­ser Wei­se Pul­se erspü­ren. Von die­sem Moment an zähl­te Noe die Schlä­ge sei­nes Her­zens, er zähl­te bis er die Zahl 70 erreich­te, eine Minu­te Zeit, seit zwei Tagen immer­zu der­sel­be Pro­zess der Zäh­lung mit lau­ter Stim­me, eine Demons­tra­ti­on sei­ner Wil­lens­stär­ke, die uns nach und nach unheim­lich wird, Noe, eine Uhr, auch schla­fend, däm­mernd, träu­mend, eine Uhr, ver­dammt, ich war mehr­fach ver­sucht gewe­sen, Noes Mikro­phon aus­zu­schal­ten, Ruhe an Bord, eine Gewalt­tat, die Bewe­gung eines klei­nen Fin­gers nur, Stil­le, und doch nicht Stil­le, weil ich die Fort­set­zung des Zäh­lens in der Tie­fe anneh­men müss­te, ein­und­fünf­zig, zwei­und­fünf­zig, drei­und­fünf­zig. Kurz nach 10 Uhr, eis­kal­te Nacht, auf­kom­men­der Wind von Nord­west, wir haben schwe­ren See­gang zu erwar­ten. Dein OE SOM – Ahoi!

gesen­det am
31.10.2011
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oe som to louis »

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tonwellenschrauben

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echo : 22.18 – Lun­ger­te im Wald unter Loui­sia­na-Moo­sen. Sturm­ge­räu­sche, auch Zika­den waren zu hören gewe­sen, ihre Flü­gel­stim­men, hell, schrill, glä­sern, Ton­wel­len­schrau­ben. Auf Knien kroch ich bald jagend durchs Unter­holz, woll­te eines der locken­den Tie­re fan­gen. Anstatt Insek­ten ent­deck­te ich Spiel­do­sen, hun­der­te, ja tau­sen­de, krei­sen­de Lärm­ma­schi­nen. Sie leuch­te­ten, feu­er­rot und blau, je nach Höhe oder Tie­fe ihres Gesangs. Sobald ich mich näher­te, um eines der Wesen zu ergrei­fen, schos­sen sie senk­recht in die Luft, ganz so als wür­den sie über prall gefüll­te Druck­luft­bäu­che fürs flüch­ten­de Rei­sen gebie­ten. Dann wur­de ich wach. Es war Abend gewor­den. Sams­tag. Ein Orkan näher­te sich von Wes­ten, knis­tern­de Fens­ter, Frö­sche schweb­ten sum­mend vor den Fens­tern. Zwei Stun­den lang dach­te ich über die Erfin­dung dienst­ba­rer Käfer nach, Gat­tung, die Stil­le zu erzeu­gen ver­mag, wann immer gewünscht. Ich stell­te mir vor, wie sie sich rück­wärts über mei­ne Wan­gen hin zu mei­nen Ohren bewe­gen, wie sie ihre küh­len Lei­ber in mei­ne Gehör­gän­ge ver­sen­ken, wie sie sich deh­nen und stre­cken, sanft, sanft, bis sie nahe­zu ver­schwun­den sein wer­den. Zwei Füh­ler noch, ein Paar kleins­ter Augen links, ein Paar kleins­ter Augen rechts, Doch­te, nein, Dioden­lich­ter. Ich hör­te nichts. — stop

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schlafkapsel : standby

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oli­mam­bo : 14.28 — In der Stadt New York soll ein Schlaf­kap­sel­haus exis­tie­ren, man bezahlt 50 Dol­lar und darf sich in eine der 2700 Waben legen, die ange­nehm warm gestal­tet sind und gut iso­liert gegen Geräu­sche jeder Art. Oder in Schlaf­zü­gen rei­sen unter der Stadt, abge­dun­kel­te Fens­ter­bo­jen, die Lini­en 12 und 15, ohne je anzu­hal­ten Tag und Nacht. Man könn­te viel­leicht sehr bald ein­mal einen spe­zi­el­len Stoff­wech­sel­kreis­lauf für Men­schen erfin­den, einen spar­sa­men Modus der Ver­bren­nung, eine Vari­an­te, die akti­viert sein könn­te, sobald ein mensch­li­ches Wesen dau­er­haft erwerbs­los zu wer­den droht. Men­schen, frei von Auf­ga­be, wären nun in der Lage, zu exis­tie­ren, ohne nen­nens­wer­te Spu­ren zu hin­ter­las­sen, wür­den kaum noch Nah­rung zu sich neh­men, statt­des­sen schla­fen, län­ger schla­fen, als ande­re Men­schen, die sich in Brot und Arbeit befin­den. Man wünscht, sagen wir, in dem man schläf­rig wird, Zeit zu gewin­nen, Zeit zu über­brü­cken. Gan­ze Land­stri­che, Stadt­tei­le, Kon­ti­nen­te wären in die­ser Wei­se leich­ter Hand in einen Zustand des War­tens, der spar­sa­men, der schmerz­frei­en Dul­dung zu ver­set­zen. — stop
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staten island ferry : prozession

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nord­pol : 5.55 – Eine Geschich­te ist zu erzäh­len an die­sem Mor­gen küh­ler Luft kurz vor Sep­tem­ber. Die­se Geschich­te ereig­ne­te sich bereits vor­ges­tern, nachts, bei mir zu Hau­se, weil ich mich nicht ent­schei­den konn­te, was ich unter vie­len Din­gen, die zu tun gewe­sen waren, zunächst erle­di­gen soll­te, also mach­te ich alles zur glei­chen Zeit. Ich hat­te eine Enten­brust zu Mor­cheln und Pflau­men gelegt. Außer­dem hat­te ich mir vor­ge­nom­men, ein wei­te­res ana­to­mi­sches Ton­band abzu­hö­ren, eine jugend­li­che Stim­me berich­te­te vom Dach des Kühl­schran­kes aus lei­se vor sich, wäh­rend ich kochend Fern­seh­bil­der eines Hur­ri­kans beob­ach­te­te, der sich auf die Stadt New York zube­weg­te. > Wenn ich von mei­nen Wochen im Prä­pa­rier­saal spre­che, dann spre­che ich ger­ne von mei­ner Traum­zeit. stop > Zu die­sem Zeit­punkt, das ist fest­zu­hal­ten, war ich nicht ganz bei der Sache gewe­sen, nicht wirk­lich in der Nähe der Gedan­ken, die ein jun­ger Mann für mich aus­ge­spro­chen hat­te, ande­rer­seits auch nicht aus­rei­chend kon­zen­triert auf das Gesche­hen jen­seits des Atlan­ti­schen Oze­ans. Ein­mal stell­te ich den Ton des Fern­seh­ge­rä­tes lau­ter, wen­de­te die Brust des Vogels in der Pfan­ne und hör­te genau in die­sem Moment, der Schiffs­ver­kehr um Man­hat­tan her­um sei ein­ge­stellt, das war kurz nach Mit­ter­nacht euro­päi­scher Zeit gewe­sen. Ich mein­te außer­dem gehört zu haben, man sei gera­de damit beschäf­tigt, die Fäh­ren der Sta­ten Island Ver­bin­dung den Hud­son River hin­auf, in eine siche­re Umge­bung zu trans­fe­rie­ren. Ein fei­nes Bild, das sich vor mei­nen Augen sofort ent­wi­ckel­te. Acht oran­ge­far­be­ne Schif­fe in einer Rei­he hin­ter­ein­an­der auf dem gro­ßen Fluss, Schif­fe, die sich gewöhn­li­cher­wei­se pen­delnd anein­an­der vor­bei­be­we­gen. Ich stürm­te aus der Küche, in der Hoff­nung auf dem Fern­seh­schirm ein Bild zu sehen, das dem gera­de eben noch in mei­nem Kopf ent­wor­fe­nen Bild ähn­lich gewe­sen sein könn­te. Anstatt einer Fähr­ge­schich­te, war nun jedoch vom Regen die Rede, von den Win­den des Hur­ri­kans, die über den feuch­ten Strand nahe der Stadt Oce­an Pines feg­ten. Ein Repor­ter, der tropf­te, ver­harr­te tap­fer, Füße im Was­ser, vor einer Fern­seh­ka­me­ra, die in grö­ße­rer Ent­fer­nung, dem­zu­fol­ge sicher, mon­tiert gewe­sen war. Er hielt ein Mikro­fon in der Hand, das merk­wür­dig fau­chen­de Geräu­sche erzeug­te. Möwen, spit­ze gel­be Schnä­bel in den Sturm gerich­tet, ver­harr­ten in sei­ner Nähe, sie mach­ten einen zufrie­de­nen Ein­druck, authen­ti­sche Tie­re, wäh­rend ich, wei­ter­hin die Pro­zes­si­on der Fähr­schif­fe im Kopf, zurück in die Küche spa­zier­te. Ein selt­sa­mes Gefühl von Nicht­wirk­lich­keit in der Nähe mei­ner Feu­er­stel­le, ein gro­ßes Durch­ein­an­der, das ich zu sor­tie­ren ver­such­te, in dem ich bis in den frü­hen Mor­gen des Sonn­tags hin­ein, auf allen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Kanä­len ver­geb­lich Bewei­se dafür zu fin­den such­te, dass Fähr­schif­fe der Sta­ten Island Ver­bin­dung sich tat­säch­lich an die­sem spä­ten Sams­tag­abend, als ich mich nicht ent­schei­den konn­te, auf dem Hud­son River strom­auf­wärts beweg­ten. — stop. — Ende der Geschich­te. — stop

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PRÄPARIERSAAL : libelle

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echo : 6.12 — Ich habe  auf einem Fern­seh­bild­schirm Jona­than Fran­zen beob­ach­tet, wie er in sei­nem New Yor­ker Arbeits­zim­mer sit­zend von Appa­ra­tu­ren erzählt, die ihm behilf­lich sein könn­ten, den Lärm der Stadt oder des Hau­ses, in dem er sich befin­det, von sei­nen Ohren zurück­zu­hal­ten. Er berich­tet das unge­fähr so: Ich habe eine Men­ge Lärm­schutz­vor­rich­tun­gen. Ich schüt­ze mich gegen Lärm mit Schaum­gum­mistöp­seln. Sie sind wich­tig. / Und dar­über hin­aus habe ich mei­ne Kopf­hö­rer. Und zudem noch rosa Rau­schen auf CD. / Das ist wie wei­ßes Rau­schen, aber es ist etwas wär­mer im Ton. Es beschränkt sich auf die nied­ri­gen Fre­quen­zen. Es klingt wie eine Raum­kap­sel in der Atmo­sphä­re mit einem wun­der­vol­len Brau­sen, ein alles umhül­len­des Brau­sen, das plötz­lich ver­schwin­det. stop. Weit nach Mit­ter­nacht, küh­le Luft. stop. Lun­ge­re auf dem Sofa her­um, höre ana­to­mi­sche Ton­band­auf­nah­men ab, Wör­ter, Sät­ze, Gedan­ken einer fer­ne­ren Zeit, die sofort wie­der sehr nahe kom­men, viel­leicht des­halb, weil sie von typi­schen Geräu­schen jenes Ortes, an dem sie auf­ge­nom­men wur­den, beglei­tet sind. Das Rau­schen der Stim­men hun­der­ter Men­schen. Pin­zet­ten, die gegen Metall klop­fen. Eine Laut­spre­cher­durch­sa­ge: Den­ken Sie bit­te dar­an, der Prä­pa­rier­saal wird vor dem Tes­tat am kom­men­den Mon­tag bereits um 7 Uhr geöff­net. Das klei­ne Wie­der­ga­be­ge­rät, das neben mir auf einem Kis­sen ruht, bewegt sich nicht oder nur so leicht, dass mei­ne Augen die­se Bewe­gung nicht wahr­neh­men kön­nen. Ein­mal den­ke ich an etwas ande­res, als das, was zu hören gewe­sen war, und bemer­ke in die­ser Wei­se, dass ich, in dem ich an etwas den­ke, das ent­fernt ist, mei­ne Ohren aus­zu­schal­ten ver­mag. Des­halb muss­te ich soeben das Band zurück­spu­len und Tho­mas’ fei­ne Geschich­te wie­der­ho­len, die von einer Libel­le erzählt. Hört zu: Wir hat­ten einen Mann auf dem Tisch, einen männ­li­chen Kör­per von dunk­ler Far­be und von außer­or­dent­li­cher Grö­ße. Ich glau­be, die­ser Kör­per war der größ­te Kör­per des Kur­ses. Ich war erstaunt, weil ich mit einem Prä­pa­rat, das grö­ßer sein wür­de, als ich selbst, nicht gerech­net habe. Nein, einen Hünen hat­te ich wirk­lich nicht erwar­tet. Sie müs­sen wis­sen, ich habe mir sehr bewusst kei­ne genau­en Vor­stel­lun­gen von der Wirk­lich­keit des Ana­to­mie­saa­les gemacht. Ich hat­te ver­mu­tet, dass die Luft kühl sein wür­de, aber an dem Tag, als wir unse­re Arbeit auf­nah­men, war es som­mer­lich warm und ich schwitz­te und hat­te Mühe, ohne Unter­bre­chung dar­an zu den­ken, mir mit den feuch­ten Hand­schu­hen nicht ins Gesicht zu fah­ren. Ich hat­te erwar­tet, dass das Licht im Saal eher gedämpft sein wür­de, aber es war strah­lend hell, ein Licht, das kaum einen Schat­ten warf. Und ich hat­te einen über­schau­ba­ren Kör­per erwar­tet, einen eher klei­nen Kör­per, den Kör­per eines uralten Men­schen. Ich habe mit altern­den Men­schen immer Gestal­ten in Ver­bin­dung gebracht, die zer­brech­lich sind, Kör­per, die klei­ner wer­den, die sich zurück­zie­hen, die man stüt­zen muss, füh­ren, die noch im Leben durch­läs­sig wer­den für das Licht. Dort vor mir auf dem Tisch aber lag ein Mann, der gera­de­zu strotz­te vor Kraft. Er war nicht fett, son­dern mus­ku­lös, und am Bauch und an der Brust, an Armen und Bei­nen sehr stark behaart gewe­sen. Ich wer­de die­sen Anblick mein Leben lang nicht ver­ges­sen. Ich habe den Mann sehr lan­ge Zeit betrach­tet. Die­ses geschwol­le­ne Gesicht war das Gesicht eines schla­fen­den Boxers. Sei­ne Augen waren geschlos­sen, die Hän­de zu Fäus­ten geballt und sei­ne Füße sahen ganz so aus, als hät­te er sie schon vor sehr lan­ger Zeit ver­ges­sen. Ich habe ihn mehr­fach umkreist, und dann haben wir ihn gemein­sam auf dem Tisch her­um­ge­dreht. Sehr fest muss­ten wir zugrei­fen. Ich sage Ihnen, das ist nicht leicht, am ers­ten Tag in die­sem Saal so fest zuzu­fas­sen. Man ist ja sehr vor­sich­tig und man ist dank­bar für die­ses Geschenk, das ein Mensch für uns zurück­ge­las­sen hat. Und als wir ihn dann her­um­ge­dreht hat­ten, konn­ten wir eine Libel­le erken­nen. Sie war links oben auf sei­nem Rücken ein­tä­to­wiert, regio sca­pu­la­ris, Sie ver­ste­hen? Ein erstaun­lich prä­zi­se gezeich­ne­tes Bild, nicht sehr groß, viel­leicht gera­de so groß wie ein Mit­tel­fin­ger des Man­nes und in blau­en, roten und grü­nen Farb­tö­nen aus­ge­führt. In die­sem Moment hat­te ich eine Vor­stel­lung, die in das Leben des Man­nes auf dem Tisch zurück­führ­te. Ich habe mir vor­ge­stellt, wie er als jun­ger Mann in einer Bade­an­stalt mit den Mus­keln spiel­te, wie er sei­nen Insek­ten­vo­gel in Bewe­gung setz­te, um einer Frau zu gefal­len viel­leicht. Aber da war noch etwas ande­res, da war die Fra­ge, was wir sehen wür­den, sobald wir die Haut unter der Libel­le so weit gelöst hät­ten, dass ein Blick auf ihre Rück­sei­te mög­lich wer­den würde.

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räume

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ulys­ses : 20.02 — Tat­säch­lich scheint das schrei­ben­de Den­ken ein Den­ken zu sein, das unver­züg­lich Kör­per von Zei­chen bil­det. Ich den­ke Wort für Wort gebremst, ich den­ke gera­de so schnell ich schrei­ben kann. Von Wör­tern aus eröff­nen sich Räu­me, die ohne die Arbeit der Hän­de im Ver­bor­ge­nen blei­ben. — stop

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regentaucher

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sier­ra : 18.55 — Ich habe Geräu­sche ent­deckt, Töne, die vie­le Jah­re zurück ein­mal in mei­nem Leben exis­tier­ten. Ich lag damals oft auf dem Rücken in einem Wagen, der schau­kel­te. Groß war ich zu jener Zeit noch nicht gewe­sen, ich war nicht län­ger als 50 cm. Meis­tens trug ich kei­ne Schu­he. Ich erin­ne­re mich, dass die Wol­ken und der Him­mel über mir schau­kel­ten, und da war ein höl­zer­nes Röhr­chen, von dem wei­te­re höl­zer­ne Röhr­chen bau­mel­ten, die klim­per­ten, hel­le Geräu­sche, wäh­rend sich der Wagen und ich beweg­ten, oder auch dann hel­le Geräu­sche, wenn der Wagen ange­hal­ten war, weil ich sofort mit mei­nen klei­nen Hän­den nach den Röhr­chen lang­te. Jetzt, da ich jene ent­fern­ten Geräu­sche erin­ner­te und ihre Ent­ste­hung, kann ich sie belie­big zur Auf­füh­rung brin­gen, obwohl sie so unmög­lich in der Wirk­lich­keit sind, wie Geräusch des Regens für einen Tief­see­tau­cher uner­reich­bar. — stop
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