marimba : 6.58 — In der Vergangenheit habe ich mir oft gewünscht, ich könnte mein Leben aus der Sicht eines Vogels aufzeichnen, der mich begleitet, Gespräche, die ich täglich mit Menschen führe oder heimliche Gespräche mit mir selbst. Auch würde aufgenommen, was ich gesehen habe, während ich reiste, einen Kentauren nahe des Müllnerhorn, Regentropfen am Strand von Coney Island, eine Ameise auf Georges Perec’s Schulter während einer Fahrt in der Pariser Metro, meinen Körper, während ich schlief. Manchmal ist es angenehm, sich zu wünschen, was nicht möglich zu sein scheint, eine große Freiheit der Spekulation. Aber in den vergangenen Tagen wurde mir bewusst, dass die Verwirklichung eines mich begleitenden Vogelwesens nicht länger utopisch ist. Ich kann mir eine fliegende Maschine ohne weitere Anstrengung vorstellen, ein künstliches Luftwesen, vier Propeller, angetrieben von einer leichten Radionuklidbatterie, die sich tatsächlich für Jahrzehnte an meiner Seite in der Luft aufhalten könnte, ein beinahe lautloses Wesen in der Gestalt eines Kolibris, eines Taubenschwänzchen oder einer Biene. Kaum hatte ich das Flugobjekt aus seiner Transportbox gehoben und aktiviert, wusste ich, dass es für immer meiner Person verbunden sein wird, meinem persönlichen Luftraum, den ich mit mir führe, wohin ich auch gehe. Seltsam ist vielleicht, dass es gleichwohl unmöglich sein wird, dieses Wesen je wieder einzufangen, weil es schnell ist in seinen Reaktionen, schneller als meine Hand, schneller als eine Gewehrkugel, ein Wesen, das über die Flugflugfähigkeiten einer Stubenfliege verfügt. – Heute Nacht pfeift ein Sturmwind übers Dach. Ich frage mich, was die Vögel gerade machen. Höre das Moped eines Zeitungsboten. Ich habe den Mann, der eine Frau sein könnte, noch nie gesehen. Er ist pünktlich wie immer. Ich werde gleich das Fenster öffnen. — stop
Aus der Wörtersammlung: jahrzehnt
stille
tango : 22.15 — Am 21. Dezember des vergangenen Jahres notiert Wolfgang Herrndorf auf Position Arbeit und Struktur : Agota Kristofs Trilogie zum dritten Mal nacheinander in Folge gelesen, das Personal verirrt sich schon in meine Träume. Einer der eineiigen Zwillinge, Klaus, Schriftsteller wie im Buch, steht von Gaffern und Polizisten umringt auf dem Nürnberger Hauptmarkt und hält ein Manuskript mit dem Titel Die glückliche Stadt hoch, dessen sofortige Publikation er verlangt. Es handle von Ungeheuerem, Skandalösem, Verborgenem. Doch niemand, scheint ihm, nimmt ihn ernst; man behandele ihn wie einen Wahnsinnigen. Ein Polizist sagt: Warum bringen Sie es nicht zur Zeitung, um es dort veröffentlichen zu lassen? / Klaus betritt ein Gebäude, dessen Flure und Räume an einen vor Jahrzehnten stillgelegten Bürokomplex der Deutschen Post erinnern, und gibt sein Manuskript zusammen mit einem kleinen Zettel an der zuständigen Stelle ab. Beim Verlassen der Redaktion bemerkt er, dass alle ihm mitleidig nachschauen. Er kehrt um. Ein junger Mann erklärt: Sie kommen jedes Jahr einmal mit Ihren Dokumenten hierher und geben sie zusammen mit einem Zettel ab, auf dem steht: “Bitte nehmen Sie mein Manuskript entgegen, tun Sie so, als ob Sie es drucken, und lassen Sie mich niemals wissen, was auf diesem Zettel steht.” / Das große Heft. / Der Beweis. / Die dritte Lüge. / Die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts in einer Nussschale, die die Dimensionen eines Riesentankers hat, ungeheuer, wahnsinnig, maximal kaputt. — Stille. - stop
louis 1 + 2 + 3
kilimandscharo : 22.58 — Merkwürdige Stille an diesem Tag, da die Nachricht gesendet wird, dass tatsächlich möglich geworden ist, menschliche Wesen zu klonen. Ich stellte mir vor, wie in zwei oder drei Jahrzehnten Louis 1 und Louis 2 und Louis 3 mit mir, mit Louis 0 auf Reisen gehen. Wie sie sich darum streiten, meinen Koffer tragen zu dürfen. Wie ich sie betrachte und mich wundere, dass ich mich vor ihrem Anblick nicht fürchte. — stop
elisabeth
himalaya : 6.10 — Im Winter des vergangenen Jahres, an einem windig kalten Tag, besuchte ich in Brooklyn einen alten Herrn, Mr. Tomaszweska und seine Frau Elisabeth. Sie wohnen nahe der Clark Street in einem sechsstöckigen Haus mit Blick auf die Upper Bay von New York. Ich hatte den alten Mann während einer Fahrt auf einem Fährschiff zufällig kennengelernt. Er beobachtete, wie ich Fahrgäste fotografierte, die ihre Namen heimlich in die hölzernen Sitzbänke des Schiffes ritzten. Er sprach mich freundlich an, wollte mir einen Schriftzug zeigen, den er selbst drei Jahrzehnte zuvor an Ort und Stelle in der gleichen Weise wie die beobachteten Passagiere eingetragen hatte. Stolz war der alte Mann gewesen. Wir führten ein kurzes Gespräch über die New Yorker Hafenbehörde, Eisenbahnen und Flugzeuge, weiß der Himmel, wie darauf gekommen waren. Als wir das Schiff verließen, lud Mr. Tomaszweska mich ein, einmal zu ihm zu kommen, darum stieg ich nur wenige Tage später in den sechsten Stock des schmalen Hauses auf den Höhen Brooklyns. Die Tür zur Wohnung stand offen, warme Luft kam mir entgegen, die nach süßem Teig duftete, nach Zimt und Früchten. Die Räume hinter der Tür waren verdunkelt. Ich hatte sogleich den Eindruck, dass ich vielleicht träumte oder verrückt geworden sein könnte, weil in diesem Halbdunkel an den Wänden, auch auf dem Boden, Lampen, Diodenlichter, glühten. Modelleisenbahnzüge fuhren auf schmalen Geleisen herum. Ich höre noch jetzt das leise Pfeifen einer Dampflokomotive, das meinen Besuch begleitete. Es war eine rasende Zeit, Stunden des Staunens, da in der Wohnung des alten Herrn eine sehr besondere Modellanlage gastierte, ja, ich sollte sagen, dass die Wohnung selbst zur Anlage gehörte, wie der Himmel zur wirklichen Welt. Alle Züge fuhren automatisch von einem Computer gesteuert, die Luft über den Geleisen roch scharf nach Zinn. Wir sprachen indessen nicht viel, Mr. Tomaszweska und ich, sondern schauten dem Leben auf dem Boden in aller Stille zu. An einem Fenster, dessen Vorhänge zugezogen waren, saß Mr. Tomaszweska’s Frau Elisabeth. Sie beachtete mich nicht, starrte vielmehr lächelnd auf eine kleine Klappe, die in die Wand des Hauses eingelassen war. Manchmal öffnete sich die Klappe und ich konnte für Momente das Meer erkennen, das an diesem Tag von grüngrauer Farbe gewesen war, wunderbare Augenblicke, denn immer dann, wenn das Meer in dem kleinen Fenster erschien, lachte die alte Frau mit glockenheller Stimme auf, um kurz darauf wieder zu erstarren. Einmal setzte sich Mr. Tomaszweska neben seine Frau und fütterte sie mit warmem Orangenkuchen, den er selbst gebacken hatte. Und wie wir uns wieder auf den Boden setzten, um ein Modell des Orientexpress durch die Zimmer der Wohnung kreisen zu sehen, erzählt der alte Mann, dass sie gemeinsam hier oben sehr glücklich seien. Er könne mit seiner Frau zwar nicht mehr sprechen, er könne sie nur noch streicheln, was sie irgendwie verstehen würde oder sich erinnern an die Sprache seiner Hände. Verstehst Du, sagte er, sie vergisst immer sofort, alles vergisst sie, auch wer ich bin, aber sie vergisst niemals nach den kleinen Engeln zu sehen, die uns besuchen, sie kommen dort durch die Klappe, siehst Du, schau genau hin, es ist schon ein Wunder, sagte der alte Mann, wie schön sie lacht, mein junges Mädchen, nicht wahr, mein junges Mädchen. — stop
vom zufall
delta : 0.12 — Henry erzählte, er habe vor einigen Wochen eine Kartonschachtel erworben für 80 Cent. Zu Hause habe er im Inneren der Schachtel einhundertundzwölf Schwarz-Weiß-Fotografien entdeckt, Fotografien einer Zeit um das Jahr 1965 herum. Menschen, die auf diesen Fotografien zu sehen sind, tragen Schuhwerk jener Jahre, Mäntel, Hüte. Auch Automobile, die da und dort im Hintergrund zu sehen sind, verweisen auf die Mitte eines Jahrzehntes, als Henry selbst geboren worden war. Er habe die Bilder nun digitalisiert und würde sie in wenigen Tagen auf einer Webseite veröffentlichen mit der Bitte, sich bei ihm zu melden, sobald man sich selbst auf einer der Fotografien entdecken würde. Ich wollte wissen, warum er so handele. Henry antwortete, er habe das Gefühl, diese Aufnahmen könnten vielleicht fehlen, irgendjemandem, einem Album, einer Geschichte. Ja, selbstverständlich sei ihm bewusst, dass nur durch einen Zufall seine Seite von genau jenen Menschen besucht werden würde, die sich wieder erkennen könnten, es gehe ihm rein um die Möglichkeit, dass sich dieser Zufall ereignen könne, er habe im Grunde die Möglichkeit eines Zufalles geschaffen. Eine der Fotografien soll ein hölzernes Feuerwehrauto zeigen, das von Kinderhand geführt über einen Teppich fährt. In dem Teppich sei ein Loch, das ihn an ein Brandloch erinnert habe. Eine weitere Aufnahme zeige eine Gardine, die sich im Wind zu bewegen scheine, im Hintergrund etwas Himmel, Wolken und ein Flugzeug. Und diese alte Frau, die auf einer Parkbank sitzt, sie wird, sagte Henry, vielleicht oder sehr sicher nicht mehr unter den Lebenden sein. Sie hält einen Fotoapparat, es könnte sich um eine Leica handeln, in ihren Händen. Die alte Frau lacht, es ist Sommer, sie lacht wie jene andere, etwas jüngere Frau, die auf einem steinigen Weg breitbeinig steht, ein Fuß ist zur Seite geknickt, auch sie hält eine Kamera, ein Leica vielleicht, ihn ihren Händen. — stop
fingergeschichte
india : 6.14 — Nehmen wir einmal an, irgendwann in den kommenden Jahrzehnten würde es möglich sein, einen Laden zu betreten wie man heute eine Apotheke betritt, um sich einen sechsten Finger für die rechte Hand zu bestellen. Oder ein drittes Ohr, oder ein fünftes Auge, eines, mit dem man schlafen könnte, während alle weiteren Augen das Geschehen in der nächsten Umgebung überwachen. Was darf es denn bitte sein, wird man gefragt. Man antwortet unverzüglich: Guten Abend, ich hätte gerne einen Finger, sagen Sie, wann könnte der Finger einer rechten Hand frühestens fertig ausgewachsen sein? Und schon ist man wieder auf die Straße getreten. Man ist zufrieden, ja glücklich, weil man sich schon lange Zeit einen sechsten Finger wünschte, sie sind nicht ganz billig zu haben, man muss sich einen sechsten Finger sehr wohl überlegen. Aber wenn man den Finger dann verbindlich bestellt haben wird, ist alles ganz einfach geworden. Ein oder zwei Wochen, nicht länger wird man warten, bis man den Finger in sich wachsen fühlt. Es ist ein schmerzloser Vorgang, eine lang erprobte Sache, man hat schon viel vom Wachsen der Finger gehört. Der ein oder andere Freund verfügt bereits über Füße, auf welchen man sehr viel besser stehen kann, als noch zuvor. Auch sind Menschen, die über Ohren gebieten, mit welchen man von den Schultern aus die Welt belauschen kann, längst keine Seltenheit. Irgendwo im Norden soll eine Frau existieren, die fliegen kann, ein Wunsch vielleicht, Legende, aber nehmen wir doch einmal an, es würden bald Läden existieren für fliegende Menschen, oder Läden für moderne Kiemenwesen, wenn doch das Wasser weltweit gegen die Küsten steigt. — Früher Morgen. Dieser kleine Text wurde in einer Straßenbahn notiert. Die Straßen dampfen. Ich bin sehr schön wach geworden, weil ich durchgeschüttelt worden bin. Um mich herum schlafen noch ein paar sehr müde Menschen. Es ist eine sehr alte Straßenbahn. Über uns leuchtet Glühbirnenlicht. — stop
josephine auf der mary murray
tango : 6.34 — Ist das nicht eine wunderbare Vorstellung, wie sich Josephine an einem warmen Samstagvormittag auf den Weg macht nach New Jersey, um das Wrack der MS Mary Murray zu besichtigen? Wie sie ein Taxi ordert. Wie der Fahrer erzählt, dass er noch nie eine so weite Fahrt unternommen habe im Auftrag. Eigentlich dürfe er mit seinem Wagen die Stadt nicht verlassen. Also steigen sie in Josephines Auto um, einen uralten Buick, der seit über einem Jahrzehnt nicht aus der Garage bewegt worden war. Sie nehmen die Verrazano-Narrows Bridge südwärts. Josephine raucht schon lange nicht mehr, aber heute macht sie eine Ausnahme, eine. Ihr dünnes weißes Haar, das im Wind flattert, fängt sie mit wendigen Fingern wieder ein. Sie trägt Turnschuhe und ein orangefarbenes, sommerliches Kleid. Die Haut ihrer Beine, Arme, Schultern sind hell wie ihr Haar. Eine Stunde rauschen sie wortlos auf dem New Jersey Turnpike dahin. Nahe Freeholf halten sie an. Gleich neben dem Highway bewegt sich ein Fluss, dunkles, müdes Wasser, langsam. Am Ufer wartet ein junger, bärtiger Mann in einem Paddelboot von leuchtend roter Farbe. Wie Josephine sich in diesem Augenblick wünscht, fotografiert zu werden, wie sie sich in das Boot setzt, wie sie ihren Strohhut mit beiden Händen zurechtrückt, dann fahren sie los, unter mächtigen Brücken hindurch in Richtung des Raritanflusses. Möwen stehen im brackigen Wasser. Es ist fast still, nur das Geräusch des Paddels, ein paar Fliegen brummen durch die Luft. Einmal nähert sich ein Hubschrauber der Küstenwache, dreht wieder ab. Und plötzlich ist sie zu sehen, eine Fata Morgana in der Landschaft, das ausrangierte gewaltige Fährschiff der Staten Island Flotte, die MS Mary Murray. Schlagseite steuerbords ruht sie in einem Bett von Schilf, Libellen schießen hin und her, blaue und grüne riesige Tiere. Wie sich Josephine und der junge Mann dem Schiffswrack vorsichtig nähern. Wie der junge Mann eine Leiter am Rumpf des Schiffes befestigt. Wir sehen der alten Dame zu, wie sie vorsichtig Sprosse um Sprosse erklimmt. Ihr behutsamer Gang über das Deck, das sich neigt. Jetzt, da die Farben vom Schiffskörper fallen, von Stürmen und Regen gepeitscht, von der Sonne gebrannt, kann man das hölzerne Herz der alten Flottendame erkennen, Käfer und Ameisen spazieren über die Sitzbänke der Promenade. Josephine muss nicht lange suchen, im Schatten einer Ulme, die sich über das Schiff zu beugen scheint, eine Sitzbank, hier genau, ja, hier genau muss die Schrift ihrer Schwester Geraldine zu entdecken sein, ein Satz nur, den das kleine Mädchen im Jahr 1952 an einem Sommernachmittag auf dem Weg von Manhattan nach Staten Island in das Holz der Bank geritzt hatte, während ihre Zwillingsschwester Charlotte sie vor Entdeckung schützte. Wie Josephines zitternde Finger in diesem Augenblick über die Vertiefung der Zeichen fahren. — stop
josephine auf dem bildschirm
echo : 15.07 — Gestern Abend habe ich zum ersten Mal mit Josephine, einer alten Dame, die in Brooklyn wohnt, ein Gespräch über Skype geführt. Ich weiß nicht genau, wie lange Zeit ich benötigte, sie davon zu überzeugen, dass das Telefonieren mittels eines Computers nicht gefährlich sei, vielmehr angenehm, weil man einander sehen könne, wenngleich etwas in der Zeit verzögert. Ich glaube, es waren Monate gewesen. Ich musste ihr zuletzt hoch und heilig versprechen, keine Fotografien von ihrem Abbild zu machen, oder nur dann, wenn sie mir das Fotografieren ausdrücklich gestatten würde. — Früher Nachmittag in Brooklyn, die Sonne schien noch, genau die Sonne, die bei mir längst untergegangen war. Josephine hatte eine Lesebrille aufgesetzt, ihr rotes Haar schimmerte im hellen Licht, das von den Fenstern her auf sie fiel. Aber das Zimmer, in dem sie saß, lag im Schatten. Ich konnte eine Lampe erkennen, die neben jenem Schreibtisch stand, vor dem Josephine Platz genommen hatte, um genau in diesem Moment mein Gesicht auf einem Bildschirm zu betrachten. Wir waren uns schon einmal persönlich begegnet, aber nicht in dieser Weise, ich konnte sehen, dass sie sich geschminkt hatte und ein wenig nervös war, vermutlich deshalb, weil sie nicht wie üblich im Gespräch mit ihrem Telefon auf und ab laufen konnte. Wie geht es Ihnen, erkundigte sie sich. Ich antwortete, dass es mir gut gehen würde, eine leichte Erkältung vielleicht, nichts Ernstes. Es soll kalt werden in den kommenden Tagen, sagte Josephine. Sie sprach langsam, überlegt, wie immer, wenn sie in deutscher Sprache formulierte, und sie lachte und stand kurz darauf vor dem Computer auf, sodass sie für mich unsichtbar wurde. Sie fragte, ob ich sie noch hören könne, das Bild, das ich auf dem Schirm meines Computers sehen konnte, wackelte jetzt, weil sich der Computer der alten Dame selbst zu bewegen schien. Tatsächlich hatte sie ihr Netbook vom Tisch gehoben und war mit ihm zum Fenster gelaufen, hatte die kleine Maschine auf das Fenstersims gestellt, sodass ich einen Ausblick hatte auf die Brooklyn Heights Promenade, auf das dunstige Meer, es war ein wunderbarer Moment gewesen. Ich konnte Menschen erkennen, die unter Regenschirmen spazierten, es schien windig zu sein, Kinder spielten im Garten des Hauses, unter dessen Dach Josephine seit Jahrzehnten lebt, Laub wirbelte herum, ein paar Läufer kreuzten durch das Bild, am Pier 5 ankerten zwei Schlepper. Es war ein beinahe vertrauter Ausblick gewesen. Und wieder wackelte das Bild und das Meer verschwand und Josephine wurde erneut sichtbar. Können Sie mich sehen, wollte sie wissen, können Sie mich wirklich sehen? — stop
recuerdo
nordpol : 2.38 — Eine sanfte Interpretation des Gedichtes Recuerdo von Edna St. Vincent Millay entdeckt: Rebecca Luker und Jeff Blumenkrantz live at the Zipper Factory ( New York / Hells Kittchen ) 2005, Jahrzehnte zuvor spricht die Urheberin des Gedichtes selbst. > WE were very tired, we were very merry / We had gone back and forth all night on the ferry. / It was bare and bright, and smelled like a stable / But we looked into a fire, we leaned across a table, / We lay on a hill-top underneath the moon; / And the whistles kept blowing, and the dawn came soon. // We were very tired, we were very merry / We had gone back and forth all night on the ferry; / And you ate an apple, and I ate a pear, / From a dozen of each we had bought somewhere; / And the sky went wan, and the wind came cold, / And the sun rose dripping, a bucketful of gold. // We were very tired, we were very merry, / We had gone back and forth all night on the ferry. / We hailed, “Good morrow, mother!” to a shawl-covered head, / And bought a morning paper, which neither of us read; / And she wept, “God bless you!” for the apples and pears, / And we gave her all our money but our subway fares.- stop / filmquellen: jeff blumenkrantz & mellow cricket — you tube
fischvögel
~ : louis
to : Madame van Lishout
subject : FISCHVÖGEL
Sehr geehrte Madame van Lishout, verzeihen Sie bitte vielmals mein Schreiben auf elektrischem Wege. Ich bin nicht sicher, ob ich Ihre korrekte Adresse erinnere. Ein Brief auf Papier mit unterzeichneter Bestellung wurde an folgende Anschrift gesendet: M.v.L., Challions 7, 4968 Malmersby, Belgium. Es geht um ein dringendes Geschenk, das bis zum 10. August für einen Freund fertiggestellt sein muss. Sie erinnern sich vielleicht, es geht um jenen Freund, der seit einem Jahrzehnt im Wasser existiert. Da die Kreation unter der Wasseroberfläche lebender Singvögel nicht möglich ist, – ich habe Ihre Erläuterungen verstanden -, sehr wohl aber die Manufaktur eines Fischpärchens, das in Gestalt und Benehmen Singvögeln ähnlich sein könnte, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie für mich ein oder zwei Entwürfe zur Verwirklichung formulieren würden. Auch einen Käfig, der in Süßwasser längere Zeit überdauern könnte, habe ich vor, in Auftrag zu geben, schön wäre ein filigranes Gehäuse von dunklem Holz. In der Größe sollte das Pärchen vogelähnlicher Fische die Dimension der Zeisige nicht übertreffen, da die Wasserwohnung meines Freundes eher bescheiden ausgefallen ist. In der farblichen Ausführung wünsche ich weiche pastellfarbene Töne. Ein gewisses Leuchtvermögen von innen her wäre wundervoll. Könnte dies alles möglich sein, würden Sie mich sehr glücklich erleben. Der Gesang der kleinen Fische sollte fröhlich, nicht allzu laut, vor allem eben heiter sein. Ich erwarte Ihre Antwort dringend und verbleibe hochachtungsvoll mit freundlichen, dankbaren Grüßen. Ihr Mr. Louis
gesendet am
5.06.2012
2.58 MEZ
1551 zeichen