himalaya : 0.45 UTC – Original-Nachricht / Betreff: Undelivered Mail Returned to Sender Datum: 2016–11-14T00:12:38+0300 – I’m sorry to have to inform you that your message could not be delivered to one or more recipients. It’s attached below. For further assistance, please send mail to postmaster. If you do so, please include this problem report. You can delete your own text from the attached returned message. NOTE: Lieber Teddy, schon vier Jahre sind nun vergangen, seit ich hörte, dass Du in Peking gestorben sein sollst. Es ist eine kühle, eine beinahe eisige Winternacht heute, kaum Wind. Wenn Du noch leben würdest, würdest Du vermutlich gerade schlafen. Ich hatte mir vorgenommen, an Dich zu denken. Also habe ich mich auf mein Sofa gesetzt und mir vorgestellt, wie Du zu mir sprichst. Aber ich konnte mich an Deine Stimme nicht erinnern. Ich saß lange Zeit ganz still und hörte meinen Gedanken zu, die nach einem Gespräch mit Dir suchten. Nach einer Stunde erinnerte ich mich, wie Du einmal von Deinen Fahrrädern erzähltest. Du hattest ihnen Namen gegeben: Maria 1 und Maria 2, das war mir damals seltsam vorgekommen. Auch heute wüsste ich nicht, welchen Namen ich selbst meinem Fahrrad geben würde, es ist eben ein Fahrrad. Und ich fragte mich, ob Du auch Deiner Fotokamera vielleicht einen Namen gegeben haben könntest. Da war plötzlich der Klang Deiner Stimme in meinen Ohren gewesen, die von etwas ganz anderem erzählte. Wie in den Jahren zuvor, lieber Teddy, sichere ich auch in diesem Jahr eine Deiner Fotografien, von deren Geschichte, der Geschichte des Tages, an dem sie aufgenommen wurde, Du mir leider nie erzählen wirst. – Dein Louis < t.s@posteo.de: host mx02 . posteo . de [95 . 922 . 192 . 155] said: 550 5.1.1 < t.s@posteo.de>: Recipient address rejected: undeliverable address: Recipient address lookup failed (in reply to RCPT TO command) – The mail system – stop
Aus der Wörtersammlung: nachricht
oft habe man tage lang gewartet
nordpol : 2.58 — Von ihrer Zeit, die sie als Flüchtlingskind auf dem Land verbrachte, erzählt Mutter immer wieder gern. Sie hatten genug zu essen, weil sie und ihre Schwestern bei einer Bauernfamilie wohnten. Wenn der Vater am Wochenende zu Besuch kam, ahnte sie nichts von Tieffliegerangriffen auf Züge, mit welchen der Vater reiste, aber an seine staubigen Anzüge, weil er sich auf den Boden werfen musste. Die brennende Stadt München, obwohl in großer Entfernung liegend, war im Schein der Feuer damals am Horizont zu erahnen gewesen, wie Abendrot inmitten der Nächte. Dann das Warten auf eine Nachricht am nächsten Morgen. Oft habe man tagelang gewartet. Sie selbst habe zweimal einen Bombenangriff auf München erlebt, das war zu Beginn des Luftkrieges. Sie habe sich nicht gefürchtet, es sei vielmehr spannend gewesen, mit ihren Nachbarn und anderen Leuten so eng in einem Keller zu sitzen. Es gab Pralinen für die Kinder und einen Geschichtenerzähler. Ein Jahr später sei ihre große Schwester nach einem Angriff lange Zeit verschüttet gewesen und deshalb für Wochen verstummt. In dieser Zeit habe sie gehört, dass die Schollwöcks abgeholt worden seien, sie könne nicht sagen, weshalb sie als Kind schon wusste, dass das Abholen etwas Schreckliches gewesen sein musste für die, die abgeholt wurden. Sie habe beobachtet, dass die Abgeholten niemals wiedergekommen seien, und dass von ihnen bald nicht mehr gesprochen wurde. Das alles habe sie als Kind schon so bemerkt, weil Kinder sehr viel mehr bemerkt haben, als die Erwachsenen vielleicht glaubten. Dass die Eltern in der Wohnung vor dem Krieg das Hitlerbild immer umgedreht haben, davon durfte sie nicht erzählen, in der Schule nicht und auch anderswo nicht. Einmal sei sie vom Land her wieder in die zerstörte Stadt zurückgekommen, es war ein nebliger Tag gewesen, sie habe zunächst gedacht, es sei der Nebel, aber das Haus, in dem sie und ihre Schwestern aufgewachsen waren, existierte nicht mehr. Damals würden sie Bisamratten gegessen haben, die schmeckten sehr gut, und der Vater sei gelb geworden im Gesicht, weil seine letzte Niere langsam versagte. In dieser Zeit habe der Vater ihr viel von der Welt erzählt, wie sie funktioniert, er sei verstört gewesen, dann sei er gestorben. — stop
über grönland
sierra : 0.25 — Plötzlich, wir flogen gerade über Grönland dahin, wurde das Mädchen wach mitten in der Nacht während eines Fluges gegen die Zeitrichtung von Ost nach West. Als wir in New York starteten, beinahe dunkel, oben, in großer Höhe über Boston wurde es etwas heller, Himmelsfarben von zartem Blau und orangefarbenen Tönen, die sich während des Nachtfluges kaum veränderten. Rauschende Stille unter dem Kabinendach, das sich über schlafenden Menschen wölbte, da und dort leuchtete der Bildschirm eines Computers oder eines Telefons im Dämmerlicht. Es war kühl geworden, vielleicht deshalb, weil es kühl geworden war, wachte das Mädchen auf. Das Mädchen war eine Japanerin, ungefähr sechzehn Jahre alt, zierlich, sie schien sehr routiniert im Fliegen zu sein, reckte sich, sah kurz zu mir hin, sah, dass ich eine Decke ausgebreitet hatte über meinen Beinen, fischte selbst eine Decke unter ihrem Sitz hervor, breitete sie über ihren Schoß, holte ein Handy aus ihrer Handtasche, die seltsam schillerte, als würde sie aus Flüssigkeit bestehen, und begann sofort zu schreiben. Das war eine seltsame Art und Weise zu schreiben, wie das Mädchen schrieb. Eine Hand, ihre linke Hand, hielt sie unter der Decke verborgen, in der rechten Hand ruhte das Telefon wie ein kleiner Vogel rücklings, so dass sein Telefonbauch sichtbar wurde, eine Tastatur, über welche nun ein Daumen in einer Geschwindigkeit hüpfte, dass ich meinen Blick nicht lösen konnte. Sie schrieb sehr lange Zeit, notierte WhatsApp — Nachrichten an Personen, deren Avatare ich gut, deren Zeichen ich unmöglich zu lesen vermochte, an Menschen oder Computer, die ihr unverzüglich antworteten, so dass sie von einem Dialog in einen anderen hüpfte, indessen sie ihrerseits beobachtete, wie ich meinerseits ihren Daumen beobachtete, was sie nicht weiter zu stören schien, vielleicht weil ihr gefiel, dass ich ihre Geschicklichkeit bestaunte, oder auch weil sie fand, dass sie über einen hübschen Daumen verfügte. Ihr Daumen war klein, dachte ich noch, weil er einer winzigen Japanerin gehörte, die in der Zeit, da sie neben mir saß, keinen Laut von sich gab. Ihren notierenden Daumen beobachtend, schlief ich schließlich ein. Als ich erwachte, war auch das Mädchen wieder eingeschlafen. Sie lag unter der Decke, die sie bis zu ihren Schultern hochgezogen hatte, ihre Hände waren vermutlich vor der Brust gekreuzt, genau dort bewegte sich etwas, hüpfte. Das war über Irland gewesen. Struktur eines neuen Jahrtausends. — stop
1:16:15
echo : 0.08 — Auf dem Kapitol zu Washington berichtet ein pakistanischer Bürger, Überlebender eines Drohnenangriffs, im Beisein seiner Kinder Abgeordneten des amerikanischen Kongresses: Ich mag keine blauen Himmel mehr. Graue Himmel sind mir lieber. Bei grauem Himmel fliegen die Drohnen nicht. Für kurze Zeit lassen die Angst und die Anspannung nach. Klart der Himmel auf, kehren die Drohnen zurück und mit ihnen die Angst. Wenige Minuten später sind in dem norwegischen Dokumentarfilm Drone Kinder zu sehen, die mit Steinschleudern gegen den Himmel schießen. Auf Flachdächern eines Dorfes werden überlebensgroße Porträts von Opfern des Luftkrieges ausgelegt. Der Versuch eines Gespräches, wie mir scheint, mit in der Ferne operierenden Piloten der Drohnenmaschinen am Himmel, Klage, Bitte, Mahnung. Ist das eine Nachricht? — stop
sechs finger
sierra : 0.28 — Kurz nach Mitternacht wiederum stürzte ein Falter auf meinen Schreibtisch. Ich hatte die Fenster geöffnet, kühle und doch würzige, feuchte Luft von draußen, und eben der Falter, der plötzlich vor mir auf dem Rücken lag und sich nicht mehr rührte, als wäre er während seines Nachtfluges tief und fest eingeschlafen. Da war nun eine seltsame Frage. Wie wecke ich einen schlafenden Falter, ohne ihn in Angst und Schrecken zu versetzen? Ich könnte mit meinem Atem etwas Wind erzeugen, oder aber ich könnte nach einem feinen Pinsel suchen. Ich könnte andererseits vorgeben, als wäre der Falter nicht wirklich. Ich muss das nicht sofort entscheiden. Nein, ich muss das nicht sofort entscheiden. Ich notiere: Vor wenigen Stunden meldeten Nachrichtenagenturen, Rebellen hätten einen Korridor zu eingeschlossenen Menschen im Zentrum der Stadt Aleppo freigekämpft. Wer sind diese Rebellen, was denken sie, was haben sie vor? Vor wenigen Tagen noch beobachtete ich, wie die kleine M. ihre Finger zählte, es war seltsamerweise immerzu sechs Finger. Auch ich habe sechs Finger, wenn M. sie zählt. — stop
ein faden
echo : 22.02 — Einmal fuhr ich auf einer Staten Island Fähre über die Upper New York Upper Bay spazieren. Ich war konzentriert. Ich hatte eine Aufgabe. Ich beobachtete den Himmel. Ich beobachtete die Wolken. Ich beobachtete die Häuser an der südlichen Spitze der Insel Manhattan. Ich erinnerte mich an den Film The Look. Es war Sommer. Es war Nachmittag. Ich hörte Nachrichten aus einem Radio, die von einem Hurrikane erzählten, der sich von Westen her nähere. Menschen saßen schweigsam herum, sie fächerten sich Luft zu. Auf dem Dach eines älteren Gebäudes hockten Möwen in großer Höhe. Sie wirkten, als wären sie Erfindungen, kaum sichtbar, ein Schimmern in der Luft. In diesem Augenblick löste sich eine der Möwen vom Dach des Hauses, das ich beobachtete. Sie segelte über den Battery Park, flog bald in einem großzügigen Bogen gegen den Wind, um schnell näherzukommen. Wenige Sekunden später landete die Möwe nur wenige Meter entfernt auf der Reling des Schiffes. Eine Weile blieb sie dort sitzen, sie schien mich zu betrachten. Dann flog sie los, flog zurück ungefähr auf demselben Weg, den sie für ihren Hinflug genommen hatte. Bald saß sie wieder auf dem Dach des alten Hauses unter weiteren Möwen, eine schimmernde Erfindung, dachte ich, sehr klein, ich konnte sie gut erkennen entlang eines Fadens von Bildern, den ich verzeichnet hatte. — stop
von lilli
tango : 1.02 — Es ist denkbar, dass Lilli Tampere eine Ausnahme ist. Sie scheint vom frühen Morgen an bis in den späten Abend hinein, auch während der Nacht noch, Twitternachrichten zu notieren. 17558 Botschaften will sie persönlich in einem Zeitraum von 15 Monaten in sieben Sprachen verfasst haben. Ich dachte selbstverständlich über Zahlen, Tage, Stunden, Minuten, Anschläge nach, ich wunderte mich, ich war begeistert, sofort habe ich Lilli Tampere einen Brief gesendet. Ich habe geschrieben: Lieber red_maki, wie heißen Sie wirklich! Ich kann nicht glauben, dass Sie tatsächlich existieren in der Art und Weise, dass Sie über ein einzelnes, schlagendes Herz verfügen, vermutlich sind Sie, in Betrachtung der ungeheuren Zahl der Textnachrichten, die Sie bereits gesendet haben, entweder eine Person, die sich aus zahlreichen Personen oder Herzen fügt, oder aber Sie sind ein Computer! — Red_maki antwortete umgehend: Lieber Herr Louis, ich bin sehr begabt, ich habe kleine, schnelle Hände, ich muss niemals schlafen, ich bin kein Computer, ich heiße Lilli Tampere. Guten Morgen! – Ich muss das weiter beobachten. — stop
ai : BAHRAIN
MENSCH IN GEFAHR : “Der bahrainische Menschenrechtsverteidiger Nabeel Rajab ist am 13. Juni festgenommen worden. Er ist wegen “Verbreitung von falschen Informationen und Gerüchten mit dem Ziel, den Staat in Verruf zu bringen” angeklagt. Die Staatsanwaltschaft hat eine siebentägige Haftanordnung gegen ihn erlassen. Er ist ein gewaltloser politischer Gefangener. Am 13. Juni gegen 5 Uhr morgens umstellten Bereitschaftspolizist_innen das Viertel des Dorfes Bani Jamra westlich der Hauptstadt Manama, in dem Nabeel Rajab wohnt, und nahmen den Menschenrechtsverteidiger fest. Sie legten einen Durchsuchungsbeschluss für sein Haus sowie einen Haftbefehl gegen ihn und einen Beschluss für seine Übergabe an die Kriminalpolizei vor. Eine Begründung für diese Maßnahmen war daraus jedoch nicht ersichtlich. Sein Handy und sein Computer wurden beschlagnahmt und er ist auf die Polizeistation in Ost-Riffa südlich von Manama gebracht worden, wo er sich noch immer befindet. Man hat ihm erlaubt, seine Familie anzurufen. Am 14. Juni hat man Nabeel Rajab zur Staatsanwaltschaft gebracht, wo er wegen “Verbreitung von falschen Informationen und Gerüchten mit dem Ziel, den Staat in Verruf zu bringen” angeklagt wurde. Die Staatsanwaltschaft erließ zudem wegen der laufenden Ermittlungen eine siebentägige Haftanordnung gegen ihn. Die Rechtsbeistände von Nabeel Rajab waren bei dem Termin am 14. Juni anwesend. Als seine Angehörigen ihn gegen 21 Uhr desselben Tages besuchten, sagte er ihnen, dass man ihn anders als andere Gefangene in Einzelhaft festhalte. Gegen Nabeel Rajab wird zusätzlich wegen separater Vorwürfe bezüglich einiger Twitter-Kommentare und geteilter Twitter-Nachrichten ermittelt. Themen der Kommentare sollen der Krieg im Jemen und Foltervorwürfe im Zusammengang mit einem Häftlingsstreik am 10. März 2015 im Jaw-Gefängnis gewesen sein. Sollte auch dieser Fall vor Gericht gebracht und Nabeel Rajab verurteilt werden, drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Im November 2014 wurde ein Reiseverbot gegen ihn verhängt.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 28. Juli 2016 hinaus, unter > ai : urgent action
julia : letzte position 29°05’22.3“N 12°25’35.9“E
tango : 2.01 — Vor wenigen Stunden erreichte mich die Nachricht von der Existenz weiterer Fotografien, die enthauptete Menschen zeigen sollen. Ein Verweis, der zu den Aufnahmen im Netz führe, sei auf Position Twitter zu lesen. Ich überlegte eine Weile, ob ich dem beigefügten Link folgen sollte. Ich dachte, wie nah wir doch immer wieder Höllenansichten kommen, die möglicherweise nur deshalb produziert werden, weil zu vermuten ist, dass Millionen Menschen weltweit sie betrachten werden. Ich notierte einen Briefentwurf: Mein lieber Maximilian, vielen Dank, dass Du mich wieder einmal auf schreckliche Ereignisse, die sich in der libyschen Wüste ereignet haben, aufmerksam machst. Noch einmal will ich Dich bitten, auf weitere Hinweise dieser Art zu verzichten, da ich leblose Köpfe nicht weiter besichtigen möchte, sie wirken so hilflos, müde, und entsetzt von der ungeheuren Gewalt, die in der letzten Sekunde ihres Lebens auf sie wirkte. Ich weiß, Du kannst selbst nicht damit nicht aufhören, Du zählst menschliche Köpfe ohne Leib, Du vergleichst leblose Gesichter, Du sicherst Beweise, ich nehme an, Du wirst Dich in dieser Arbeit weniger hilflos fühlen. Wie traurig, dass noch immer keine Nachricht von Julia bei Dir eingetroffen ist, keine Spur in der Wüste, kein Hinweis, es ist eine Tragödie. Vielleicht willst Du mich einmal besuchen! Wir könnten spazieren, Du könntest mir erzählen, ich könnte Dir zuhören. Im botanischen Garten wird gerade der Honig der Wildbienen geerntet. Herzliche Grüße sendet Dir Dein Louis – stop
nachts gegen drei
sierra : 3.01 — Um kurz vor drei Uhr nachts stand ich vor dem geöffneten Fenster und schaute zu den Sternen. Ich hatte die Nachricht erhalten, am Himmel über mir werde die Internationale Raumstation ISS sichtbar werden ( Time: Thu May 26 3:01 AM, Visible: 6 min, Max Height: 69°, Appears: 10° above WNW, Disappears: 11° above E ) ein Pünktchen, das sich, von der bald aufgehenden Sonne beleuchtet, rasend schnell über das Firmament bewegen würde, genau so war es berichtet worden von einem Beobachter, der mehrfach Augenzeuge gewesen sein will. Aber der Himmel war bedeckt, es regnete leicht. Wie ich mich gerade abwenden wollte, entdeckte ich eine Fliege, die auf schnurgerader Bahn mein Fenster passierte. Sie kam von rechts, also von Norden her, und ich fragte mich, wie das möglich sei, weil es doch regnete, schwere Tropfen. Kaum hatte ich meine Frage im Kopf so formuliert, dass ich sie wahrnehmen konnte, war die Fliege, ohne eine Spur zu hinterlassen, ohne einen Beweis ihrer Existenz, in der Dunkelheit verschwunden gewesen. — stop