Aus der Wörtersammlung: zimmer

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regenschirm

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hima­la­ya : 1.32 — Ich stell­te mir einen Schrift­stel­ler des digi­ta­len Zeit­al­ters vor, der täg­lich öffent­lich Gedan­ken in digi­ta­ler Wei­se notiert. Geschich­ten, die sich nicht immer tat­säch­lich ereig­net haben müs­sen. Ein­mal sitzt er vor der Schreib­ma­schi­ne, er bewegt sich nicht, scheint müde zu sein, nie­der­ge­schla­gen. Weni­ge Stun­den zuvor hat­te er bemerkt, dass er sich fürch­te­te. Den gan­zen Tag über ver­such­te er die­se Erkennt­nis wie ein Geheim­nis vor sich selbst zu ver­ste­cken. Es ging um nicht ande­res, als um sei­nen Wunsch, einen Satz oder Gedan­ken des ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­lis­ten Dani­el Ells­berg zu zitie­ren. Die­ser Gedan­ke war ein nicht sehr kom­pli­zier­ter Gedan­ke, 34 Zei­chen, aber einer, der in der Nähe eines Namens sich ent­fal­te­te, des­sen Zei­chen­fol­ge sicher von gehei­men Robots bemerkt wer­den wür­de, einem Namen, der einem Signal­feu­er ähnelt. Der Gedan­ke geht so: Sec­re­cy cor­rupts, just as power cor­rupts. Der Schrift­stel­ler, der sich eigent­lich für eine muti­ge Per­son gehal­ten hat­te, ent­deck­te sein Unbe­ha­gen ange­sichts der Mög­lich­keit, auf­zu­fal­len, indem er den Namen Dani­el Ellsberg’s in sei­nen Text ein­fü­gen wür­de. Er saß auf einem har­ten Stuhl vor sei­nem Schreib­tisch. Regen pras­sel­te gegen die Schei­ben des Zim­mers. Er war­te­te eine hal­be Stun­de. Dann stand er auf, warf sich sei­nen Man­tel über, hol­te einen Regen­schirm aus dem Schrank und ging spa­zie­ren. Nach fünf Stun­den kehr­te er zurück und setz­te sich wie­der vor die Schreib­ma­schi­ne. — stop
polaroidmalerei

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cloud

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ulys­ses : 2.05 — Neh­men wir ein­mal an, es wäre tat­säch­lich Mon­tag. Ein stür­mi­scher Tag. Es reg­net. Der Wind kommt von Wes­ten her. Ich gehe nach links, ich gehe mit dem Regen, mit Wind im Rücken. Viel­leicht habe ich die Maschi­ne, die mich in mei­ner Abwe­sen­heit besuch­te, des­halb nicht gese­hen. Sie muss über einen Schlüs­sel ver­fü­gen oder über beson­de­res Geschick. Sie arbei­te­te schnell, ich war kaum drei Stun­den unter­wegs. Ich war am Bahn­hof, habe etwas Reis mit Huhn geges­sen, spa­zier­te am Fluss, viel bun­tes Laub, traf eine Freun­din, die von einer Rei­se nach Dar­jee­ling erzähl­te, von den höl­zer­nen Zügen und vom Schnee, der so über­ra­schend gefal­len war, dass sie nach einer Nacht im Schlaf, vor einem Fens­ter ste­hend, ihren Augen nicht trau­te. Wie ich also nach Hau­se kom­me, sehe ich auf der Stra­ße Bücher lie­gen, es waren hun­der­te Bücher, ein klei­ner Berg im Vor­gar­ten, auch in den Kro­nen der Bäu­me waren Bücher hän­gen­ge­blie­ben. Die Woh­nungs­tür war ange­lehnt, die Fens­ter im Arbeits­zim­mer geöff­net. Inmit­ten die­ses Zim­mers stand nun jene Maschi­ne, deren Kom­men ich nicht wahr­ge­nom­men hat­te. Ein letz­tes Buch war in ihren Griff genom­men, rasend schnell blät­ter­te sie von einer Sei­te zur ande­ren, foto­gra­fier­te jede der Sei­ten, und schleu­der­te das Buch schließ­lich mit einer geschmei­di­gen Bewe­gung aus dem Fens­ter. Die Maschi­ne summ­te lei­se. Sie ver­füg­te über einen auf­rech­ten Gang wie ein Mensch. Ich hör­te ihre Schrit­te auf der Trep­pe. Ich schloss die Tür, auch mei­ne was­ser­fes­ten Bücher im Bad waren ver­schwun­den, Notiz­hef­te, Zet­tel­samm­lung, alles ver­schwun­den an die­sem stür­mi­schen Tag, der ein Mon­tag ist. Es reg­net. Und der Wind kommt von Wes­ten her. Noch ist es dun­kel, noch drei oder vier Stun­den wird es dun­kel sein. Gegen fünf Uhr wer­de ich die ers­te Stra­ßen­bahn hören, wie sie sich nähert, wie sie in eine Kur­ve fährt, ihr Pfei­fen, und die Stim­men schläf­ri­ger Men­schen. — stop

polaroidfenster1

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ballon

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sier­ra : 0.58 — Heu­te ist es mir gelun­gen, von einem Fens­ter aus, den ers­ten Flug­kör­per mei­nes erwach­se­nen Lebens auf­stei­gen zu las­sen. Ich hat­te eine Fla­sche Heli­um bestellt, eine Samm­lung roter, kugel­för­mi­ger Foli­en­bal­lo­ne, sowie fes­ten Zwirn. Alle die­se Din­ge wur­den an dem­sel­ben Tag per Post gelie­fert, ein erstaun­li­cher Vor­gang für sich. Ich notier­te also mei­ne Adres­se hand­schrift­lich auf eine Kar­te, die ich etwas spä­ter in einen trans­pa­ren­ten, was­ser­fes­ten Umschlag steck­te, sowie eine klei­ne Bot­schaft, die davon erzähl­te, dass vor­ge­fun­de­ne Kar­te, die ers­te Luft­post­kar­te gewe­sen sei, die ich über­haupt jemals abge­schickt haben wür­de. Es war Nach­mit­tag und es war noch hell. Der Bal­lon, den ich ver­suchs­wei­se mit Gas füt­ter­te, stieg an die Decke mei­ner Küche, um von dort aus lang­sam in Rich­tung mei­nes Wohn­zim­mers zu wan­dern. Am spä­ten Abend dann, vor Kur­zem, es war natür­lich dun­kel gewor­den, mein­te ich, von der Dich­te des Bal­lons über­zeugt zu sein, befes­tig­te mei­ne Kar­te, öff­ne­te das Fens­ter, und der Bal­lon stieg lang­sam auf. Er ist jetzt seit drei Stun­den unter­wegs, und selbst­ver­ständ­lich längst unsicht­bar gewor­den. — stop

polaroidarrival2

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esmeralda

pic

tan­go : 22.08 — Vor zwei Tagen, spä­ter Nach­mit­tag, über­reich­te mir ein schwer atmen­der Bote ein Päck­chen, auf des­sen Anschrif­ten­sei­te mit wuch­ti­gen Druck­buch­sta­ben eine Anwei­sung notiert wor­den war: Do not shake! Der jun­ge Mann, viel­leicht um mich zu war­nen, deu­te­te auf die Schach­tel in sei­ner Hand und sag­te: Ich rie­che, dass in die­sem Päck­chen etwas lebt! Und schon war er wie­der auf der Trep­pe ver­schwun­den. Tat­säch­lich han­del­te es sich bei dem Päck­chen um einen Lebend­trans­port, der in der ita­lie­ni­schen Hafen­stadt Tala­mo­ne auf­ge­ge­ben wor­den war. Eine Schne­cke hock­te in einer per­fo­rier­ten Schach­tel geduckt unter wel­ken Blät­tern. Als ich das klei­ne Tier vor­sich­tig auf einen Tel­ler setz­te, mach­te es zunächst einen sehr müden, erschöpf­ten Ein­druck. Sein Haus schien bald vom Kör­per zu rut­schen, auch wur­de kei­ner­lei Flucht­ver­such unter­nom­men, statt­des­sen saß die Schne­cke nahe­zu ohne Bewe­gung und schau­te mich an. Selbst, als ich mich mit einem Fin­ger näher­te, zog sie sich nicht in ihr Kalk­ge­win­de zurück. Eine hal­be Stun­de lang betrach­te­ten wir uns gedul­dig. Dann war spä­ter Abend gewor­den, ich hat­te mehr­fach tele­fo­niert, der Schne­cke ein Apfel­stück­chen ange­bo­ten, das Pack­pa­pier, in wel­ches die Sen­dung ein­ge­schla­gen gewe­sen war, auf der Suche nach einer Bot­schaft oder einem Absen­der, ein­ge­hend unter­sucht, und war dann kurz spa­zie­ren gegan­gen. Indes­sen hat­te sich die Schne­cke in Rich­tung der Süd­wand mei­ner Küche in Bewe­gung gesetzt, war von dort aus, eine schim­mern­de Spur hin­ter­las­send, wei­ter zur Die­le hin gewan­dert, erreich­te dort den Boden, um eine hal­be Stun­de spä­ter mein Arbeits­zim­mer zu betre­ten. Der­art lei­se war die Schne­cke wei­ter­ge­zo­gen, dass ich sie bei­na­he ver­ges­sen hät­te. Dann war Sams­tag, der Sams­tag ver­ging, zwei wei­te­re Stück­chen Apfel, und es wur­de Sonn­tag und wie­der Abend und es begann zu reg­nen. In die­sem Moment sitzt die Schne­cke einen hal­ben Meter hoch über dem Fuß­bo­den an der Wand mei­nes Wohn­zim­mers. Sie scheint zu schla­fen. Wie­der­um ist sie nicht in ihrem Häus­chen ver­schwun­den, was höchst merk­wür­dig ist. — stop

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polaroidanemonen

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prada

pic

tan­go : 5.16 — Die Hand­ta­sche, der ich mich in der ver­gan­ge­nen Nacht ein­ge­hend wid­me­te, ist rot und weiß und von feins­tem Leder. Zwei Fächer sind in ihrem schma­len Bauch zu fin­den, die man mit Druck­knöp­fen ver­schlie­ßen kann. In die­sem Moment steht die Tasche auf vier metal­le­nen Füß­chen vor mir auf dem Schreib­tisch, Schul­ter­rie­men, Tra­ge­hen­kel, Außen­fä­cher, ein wirk­lich ansehn­li­ches Exem­plar, das glänzt und leicht ist. Die Tasche wiegt in nicht befüll­tem Zustand gera­de ein­mal 400 Gramm, so leicht ist die­se Tasche, ganz erstaun­lich. Nun habe ich Fol­gen­des unter­nom­men, ich habe zunächst in sorg­fäl­tigs­ter Wei­se einen präch­ti­gen Haut­bal­lon gefal­tet und in das lin­ke Sei­ten­fach der Leicht­hand­ta­sche abge­legt. Es han­delt sich um ein fili­gra­nes, flug­fä­hi­ges Natur­pro­dukt, wel­ches aus der Schwimm­bla­se eines Mond­fi­sches gefer­tigt wur­de. Ein fei­ner Schlauch, nicht sicht­bar auf den ers­ten Blick, führt vom Hals des Bal­lons wie­der­um zu einem Siphon, in dem sich Heli­um befin­det. Ich habe ihn, nach län­ge­rer Über­le­gung, auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te, im zwei­ten Außen­fach der Tasche unter­ge­bracht. Er ver­fügt über ein Ven­til, wel­ches unkon­trol­lier­tes Aus­strö­men des Gases ver­hin­dert, über einen Ver­schluss also, der mit einer sanf­ten Fin­ger­be­we­gung jeder­zeit geöff­net wer­den könn­te, sodass das Gas im Bruch­teil einer Sekun­de in den Bal­lon schie­ßen, das Fut­te­ral des Bal­lons öff­nen und die Hand­ta­sche mit Auf­trieb ergrei­fen wür­de. Soll­te ich zu die­sem Zeit­punkt das Ven­til der Tasche öff­nen, ende­te ihr Flug an der Decke mei­nes Zim­mers. — Kurz vor fünf Uhr am Mor­gen. Schon zu spät, um inmit­ten der Stadt heim­lich einen Frei­luft­ver­such unter­neh­men zu kön­nen. Noch etwas schla­fen dar­um, dann eine Spin­del mit äußerst fei­nem, aber zug­fes­tem Faden in der Län­ge von 100 Metern an der Tasche befes­ti­gen, dann wie­der Nacht. — stop

polaroidmolluske

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°

ping

ping

alpha : 22.08 — Ich besit­ze zwei Schreib­ma­schi­nen, eine klei­ne, fla­che und eine grö­ße­re, schwe­re Schreib­ma­schi­ne. Nun ist das so: In dem Moment, da ich bei­de Schreib­ma­schi­nen als Lebe­we­sen betrach­te, mei­ne ich dif­fe­ren­zie­rend davon spre­chen zu kön­nen, dass es sich bei jener klei­ne­ren, rei­sen­den Schreib­ma­schi­ne einer­seits, um eine ner­vö­se Maschi­ne han­delt, die kaum jemals zur Ruhe kommt, wäh­rend mei­ne zurück­blei­ben­de Schreib­ma­schi­ne ande­rer­seits, ein vor­nehm­lich sta­tio­nä­res, ein gelas­se­nes, schla­fen­des Leben führt. Seit eini­gen Wochen bereits, bei Tag und bei Nacht, kom­mu­ni­zie­ren bei­de Schreib­ma­schi­nen über grö­ße­re oder klei­ne­re Ent­fer­nun­gen hin­weg. Mei­ne rei­sen­de Schreib­ma­schi­ne erzählt der schla­fen­den Schreib­ma­schi­ne bei­spiels­wei­se Geschich­ten, die wie­der­um ich selbst mit Hän­den notier­te. Das ist des­halb mög­lich gewor­den, weil mei­ne schla­fen­de Schreib­ma­schi­ne nicht wirk­lich schläft, son­dern halb schla­fend dar­auf war­tet, ange­spro­chen, das heißt, geweckt zu wer­den. Zu die­sem Zweck wen­det sich mei­ne rei­sen­de Schreib­ma­schi­ne zunächst an zwei ent­fern­te Ser­ver­ma­schi­nen, an eine mir unbe­kann­te, gehei­me Maschi­ne, sowie an eine mir ver­trau­te Maschi­ne, die sich nahe der Stadt San Fran­cis­co unter wei­te­ren halb schla­fen­den Maschi­nen befin­den soll, um mei­ne Geschich­te dort abzu­le­gen, sodass die­se Geschich­te von der Sekun­de ihrer Über­tra­gung an vier­fach exis­tiert, auch eben dort, wo sie zunächst erzählt wor­den war, sehr flüch­tig in mei­nem Kopf. Nun ereig­net sich fol­gen­des, dass näm­lich jene Ser­ver­ma­schi­ne nahe San Fran­cis­co unver­züg­lich mit mei­ner sta­tio­nä­ren, mit mei­ner halb schla­fend war­ten­den Schreib­ma­schi­ne tele­fo­niert, um mei­ne Geschich­te dort in einer fünf­ten Ver­si­on ein­zu­la­gern, so dass mei­ne rei­sen­de Schreib­ma­schi­ne der zurück­ge­blie­be­nen Schreib­ma­schi­ne in Minu­ten­frist wie­der sehr ähn­lich gewor­den ist. Eine Rou­ti­ne, deren Voll­zug ich mir in die­sen Tagen ger­ne vor­stel­le, wie im Dun­keln eines weit ent­fern­ten Zim­mers das Gespräch der Maschi­nen sicht­bar wird im Fla­ckern eines Dioden­lich­tes, und hör­bar glei­cher­ma­ßen in der sum­men­den Bewe­gung eines magne­tisch schrei­ben­den Stif­tes. – Sonn­tag. — stop. — Guten Abend. — stop

polaroidsubway

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vom fliegen

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echo : 22.08 — Mein Vater ver­füg­te über ein her­vor­ra­gen­des Gedächt­nis. Jah­re­lang konn­te er sich an Geschich­ten erin­nern, die unmit­tel­bar mit Licht­bil­dern, die er auf­ge­nom­men hat­te, in Ver­bin­dung ste­hen. Nun, da er gestor­ben ist, exis­tie­ren vie­le die­ser Geschich­ten im Ver­bor­ge­nen, weil mein Vater sich nicht mehr an sie erin­nert, sie nicht mehr erzäh­len wird. In sei­nem Arbeits­zim­mer, wei­ter­hin unbe­rührt, steht ein schwe­rer, alter Schrank gleich neben einem Fens­ter zum Gar­ten, in wel­chem sich tau­sen­de Auf­nah­men in Maga­zi­nen befin­den. Eini­ge der Maga­zi­ne wur­den beschrif­tet. Ägyp­ten 1986, Chi­ca­go 1978 oder Wan­dern im Wal­lis 1969. Auf einer klei­nen Schach­tel ist Fol­gen­des notiert: Andre­as läuft. 87 Dia­fo­to­gra­fien sind in die­ser Schach­tel ent­hal­ten, far­bi­ge Auf­nah­men, die sich mit mei­nen ers­ten Spa­zier­ver­su­chen ver­bin­den. Ich tra­ge wei­che, hel­le Hosen und einen roten Pull­over. Ich schei­ne sehr begeis­tert gewe­sen zu sein, mache gro­ße, run­de Augen, manch­mal sit­ze ich auf dem Boden und lache, ein ander­mal sit­ze ich auf dem Boden und wei­ne. Auf der ein oder ande­ren Foto­gra­fie kom­men Hän­de von der Sei­te her ins Bild oder sie kom­men von oben. Ein­mal sind nur mei­ne Füße zu sehen, sehr klei­ne Füße in blau­en Strümp­fen. Man könn­te mei­nen, die­se Auf­nah­me wür­de doku­men­tie­ren, dass ich das Flie­gen lern­te, noch ehe ich rich­tig ste­hen und lau­fen konn­te. Indem ich die Bil­der mei­nes Vaters beob­ach­te, wird sei­ne Gegen­wart inten­siv spür­bar, er war bei jeder Auf­nah­me in mei­ner Nähe gewe­sen, in der Nähe eines Kin­des, das zur Zeit der Licht­nah­me noch kei­ne wirk­li­che Vor­stel­lung davon haben konn­te, was Erin­ne­rung ist. Und tat­säch­lich, ich kann mich nicht dar­an erin­nern, wie ich das Lau­fen lern­te. – Spä­ter Abend. stop. In Brook­lyn, Haus 77, Oran­ge St., soll eine Stein­kir­sche, Stein­kir­sche No 632, voll­endet wor­den sein. — stop. — 5.08 Gramm. — stop

ping

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bohumil hrabal

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tan­go : 6.56 — Ich beob­ach­te mei­nen Fern­seh­bild­schirm. Er ist so flach, dass ich mei­ne, das beweg­te Bild, wel­ches er emp­fängt, müss­te trans­pa­rent sein wie ein Schmet­ter­lings­flü­gel. Ich könn­te in die­ser Vor­stel­lung durch das Zim­mer lau­fen, um jene Sequen­zen, die von Kriegs­vor­be­rei­tun­gen, von chir­ur­gi­schen, begrenz­ten Luft­schlä­gen erzäh­len, von der ande­ren Sei­te her zu betrach­ten. Erin­ne­re mich an Boh­u­mil Hra­bal, von dem berich­tet wird, er wür­de bevor­zugt hin­ter sei­nem Fern­seh­ge­rät Platz genom­men haben. Das muss zu einer Zeit gewe­sen sein, als Bild­schir­me in den Rah­men mons­trö­ser Appa­ra­tu­ren hock­ten, Röh­ren­bild­schir­me genau­er, die noch explo­die­ren konn­ten. Indem Hra­bal sei­nen Bild­emp­fän­ger von hin­ten betrach­te­te, han­del­te er mit dem Aus­druck äußers­ter Ver­wei­ge­rung, er saß dort und konn­te sich dar­auf ver­las­sen, kei­nes der emp­fan­ge­nen Bil­der sehen zu kön­nen, er war genau dort hin­ter jener Maschi­ne, die die Bil­der erzeug­te, vor den Bil­dern sicher. Viel­leicht hat­te er über­dies das Fern­seh­ge­rät aus­ge­schal­tet, ich weiß es nicht, gern wür­de ich ihn fra­gen, ihm erzäh­len, wie ich das mache in die­sen Tagen, da ich nicht mehr sicher bin, Lüge von Halb­wahr­heit oder Wahr­heit unter­schei­den zu kön­nen. Wirk­lich, wahr­haf­tig ist die­ses selt­sa­me, schmer­zen­de Gefühl, das ich bei dem Gedan­ken emp­fin­de, man könn­te die Armee des Dik­ta­tors Baschar al-Assad bom­bar­die­ren, sei­ne Flug­hä­fen, sei­ne Flug­zeu­ge, Rake­ten. Es ist ein zufrie­de­nes, zustim­men­des Gefühl, ein Reflex, wie ich so in mei­ner fried­li­chen, siche­ren Woh­nung sit­ze, eine Tas­se Kaf­fee in der Hand. Bald wan­de­re ich in die Küche und bra­te mir einen Fisch, eine klei­ne Dora­de. Ich höre die Stim­men der Kom­men­ta­to­ren vom Arbeits­zim­mer her, die wei­ter spre­chen, obwohl ich abwe­send bin. Und ich höre den Regen, es reg­net tat­säch­lich, dann hört es wie­der auf. Vögel flie­gen vor­über. Auf der Schei­be eines Fens­ters sitzt ein Mari­en­kä­fer und nascht von den Res­ten einer Wes­pe, die ich einen Tag zuvor töte­te, weil sie sich in der Dun­kel­heit mei­nem Bett näher­te. — stop
ping

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fenster zum fluss

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sier­ra : 17.08 — Ein Freund, der sich seit län­ge­rer Zeit in Man­hat­tan auf­hält, erzählt via E‑Mail eine hei­te­re Geschich­te, die er selbst erlebt haben will. Vor eini­gen Tagen habe er dem­zu­fol­ge eine Bekann­te besucht, die ein Apart­ment in einem moder­nen Miets­haus der Upper East Side bewohnt. Es han­de­le sich um eine geräu­mi­ge Woh­nung in der 28. Eta­ge mit fas­zi­nie­ren­der Aus­sicht auf den East River. Eine Lei­den­schaft der Woh­nungs­be­sit­ze­rin, eine Pas­si­on gera­de­zu, sei die Beob­ach­tung der Schif­fe gewor­den, die den Fluss tief unten befah­ren. Der Anblick der Käh­ne und Oze­an­damp­fer beru­hi­ge sie, schon von Wei­tem kön­ne sie erken­nen, wenn sich ein grö­ße­res Schiff vom Atlan­tik her nähe­re. Nicht zu ver­ges­sen natür­lich, jene zier­li­chen, wei­ßen und gel­ben Amei­sen­schif­fe, Was­serta­xis bei Tag und Nacht, und das bestän­di­ge Blin­ken der Spie­ren­ton­nen, Pul­se, wel­che sie durch ihr Fern­glas wahr­neh­men kön­ne. Als nun mein Freund sei­nen Besuch tele­fo­nisch ankün­dig­te, wur­de er gewarnt, der Auf­zug des Hau­ses sei seit zwei Wochen defekt, wes­halb vie­le der älte­ren Bewoh­ner das Haus seit Tagen ent­we­der gar nicht oder für län­ge­re Zeit ganz ver­las­sen haben, er müs­se zu Fuß empor­stei­gen und eine hal­be Stun­de Zeit für sei­nen Auf­stieg berech­nen, er sol­le sich etwas Pro­vi­ant mit­neh­men. Mein Freund mach­te sich weni­ge Stun­den spä­ter auf den Weg nach oben. Weil er nicht trai­niert war, ging er lang­sam, zunächst zähl­te er noch sei­ne Schrit­te, aber bereits in der 6. Eta­ge muss­te er sich set­zen und sei­nen Atem beru­hi­gen. Eini­ge Boten, jun­ge Män­ner mit Ruck­sä­cken auf dem Rücken, kamen vor­über. Kurz dar­auf pas­sier­te ihn eine älte­re Dame, schla­fend oder bewusst­los, auf einer Tra­ge lie­gend abwärts. Höhe der 18. Eta­ge stand die Tür einer Woh­nung offen. Tre­ten Sie ein, war auf einem Zet­tel zu lesen. Im Wohn­zim­mer saß eine wei­te­re älte­re Dame hin­ter einem Tisch, reich gedeckt, Obst und kal­ter Fisch und Brot und Was­ser. Ein rei­zen­der Anblick, Kat­zen lagen auf dem Boden her­um. Die alte Frau war­te­te unter einem Son­nen­schirm. Sie sag­te: Komm, komm, in Zei­ten der Not muss man zusam­men­hal­ten, alles ist umsonst, aber Du darfst in der Stadt nicht davon erzäh­len! Eine Stun­de spä­ter erreich­te mein Freund end­lich die Woh­nung sei­ner Bekann­ten. Sie saßen lan­ge Zeit vor dem Fens­ter zum Fluss. Ein­mal näher­te sich ein Hub­schrau­ber. Er lan­de­te auf dem Dach. – stop

polaroidteller



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