sierra : 16.25 UTC — Samstag. Leichter Regen. Es ist kalt geworden. Noch immer, nach jahrelanger Beobachtung, habe ich keine Antwort auf die Frage, weshalb Kiemenmenschen, sobald sie schlafen oder sich küssen, Kopf nach unten in ihren Wasserwohnungen schweben. – stop
Aus der Wörtersammlung: menschen
maskentier No 1
tango : 0.06 UTC — In einer gezeichneten Vorstellung der Maskentiere sind Augen zu bemerken. Das ist sehr seltsam, weil Augen nicht eigentlich sinnvoll oder unverzichtbar sind für den Zweck, dem Maskentiere bald einmal dienen werden. Es ist nämlich so, dass Maskentiere in der Lage sein sollten, sich auf menschliche Münder und Nasen niederzulegen, um dieselben zu beatmen, demzufolge Luft aus der Atmosphäre zu entnehmen, um diese eventuell kontaminierte Luft für Menschen oder andere Tiere sorgfältigst zu filtern, indem sie in Stunden, da sie ihrer Bestimmung folgen, auf vielfältig gestalteten Wangen, Nasenrücken, Halspartien so dicht zu liegen kommen, dass kein Gramm einer Virenlast je an ihren Rändern oder Enden entweichen könnte. Es ist stattdessen ganz wunderbar saubere Luft, die sie spenden, und es ist ganz wunderbar saubere Luft, die sie im Gegenzug wieder an die Welt zurückgeben werden. Natürlich ist denkbar, dass kein Wort, kein Schrei durch ihre Lederhaut hindurch nach draußen dringen wird, es wird also stiller unter den Menschen, die schweigen und sich sicher fühlen, sobald sie mit ihren wärmenden Masken über Straßen und durch Warenhäuser spazieren. Dann ist Abend geworden, und man legt das getragene Tier zurück in einen Behälter, der mit Wasser gefüllt ist. Dort schwimmen sie dann aufgeregt unter weiteren Maskentieren herum und erzählen sich Geschichten, was sie hörten und was sie gesehen haben, während des Tages, indessen sie sich säubern und paaren, um weitere Maskentiere zu erzeugen. — Auch Ohren, jawohl! — stop
poetik der drohnen
marimba : 3.28 UTC – Wieder einmal die Frage drängend, ob vielleicht eine Poetik gutmütiger Drohnen denkbar ist? Das sind, stelle ich mir vor, freundliche Wesen, unbewaffnet, leise, flink, von der Größe der Taubenschwänzchen. Sie verfügen, wenn möglich, über Atomherzen, begleiten Menschen rund um die Uhr, immer nur eine Person, verzeichnen das Leben dieser Person, ihre Routen, Gewohnheiten, Abenteuer, filmen und schreiben in menschlicher Sprache. 5.12 UTC: Louis träumt. Going to sleep. — stop
ai : KASACHSTAN
MENSCH IN GEFAHR: „Aigul Utepova ist eine bekannte Bloggerin und Aktivistin. Sie hat 8.000 Follower auf Facebook und eine große Fangemeinde sieht die Beiträge auf ihrem YouTube-Kanal. 2015 kandidierte sie bei den Präsidentschaftswahlen, doch zog sie ihre Kandidatur später wieder zurück. Sie wird beschuldigt, eine Anhängerin der Oppositionspartei Demokratischen Wahl Kasachstans zu sein. Am 13. März 2018 wurde die Partei willkürlich zu einer “extremistischen” Organisation erklärt, weil sie “zur nationalen Zwietracht aufstachelte”. Grundlage für diese Einordnung sind die vage formulierten Anti-Extremismus-Gesetze in Kasachstan. / Nach der Zwangseinweisung von Aigul Utepova in die Psychiatrie fürchtet ihr Rechtsbeistand, dass eine willkürliche psychiatrische Diagnose zum Vorwand genommen wird, um sie zwangsweise “behandeln” und lange in der Anstalt festhalten zu können. Bei einem Versuch, Aigul Utepova am 23. November zu besuchen, wurde dem Rechtsbeistand und einer Familienangehörigen mitgeteilt, dass die Jorunalistin keinen Kontakt zur Außenwelt haben dürfe. / Dass Personen, die die Regierung kritisieren oder sich gegen bestimmte Interessengruppen stellen, zwangsweise unter psychiatrische Beobachtung gestellt werden, ist in Kasachstan nicht ungewöhnlich. 2019 entschied der UN-Menschenrechtsausschuss, dass Zinaidi Mukhortova willkürlicher Inhaftierung, Folter und anderer Misshandlung ausgesetzt war. Die Anwältin war fünf Mal gegen ihren Willen in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen und dort “behandelt” worden. / Aigul Utepova hätte niemals strafrechtlich verfolgt und unter Hausarrest gestellt werden dürfen. Diese Maßnahme verstößt gegen kasachisches Recht, das Hausarrest nur in Fällen vorsieht, bei denen die Höchststrafe fünf Jahre oder mehr beträgt. Außerdem muss sachlich begründet werden, weshalb weniger restriktive Maßnahmen nicht angewendet werden können. Die Verfolgung und der Hausarrest von Aigul Utepova sind als Vergeltungsmaßnahmen für ihre unverblümte Kritik an der Regierung einzuordnen.” - Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen bis spätestens zum 18.1.2021 unter > ai : urgent action
maschinengespräch
india : 9.56 UTC — Meldung meiner Applikation plötzlich, ich sei 5 Male mit geringem Risiko einem oder mehreren Menschen begegnet, der oder die positiv auf den SARS-CoV‑2 Erreger hin getestet worden sind. Ein Reflex sofort, der Blick zurück, versuche zu identifizieren, wer mein Kontakt gewesen sein könnte. Ein Radar, das wie von selbst immer wieder einsetzt, auch die Untersuchung der Zeichenkette: Geringes Risiko. Über diese Beobachtung ein Gespräch mit M., der sich überhaupt weigert, die Existenz der SARS-CoV-2-Viren anzuerkennen. Hast Du schon eines dieser Viren gesehen? fragt er, welche Farbe haben sie denn? Seltsame Geschichte. Gestern habe ich darüber nachgedacht, ob es vielleicht möglich sein wird, einen Algorithmus zu notieren, der argumentierend in der Lage wäre, Personen wie M. zu überzeugen, eine jahrelang geduldig zuhörende und ebenso geduldig sprechende Maschine. — stop
zeitoun
whiskey : 9.35 UTC — In den letzten 10 Tagen des Oktobermonats lernte meine Schreibmaschine folgende Wörter, die in ihren Prüfverzeichnissen vordem nicht zu finden gewesen waren: Abstandsignale . Aquarelia . Bangsein . Birdy . Brieftaubenwörter . Camar . Carecon . Clustersuche . Contagion . Coronasimulation . Drohnenauge . Drohnensichtung . Drohnenvogel . Drollbirne . Ebolavirus . Eichhörnchenschatten . Fingercurser . Inari. Inzidenz. Jennifer.five . Kolibriwesen . Krokodilmodell . Kürbissuppe . Libellenlarven . Looters . luren . Meeresgewächse . Meereswesen . Monroe . Mundschutzalgorithmus . Nachtschifftag . neuronal . Palanca . Pandemietote . Pandemiezeit . Particleszeichen . Pfuhlschnepfe . Plexiglasscheiben . Resilienz . Rotkopfschildkröten . Sars-Cov‑2 . Sarslämpchen . Schiffpendelbewegung . Schlafdurcheinanderzeit . Seeanemonenblüte . Seetangklumpen . Spätabendmenschen . Spelling . Superdomehalle . Süßwasseranemone . Tänzerraver . Teillockdown . Tresspassangers . Vakzin . Warlogs . Wortkernbilder . Zattere . Zeitoun . Zeppelinwerkstatt . Zeppelinwolken. — stop
jagende lichter
echo : 23.58 UTC — Im Park am Abend in der Dunkelheit unter Regenschirmen unsichtbare Menschen, paarweise oder allein. Und da flitzen Lichter herum, grün, blau oder rot leuchtende Reifen oder blinkende Perlketten, die die Position spielender Hunde vermerken. Man möchte meinen, dass sie ferngesteuerte Kreaturen sind, die sich jagen nach dem Willen jener im Dunkeln stehenden schweigenden Menschen. Ich dachte noch, in Brooklyn sollen Feuer entzündet worden sein, um Masken zu verbrennen. Der Wahnsinn bricht aus, jenseits ruhigen, vernünftigen Handels, Menschen dicht gedrängt wie Ameisen. Kaum noch ein Gespräch ist möglich, ohne sich gefährlich nahezukommen. Aber hier im Park am Abend unter Regenschirmen sind die Räume weit, das Gespräch der ahnungslosen unsichtbaren Tiere, die ihren Lichtschmuck über die Wiesen tragen. — stop
lumineszenz
nordpol : 20.55 UTC — Vor Jahren einmal habe ich an dieser Stelle bereits über Winterkäfer nachgedacht, es war wohl Winter gewesen. Seltsamerweise ist mir damals ein ganz anderer Käfer eingefallen, ein Wesen, für das ich noch immer keinen Namen gefunden habe. Dieser namenlose Käfer sollte ohne Ausnahme paarweise erscheinen, weich sein wie eine Schnecke und von der Körpertemperatur der Menschen und genauso groß, dass er sich in die Augenhöhle eines Schlafenden einzuschmiegen vermag. Dort wird der noch namenlose Käfer sich nicht allein als Nachtschirm begnügen, stattdessen wird er ein wenig fließen und in dieser Weise in Bewegung, sehr entspannende Polarlichtspiele von milder, beruhigender Lumineszenz erzeugen auf den Augenlidern der schlafenden Menschen. — Ich habe diese kleine Geschichte gerade eben noch einmal erzählt, weil ich heute während des Spazierens überlegte, ob es nicht vorteilhaft wäre, Käferwesen zu entwerfen, die sich in schützender Weise auf meinen Mund und meine Nase legen würden, mich wärmen und die Luft zugleich filtrieren hinein und auch hinaus. Am späteren Abend werde ich eine Zeichnung versuchen. Käfer dieser Art sollten vielfarbig gestaltet sein. Nichts weiter. — stop
agenten
echo : 22.07 UTC — Da und dort Augenmenschen hinter Segeltüchern, deren Gesicht insgesamt ich längst vergessen habe, ihre Nasen, ihr Kinn, ihren Mund, aber nicht ihre Namen, nicht ihre Stimmen, die etwas verwirbelt, wie heiser, in meinen Ohren erscheinen. — Samstag. Was noch zu tun ist: Nachdenken über Agenten, wie sie in Simulationen existieren, sterbende Agenten und welche die überleben, Agenten, die einsam sind und andere, die zweisam sind an Donnerstagen, und über junge Raver, die an Samstagen auf Friedhöfen tanzen. — stop
hamstern
india : 21.20 UTC — In einer Abendsekunde, da ich Kontakt zu ihm aufnehme, hebt er seinen müden Blick von dem Scanner, der unter einer rötlich schimmernden Scheibe von Glas verborgen liegt, über die er Waren zieht, die er selbst noch von eigener Hand in Regale räumte, die er selbst noch von Staub befreite, den er selbst nicht in diesen Supermarktladen eingeführt haben konnte in dieser Menge, dieser Staub muss an Füßen der Kunden hereingekommen sein, ein Staub der immerhin sichtbar ist, bei Gott, ist das doch gut, dass noch Wesen existieren, die sichtbar sind, sichtbar für menschliche Augen, nicht unsichtbar wie jene kleinsten Partikel, die Menschenwesen auf diesem Erdball hinter Maskentüchern zwingen, sodass sie sich ähnlich werden, diese Menschenwesen überall sich ähnlich werden in ihrer Schutzbedürftigkeit, ähnlich, ob sie nun hinter roten, gelben, blauen oder schneeweißen Masken sich zu verbergen haben, um nicht vielleicht sterben zu müssen, bei Gott, Menschen eben. Er hebt den Kopf in diesem Moment, da ich Kontakt zu ihm aufnehme, da ich sage, sie hamstern wieder, nicht wahr, es wird Herbst und sie hamstern wieder, Teigwaren, Taschentücher, und diese Dinge, hamstern und streiten vor den Regalen, nicht wahr? Und da sagt er, dass das ein Krieg sei, dass eigentlich das Militär hier auf diesem seinem Platz zu sitzen habe, der Katastrophenschutz, weil diese Scheibe von künstlichem Glas, ihn doch niemals schützen könne, weil hier das Unsichtbare herumfliege, all diese Sachen, die das Fieber bringen, da kann man nur warten, warten, warten. — stop