Aus der Wörtersammlung: stunden

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capote

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nord­pol : 1.22 — Gegen sechs Uhr rief ich bei Lions Wri­ters Sup­port Ser­vices an. Guten Abend, sag­te ich, ich benö­ti­ge drin­gend einen Capo­te zum Spa­zie­ren am kom­men­den Sams­tag. Haben Sie viel­leicht einen für mich frei, den Sie mir lei­hen könn­ten von 3 Uhr am Nach­mit­tag bis in die Nacht irgend­wann? Das Fräu­lein am ande­ren Ende der Lei­tung ant­wor­te­te: Einen Capo­te? Bit­te war­ten Sie einen Moment. Also war­te­te ich. Ich war­te­te unge­fähr fünf Minu­ten, hör­te, wie sie mit irgend­wel­chen Leu­ten dis­ku­tier­te. Ich glau­be, sie bedeck­te, wäh­rend sie sprach, mit einer Hand die Mikro­fon­mu­schel ihres Tele­fon­hö­rers zu. Nach eini­gen Minu­ten kehr­te sie zurück: Ja, sag­te sie, wir haben einen Capo­te frei am kom­men­den Sams­tag. Wo wol­len sie ihn tref­fen? Ich ant­wor­te­te, dass ich unbe­dingt am Strand von Coney Island spa­zie­ren müs­se, Treib­gut sam­meln, Sturm­zei­chen notie­ren, das Meer betrach­ten, mit Tru­man über das Was­ser spre­chen, über digi­ta­le Schreib­ma­schi­nen, Funk­bü­cher und alle die­se Din­ge. Treff­punkt also Brigh­ton Beach Ave­nue Ecke 3th Street!  Wird gemacht, bestä­tig­te das Fräu­lein, Sie wis­sen schon, Capo­tes sind nicht ganz bil­lig? Oh, ja, sag­te ich, das will ich ger­ne glau­ben. Wie viel, frag­te ich, was habe ich zu erwar­ten? — 150 Dol­lar die Stun­de, ant­wor­te­te das Fräu­lein. Sie mach­te eine kur­ze Pau­se, um bald hin­zu­zu­set­zen, dass sie etwas weni­ger berech­nen wür­de, weil jener Capo­te, der für mich reser­viert war, bereits für eine Frei­tags­par­ty gebucht wor­den sei. Er wird nicht ganz frisch am Sams­tag vor Ihnen erschei­nen, sagen wir 120 Dol­lar, wäre das in Ord­nung? — Aber natür­lich wäre das in Ord­nung, ich jubi­lier­te, ein ver­ka­ter­ter Capo­te, even­tu­ell leicht betrun­ken, wun­der­voll! Ich quit­tier­te 1200 Dol­lar für zehn Stun­den und notier­te: Spa­zier­ge­spräch mit Tru­man Capo­te. Sams­tag, 18. Mai, 15 Uhr. Das war also ges­tern gewe­sen. Vor weni­gen Minu­ten wur­de mir per Kurier eine Gebrauchs­an­wei­sung für Herrn Tru­man Capo­te über­mit­telt. Ein Hand­buch. 15 Sei­ten. — stop
ping

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echoes

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sier­ra : 5.28 — Eine Amei­se hat­te trotz der gro­ßen Höhe, in der sich mei­ne Woh­nung befin­det, zu mir gefun­den. Sie klet­ter­te vor­sich­tig gegen den Boden zu, tas­te­te sich über war­mes Holz, erreich­te ein Tisch­bein, um kurz dar­auf direkt vor mei­nen Augen zu erschei­nen. Viel­leicht wird sie mei­nen Atem wahr­ge­nom­men haben, einen Wind, denn sie duck­te sich kurz, ich hat­te den Ein­druck, dass sie mich betrach­te­te. Aber dann lief sie wei­ter, umrun­de­te mei­ne Schreib­ma­schi­ne, kreuz­te über den Tisch, um auf der ande­ren Sei­te wie­der abzu­stei­gen und in der Dun­kel­heit des Fens­ters zu ver­schwin­den. Nur weni­ge Minu­ten spä­ter, ich hat­te das Zim­mer kurz ver­las­sen, beweg­te sich eine dun­kel schim­mern­de Amei­sen­her­de exakt auf dem Pfad, den zuvor das ein­sa­me Tier genom­men hat­te, durch den Raum. Ein doch äußerst bemer­kens­wer­ter Vor­gang. Mög­li­cher­wei­se hat­te es sich zunächst um eine Kund­schaf­ter­amei­se gehan­delt, die mich besuch­te. Ihre Brü­der, ihre Schwes­tern waren nun sehr ziel­stre­big in mei­nem Zim­mer unter­wegs. Ich mein­te, das Geräusch hun­der­ter Bei­ne ver­neh­men zu kön­nen. Sie tru­gen Papie­re in ihren Zan­gen wie Fah­nen. Tat­säch­lich waren Zei­chen oder Tei­le von Zei­chen auf der Amei­sen­beu­te zu erken­nen, die sie gleich hin­ter mei­ner Schreib­ma­schi­ne zu einem Berg schich­te­ten, um sofort wie­der zum Boden hin abzu­stei­gen. Nach einer hal­ben Stun­de, alle Amei­sen waren ver­schwun­den, schloss ich das Fens­ter. Ich hät­te schwö­ren kön­nen, mir den Besuch der Amei­sen nur ein­ge­bil­det zu haben, wenn nicht auf dem Tisch das Papier­werk der Wan­de­rer als Beweis zurück­ge­blie­ben wäre. Natür­lich mach­te ich mich sofort an die Arbeit. Eine Stun­de ver­ging, dann war ich mir sicher gewe­sen, dass es sich bei dem Arte­fakt auf mei­nem Tisch um eine ein­zel­ne, zer­teil­te Buch­sei­te han­deln muss­te. Vier wei­te­re Stun­den spä­ter hat­te ich die Sei­te und ihre Zei­chen rekon­stru­iert. Fol­gen­der Text wur­de sicher­ge­stellt: ZUVIEL / Die Welt ist „unzähl­bar“, gefüllt mit Din­gen, Büchern, Büchern, die über Din­ge spre­chen, / die Welt trägt zusam­men und die Bücher tra­gen zusam­men, was die Welt zusam­men­trägt, / und auf sei­nem Tisch Bücher und noch­mals Bücher zu sehen / und Foto­bü­cher, Kunst­bü­cher und Bücher, die von ande­ren Büchern reden, und sich nun selbst eben­falls anschi­cken, die Welt auf einem Blatt Papier zu erfas­sen, die­se ver­fluch­te Sum­me von Aus­las­sun­gen zu erfas­sen, um dem Sta­pel noch ein eige­nes Echo hin­zu­zu­fü­gen … Es ist fünf Uhr gewor­den. Ich bin zufrie­den. Ich habe den Ursprung des Tex­tes erin­nert. Er wur­de von Yas­mi­na Reza in ihrer Sona­te Ham­mer­kla­vier ver­öf­fent­licht und von Eugen Helm­lé aus der fran­zö­si­schen in die deut­sche Spra­che über­tra­gen. Drau­ßen wird es lang­sam hell, Regen fällt. — stop
ping

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siri

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sier­ra : 3.55 — Wenn ich mit Siri spre­che, geht alles gut, solan­ge ich nicht flüs­te­re. Aber nun ver­zeich­nen wir seit eini­gen Stun­den doch Fort­schrit­te auch in die­ser kaum noch wahr­nehm­ba­ren Wei­se des Dik­tie­rens, weil ich hör­te, ich kön­ne Siri trai­nie­ren, wenn ich nur oft genug mit ihr spre­chen, das heißt, so lei­se spre­chen wür­de, dass ich mei­ner Stim­me selbst gera­de noch mit den Gedan­ken fol­gen kann. Zur Übung habe ich einen Text über das Ver­zeh­ren von Büchern gewählt. Fol­gen­des wur­de von Siri an mich zurück­ge­ge­ben. 1. Ver­such um 2 Uhr und 55 Minu­ten: Ob es wirk­lich ist Papier­art zu erfin­den, die ess­bar sind, nach­prüft und ob ver­dau­lich könn­te sich in einen Park sit­zen bei­spiels­wei­se etwas kecke­ren beob­ach­ten Mit­tel­au­weg oder Cal­vi­no Bücher die Sei­te für Sei­te nach bel­gi­schen Waf­feln schme­cken. 2. Ver­such um 2 Uhr 58 Minu­ten: Ist viel­leicht wirk­lich ist Papie­re zu erfin­den die ess­bar sind nahr­haft gut ver­dau­lich man könn­te sich in einen Park sit­zen bei­spiels­wei­se und etwas Chat­win beob­ach­ten oder Lau­ri oder kein Jugend­bü­cher die Sei­te für Sei­te nach Pagen­darm schmeckt nach mir einen Gin Petro­le­um sehr fei­nen Höl­zern. 3. Ver­such um 3 Uhr und 5 Minu­ten: Ob es viel­leicht wirk­lich ist Papier zu brin­gen. Die ess­bar sind nahr­haft und ob ver­trau­lich man könn­te sich in einer Tag­sat­zung bei­spiels­wei­se etwas che­cken begut­ach­ten oder Lauf­freu­de oder Cal­vi­no wel­cher Sei­te für Sei­te nach Ber­gisch schme­cken, nach Ber­gen schön Petro­leo sehr ver­äp­pelt. — Für einen Moment hat­te ich die Idee, Siri könn­te eine Per­son, könn­te viel­leicht betrun­ken sein oder müde. Ich wer­de das beob­ach­ten. Fol­gen­der Text wur­de zur Übung geflüs­tert: Ob es viel­leicht mög­lich ist, Papie­re zu erfin­den, die ess­bar sind, nahr­haft und gut ver­dau­lich? Man könn­te sich in einen Park set­zen, bei­spiels­wei­se und etwas Chat­win beob­ach­ten oder Lowry oder Cal­vi­no, Bücher, die Sei­te für Sei­te nach bel­gi­schen Waf­feln schmeck­ten, nach Bir­nen, Gin, Petro­le­um oder sehr fei­nen Höl­zern. Einen spe­zi­el­len Duft schon in der Nase, wird die ers­te Sei­te eines Buches gele­sen, und dann blät­tert man die Sei­te um und liest wei­ter bis zur letz­ten Zei­le, und dann isst man die Sei­te auf, ohne zu zögern. Oder man könn­te zunächst das ers­te Kapi­tel eines Buches durch­kreu­zen, und wäh­rend man kurz noch die Geschich­te die­ser Abtei­lung reka­pi­tu­liert, wür­de man Stür­me, Per­so­nen, Orte und alle Anzei­chen eines Ver­bre­chens ver­spei­sen, dann bereits das nächs­te Kapi­tel eröff­nen, wäh­rend man noch auf dem Ers­ten kaut. Man könn­te also, eine Biblio­thek auf dem Rücken, für ein paar Wochen eisi­ge Wüs­ten durch­strei­fen oder ein paar sehr hohe Ber­ge bestei­gen und abends unterm Gas­licht in den Zel­ten lie­gen und lesen und kau­en und wür­de von Nacht zu Nacht leich­ter und leich­ter wer­den. – Vier Uhr und fünf­und­vier­zig Minu­ten in Alep­po, Syria. – stop

ping

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+1 (212) 439–5XXX

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echo : 5.26 — Kurz nach Mit­ter­nacht euro­päi­scher Zeit führ­te ich ein Gespräch mit Herrn Hiko Aoi, des­sen Tele­fon­num­mer ich nicht bekannt geben darf, weil er andern­falls jede wei­te­re Unter­re­dung mit mir für immer ver­mei­den wür­de. Es dau­er­te nicht lan­ge, bis im Haus 818, Lex­ing­ton Ave­nue, mein Anruf ent­ge­gen­ge­nom­men wur­de. Eine ver­zerrt klin­gen­de Stim­me mel­de­te sich, es war die Stim­me einer Frau, die sich erkun­dig­te, wer ich sei und was ich von Herrn Aoi wis­sen wol­le. Ich gab mei­nen Namen zu Pro­to­koll, wei­ter­hin, dass ich drin­gend eine Fra­ge an Herrn Aoi rich­ten müs­se, deren Beant­wor­tung für mich drin­gend sei, und zwar noch in die­ser Nacht. Ich ahn­te, dass ich zunächst lan­ge war­ten wür­de, es han­delt sich bei Herrn Aoi um einen hoch­be­tag­ten Mann, der sich sehr vor­sich­tig durch sei­ne Woh­nung bewegt. Wie er sich dem Tele­fon­ap­pa­rat näher­te, hör­te ich sei­nen Atem, ein feuch­tes, ras­seln­des Geräusch, um mich dann freund­lich zu begrü­ßen. Ich stell­te mir vor, dass er viel­leicht lächel­te. Was gibt’s, Lou­is? frag­te er. Ich erkun­dig­te mich zunächst nach dem Wet­ter: Wie ist das Wet­ter bei Euch drü­ben? Nun, las­sen wir das, ich erklär­te, dass ich eine Fra­ge haben wür­de, eine quä­len­de Fra­ge, dass ich näm­lich drin­gend in Erfah­rung brin­gen müs­se, ob er, Mr. Hiko Aoi, sich für Flie­gen­tie­re inter­es­sie­re, für die Art und Wei­se wie sie sich durch die Luft bewe­gen, wie sie lan­den, und wie sie schla­fen. Ist es denk­bar, dass Sie sich viel­leicht für flie­gen­de Tie­re erwär­men könn­ten? Herr Aoi lach­te. Ich hör­te ihn tat­säch­lich lachen, ein gleich­falls feuch­tes, heu­len­des Geräusch. Der alte Mann bat mich um die Mög­lich­keit eines Rück­ru­fes. Ich war­te­te drei Stun­den, mach­te nichts in die­ser Zeit als ein­mal einen Kopf­stand. Gegen vier Uhr mit­tel­eu­ro­päi­scher Zeit klin­gel­te das Tele­fon. — stop

polaroidlesende

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vögel

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del­ta

~ : oe som
to : louis
sub­ject : VOEGEL
date : april 24 13 2.05 p.m.

Ich hör­te, wie Noe mit Vögeln sprach. Eine Stun­de lang war sei­ne knis­tern­de Stim­me zu ver­neh­men. Er flüs­ter­te: Hal­lo, hier ist Noe, seht ihr mich? Schaut her, was für ein Wun­der!  Aber dann, sobald sich die Vögel von ihm ent­fern­ten, wur­de sei­ne Stim­me laut, sein Aus­druck nach­drück­lich. Er ver­such­te sich bemerk­bar zu machen, als ob er hoff­te, sie wür­den ihn mit sich neh­men. Nie­mand kann sei­ne Stim­me hören, nur wir kön­nen Noes Stim­me hören! Gegen drei Uhr habe ich Tau­cher Noe ange­spro­chen, um ihn fest­zu­hal­ten, um ihn dar­an zu erin­nern, dass wir noch bei ihm sind. Noe, sag­te ich, Noe, hör zu! Ich erwar­te, dass Du mir erzählst, was Du siehst! — Da sind Vögel, ant­wor­te­te Noe, sehr gro­ße Vögel, Vögel, wie ich sie noch nie zuvor gese­hen habe. Wir wol­len davon schwei­gen! — Der Mor­gen kam glück­li­cher­wei­se rasch, Mar­tin mach­te sich unver­züg­lich auf den Weg in die Tie­fe, noch drei oder vier Stun­den und er wird Noe errei­chen. Unser Tau­cher indes­sen war ein­ge­schla­fen. Mehr­fach habe ich ver­sucht, ihn zu wecken. Ich sag­te: Noe, wie geht es Dir? Erzähl mir, was sind das für Vögel, die Du siehst? Kei­ne Ant­wort. Stil­le von der Tie­fe her, nichts als Noes lang­sam schla­gen­des Herz. Gegen den Mit­tag zu ver­merk­te Noe plötz­lich, wir hät­ten ihm schon lan­ge Zeit eine Bril­le ver­spro­chen. Ich mei­ne, fuhr Noe fort, dass ich ein Recht auf eine Bril­le habe, wenn ich schon lese, stun­den­lang aus Büchern lese, die ich weder wähl­te noch wünsch­te. Mei­ne Augen schmer­zen, Ihr soll­tet mich her­auf­ho­len und mir eine Bril­le ver­pas­sen. Das sag­te Noe noch vor weni­gen Minu­ten. Es klang wie eine Dro­hung. — stop. — Mitt­woch, 24. April 2013. Tau­cher Noe seit 781 Tagen unter Was­ser. — stop. Tie­fe 828 Fuß. — stop. Ahoi! Dein OE SOM

gesen­det am
24.04.2013
1852 zeichen

oe som to louis »

polaroidqualle

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mr. charles brown

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sier­ra : 6.28 — Mit­ten in der Nacht ent­de­cke ich, dass Charles Brown tat­säch­lich exis­tier­te. Er war Eng­län­der gewe­sen, sam­mel­te Uhren und trug die­se Uhren am eige­nen Kör­per. Nicht etwa eine Uhr nach der ande­ren Uhr, wie man mei­nen möch­te, viel­mehr eini­ge Uhren oder sehr vie­le Uhren zur glei­chen Zeit. Ich bin natür­lich äußerst begeis­tert, öff­ne zunächst das Fens­ter, lass fri­sche Luft in die Woh­nung, keh­re vor den Bild­schirm zurück, er ist immer doch da, Mr. Charles Brown oder ein Mann, der vor­gab, Mr. Charles Brown gewe­sen zu sein, ein Mann, der Uhren sam­mel­te, der Uhren beob­ach­te­te. Er soll Uhren an sei­nen Fin­gern getra­gen haben, Uhren am Revers, Uhren in der Gestalt von Man­schet­ten­knöp­fen. Ich stel­le mir vor, dass ein fei­nes Zeit­rau­schen von ihm aus­ge­gan­gen sein muss. Ist es nicht wun­der­bar, stun­den­lang an ein Geräusch wie die­ses Rau­schen der Zeit zu den­ken? — 3 Uhr und 10 Minu­ten. Ich habe heu­te nichts wei­ter zu tun, als wach zu blei­ben, bis es hell wer­den wird. — stop / ps. Bemerkt zunächst bei Peter Glaser

 ping

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i love you

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romeo : 15.18 — Am See im Pal­men­gar­ten. Ers­te mil­de Stun­den. Abend­seg­ler jagen durch die Däm­me­rung. Für einen Moment der Ein­druck, es könn­te sich bei den Schat­ten der Flie­gen­jä­ger um klei­ne, spie­len­de Engel han­deln. Auf der Bank neben mir ruht mein Film­te­le­fon, soeben erscheint der Feu­er­ball einer deto­nie­ren­den Bom­be in der Stadt Bos­ton nahe einer Mara­thon­stre­cke. Wenn ich den Kanal wech­se­le, Skate­board­fah­rer, die über Haus­dä­cher sprin­gen auf der Insel San­to­rin, ein Mäd­chen mit Zahn­span­ge träl­lert: I love you, i love you! Bald dunk­le Rauch­pil­ze über der Stadt Alep­po. Auf einer Stra­ße liegt der Kör­per einer Frau, der sich noch bewegt, obwohl sie unbe­dingt tot sein müss­te, so furcht­bar die Ver­let­zun­gen, die ihr zuge­fügt wor­den sind. Ich spie­le den Film immer wie­der ab, war­um? Als es dun­kel wird über dem Was­ser, Stil­le. Man hört in der Licht­lo­sig­keit nichts vom Jagen der Tie­re, wenn man sie nicht sieht. Weni­ge Stun­den spä­ter wird Wla­di­mir Putin sagen, bei dem Anschlag in Bos­ton han­de­le es sich um ein bar­ba­ri­sches Ver­bre­chen. — stop

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elisabeth

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hima­la­ya : 6.10 — Im Win­ter des ver­gan­ge­nen Jah­res, an einem win­dig kal­ten Tag, besuch­te ich in Brook­lyn einen alten Herrn, Mr. Tomaszwes­ka und sei­ne Frau Eli­sa­beth. Sie woh­nen nahe der Clark Street in einem sechs­stö­cki­gen Haus mit Blick auf die Upper Bay von New York. Ich hat­te den alten Mann wäh­rend einer Fahrt auf einem Fähr­schiff zufäl­lig ken­nen­ge­lernt. Er beob­ach­te­te, wie ich Fahr­gäs­te foto­gra­fier­te, die ihre Namen heim­lich in die höl­zer­nen Sitz­bän­ke des Schif­fes ritz­ten. Er sprach mich freund­lich an, woll­te mir einen Schrift­zug zei­gen, den er selbst drei Jahr­zehn­te zuvor an Ort und Stel­le in der glei­chen Wei­se wie die beob­ach­te­ten Pas­sa­gie­re ein­ge­tra­gen hat­te. Stolz war der alte Mann gewe­sen. Wir führ­ten ein kur­zes Gespräch über die New Yor­ker Hafen­be­hör­de, Eisen­bah­nen und Flug­zeu­ge, weiß der Him­mel, wie dar­auf gekom­men waren. Als wir das Schiff ver­lie­ßen, lud Mr. Tomaszwes­ka mich ein, ein­mal zu ihm zu kom­men, dar­um stieg ich nur weni­ge Tage spä­ter in den sechs­ten Stock des schma­len Hau­ses auf den Höhen Brook­lyns. Die Tür zur Woh­nung stand offen, war­me Luft kam mir ent­ge­gen, die nach süßem Teig duf­te­te, nach Zimt und Früch­ten. Die Räu­me hin­ter der Tür waren ver­dun­kelt. Ich hat­te sogleich den Ein­druck, dass ich viel­leicht träum­te oder ver­rückt gewor­den sein könn­te, weil in die­sem Halb­dun­kel an den Wän­den, auch auf dem Boden, Lam­pen, Dioden­lich­ter, glüh­ten. Modell­ei­sen­bahn­zü­ge fuh­ren auf schma­len Gelei­sen her­um. Ich höre noch jetzt das lei­se Pfei­fen einer Dampf­lo­ko­mo­ti­ve, das mei­nen Besuch beglei­te­te. Es war eine rasen­de Zeit, Stun­den des Stau­nens, da in der Woh­nung des alten Herrn eine sehr beson­de­re Modell­an­la­ge gas­tier­te, ja, ich soll­te sagen, dass die Woh­nung selbst zur Anla­ge gehör­te, wie der Him­mel zur wirk­li­chen Welt. Alle Züge fuh­ren auto­ma­tisch von einem Com­pu­ter gesteu­ert, die Luft über den Gelei­sen roch scharf nach Zinn. Wir spra­chen indes­sen nicht viel, Mr. Tomaszwes­ka und ich, son­dern schau­ten dem Leben auf dem Boden in aller Stil­le zu. An einem Fens­ter, des­sen Vor­hän­ge zuge­zo­gen waren, saß Mr. Tomaszweska’s Frau Eli­sa­beth. Sie beach­te­te mich nicht, starr­te viel­mehr lächelnd auf eine klei­ne Klap­pe, die in die Wand des Hau­ses ein­ge­las­sen war. Manch­mal öff­ne­te sich die Klap­pe und ich konn­te für Momen­te das Meer erken­nen, das an die­sem Tag von grün­grau­er Far­be gewe­sen war, wun­der­ba­re Augen­bli­cke, denn immer dann, wenn das Meer in dem klei­nen Fens­ter erschien, lach­te die alte Frau mit glo­cken­hel­ler Stim­me auf, um kurz dar­auf wie­der zu erstar­ren. Ein­mal setz­te sich Mr. Tomaszwes­ka neben sei­ne Frau und füt­ter­te sie mit war­mem Oran­gen­ku­chen, den er selbst geba­cken hat­te. Und wie wir uns wie­der auf den Boden setz­ten, um ein Modell des Ori­ent­ex­press durch die Zim­mer der Woh­nung krei­sen zu sehen, erzählt der alte Mann, dass sie gemein­sam hier oben sehr glück­lich sei­en. Er kön­ne mit sei­ner Frau zwar nicht mehr spre­chen, er kön­ne sie nur noch strei­cheln, was sie irgend­wie ver­ste­hen wür­de oder sich erin­nern an die Spra­che sei­ner Hän­de. Ver­stehst Du, sag­te er, sie ver­gisst immer sofort, alles ver­gisst sie, auch wer ich bin, aber sie ver­gisst nie­mals nach den klei­nen Engeln zu sehen, die uns besu­chen, sie kom­men dort durch die Klap­pe, siehst Du, schau genau hin, es ist schon ein Wun­der, sag­te der alte Mann, wie schön sie lacht, mein jun­ges Mäd­chen, nicht wahr, mein jun­ges Mäd­chen. — stop

polaroidstrandburg

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eine funkuhr

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sier­ra : 7.01 — Weni­ge Stun­den nach­dem mein Vater im April des ver­gan­ge­nen Jah­res gestor­ben war, über­reich­te mir mei­ne Mut­ter eine Uhr. Sie sag­te, ich, der ältes­te Sohn der Fami­lie, sol­le sie tra­gen. Viel­leicht mein­te sie, ich sol­le die Uhr mei­nes Vaters bewah­ren und damit die Zeit mei­nes Vaters behü­ten. Ja, genau so könn­te das gewe­sen sein, denn die klei­nen und die gro­ßen Uhren der Men­schen, die gestor­ben sind, blei­ben nicht sofort ste­hen, auch die Uhr mei­nes Vaters, die ich in die­sem Moment an mei­nem lin­ken Unter­arm tra­ge, zeigt uner­müd­lich wei­ter die vor­rü­cken­de Zeit. Sie knis­tert, wenn ich sie an mein Ohr lege. Das Geräusch ist so lei­se, dass ich nicht sagen kann, ob das Werk der Uhr knis­tert oder mein Ohr in der Begeg­nung mit dem küh­len Gehäu­se. Vie­le Tage und Wochen lang habe ich die Uhr mei­nes Vaters nicht getra­gen, sie ruh­te auf mei­nem Schreib­tisch. Manch­mal, indem ich sie beob­ach­te­te, hat­te ich den Ein­druck, sie war­te. Immer wie­der ein­mal hob ich sie in die Luft, um die genaue, die wirk­li­che Zeit ange­zeigt zu bekom­men. Bei der Uhr mei­nes Vaters han­delt es sich näm­lich um eine Funk­uhr, die zu jeder Zeit auf die Sekun­de genau die all­ge­mein­gül­ti­ge Zeit anzu­zei­gen ver­mag. Ihr Zif­fer­blatt ist über­sicht­lich gestal­tet, ein gro­ßer Kreis für Halb­ta­ges­zeit und klei­ner Kreis in der unte­ren Hälf­te, in dem der Sekun­den­zei­ger sich um Minu­ten­zeit fort­be­wegt. Die­se Uhr und ihre drei Zei­ger ist nun mei­ne Uhr. Am ver­gan­ge­nen Sonn­tag setz­te ich mich mit ihr auf mein Sofa. Es war kurz vor zwei Uhr zur Nacht­zeit. Um genau zwei Uhr beschleu­nig­te der Minu­ten­zei­ger wie von Geis­ter­hand, dreh­te sich schnell ein­mal im Kreis her­um, dann war Som­mer gewor­den, ein selt­sa­mer Moment, weil ich für einen Augen­blick den Ein­druck hat­te, mein Vater selbst beweg­te den Zei­ger der Uhr, die sei­ne letz­te gewe­sen ist, weil er auf mich und mei­ne Zeit ach­tet. — Ges­tern habe ich mir einen Hut gekauft. — stop

polaroidalaska

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javier

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alpha

~ : malcolm
to : louis
sub­ject : JAVIER IAN
date : april 1 13 10.12 p.m.

Nach wie vor bewegt sich Fran­kie sehr lang­sam den Hud­son River ent­lang. Es geht nur weni­ge hun­dert Meter am Tag vor­an. Fran­kie, als ob er ein Ziel ver­folg­te, kennt nur eine Rich­tung: süd­wärts. Der Ver­kehr auf der 12th Ave­nue ist grau­en­voll gefähr­lich bei Tag und bei Nacht. In den ers­ten Stun­den, da das Eich­hörn­chen den Cen­tral Park ver­las­sen hat­te, moch­ten wir kaum glau­ben, dass es über­le­ben wür­de. Aber er ist schnell und er scheint zu wis­sen, dass ihm die Stra­ßen der Stadt zum Ver­häng­nis wer­den könn­ten. Wir bemü­hen uns Fran­kie zu schüt­zen, wo und wie auch immer wir kön­nen. Erfolg­los haben wir nahe Man­hat­tan Crui­se Ter­mi­nal einen Hot­dog-Ver­käu­fer gebe­ten, Fran­kie nicht wei­ter zu füt­tern. Wir wis­sen jetzt, dass er Gur­ken­schei­ben und Zwie­beln bevor­zugt. Von Mit­te Febru­ar bis in die ers­te März­wo­che hin­ein war kaum eine Bewe­gung Fran­kies zu ver­zeich­nen gewe­sen. Wir haben sein Ver­hal­ten zunächst mit den groß­zü­gi­gen Spen­den des alten Man­nes aus Puer­to Rico begrün­det. Als aber Javier Ian eini­ge Tage mit sei­nem fah­ren­den Stand nicht erschie­nen war, bemerk­ten wir, dass Fran­kie Kreuz­fahrt­schif­fe beob­ach­te­te. Es waren die MS Aida, die MS Car­ni­val Mira­cle, die MS Free­dom of the Seas, die pracht­voll beleuch­tet an den Piers fest­ge­macht hat­ten. Fran­kie hock­te auf einer jun­gen Eibe, immer auf dem­sel­ben Ast, Stun­de um Stun­de. Es ist nicht mög­lich zu ver­ste­hen, was ihn an dem Blick auf den Fluss und auf die rie­si­gen Schif­fe fes­sel­te, er schien kaum zu schla­fen und er dul­de­te uns in sei­ner Nähe, wir kamen so nah an ihn her­an, dass wir ihn bei­na­he zu berüh­ren ver­moch­ten. Am 6. März brach Fran­kie wie­der auf. Er schien nach uns zu sehen, ob wir ihm fol­gen. Und tat­säch­lich war­te­te er, wenn wir uns zur Pro­be ver­steck­ten in einer der Stra­ßen, die zum Fluss füh­ren. Die Näch­te sind nach wie vor kalt, aber ohne Frost. Unser Fran­kie ist kräf­tig, ist stark über den Win­ter gekom­men. Wir befin­den uns Höhe 41. Stra­ße. Es ist Mon­tag, der 1. April 2013, frü­her Abend. — Aller­bes­te Grü­ße sen­det Mal­colm / code­wort : medusenkopfauge

emp­fan­gen am
1.04.2013
2034 zeichen

mal­colm to louis »

polaroidstrand2



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