Aus der Wörtersammlung: wasser

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paris

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sier­ra : 5.25 — In der Mor­gen­däm­me­rung kom­me ich an, es ist die Stadt Paris gewe­sen, Gare de l’Est. Im Zug hat­te eine Frau von mons­trö­sen Aus­ma­ßen neben mir Platz genom­men, press­te mich gegen eine Wand des Abteils, ich konn­te kaum atmen, und wie ich den Bahn­hof ver­las­se, folgt sie mir. Ich gehe west­wärts Rich­tung Mont­par­nas­se. Plötz­lich sit­ze ich in einem Café, in dem alle Gegen­stän­de von Holz sind. Der Boden, die Wän­de, Stüh­le, Tische, auch die Tel­ler, Ser­vi­et­ten, Tas­sen und die Blu­men in ihren höl­zer­nen Gefä­ßen, das Was­ser der Vasen, der Kaf­fee, selbst die Frau, am Nach­bar­tisch, die sich freund­lich nach einer Ziga­ret­te erkun­digt, scheint zu grö­ße­ren Tei­len aus Holz zu bestehen, Hals, Stirn, Wan­gen, Arme und Hän­de, eines ihrer Augen. Auf dem Tisch vor mir sitzt eine Amei­se. Sie bewegt sich kaum. Ich weiß, dass sie zu mir gehört, ich habe sie gekauft. Der Mann, der mir die Amei­se ver­kauf­te, steht auf der Stra­ße vor dem Café und spricht mit jener Frau, die mir folgt. Er trägt einen Hut, eine Melo­ne, die Frau scheint wei­ter­hin zu wach­sen. Bei­de schau­en in mei­ne Rich­tung, sie lachen. Dann kommt der Mann zurück. Er schüt­tet eine Hand­voll Sul­ta­ni­nen auf den Tisch, sagt, dass ich die Früch­te in Schei­ben zer­le­gen sol­le, weil Amei­sen, gera­de die­se Amei­se, die zu mei­nem Eigen­tum gewor­den ist, Sul­ta­ni­nen bevor­zugt ver­zeh­ren wür­den. Das klei­ne Tier ist sehr kost­bar. Es ist eine Amei­se, die ihr Leben heim­lich mit Samu­el Beckett geteilt haben soll, ich habe das schrift­lich, eine Amei­se mit einem wun­der­vol­len Gehirn, sie ist sehr alt, ver­fügt über Ohren und spricht mit den Füh­lern. Ich weiß nicht, wie ich die Amei­se trans­por­tie­ren soll, des­halb wache ich auf und wun­de­re mich, weil ich kein Licht sehe. Aber ich spü­re die Schrit­te einer Amei­se auf mei­nem Bauch. Sie läuft kreuz und quer, bald sitzt sie unter­halb mei­nes lin­ken Auges. Das Tier scheint zu war­ten. — stop

polaroidglas

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ein leises pfeifen

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bamako : 2.25 — Eine kur­di­sche Freun­din ale­vi­ti­schen Glau­bens erzähl­te mir eine Geschich­te, die eigent­lich kei­ne Geschich­te ist, son­dern ein Bericht, weil sie per­sön­lich mehr­fach erle­ben muss­te, wie ihre Toch­ter eine Freun­din mit nach Hau­se brach­te, eine jun­ge Kur­din sun­ni­ti­schen Glau­bens, die zwar mit der Toch­ter Zeit ver­brin­gen, aber nicht mit der Fami­lie essen woll­te, weil sie fürch­te­te, viel­leicht ver­gif­tet zu wer­den. Ich beob­ach­te­te einen tie­fen Schmerz in den Augen mei­ner Freun­din, wäh­rend sie erzähl­te, und auch Zorn und Ent­täu­schung. Sie erklär­te: Das sind die Eltern, die ihre Kin­der imp­fen. Wir Ale­vi­ten sind gefähr­li­che Leu­te, ver­stehst Du, wir sind lebens­ge­fähr­li­che Leu­te. Ich fürch­te, das alles geht ein Leben lang nicht mehr aus den armen Kin­der­see­len raus! – Es ist jetzt 0 Uhr und 55 Minu­ten. Nicht wahr, das ist eine wirk­lich merk­wür­di­ge Bege­ben­heit, die ich in die­ser Nacht notie­re, um sie nicht zu ver­ges­sen. Über­haupt ver­ges­se ich zur­zeit recht viel. Vor eini­gen Tagen, wäh­rend ich mit einer wei­te­ren Freun­din tele­fo­nier­te, mach­te ich eine kur­ze Pau­se, um Kaf­fee zu kochen. Ich bat mei­ne Freun­din in der Lei­tung zu blei­ben und stand also in der Küche und erhitz­te das Was­ser, als eine Tau­be auf dem Fens­ter­brett lan­de­te. Immer, wenn ich eine Tau­be sehe, den­ke ich an Wolf­gang Koep­pen. Ich habe Wolf­gang Koep­pen ein­mal in Mün­chen in einem Kino beob­ach­tet, einen gebückt gehen­den, alten Mann mit Bril­le, der sich sehr lang­sam beweg­te. Nie­mand schien ihn erkannt zu haben, wor­über ich mich damals wun­der­te. Ich erin­ne­re mich genau, ich wun­der­te mich vie­le Tage lang und über­leg­te, ob ich Wolf­gang Koep­pen nicht einen Brief schrei­ben soll­te, um ihm zu erzäh­len, dass ich ihn gese­hen habe, im Kino und dass ich mich dar­über sehr freu­te. Plötz­lich hör­te ich vom Tisch her, auf dem mein Tele­fon lag, ein lei­ses Pfei­fen. Das Pfei­fen kam tat­säch­lich aus dem klei­nen Appa­rat her­aus. Als ich das Tele­fon anhob, wur­de das Pfei­fen lau­ter und lau­ter, und mei­ne Freun­din erzähl­te nur Sekun­den spä­ter, sie habe nicht mehr dar­an geglaubt, dass ich sie noch hören wür­de oder mich an sie erin­nern. Sie habe mei­ne Schrit­te deut­lich gehört, außer­dem soll ich mit mir selbst gespro­chen haben. – stop

ping

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i love you

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romeo : 15.18 — Am See im Pal­men­gar­ten. Ers­te mil­de Stun­den. Abend­seg­ler jagen durch die Däm­me­rung. Für einen Moment der Ein­druck, es könn­te sich bei den Schat­ten der Flie­gen­jä­ger um klei­ne, spie­len­de Engel han­deln. Auf der Bank neben mir ruht mein Film­te­le­fon, soeben erscheint der Feu­er­ball einer deto­nie­ren­den Bom­be in der Stadt Bos­ton nahe einer Mara­thon­stre­cke. Wenn ich den Kanal wech­se­le, Skate­board­fah­rer, die über Haus­dä­cher sprin­gen auf der Insel San­to­rin, ein Mäd­chen mit Zahn­span­ge träl­lert: I love you, i love you! Bald dunk­le Rauch­pil­ze über der Stadt Alep­po. Auf einer Stra­ße liegt der Kör­per einer Frau, der sich noch bewegt, obwohl sie unbe­dingt tot sein müss­te, so furcht­bar die Ver­let­zun­gen, die ihr zuge­fügt wor­den sind. Ich spie­le den Film immer wie­der ab, war­um? Als es dun­kel wird über dem Was­ser, Stil­le. Man hört in der Licht­lo­sig­keit nichts vom Jagen der Tie­re, wenn man sie nicht sieht. Weni­ge Stun­den spä­ter wird Wla­di­mir Putin sagen, bei dem Anschlag in Bos­ton han­de­le es sich um ein bar­ba­ri­sches Ver­bre­chen. — stop

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ameisengeschichte

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india : 6.15 — Die müde Stim­me eines Freun­des ges­tern Abend auf dem Anruf­be­ant­wor­ter. Ich hat­te um einen Rück­ruf gebe­ten, der Rück­ruf kam bald. Er mel­de­te, er sei gera­de auf dem Land in sei­nem Haus und kämp­fe mit Amei­sen. In den dar­auf­fol­gen­den Minu­ten hat­ten wir mehr­fach kür­ze­re Ver­bin­dun­gen, die je nur Sekun­den­zeit dau­er­ten. Das waren Ver­bin­dun­gen einer Art gewe­sen, die man viel­leicht von frü­her her kennt, Stör­ge­räu­sche, Wort­fet­zen, Stim­men von sehr weit her, geheim­nis­voll. Nach eini­gen Minu­ten war dann end­lich eine sta­bi­le Ver­bin­dung erreicht. Ich hör­te einen Bericht jener Vor­gän­ge, die sich fern, im Rhein­gau, in einem klei­nen Haus, das sich in der Nähe eines Wal­des befin­det, abspiel­ten. Möbel wur­den ver­rückt, in Mau­er­spal­ten geleuch­tet, Die­len ange­ho­ben, um das Nest der Amei­sen­tie­re, die wie­der ein­mal in das Haus ein­ge­wan­dert waren, auf­zu­spü­ren. Zu die­sem Zeit­punkt hat­te ich noch immer die Vor­stel­lung eines Kamp­fes, der mit den Werk­zeu­gen der Uhr­ma­cher gefoch­ten wur­de, Lupen, Pin­zet­ten, dazu feins­te Net­ze, Nadeln, Honig­trop­fen. Rasch wur­de deut­lich, dass ich mich in Dimen­sio­nen der Vor­stel­lung beweg­te, die mit der Wirk­lich­keit mei­nes Freun­des nichts zu tun hat­ten, mein Freund kämpf­te mit Schau­feln, mit Besen, mit Gif­ten, mit Feu­er, mit Was­ser. Er sag­te, er habe ein­zel­ne Tie­re bereits vor Wochen wahr­ge­nom­men, sie aber zunächst nicht ernst genom­men. Ich stell­te mir vor, wie sie nun über­all sind, ein Haus, das von Amei­sen geflu­tet wird, ein Haus, das eine Haut von Amei­sen­kör­pern trägt. Sie sol­len als Staats­we­sen ohne beson­de­re Intel­li­genz sein. Sie bemer­ken nicht, dass man sie bekämpft, sie wer­den weni­ger, aber sie hören nicht auf, sie flüch­ten nicht, gera­de des­halb sind sie viel­leicht nicht zu bezwin­gen. Und wie­der die Fra­ge, neh­men wir ein­mal an, ein Volk von Wan­der­amei­sen näher­te sich, was wür­de ich hören? Viel­leicht ein gut sicht­ba­res Geräusch? — stop

polaroidstrand

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drohne 12

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kili­man­dscha­ro : 2.28 — Zwölf­hun­derts­tes Hotel­zim­mer – sei mir gegrüßt! Sei mir gegrüßt, mit mäßig gutem Bett, Spie­gel­schrank, Kom­mo­de, wacke­li­gem Schreib­tisch; mit rosa Nacht­tisch­lam­pe, abge­schab­tem Tep­pich, Was­ser­ka­raf­fe, Brief­pa­pier, Kof­fer­stän­der. Sei gegrüßt, Hei­mat seit einer hal­ben Stun­de, Hei­mat für zwei, drei oder vier­zehn Tage -: Wirst Du mir freund­lich gesinnt sein? Wer­de ich bei Dir aus­ru­hen dür­fen? — Ich lese Klaus Mann. Seit bald sechs Stun­den lese ich in einem Buch, das sei­ne Tex­te ver­sam­melt, eine Aus­wahl. Ich habe das Buch bereits vom ers­ten bis zum letz­ten Satz gele­sen. Nun, indem ich wie­der von vorn begin­nen wer­de, zu einem Zeit­punkt, da ich nicht weiß, wie lan­ge es dau­ern wird, bis ich mich wie­der bewe­gen wer­den kann, habe ich beschlos­sen, das Buch abzu­schrei­ben, weil das Buch abzu­schrei­ben län­ge­re Zeit in Anspruch neh­men wird, als das Buch zu lesen. Ich muss mich näm­lich beschäf­ti­gen, um mei­ne inne­re Ruhe nicht zu ver­lie­ren, weil ich Grund habe, äußerst beun­ru­higt zu sein. Es war gegen 8 Uhr abends, gera­de Däm­me­rung, als ich vor dem Fens­ter im 22. Stock eine Bewe­gung bemerk­te. Ich hat­te gera­de fünf Sei­ten des Buches gele­sen, als ich den Blick auf das Fens­ter rich­te­te. Ich bemerk­te eine Droh­ne, ein klei­nes Flug­ob­jekt, das zu mir her­ein­späh­te. Sie ist immer noch da. Sie filmt mich, wie ich hier auf mei­nem Sofa sit­ze. Ich habe den Ver­dacht, dass sie mög­li­cher­wei­se eine oder zwei Waf­fen auf mich rich­tet, wes­we­gen ich so tue, als wür­de ich sie nicht sehen. Und doch traue ich mich nicht, mich zu erhe­ben, obwohl ich sehr durs­tig bin und hung­rig. Kaum will ich einen Fuß auf den Boden stel­len, kommt die Droh­ne so nah an das Fens­ter mei­nes Zim­mers her­an, dass ich mei­ne, sie wür­de die Schei­be berüh­ren. Ich weiß, dass man mich betrach­tet, ver­dammt, wer auch immer Ihr seid, ich weiß, dass Ihr mich betrach­tet. Ich sage Euch, ich erklä­re hier­mit, ich wer­de Euch kei­nen Gefal­len tun, ich wer­de Euch nicht rei­zen, ich wer­de Euch kei­nen Anlass geben, auf mich zu feu­ern. Ich bin ganz ruhig, ich bin gelas­sen, Klaus Mann ist bei mir, ich lese, ich schrei­be. Es ist kurz nach zwei Uhr. Fan­gen wir noch ein­mal von vorn an: Ich weiß nicht, wohin ich fah­re. Ich fah­re irgend­wo­hin. Ich tra­ge mei­nen Hand­kof­fer, ein paar Bücher, den Regen­man­tel. — stop

ping

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zwergseerosen

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sier­ra : 6.38 — Vor Kur­zem noch habe ich nicht gewusst, dass Lam­pen­me­du­sen bevor­zugt Zwerg­see­ro­sen zu sich neh­men. Eigent­lich müss­te ich sagen, dass Lam­pen­me­du­sen ihrer Auf­ga­be der Lich­ter­zeu­gung nur dann nach­zu­kom­men in der Lage sind, wenn sie eini­ge Gramm einer bestimm­ten Zwerg­see­ro­sen­gat­tung auf­ge­nom­men haben. Die­se Zwerg­see­ro­sen nun sind wun­der­ba­re Wesen, die man mit blo­ßem mensch­li­chem Auge nicht wahr­zu­neh­men ver­mag. Sobald sie aber häu­fig sind, also gehäuft, sagen wir zehn­tau­send Zwerg­see­ro­sen in nächs­ter Nähe zuein­an­der, sehen wir eine röt­li­che Wol­ke, die sich in der Form einer fla­chen Lin­se sehr wohl­zu­füh­len scheint. Unter einem Mikro­skop betrach­tet sind an jeder Zwerg­see­ro­se wun­der­vol­le Blü­ten von roter Far­be zu erken­nen, die sich lang­sam um die eige­ne Ach­se dre­hen, wes­we­gen Zwerg­see­ro­sen durch das Was­ser wan­dern­de Geschöp­fe sind, schwe­ben­de, oder genau­er, tau­chen­de Blu­men. Sie sol­len zart nach Hum­mer­fleisch schme­cken, jedoch nicht genieß­bar sein, weil auch dann, wenn Men­schen sie ver­kos­ten, eben jene Men­schen in der Art der Lam­pen­me­du­sen zu leuch­ten begin­nen, ihre Haut und ihre Haa­re, dann fal­len sie um und hören auf zu atmen. Einer, der das nicht glau­ben woll­te, wur­de ges­tern auf hoher See bestat­tet. Ein selt­sa­mer Anblick, wie man berich­tet, ein blau­es Leuch­ten mit Armen, Bei­nen und einem Kopf, das lang­sam in der Tie­fe ver­schwand. — Es ist schon weit nach Mit­ter­nacht, also Nach­mit­tag gewor­den. Ich spa­zie­re lei­se durch mei­ne Woh­nung, weil ich nie­man­den wecken möch­te. Unter mir schla­fen Men­schen. Das ist immer wie­der eine selt­sa­me Vor­stel­lung, dass sie sehr nah sind, nur durch etwas Holz und Bast und Stein von mir getrennt. Man kann in die­ser Wei­se Jah­re woh­nen, ohne zu wis­sen, wen genau man atmen oder spa­zie­ren hört. Einer der Men­schen unter mir, scheint im Schlaf zu spre­chen. Wenn er zu spre­chen beginnt, höre ich das Geräusch einer Tür, dann hört er auf zu spre­chen. Für eine Wei­le ist es still. Es gibt viel zu erzäh­len im Schlaf. — stop

polaroidblumen

 

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konzert für posaune

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lima : 2.12 — Vor weni­gen Stun­den, am spä­ten Nach­mit­tag, wur­den in der Cham­bers Street 155, drit­ter Stock, zwei Sau­er­stoff­fla­schen für den Trans­port in Rich­tung der Lex­ing­ton Ave­nue vor­be­rei­tet. Es han­del­te sich um zwei schlan­ke, metal­le­ne Behäl­ter von je 12 Kilo­gramm Gewicht. Sie schim­mer­ten sehr schön im Licht der tief ste­hen­den Son­ne, die durch die Fens­ter eines exqui­si­ten Ladens strahl­te, in dem man Zube­hör für Tau­cher und ande­re Was­ser­men­schen erwer­ben kann, see­fes­te Bücher, schwe­ben­de Stüh­le und Tische, Kie­men­vö­gel, Pracht­schne­cken, Leucht­mol­lus­ken und vie­le wei­te­re Gegen­stän­de, die man sich viel­leicht wün­schen wird, wenn man es mit einer dau­er­haf­ten Exis­tenz im oder unter dem Was­ser zu tun haben wür­de. Nun waren an den Sau­er­stoff bewah­ren­den Behäl­tern je zwei beson­de­re Vor­rich­tun­gen zu ver­mer­ken, Pro­pel­ler oder etwas Ähn­li­ches, die sich zur Pro­be mit einem hel­len Sau­sen so schnell dreh­ten, dass man sie in der Luft nicht sehen, aber spü­ren konn­te. Vier Ange­stell­te des klei­nen Ladens prüf­ten sehr sorg­fäl­tig eine hal­be Stun­de lang die Funk­ti­ons­tüch­tig­keit der Appa­ra­tu­ren, dann mon­tier­ten sie zwei metal­le­ne Schläu­che, an wel­chen sich Mund­stü­cke befan­den, die den Mund­stü­cken der Trom­pe­ten ähnel­ten. Denk­bar, dass jene beob­ach­te­ten Sau­er­stoff­fla­schen durch das Was­ser schwe­ben wer­den, wäh­rend man etwas Luft von ihnen nip­pen könn­te. Mei­ne beson­de­re Auf­merk­sam­keit aber galt einem Zet­tel, der dem Trans­port bei­gefügt wor­den war. Dort war ver­merkt, dass die Behäl­ter am spä­ten Abend mit­tels eines Taxi­trans­fers an Mrs. Sün­ja Täp­pin­nen aus­ge­lie­fert wer­den soll­ten, wohn­haft in der Lex­ing­ton Ave­nue 1285, wie bereits erwähnt, 14. Eta­ge. Ursäch­lich für die Bestel­lung könn­te ein Unter­was­ser­jazz­kon­zert gewe­sen sein, das genau in die­sen Minu­ten, da ich mei­ne Nach­richt notie­re, zur Auf­füh­rung kom­men wird. Es ist nun alles, auch wirk­lich alles mög­lich, was man sich den­ken kann in die­ser schö­nen Win­ter­nacht. — stop

ping

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nachtameise

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alpha

~ : sam
to : Mr. louis
sub­ject : WANDERAMEISE

Mein lie­ber Freund Lou­is, es gibt Neu­es zu berich­ten. Ich bin näm­lich umge­zo­gen, von einer Woh­nung in eine ande­re Woh­nung, bei­de befin­den sich in dem­sel­ben Haus. Jah­re­lang, wie Du weißt, leb­te ich im 3. Stock, jetzt schaue ich vom 25. Stock­werk auf die Stra­ße hin­un­ter. Die Men­schen sind noch klei­ner gewor­den, ihre Stim­men nicht län­ger zu hören. Ich woh­ne unter dem Dach. Manch­mal lie­ge ich rück­lings auf dem Boden und den­ke, dass es hier ganz wun­der­bar ist, weil ich nie wie­der von Schrit­ten geweckt wer­de, wenn ich schla­fe. Natür­lich ist der Auf­stieg beschwer­lich, kein Lift nach wie vor, aber die Luft scheint hell zu sein, auch nachts, weil sie so gut riecht, nach See­luft, ja, nach See­luft. Vor weni­gen Stun­den öff­ne­te ich das Fens­ter nach Süden hin und füt­ter­te Möwen mit Brot, seit­her umkrei­sen sie lau­ernd das Haus. Die Woh­nung neben­an scheint leer zu ste­hen, von unten ist lei­se Kla­vier­mu­sik zu hören, nichts wei­ter. Es ist über­haupt sehr still hier oben. Wäh­rend ich nachts, eine Wan­der­amei­se, mei­ne Bücher und Papie­re nach oben schlepp­te, war ich kei­ner Men­schen­see­le begeg­net. Aber ich hör­te Stim­men, nicht von den Türen, von irgend­wo her, als wären Men­schen in den Stu­fen, dem Holz des Trep­pen­ge­län­ders, den Wän­den des alten Hau­ses gefan­gen. In den höhe­ren Stock­wer­ken befin­den sich Brief­käs­ten mit schwe­ren, eiser­nen Deckeln, in wel­che man Bot­schaf­ten abwer­fen kann. Natür­lich bin ich nicht sicher, ob sie noch funk­tio­nie­ren. Ich habe zur Pro­be eine Nach­richt fol­gen­den Inhal­tes an mich selbst abge­schickt: Etwas Selt­sa­mes ist gesche­hen. Bin ges­tern Abend ein­ge­schla­fen, obwohl ich in einem äußerst span­nen­den Buch geblät­tert hat­te. Viel­leicht war’s die schwe­re, war­me Luft oder eine schlaf­lo­se Nacht der ver­gan­ge­nen Jah­re, die rasch noch nach­ge­holt wer­den muss­te. So oder so schlum­mer­te ich eine Stun­de tief und fest im Gras und wäre ver­mut­lich bis zum frü­hen Mor­gen hin in die­ser Wei­se anwe­send und abwe­send zur glei­chen Zeit auf dem Boden gele­gen, wenn ich nicht sanft von einer nacht­wan­deln­den Amei­se geweckt wor­den wäre. Kaum hat­te ich die Augen geöff­net, war ich schon mit einer Fra­ge beschäf­tigt, die ich erst weni­ge Stun­den zuvor ent­deckt hat­te, mit der Fra­ge näm­lich, wie Tief­see­ele­fan­ten hören, was sie mit­ein­an­der spre­chen, da doch die Sprech­ge­räu­sche ihrer Rüs­sel sehr weit von ihren Ohren ent­fernt jen­seits der Was­ser­ober­flä­che zur Welt kom­men und rasch in alle Him­mels­rich­tun­gen ver­schwin­den. Eine dif­fi­zi­le Fra­ge, eine Fra­ge, auf die ich bis­her viel­leicht des­halb kei­ne Ant­wort gefun­den habe, weil ich eine Ant­wort nur im Schlaf fin­den kann, wenn mein Gehirn machen darf, was es will. – Dein Sam. Guten Mor­gen! — stop

gesen­det am
17.03.2013
8.15 pm
2253 zeichen

 

polaroidmusiker

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erzählende physik eines fallendes radios

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sier­ra : 6.32 — Von der Berech­nung des Luft­wi­der­stan­des, dem ein Kör­per begeg­net, wenn er sich im frei­en Fall befin­det, wuss­te ich bis kurz nach Mit­ter­nacht nichts. Auch die Berech­nung der wach­sen­den Geschwin­dig­keit, mit der sich ein stür­zen­der Kör­per dem Erd­mit­tel­punkt nähert, war mir bis­her nicht mög­lich, weil ich noch nie gut gewe­sen bin in der Mathe­ma­tik der Phy­sik. Ich habe also nach­ge­le­sen und bin in die­ser Lek­tü­re auf einen wun­der­ba­ren Text gesto­ßen, den der Phi­lo­soph Lukrez bereits im Jahr 55 vor Chris­tus notiert haben soll. Er schreibt: Wer nun etwa ver­meint, die schwe­re­ren Kör­per, die senk­recht rascher im Lee­ren ver­sin­ken, ver­möch­ten von oben zu fal­len auf die leich­te­ren Kör­per und dadurch die Stö­ße bewir­ken, die zu erre­gen ver­mö­gen die schöp­fe­risch täti­gen Kräf­te: Der ent­fernt sich gar weit von dem rich­ti­gen Wege der Wahr­heit. Denn was immer im Was­ser her­ab­fällt oder im Luft­reich, muss, je schwe­rer es ist, umso mehr sein Fal­len beei­len, des­halb, weil die Natur des Gewäs­sers und leich­te­ren Luft­reichs nicht in der näm­li­chen Wei­se den Fall zu ver­zö­gern imstand ist, son­dern im Kamp­fe besiegt vor dem Schwe­re­ren schnel­ler zurück­weicht: Dahin­ge­gen ver­möch­te das Lee­re sich nie­mals und nir­gends wider irgend­ein Ding als Halt ent­ge­gen­zu­stel­len, son­dern es weicht ihm bestän­dig, wie sei­ne Natur es erfor­dert. Des­halb müs­sen die Kör­per mit glei­cher Geschwin­dig­keit alle trotz unglei­chem Gewicht durch das ruhen­de Lee­re sich stür­zen. — Eine wei­te­re Stun­de spä­ter hat­te ich eine recht prä­zi­se Vor­stel­lung von der Beschleu­ni­gung, die ein Tran­sis­tor­ra­dio erfährt, wenn es aus 1,60 Meter Höhe von einem Bar­tisch aus zu Boden fällt. Das ist eine wich­ti­ge Erfah­rung, um eine Geschich­te erzäh­len zu kön­nen, die sich dem Ver­hal­ten eines fal­len­den Radi­os gemäß ent­wi­ckeln könn­te. Weil sich das Radio zunächst lang­sam, dann schnel­ler wer­dend durch die Luft bewegt, wür­den sich auch die Wör­ter der Geschich­te zunächst lang­sa­mer ereig­nen, eine gerin­ge Men­ge Wör­ter für ein erzähl­tes Par­tic­le der Geschich­te, wohin­ge­gen zuletzt, kurz vor dem Auf­prall des Radi­os sich sehr vie­le Wör­ter ereig­nen wer­den, um ein erzähl­tes Par­tic­le zu erzeu­gen. Eine inter­es­san­te Vor­stel­lung, die ich para­do­xer­wei­se in mei­nem Gehirn her­um­zu­dre­hen ver­mag. Weil sich das Radio zunächst lang­sam bewegt, ist viel Zeit, um vie­le Wör­ter zu notie­ren. Ste­tig wer­den die Wör­ter weni­ger, weil sich die Zeit ihrer Auf­füh­rung ver­kürzt. Alles das ist für eine extre­me Zeit­lu­pe aus­ge­dacht. Und jetzt habe ich einen klei­nen Kno­ten im Kopf. Guten Mor­gen. — stop

formel

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auf der roseninsel

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india : 5.15 — Ich habe etwas Lus­ti­ges geträumt. War nachts mit einem Zug nach Pos­sen­ho­fen gefah­ren. Ein har­ter Win­ter, ich schlen­der­te am Ufer des Starn­ber­ger Sees. Man­schet­ten von Eis umsäum­ten Stei­ne und Höl­zer, die im Nied­rig­was­ser sicht­bar gewor­den waren. Ich erin­ne­re mich, dass ich ver­such­te Wör­ter zu fin­den für Geräu­sche, die mei­ne Schrit­te auf dem gefro­re­nen Boden erzeug­ten. Ich hat­te viel Zeit, ich war auf dem Weg zur Rosen­in­sel. Eich­hörn­chen flitz­ten durchs Unter­holz, auf Bän­ken, wel­che ich pas­sier­te, saßen gefro­re­ne Men­schen, das war selt­sam, weil sie alle lächel­ten, als wäre das Erfrie­ren ein ange­neh­mer Vor­gang gewe­sen. Außer­dem konn­ten sie lei­se spre­chen. Wenn ich ihnen eine Fra­ge stell­te, näm­lich, ob ich auf dem rich­ti­gen Weg zur Rosen­in­sel sei, ant­wor­te­ten sie, ja ja, ihre Stim­men kamen aus den Ohren der gefro­re­nen Gestal­ten her­aus, sodass ich den Ein­druck hat­te, in den mensch­li­chen Kör­pern wür­den wei­te­re Kör­per sit­zen. Auch Fische spa­zier­ten im Traum her­um, auf Füs­sen, an wel­chen sie Wan­der­schu­he tru­gen. Dann war ich irgend­wann ange­kom­men und war­te­te am Ufer, ob mich jemand holen wür­de. Das Was­ser an die­ser Stel­le leuch­te­te, ein Licht, das sich beweg­te. Plötz­lich tauch­te ein klei­nes U‑Boot aus dem Was­ser. Es hat­te die Form einer Zigar­re und war durch­sich­tig und kam sehr nah an das Ufer her­an. Eine Luke öff­ne­te sich. Robert De Niro wink­te und er sag­te, ich sol­le zu ihm ins Boot stei­gen. Wir tauch­ten dann rüber zur Insel, es war Tag als wir ange­kom­men waren, Som­mer. Auf einer Bank saß mein Vater, er las in einer Zei­tung. Hier, in sei­ner Nähe, wach­te ich auf, weil mein Wecker klin­gel­te. Ich nahm den Wecker in die Hand, und als ich drei Stun­den spä­ter wie­der ein­mal wach gewor­den war, hat­te ich den Wecker noch immer der Hand, so wie es sein muss, mit den Weckern, wenn man sie träumt. — stop

polaroidwolken



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