Aus der Wörtersammlung: buch

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regengefäß

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sier­ra : 0.05 — Kurz nach Mit­ter­nacht: Leich­ter Regen. Aber nicht wirk­lich Regen, son­dern Regen, weil ich in mein Notiz­buch notier­te: 18. April – Regen­ge­räu­schwör­ter sam­meln. Also spa­zie­re ich durch die Woh­nung und ver­su­che, man­gels wirk­li­chen Regens, Regen vor­zu­stel­len. Das ist eine sehr ange­neh­me Übung: Regen in den Wäl­dern, Regen im Gebir­ge, Regen in der Stadt. Oder Nacht­re­gen, Herbst­re­gen, Regen, der auf ein Fähr­schiff fällt. Ges­tern Abend habe ich Regen­ge­räu­sche gehört, die durch ein Tele­fon über­tra­gen wur­den. Als ich noch Kind war, ver­ließ ich gern das Haus ohne Schirm, wenn es reg­ne­te. Kaum war ich auf der Stra­ße, kamen Schne­cken unter den Bäu­men her­vor. Der Regen mach­te sie schnell und mutig. Sie kann­ten den klei­nen Schne­cken­jä­ger bis­her nicht, der sie sam­mel­te, der sie in Glä­ser steck­te. Wenn ich sie betrach­te­te, hat­te ich den Ein­druck, ihr schim­mern­der Kör­per wür­de sich mit Regen gefüllt haben. Seit­her ist die Far­be des Regens von der Far­be der Schne­cken­fü­ße. — stop

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lissabon

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nord­pol : 22.01 — Unter Zei­tun­gen, die sich in mei­nem Brief­kas­ten befan­den, ent­deck­te ich eine selt­sa­me Post­kar­te. Auf der einen Sei­te des Papiers war die Stadt Lis­sa­bon zu erken­nen, eine gel­be Tram­bahn zwi­schen Häu­sern einer steil anstei­gen­den Stra­ße. Es muss spä­ter Abend gewe­sen sein, als die Auf­nah­me gefer­tigt wur­de. Men­schen sit­zen in beleuch­te­ten Abtei­len, eini­ge schla­fen, ande­re schau­en aus den Fens­tern der Wag­gons her­aus. Wie ich sie betrach­te­te, die Über­le­gung, man­che der foto­gra­fier­ten Men­schen könn­ten viel­leicht nicht mehr unter uns Leben­den sein, weil ihr Licht bereits Anfang der Fünf­zi­ger­jah­re ein­ge­fan­gen wur­de. Das jeden­falls ist so auf der Rück­sei­te der Ansichts­kar­te ver­merkt, Lis­boa 1952. Ihr Post­wert­zei­chen, das tat­säch­lich in Lis­sa­bon abge­stem­pelt wor­den war, ist eines, wie man sie zu jener Zeit ver­wen­de­te, sodass ich ver­mu­te­te, die Post­kar­te habe eine sehr lan­ge Rei­se­zeit hin­ter sich gebracht. Sie ist in mei­nen Augen über­haupt eine erstaun­li­che Erschei­nung. In die­sem Moment ruht sie im Nacht­licht auf mei­nem Schreib­tisch. Wör­ter, die ich nicht ken­ne. Nicht ein­mal die Buch­sta­ben, die Wör­ter bil­den, ver­mag ich zu ent­zif­fern, äußert fei­ne Zei­chen, eine Art gehei­mer Schrift, Male­rei, die vie­le Stun­den Arbeit gefor­dert haben dürf­te. Merk­wür­dig vor allem, auf der Post­kar­te ist kei­ne Anschrift zu fin­den. Sosehr ich nach mei­nem oder einem ande­ren Namen such­te, nichts ist zu ent­de­cken, was eine Begrün­dung dafür dar­stel­len könn­te, dass gera­de ich die­se Kar­te erhal­ten soll­te. Ich habe kei­ne Vor­stel­lung, wer sie geschrie­ben haben könn­te, auch nicht, ob eine Anschrift ver­se­hent­lich oder mit Absicht ver­ges­sen wur­de. — Däm­me­rung. Fle­der­mäu­se zwit­schern durch die Luft. Vor weni­gen Tagen ist Urs Wid­mer gestor­ben, vor genau zwei Jah­ren mein Vater um 17.32 Uhr. — stop
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lichtbild : eine straße in manhattan

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ulys­ses : 8.05 — Ein­mal ent­deckte ich nach stun­den­lan­ger Suche in den Archi­ven der Baye­ri­schen Staats­bi­blio­thek eine Foto­gra­fie auf einem Mikro­film­strei­fen und ich wuss­te sofort, dass ich die­ses Licht­bild besit­zen muss­te. Ich bat eine Biblio­the­ka­rin, aus dem Mate­rial das Bes­te her­aus­zu­ho­len, höchs­te Auf­lö­sung, wes­we­gen ich bald einen klei­nen Sta­pel Papiers ent­ge­gen­neh­men konn­te, den ich im Arbeits­zim­mer an einer Wand zum Bild zurück sor­tier­te, wie in der ver­gan­ge­nen Nacht noch ein­mal, zurück zur Ansicht einer Stra­ße des Jah­res 1934 prä­zise, einer Stra­ße nahe des Bel­le­vue Hos­pi­tals zu New York. Stau­bige Bäu­me, eilen­de Men­schen­schat­ten, die Sil­hou­ette einer alten, in den Kno­chen gebeug­ten Frau, der Wagen eines Eis­ver­käu­fers, ros­tige Hydran­ten, die sprö­de Stein­haut der Stra­ße, zwei Vögel unbe­kann­ter Gat­tung, Spu­ren von Hit­ze, und ich erin­nere mich noch gut, dass ich eine Zei­le von links nach rechts auf das Papier notier­te: Die­se Stra­ße könn­te Mal­colm Lowry über­quert haben, an einem Tag viel­leicht, als er sich auf den Weg mach­te, sei­nem Kör­per den Alko­hol zu ent­zie­hen. Und weil ich schon ein­mal damit begon­nen hat­te, das Bild zu ver­fei­nern, zeich­nete ich in Wor­ten wei­tere Sub­stan­zen auf das Papier, Unsicht­ba­res oder Mög­li­ches. Einen Schuh notier­te ich west­wärts: Hier flüch­tet Jan Gabri­el, weil sie Mr. Low­ry’s Lie­be nicht län­ger glau­ben konn­te. Da lag ein Notiz­buch im Schat­ten eines Bau­mes und ich sag­te: Die­ses Notiz­buch wird Mal­colm Lowry fin­den von Zeit zu Zeit, er wird es auf­he­ben und mit zit­tern­den Hän­den in sei­ne Hosen­ta­sche ste­cken. Schon segel­ten fie­bernde Wale über den East River, der zwi­schen zwei Häu­sern schim­merte, ein Schwarm irrer Bie­nen tropf­te von einer Fens­ter­bank, und da waren noch zwei Mäd­chen, bar­fuß, — oder tru­gen sie doch Strümp­fe, doch Schu­he? — sie spiel­ten Him­mel und Höl­le, ihre fröh­li­chen Stim­men. Ich geste­he, dass Dai­sy und Vio­let nicht damals, son­dern in die­ser letz­ten Stun­de einer hei­te­ren Arbeits­nacht ins Bild gekom­men sind. — stop

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terminal nachts

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tan­go : 2.28 — Ges­tern beob­ach­te­te ich einen Mann, wie er in einem Buch las. Er saß nahe einem Café im Flug­ha­fen­ter­mi­nal 1 auf sei­nem Kof­fer, lehn­te mit dem Rücken an einer Wand, bei­de Füße fest auf dem Boden. Außer­dem trug er einen breit­krem­pi­gen Hut von brau­ner Far­be auf dem Kopf und ein blau­es Hemd, wel­ches der­art leuch­te­te, dass mei­ne Augen bald schmerz­ten. Aber im Grun­de war ich auf den Mann nicht wegen sei­ner äuße­ren Erschei­nung auf­merk­sam gewor­den, es war die Metho­de, wie er die Erzäh­lung The Pri­ce of Salt von Patri­cia High­s­mith stu­dier­te. Ehe er näm­lich eine neue Sei­te des Buches zu lesen begann, riss er die­se nächs­te zu lesen­de Sei­te aus dem Kör­per des Buches her­aus, führ­te sie nahe an sei­ne Augen her­an, las, dreh­te die Sei­te her­um, las wei­ter, um kurz dar­auf die gele­se­ne Sei­te in die Tasche sei­nes Jacketts zu stop­fen. Das Jackett beul­te bereits auf bei­den Sei­ten deut­lich, weil das Buch bis zur Hälf­te gele­sen wor­den war. Genau genom­men zer­leg­te der Mann das Buch, das er las, in sei­ne papie­re­nen Ein­zel­tei­le, das Buch ver­schwand sozu­sa­gen unter sei­nen Hän­den, das waren übri­gens win­zi­ge Hän­de, die Hän­de eines Kin­des. Natür­lich kann ich an die­ser Stel­le kei­ne Aus­sa­ge dar­über machen, ob der Mann mit jedem der Bücher sei­nes Lebens so gehan­delt hat­te. Wann war es gewe­sen, als er die ers­te Sei­te aus einem Buch ent­nahm? Und war­um? Ich woll­te den Mann fra­gen, aber irgend­et­was hin­der­te mich dar­an, zu ihm zu gehen. Um kurz nach zwei Uhr stand ich auf und ging nach Hau­se. — stop

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vom nachthausmuseum

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sier­ra : 20.14 — Mein lie­ber Freund, als ich Dei­nen nächt­li­chen Brief las von den Geräu­schen im Haus, in dem Du wohnst, erin­ner­te ich mich an eine Geschich­te, die ich vor zwei Jah­ren notier­te. Ich stel­le mir vor, die­se Geschich­te könn­te Dich inter­es­sie­ren. Wenn Du Fra­gen haben soll­test, wie man als Nacht­mensch unter Tag­men­schen sinn­voll exis­tie­ren kann, mel­de Dich bit­te unver­züg­lich. Dein Lou­is. ps. > Hier mei­ne Geschich­te: Das Muse­um der Nacht­häu­ser befin­det sich am Shore Bou­le­vard nörd­lich der Hell Gates Bridge, die den Stadt­teil Queens über den East River hin­weg mit Ran­di­lis Island ver­bin­det. Es ist ein recht klei­nes Haus, rote Back­stei­ne, ein Schorn­stein, der an einen Fabrik­schlot erin­nert, ein Gar­ten, in dem ver­wit­ter­te Apfel­bäu­me ste­hen, und der Fluss so nah, dass man ihn rie­chen kann. Wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges, zufäl­lig, ent­deck­te ich die­ses Muse­um, von dem ich nie zuvor gehört hat­te. Es war ein spä­ter Nach­mit­tag, ich muss­te etwas war­ten, weil, so war zu lesen, das Muse­um nicht vor Ein­bruch der Däm­me­rung geöff­net wür­de. Es ist eben ein Muse­um für Nacht­men­schen, die in Nacht­häu­sern woh­nen, wel­che erfun­den wor­den waren, um Nacht­men­schen art­ge­rech­tes Woh­nen zu ermög­li­chen. Als das Muse­um öff­ne­te, war ich schon etwas müde gewor­den, und weil ich der ein­zi­ge Besu­cher in die­ser Nacht gewe­sen war, führ­te mich ein jun­ger Mann her­um. Er war sehr gedul­dig, war­te­te, wenn ich wie wild in mein Notiz­buch notier­te, weil er über­aus span­nen­de Geschich­ten erzähl­te von jenen merk­wür­di­gen Gegen­stän­den, die in den Vitri­nen des Muse­ums ver­sam­melt waren. Von einem die­ser Gegen­stän­de will ich kurz erzäh­len, von einem metal­le­nen Wesen, das mich an eine Kreu­zung zwi­schen einem Gecko und einer Spin­ne erin­ner­te. Das Ding war ver­ros­tet. Es hat­te die Grö­ße eines Schuh­kar­tons. An je einer Sei­te des Objekts saßen Bei­ne fest, die über Saug­näp­fe ver­füg­ten, eine Kame­ra thron­te oben­auf wie ein Rei­ter. Der jun­ge Mann erzähl­te, dass es sich bei die­sem Gerät um ein Instru­ment der Ver­tei­di­gung han­de­le, aus einer Zeit, da Nacht­men­schen mit Tag­men­schen noch unter den Dächern ein und der­sel­ben Häu­ser wohn­ten. Das klei­ne Tier saß in der Vitri­ne, als wür­de er sich ducken, als wür­de es jeder­zeit wie­der eine Wand bestei­gen wol­len. Das war näm­lich sei­ne vor­neh­me Auf­ga­be gewe­sen, Zim­mer­wän­de zu bestei­gen in der Nacht, sich an Zim­mer­de­cken zu hef­ten und mit klei­nen oder grö­ße­ren Ham­mer­werk­zeu­gen Klopf,- oder Schlag­ge­räu­sche zu erzeu­gen, um Tag­men­schen aus dem Schlaf zu holen, die ihrer­seits weni­ge Stun­den zuvor noch durch ihre har­ten Schrit­te den Erfin­der der Geck­oma­schi­ne, einen Nacht­ar­bei­ter, aus sei­nen Träu­men geris­sen hat­ten. Ja, zum Teu­fel, schon zum hun­derts­ten Male war das so gesche­hen, obwohl man aller freund­lichst um etwas Ruhe, um etwas Vor­sicht gebe­ten hat­te, nein gefleht, nein geflüs­tert. Es war, sag­te der jun­ge Mann, immer so gewe­sen damals in die­ser schreck­li­chen Zeit, dass sich jene Tag­men­schen, die über geräu­mi­gen Zim­mern wohn­ten, sicher fühl­ten vor jenen Nacht­men­schen, die unter ihnen wohn­ten und mit ihren Schrit­ten die Zim­mer­de­cke nie­mals errei­chen konn­ten. Aus und fini! — stop

polaroidqueens

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luftposttiere

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romeo : 3.22 — Die Vor­stel­lung der Luft­post­tie­re in die­ser Nacht, wie sie einem Brief­um­schlag ent­kom­men. Noch ruhen sie flach auf dem Tisch, hel­le Erschei­nun­gen, bieg­sam wie die Blät­ter der Buchen. An einer ihrer Kan­ten ist ein röt­li­cher Punkt zu erken­nen, ein Auge even­tu­ell, dort auch ein klei­ner Mund, der atmet. Man ver­mag die­sen Mund nur dann zu ent­de­cken, wenn man über aus­ge­zeich­ne­te Augen ver­fügt, oder über eine Bril­le. Es lohnt sich, genau hin­zu­se­hen. Sand­far­be­ne Lip­pen und eine rosa­far­be­ne Zun­ge, nicht grö­ßer als ein gepress­tes Reis­korn. Sobald man ein Luft­post­falt­tier aus sei­nem Umschlag holt, wacht es auf, weil es im Umschlag noch zwin­gend schla­fen muss­te, Schlaf und Umschlag sind Geschwis­ter. Aber dann beginnt das Tier in den Raum zu atmen. Indem es atmet, ent­fal­tet sich sein Kör­per. Es ist immer wie­der bemer­kens­wert, welch fas­zi­nie­ren­de Gestal­ten erschei­nen, afri­ka­ni­sche Luft­post­falt­tie­re sind euro­päi­schen Luft­post­falt­tie­ren durch­aus nicht ähn­lich. So oder so wird man stau­nen und erzäh­len. — 3 Uhr und etwas spä­ter. Leich­ter Regen. — stop

polaroidverazanno

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bambus

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marim­ba : 3.58 — In einem Moment der Stil­le beob­ach­te­te ich vor weni­gen Stun­den ein Bücher­re­gal, das in mei­nem Arbeits­zim­mer steht. Ich mein­te, ein Geräusch wahr­ge­nom­men zu haben, in etwa hör­te sich das so an, als wür­de man ein Ohr an ein Bam­bus­rohr legen, durch wel­ches Kie­sel­stei­ne fal­len. Zunächst mel­de­te sich das Geräusch links oben unter der Decke, wo sich Bücher befin­den, die ich nicht gele­sen habe, war­ten­de Bücher, sagen wir, Mah­nen­de. Kurz dar­auf wan­der­te das Geräusch in die Mit­te des Regals, Chris­toph Rans­mayr klim­per­te, John Ber­ger, Janet Frame, Anto­nio Tabuc­chi. Ich hat­te für eini­ge Minu­ten den Ein­druck, das Geräusch oder sei­ne Ursa­che könn­te sich ver­viel­fäl­tigt haben. Wenn nun fol­gen­des gesche­hen wäre, dass sich die Bücher mei­nes Regals in Funk­bü­cher ver­wan­del­ten, in Bücher, die nur vor­ge­ben, Bücher von Papier zu sein, in Bücher also, die über Sei­ten ver­fü­gen, die eigent­lich Bild­schir­me sind, die man umblät­tern kann. Dann wäre denk­bar, dass ich jenes typi­sche Geräusch ver­nom­men habe, das in genau dem Moment ent­steht, da der Autor eines Buches mit­tels Funk­wel­len eine erneu­er­te Fas­sung sei­nes Wer­kes in die Zim­mer der Welt ent­sen­det. Ich muss dar­über nach­den­ken, was die Mög­lich­keit oder die Exis­tenz der Funk­bü­cher bedeu­ten wür­de für das Schrei­ben, für das Auf­hö­ren kön­nen, für Anfang und Ende einer Geschich­te. Und wenn nun Jean Pauls Komet in mei­nem Zim­mer rascheln wür­de, oder Dan­tons Tod, Georg Büch­ner? – Noch zu tun: Regen­wör­ter erfin­den. — stop
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von ohren

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nord­pol : 2.08 — Mon­tag. Fried­vol­le Nacht, sofern ich mei­ne Fens­ter schlie­ße, mei­ne Tele­fo­ne, den Fern­seh­ap­pa­rat, das Radio und mei­nen Rou­ter aus­schal­te, und mich mit nichts als mit Buch­sta­ben beschäf­ti­ge. Ich ent­deck­te bei den Gebrü­dern Grimm 320 Wör­ter in der Umge­bung des Wor­tes Ohr. Wür­de ich die­ses Wort und sei­ne zen­tra­le Bedeu­tung nicht ken­nen, wür­de ich ver­mu­ten, dass es sich um ein bedeu­ten­des Wort, eine bedeu­ten­de Eigen­schaft oder einen bedeu­ten­den Gegen­stand han­deln könn­te. Schö­ne Wort­le­be­we­sen dar­un­ter, wel­che tat­säch­lich exis­tie­ren. Eines aber habe ich höchst­per­sön­lich erfun­den. Auch die­ses Wort exis­tiert fort­an als ein Wort unter den Öhren­wör­tern: Ohr­ba­cken Ohr­ber­ge Ohr­bom­mel Ohr­brau­sen Ohr­busch Ohren­af­fe Ohren­blä­ser Ohren­ge­flüs­ter Ohren­gel Ohr­ge­wöl­be Ohren­gift Ohren­läpp­lein Ohren­per­le Ohren­rau­pe Ohren­sucht Ohren­tau­cher Ohren­teu­fel Ohren­zeu­ge Ohren­zir­pe Ohr­fa­san Ohr­fei­ge Ohr­gä­bel­ein Ohr­gang Ohr­ge­dächt­nis Ohr­ge­gend Ohr­krus­pel Ohr­l­il­li­ta­ner Ohr­küs­sen Ohr­lip­pe Ohr­lit­ze Ohren­los Ohr­mu­schel­stein Ohr­pin­sel Ohr­ro­se Ohr­schal­len Ohr­sprit­ze Ohr­stein­chen Ohr­rin­gen Uhr­werk — stop

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nüsse. 20 gramm

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oli­mam­bo : 0.15 — Als ich unlängst von einer Rei­se zurück­kehr­te, ent­deck­te ich Esme­ral­da auf dem Rah­men der Tür zum Arbeits­zim­mer. Die klei­ne Schne­cke hock­te genau dort, wo ich sie vor mei­ner Abrei­se zuletzt gese­hen hat­te. Viel­leicht konn­te sie das Gewicht mei­ner Schrit­te auf der Trep­pe spü­ren, ihre Füh­ler­au­gen jeden­falls waren bereits aus­ge­fah­ren, als ich die Tür zur Woh­nung öff­ne­te. Esme­ral­da schien den heim­keh­ren­den Mann in aller Ruhe zu betrach­ten. Ich über­leg­te, kaum hat­te ich die Woh­nung betre­ten, ob es mög­lich sein könn­te, dass sich das Schne­cken­we­sen in der Zeit mei­ner Abwe­sen­heit nicht von der Stel­le bewegt haben könn­te. Geschäl­te Pekan­nüs­se, die ich im Dezem­ber noch in Küche und Die­le auf den Boden leg­te, waren unbe­rührt. Nun aber, da ich mei­nen Kof­fer aus­pack­te, rühr­te sich Esme­ral­da. Sie schien an Gewicht ver­lo­ren zu haben, war in ihrer Wan­de­rung jedoch so schnell wie üblich, wes­halb ich behaup­ten möch­te, dass Esme­ral­da kei­nen Scha­den genom­men haben dürf­te. Nach einer Wei­le erreich­te sie das Arbeits­zim­mer und klet­ter­te unver­züg­lich zur Decke empor, um direkt über mei­nem geöff­ne­ten Kof­fer Platz zu neh­men. Dort ver­weil­te sie für meh­re­re Stun­den, auch als ich mei­nen Kof­fer längst ent­leert und das Licht im Zim­mer aus­ge­schal­tet hat­te, rühr­te sie sich nicht. Direkt unter ihr, auf dem Sofa, lagen ein Paar Hand­schu­he und ein Notiz­buch. Gegen Mit­ter­nacht mel­de­te sich L. Er berich­te­te, er habe einen Auf­trag ange­nom­men, näm­lich in die Gegend von Nar­vik zu rei­sen, um zwei­hun­dert tief­ge­fro­re­ne Seen, die noch ohne Namen sein sol­len, zu bezeich­nen. Als ich kurz dar­auf in mein Arbeits­zim­mer zurück­kehr­te, genau in dem Moment, da ich das Licht anschal­te­te, ließ Esme­ral­da sich von der Decke fal­len. Sie lan­de­te weich auf mei­nen Hand­schu­hen. Ein unglaub­li­cher Anblick, es schien, als wür­de die Schne­cke in dras­ti­scher Wei­se mit mir kom­mu­ni­zie­ren. Indem ich sie in die Luft hob, ver­such­te sie ver­geb­lich, sich in ihr Haus zurück­zu­zie­hen. Jetzt wie­der Ruhe. Nebel­nacht. — stop

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im zimmer. mitternacht

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oli­mam­bo : 0.15 — Auf der Suche nach Daniil Charms Text­samm­lung Fäl­le balan­cie­re ich vor dem Bücher­re­gal auf einem Stuhl. Noch ist Sams­tag. Ich erhof­fe mir in dem gesuch­ten Buch einen Ort zu fin­den, des­sen Exis­tenz ich fort­an bewei­sen könn­te. Ich ste­he mit­ten im Zim­mer. Wor­an den­ke ich? Ein bemer­kens­wer­ter Satz. Wie ich von mei­nem Stuhl stei­ge und wie­der auf dem Boden ste­he, hal­te ich den Kri­mi­nal­fall Der ver­schwun­de­ne Kopf des Dama­s­ce­no Mon­tei­ro in Hän­den. Das Buch wur­de im Jah­re 2000 gekauft und neun Jah­re spä­ter mit einer Wid­mung ver­se­hen. Der Lie­ben P. und dem lie­ben J. zur Erin­ne­rung an ihre Lis­sa­bon­rei­se, anläss­lich eines Blitz­be­su­ches. Von ihrer G. Nun fällt mir auf, dass G. und J. gestor­ben sind, wäh­rend P. und ich, der ich das Buch aus­ge­lie­hen habe, noch leben. Auch Daniil Charms ist tot und sein Über­set­zer Peter Urban seit weni­gen Wochen. Ein trau­ri­ger Moment. In mei­nem Kühl­schrank herr­schen 7 °C. Ich wer­de mich gleich auf die Suche nach mei­nen fünf Mari­en­kä­fern machen, die im Kühl­schrank in einer Schach­tel über­win­tern sol­len. Zwei habe ich bereits ent­deckt, das war vor drei Stun­den gewe­sen, ver­mut­lich ist das so, dass ich in die­ser Minu­te alle Käfer aus den Augen ver­lo­ren habe. Aber ich kann immer­hin sagen, dass ich die Käfer gese­hen, sie mir also ges­tern nicht ein­ge­bil­det hat­te. Käfer No 1 saß in der Die­le nahe der Tür, als wür­de er war­ten. Käfer No 2 beweg­te sich im Arbeits­zim­mer über das Fens­ter, hin­ter dem es stock­dun­kel gewe­sen war. Bevor ich mich auf die Suche mache, soll­te ich viel­leicht doch noch ein­mal einen Ver­such unter­neh­men, mei­nen Daniil Charms zu fin­den. Gleich vor­sich­tig, nur nicht stür­zen, den Stuhl bestei­gen. Bis­wei­len träum­te ich, von einem Berg zu fal­len. Lang­sam, ich gehe durchs Zim­mer. Und wäh­rend ich so gehe, erin­ne­re ich mich leb­haft an G., an unse­ren letz­ten gemein­sa­men Spa­zier­gang über den Mün­che­ner Süd­fried­hof, wie ich mich wun­der­te, dass sie genau die­sen Weg genom­men hat­te, um mich zur U‑Bahn zu brin­gen, da sie ahn­te oder wuss­te, dass sie bald ster­ben wür­de. Es war ein war­mer Som­mer­abend. Sie ging von Schmer­zen gebeugt. In der wind­lo­sen Luft tanz­ten Flie­gen­tür­me. Ich kann mich nicht erin­nern, wor­über wir gespro­chen haben. Aber an ihre Stim­me, an ihren Blick, ihren letz­ten Blick, der ein Abschied war. — stop
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