Aus der Wörtersammlung: dach

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ein unfall

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whis­key : 3.05 — Es war ges­tern Nacht um kurz nach drei Uhr, da ist etwas Schreck­li­ches gesche­hen. Eine Kaf­fee­tas­se fiel mir aus der Hand in genau dem Moment, da ich Esme­ral­da auf dem Weg von der Küche in mein Arbeits­zim­mer pas­sier­te. Die klei­ne Schne­cke war mir auf dem Fuß­bo­den ent­ge­gen­ge­kom­men, viel­leicht woll­te sie nach­se­hen, wo ich geblie­ben war. Natür­lich wur­de sie von der Tas­se getrof­fen, ich hör­te ein hel­les Geräusch, die Tas­se zer­brach, Kaf­fee spritz­te gegen die Wän­de, und ich dach­te, dass Esme­ral­da die­sen Unfall nicht über­lebt haben könn­te. Ich rief: Esme­ral­da! Um Him­mels­wil­len! Und ging in die Knie. Aber anstatt eines Kalk­stein­scher­ben­hau­fens, fand ich eine äußer­lich voll­stän­dig intak­te Schne­cke vor, die sich aller­dings nicht beweg­te, ver­mut­lich des­halb, weil sie erschro­cken gewe­sen war. Ich hob sie vor­sich­tig auf, setz­te sie in der Küche auf einen Tel­ler und war­te­te. Es dau­er­te unge­fähr drei Stun­den, bis Esme­ral­da wie­der Zei­chen von Leben zeig­te. In die­ser Zeit wich ich nicht von ihrer Sei­te, berühr­te sie immer wie­der vor­sich­tig, um sie zu wecken, rede­te ihr gut zu, ein­mal ent­schul­dig­te ich mich für mei­ne Unacht­sam­keit. Esme­ral­das Kör­per schien in mei­nen Augen hel­ler gewor­den zu sein, er schim­mer­te, plötz­lich streck­te sie einen Füh­ler nach mir aus und so war ich unver­züg­lich wie­der glück­lich gewor­den. Seit­her sind bei­na­he 24 Stun­den ver­gan­gen. Ich kann in die­sem Augen­blick noch nicht sagen, ob Esme­ral­das Kri­se über­stan­den ist, denn sie ver­hält sich wei­ter­hin merk­wür­dig, kriecht den Rand des Tel­lers ent­lang, ohne eine Pau­se ein­zu­le­gen, immer im Kreis her­um, immer im Kreis her­um. Zeit­wei­se folg­te ich ihr mit einer Lupe, um ihr Gehäu­se nach Bruch­spu­ren zu unter­su­chen. Nicht der kleins­te Riss war zu erken­nen, nicht ein­mal ein Abrieb, ich konn­te den Ort, da die Tas­se auf ihrem Gehäu­se zer­schell­te, nicht fin­den. Und so läuft Esme­ral­da immer wei­ter im Kreis her­um. — stop

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stonington island

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whis­key : 2.32 — Das Labor der Eis­bü­cher, mit dem ich vor weni­gen Minu­ten tele­fo­nier­te, befin­det sich seit zwölf Wochen auf Ston­ing­ton Island, einer fel­si­gen Gegend am nörd­li­chen Rand des ant­ark­ti­schen Kon­ti­nents. Ich habe einen Text trans­fe­riert, der in die­sen Minu­ten mög­li­cher­wei­se von feins­ten Frä­sen in Eis­blät­ter ein­ge­tra­gen wird. Ich stel­le mir vor, ein hel­les Geräusch ist zu ver­neh­men, in dem ein Robo­ter äußerst behut­sam zu schrei­ben beginnt. Es geht dar­um, das Eis­blatt nicht zu zer­bre­chen, das so dünn ist, dass man mit einer Taschen­lam­pe hin­ter die Zei­chen mei­nes Tex­tes leuch­ten könn­te. Es ist kalt, der Wind pfeift um höl­zer­ne Bara­cken, in wel­chen hun­der­te Schreib­ma­schi­nen bewe­gungs­los war­ten, bis man sie anruft. Fol­gen­de Geschich­te habe ich ins Tele­fon gespro­chen: Drau­ßen, vor weni­gen Stun­den noch, rausch­te Was­ser vom Him­mel. Aber jetzt ist es still. Es ist eine tat­säch­lich nahe­zu geräusch­lo­se Nacht. Die letz­te Stra­ßen­bahn ist längst abge­fah­ren, kein Wind, des­halb auch die Bäu­me still und die Vögel, alle Men­schen im Haus unter mir schei­nen zu schla­fen. Für einen Moment dach­te ich, dass ich viel­leicht wie­der ein­mal mein Gehör ver­lo­ren haben könn­te, ich sag­te zur Sicher­heit ein Wort, das ich ges­tern ent­deck­te: Kapr­un­bi­ber. Das Wort war gut zu hören gewe­sen, mei­ne Stim­me klang wie immer. Aber auf dem Fens­ter­brett hockt jetzt ein Mari­en­kä­fer, einer mit gel­bem Pan­zer, sie­ben Punk­te, ich habe nicht bemerkt, wie er ins Zim­mer geflo­gen war. Es ist nicht der ers­te Käfer die­ses Jah­res, aber einer, den ich mit ganz ande­ren Augen betrach­te. Ich hat­te für eine Sekun­de die Idee, die­ser Käfer könn­te viel­leicht ein künst­li­cher Käfer sein, einer, der mich mit dem Vor­satz besuch­te, Foto­gra­fien mei­ner Woh­nung auf­zu­neh­men, oder Gesprä­che, die ich mit mir selbst füh­re, wäh­rend ich arbei­te. War­um nicht auch ich, dach­te ich, ein Ziel. Ich nahm den Käfer, der sei­ne Geh­werk­zeu­ge unver­züg­lich eng an sei­nen Kör­per leg­te, in mei­ne Hän­de und trans­por­tier­te ihn in die Küche, wo ich ihn in das grel­le Licht einer Tisch­lam­pe leg­te. Wie ich ihn betrach­te­te, bemerk­te ich zunächst, dass ich nicht erken­nen konn­te, ob der Käfer in der künst­li­chen Hel­lig­keit sei­ne Augen geschlos­sen hat­te. Weder Herz­schlag noch Atmung waren zu erken­nen, auch nicht unter einer Lupe, nicht die gerings­te Bewe­gung, aber ich fühl­te mich von dem Käfer selbst beob­ach­tet. Also dreh­te ich den Käfer auf den Rücken und such­te nach einem Zugang, nach einem Schräub­chen da oder dort, einer Ker­be, in wel­che ich ein Mes­ser­werk­zeug ein­füh­ren könn­te, um den Pan­zer vom Käfer zu heben. Man stel­le sich ein­mal vor, ein klei­ner Motor wäre dort zu fin­den, Mikro­fo­ne, Sen­der, Lin­sen, es wäre eine unge­heu­re Ent­de­ckung. Gegen­wär­tig zöge­re ich noch, den ers­ten Schnitt zu setz­ten, es reg­net wie­der, jawohl, ich wer­de am bes­ten zunächst noch ein wenig den Regen beob­ach­ten, es ist kurz nach drei. – stop

polaroidtapete

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gedankengang

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echo : 3.18 — Ich gehe ein paar Schrit­te nach links, dann gehe ich ein paar Schrit­te nach rechts. Sobald ich gehe, den­ke ich in einer ande­ren Art und Wei­se, als wür­de ich noch sit­zen. Ich habe schon viel nach­ge­dacht, wäh­rend ich ging. Und ich habe schon viel ver­ges­sen, wäh­rend ich ging. Wenn ich gehe, kom­men die Gedan­ken aus der Luft und ver­schwin­den wie­der in die Luft. Wenn ich sit­ze, kom­men die Gedan­ken aus mei­nen Hän­den. Sobald ich ein­mal nicht schrei­be, ruhen mei­ne Hän­de auf den Tas­ten der Schreib­ma­schi­ne und war­ten. Sie war­ten dar­auf, dass eine Stim­me in mei­nem Kopf dik­tiert, was zu schrei­ben ist. Ich könn­te viel­leicht sagen, dass mei­ne Hän­de dar­auf war­ten, mein Gedächt­nis zu ent­las­ten. Was ich mit mei­nen Hän­den in die Tas­ta­tur der Maschi­ne schrei­be, habe ich gedacht, aber ich habe, was ich schrieb, nicht gelernt, nicht gespei­chert, weil ich weiß, dass ich wie­der­kom­men und lesen könn­te, was ich notier­te. Selt­sa­me Din­ge. Ich den­ke manch­mal selt­sa­me Din­ge zum zwei­ten oder drit­ten Mal. Gera­de eben habe ich wahr­ge­nom­men, dass es nicht mög­lich ist, zwei Zei­chen zur sel­ben Zeit auf mei­ner Schreib­ma­schi­ne zu schrei­ben, immer ist ein Zei­chen um Bruch­tei­le von Sekun­den schnel­ler als das ande­re Zei­chen. Wenn ich selt­sa­me Din­ge gedacht habe, freue ich mich. Wenn ich mich freue, kann ich nicht blei­ben, wo ich bin. Die Freu­de ist ein Gefühl, das mich in Bewe­gung ver­setzt. Ich sprin­ge auf, wenn ich saß, oder ich sprin­ge in die Luft, wenn ich bereits auf mei­nen Bei­nen stand. Dann gehe ich ein paar Schrit­te nach links, dann gehe ich ein paar Schrit­te nach rechts. Sobald ich gehe, den­ke ich in einer ande­ren Art und Wei­se, als wür­de ich noch sit­zen. — Kurz nach vier Uhr auf dem Mai­dan-Platz, Kyjiw. — stop

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westbengalen luftpostbrief

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nord­pol : 0.55 — Vor über einem Jahr im Som­mer habe ich von einem Freund einen Brief erhal­ten, der per Luft­post zu mir gekom­men war. Die­ser Brief wur­de an die­ser Stel­le bereits gesen­det. Lei­der konn­te ich mei­nem Freund damals nicht ant­wor­ten, weil er kei­ne pos­ta­li­sche Adres­se hin­ter­las­sen hat­te. Nun glück­li­cher­wei­se ein Lebens­zei­chen aus Tibet. Er schreibt, er habe sei­nen Brief unter mei­nen par­tic­les ent­deckt, er freue sich. Die­se Nach­richt nun erreich­te mich per E‑Mail. Ich dach­te, sie könn­te natür­lich von über­all her gekom­men sein. Eigen­tüm­lich ist, dass mein Freund, wenn er an die­sem Abend über einen Anschluss an das Inter­net ver­fü­gen soll­te, mei­ne Ant­wort, die ich in der kom­men­den Stun­de notie­ren wer­de, unver­züg­lich erhal­ten wird, wäh­rend sein Brief aus Dar­jee­ling damals zwei Wochen unter­wegs gewe­sen war. Der Brief war von sei­ner äuße­ren Gestalt her ein Stan­dard­luft­post­brief, fühl­te sich aller­dings weich an, als wür­de ein dün­nes Tuch in ihm ent­hal­ten sein. Er war zudem etwas schwe­rer als üblich. Als ich ihn öff­ne­te, fand ich ein hand­schrift­li­ches Schrei­ben vor, eine Foto­gra­fie und einen wei­te­ren Brief von klei­ne­rem For­mat, mit einer Art Ven­til in sei­ner Mit­te. Mein Freund notier­te am 25. Juni 2012 mit einem Blei­stift: Lie­ber Lou­is, seit zwei Wochen befin­de ich mich in West­ben­ga­len nahe Sona­da in einem klei­nen Haus, das voll­stän­dig von Holz gemacht ist. Ich gehe haupt­säch­lich spa­zie­ren und wenn ich ein­mal nicht spa­zie­ren gehe, fah­re ich mit dem Zug zwi­schen Jal­pai­guri und Dar­jee­ling hin und her. Eine wun­der­bare Zeit. Ich ken­ne inzwi­schen alle Zug­füh­rer per­sön­lich und so darf ich bei Dampf­be­span­nung vorn auf der Loko­mo­tive rei­sen. Du siehst mich anbei auf der Foto­gra­fie vor dem Kes­sel ste­hen, ja, ich bin unter den drei klei­nen Män­nern mit den Ruß­ge­sich­tern der in der Mit­te. Ich habe Dir, lie­ber Lou­is, etwas indi­sche Eisen­bahn­luft ein­ge­fan­gen. Sie ruht in den Umschlag gefüllt, der ver­mut­lich vor Dir auf dem Tisch liegt. Es wäre viel­leicht am bes­ten, wenn Du einen Stroh­halm ver­wen­den wür­dest, den Du mit dem Ven­til ver­bin­dest, um dann einen tie­fen Atem­zug durch ein Nasen­loch zu neh­men. Aller­beste Grü­ße Dein L. — stop

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fenster süd

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echo : 2.28 — Fünf Mari­en­kä­fer sit­zen auf einem Rol­lo, das das Süd­fens­ter mei­ner Woh­nung von innen her ver­dun­kelt. Sie sind klein, unge­fähr so groß wie der Glas­kopf einer Steck­na­del. Noch nie habe ich der­art klei­ne Käfer gese­hen. Ver­mut­lich sind sie hier in mei­ner Woh­nung ent­stan­den, ken­nen von der Welt nichts als mei­ne Zim­mer, Die­le, Bad und Küche. Ich glau­be, es ist noch nicht viel Zeit ver­gan­gen, seit sie geschlüpft sind, ein oder zwei Tage viel­leicht. Wenn ich mich mit einer Lupe nähe­re, gehen sie etwas in die Knie, legen den Pan­zer auf­grund, und war­ten ab, dass sich das gro­ße Auge, das sie betrach­tet, wie­der zurück­zieht. Eine Wei­le las in einer Erzäh­lung von Juli­an Bar­nes her­um, ruh­te auf dem Sofa. Von dort aus konn­te ich, obwohl sie wirk­lich sehr klein waren, die Kör­per der Käfer auf dem gro­ßen Weiß erken­nen. Zunächst dach­te ich, sie beweg­ten sich nicht. Wenn ich mich aber län­ge­re Zeit auf die Sät­ze des Buches kon­zen­trier­te, waren ihre Kör­per doch wei­ter­ge­rückt, sobald ich zum Fens­ter blick­te. Ich dach­te, dass sie sich viel­leicht nur dann beweg­ten, wenn ich sie nicht betrach­te­te, dass sie also ihrer­seits mich beob­ach­te­ten. Wahr­schein­li­cher ist, dass mein Gehirn ihre lang­sa­me Art und Wei­se der Bewe­gung nicht zu erfas­sen ver­mag, weil sein Nah­zeit­spei­cher äußerst flüch­tig zu sein scheint. Ein­mal stand ich auf und pflück­te einen Käfer vom Rol­lo und warf ihn vor­sich­tig in die Luft. Damit hat­te der Käfer nicht gerech­net. Er stürz­te, ohne sei­ne Flü­gel geöff­net zu haben, auf die wei­che Flä­che mei­nes Sofas ab. Unver­züg­lich schlief der Käfer ein, weil es immer­hin weit nach Mit­ter­nacht gewor­den war. Wer­de selbst bald schla­fen, zuvor aber fünf klei­ne Mari­en­kä­fer in eine Schach­tel set­zen, wer­de den Deckel der Schach­tel mehr­fach mit einer Gabel per­fo­rie­ren, und die­se Schach­tel in mei­nen Kühl­schrank legen, 6° Cel­si­us. Bald Früh­ling. — stop
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ai : CHINA

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MENSCH IN GEFAHR: „Der bekann­te tibe­ti­sche Mönch Kar­ma Tse­wang wur­de am 6. Dezem­ber 2013 in Cheng­du im Süd­wes­ten Chi­nas unter dem Vor­wurf der “Gefähr­dung der Staats­si­cher­heit” inhaf­tiert. Sech­zehn sei­ner Unter­stüt­zer wur­den, als sie sei­ne Frei­las­sung for­der­ten, eben­falls fest­ge­nom­men. Den Mön­chen wur­de kein Zugang zu Rechts­bei­stän­den gewährt. Es besteht die Gefahr, dass sie gefol­tert wer­den. / Kar­ma Tse­wang ist der hoch ange­se­he­ne Abt (Khen­po) des Klos­ters Gon­gya in der Auto­no­men Tibe­ti­schen Prä­fek­tur Yus­hu, Pro­vinz Qing­hai. Er wur­de am 6. Dezem­ber wäh­rend einer Geschäfts­rei­se in Cheng­du, Pro­vinz Sichu­an, von Sicher­heits­kräf­ten aus Chang­du (Cham­do, Auto­no­me Tibe­ti­sche Prä­fek­tur) fest­ge­nom­men. Laut sei­nes Anwalts Tang Tian­hao wird er wegen des Ver­dachts der “Gefähr­dung der Staats­si­cher­heit” fest­ge­hal­ten; genaue­res wur­de noch nicht bestä­tigt. Momen­tan befin­det er sich an einem unbe­kann­ten Ort in Chang­du in Haft. / Nach Kar­ma Tse­wangs Inhaf­tie­rung unter­schrie­ben 4.000 Men­schen, unter ihnen tibe­ti­sche Mön­che, eine Peti­ti­on, um sei­ne Frei­las­sung zu for­dern. Am 10. Dezem­ber nah­men mehr als 600 Men­schen, dar­un­ter Mön­che aus dem Klos­ter von Gon­gya, in Nang­qi­an an einer zwei­stün­di­gen Demons­tra­ti­on teil. Sie hiel­ten Trans­pa­ren­te mit Fotos von Kar­ma Tse­wang hoch, rie­fen Paro­len und ver­lang­ten sei­ne Frei­las­sung. Sicher­heits­kräf­te aus dem Bezirk Nang­qi­an bedroh­ten die an der Demons­tra­ti­on betei­lig­ten Mön­che und warn­ten sie, Kar­ma Tse­wang wer­de noch schwe­rer bestraft, falls sie ihre Pro­tes­te nicht ein­stell­ten. Am 20. und 21. Dezem­ber wur­den 16 Mön­che fest­ge­nom­men, obwohl sie die Demons­tra­ti­on am 10. Dezem­ber been­det hat­ten. / Am 23. Dezem­ber begab sich Kar­ma Tse­wangs Anwalt nach Chang­du, um sei­nen Man­dan­ten zu besu­chen. Doch die ört­li­che Poli­zei hin­der­te ihn dar­an, den Mönch zu tref­fen. Sicher­heits­kräf­te des Bezirks Nang­qi­an droh­ten den Fami­li­en von Kar­ma Tse­wang und den 16 ande­ren inhaf­tier­ten Mön­chen, sie eben­falls in Haft zu neh­men, wenn sie sich Rechts­bei­stän­de suchen soll­ten. / Kar­ma Tse­wang ist unter Tibe­te­rIn­nen auf­grund sei­ner Arbeit für die För­de­rung der tibe­ti­schen Spra­che und Kul­tur sehr bekannt. Er enga­giert sich zudem in der Kata­stro­phen­hil­fe, bei­spiels­wei­se nach dem Erd­be­ben in Yus­hu in der Pro­vinz Qing­hai im Jah­re 2010, bei dem über 2.000 Men­schen ums Leben kamen.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 19. Febru­ar 2014 hin­aus, unter »> ai : urgent action

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eine postkarte

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zou­lou : 7.15 — Ges­tern ent­deck­te ich in mei­nem Brief­kas­ten eine Post­kar­te, die von irgend­je­man­dem mit win­zi­gen japa­ni­schen Zei­chen beschrif­tet wor­den war. Zunächst wirk­te der Text wie ein Mus­ter, das sich erst dann zu Schrift­zei­chen auf­lös­te, als ich mei­ne Bril­le aus der Schub­la­de hol­te. Ich konn­te den Text natür­lich nicht lesen. Ich neh­me an, die Post­kar­te wur­de ver­se­hent­lich in mei­nen Brief­kas­ten gewor­fen. Bei genaue­rer Unter­su­chung stell­te ich jedoch fest, dass die Post­kar­te in jedem ande­ren Brief­kas­ten ver­mut­lich gleich­wohl ein ver­se­hent­li­ches Ereig­nis gewe­sen wäre, die Post­kar­te trug näm­lich kei­ne Anschrift an der dafür vor­ge­se­he­nen Stel­le, aber eine Brief­mar­ke des japa­ni­schen Hoheits­ge­bie­tes. Auch auf ihrer Rück­sei­te war kein Adres­sat zu erken­nen. Eine Foto­gra­fie zeigt Samu­el Beckett, der unter einem blü­hen­den Kirsch­baum sitzt, oder einen Mann, der Samu­el Beckett ähn­lich sein könn­te, der Dich­ter im Alter von 160 Jah­ren, er hat sich kaum ver­än­dert. Ein sehr inter­es­san­tes Bild. Auf einem Ast des Bau­mes sind Eich­hörn­chen zu erken­nen, sie­ben oder acht Tie­re, die ihre Augen geschlos­sen hal­ten. Ich erin­ne­re mich, dass ich ein­mal davon hör­te, Men­schen wür­den immer wie­der ein­mal Post­kar­ten notie­ren, oft sehr auf­wen­dig aus­ge­ar­bei­te­te Schrift­stü­cke, um zuletzt die Adres­se des Emp­fän­gers zu ver­ges­sen. Das ist tra­gisch oder viel­leicht eine Metho­de, Infor­ma­ti­on an die Welt zu sen­den, die nie­man­den oder irgend­ei­nen belie­bi­gen Men­schen errei­chen soll. Nun liegt die­se Post­kar­te neben Zimt­ster­nen, Bana­nen und Äpfeln auf mei­nem Küchen­tisch. Zunächst hat­te ich das Wort L i e b e r in die Goog­le – Über­set­zer­ma­schi­ne ein­ge­ge­ben und in die japa­ni­sche Spra­che über­setzt. Zei­chen, die sich auf mei­nem Bild­schirm for­mier­ten, waren mit den ers­ten Zei­chen auf der Post­kar­te iden­tisch. Ich weiß sehr genau, was nun zu tun ist. In die­sem Augen­blick jedoch scheue ich noch davor zurück, mei­nen Namen in die Mas­ke der Such­ma­schi­ne ein­zu­ge­ben. Es ist bald Mor­gen­däm­me­rung, ich höre Tau­ben auf dem Dach spa­zie­ren. — stop

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regensprache

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tan­go : 6.35 — Wäh­rend einer Trau­er­fei­er für Nel­son Man­de­la, hef­ti­ger Regen, soll ein Mann, den ich mit eige­nen Augen ohne Ver­zö­ge­rung beob­ach­te­te, in einer merk­wür­di­gen Zei­chen­spra­che Reden über­setzt oder beglei­tet haben, die für gehör­lo­se Men­schen nicht ver­ständ­lich gewe­sen war. Bereits nach den ers­ten Minu­ten sei­nes Auf­tritts hat­ten sich Men­schen irri­tiert und wütend an Fern­seh­sen­der mit der Fra­ge gewen­det, um wen es sich dort auf dem Bild­schirm eigent­lich han­del­te. Eine doch selt­sa­me Geschich­te. Man über­leg­te, ob der Mann viel­leicht gefähr­lich gewe­sen sein könn­te. Aber der Mann mach­te nur Luft­zei­chen mit sei­nen Hän­den, nichts wei­ter. Ich habe mich in den ver­gan­ge­nen Tagen gefragt, was der Mann erzählt haben könn­te oder durch sei­nen Auf­tritt andeu­ten woll­te. Der Mann war von sehr ordent­li­cher Gestal­tung gewe­sen, wirk­te klar und kon­zen­triert. Er erweck­te nicht den Ein­druck, als woll­te er aus rein per­sön­li­chen, aus Eitel­keits­grün­den dort oben auf der Büh­ne neben berühm­ten Per­sön­lich­kei­ten ste­hen, um auf sich auf­merk­sam zu machen. Er war ganz ein­fach da und ges­ti­ku­lier­te. Ich dach­te, es könn­te sich in die­ser welt­weit sicht­ba­ren Spra­che um eine erfun­de­ne, um eine zufäl­li­ge, also gar kei­ne Spra­che gehan­delt haben, weil man sie nie­mals ein­deu­tig wie­der­ho­len könn­te. Viel­leicht war es Musik, die der Mann mit sei­nen Zei­chen in aller Stil­le zur Auf­füh­rung brach­te. Viel­leicht über­setz­te er die Geräu­sche des Regens. — stop

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radioisotop

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marim­ba : 6.58 — In der Ver­gan­gen­heit habe ich mir oft gewünscht, ich könn­te mein Leben aus der Sicht eines Vogels auf­zeich­nen, der mich beglei­tet, Gesprä­che, die ich täg­lich mit Men­schen füh­re oder heim­li­che Gesprä­che mit mir selbst. Auch wür­de auf­ge­nom­men, was ich gese­hen habe, wäh­rend ich reis­te, einen Ken­tau­ren nahe des Müll­ner­horn, Regen­trop­fen am Strand von Coney Island, eine Amei­se auf Geor­ges Perec’s Schul­ter wäh­rend einer Fahrt in der Pari­ser Metro, mei­nen Kör­per, wäh­rend ich schlief. Manch­mal ist es ange­nehm, sich zu wün­schen, was nicht mög­lich zu sein scheint, eine gro­ße Frei­heit der Spe­ku­la­ti­on. Aber in den ver­gan­ge­nen Tagen wur­de mir bewusst, dass die Ver­wirk­li­chung eines mich beglei­ten­den Vogel­we­sens nicht län­ger uto­pisch ist. Ich kann mir eine flie­gen­de Maschi­ne ohne wei­te­re Anstren­gung vor­stel­len, ein künst­li­ches Luft­we­sen, vier Pro­pel­ler, ange­trie­ben von einer leich­ten Radio­nu­klid­bat­te­rie, die sich tat­säch­lich für Jahr­zehn­te an mei­ner Sei­te in der Luft auf­hal­ten könn­te, ein bei­na­he laut­lo­ses Wesen in der Gestalt eines Koli­bris, eines Tau­ben­schwänz­chen oder einer Bie­ne. Kaum hat­te ich das Flug­ob­jekt aus sei­ner Trans­port­box geho­ben und akti­viert, wuss­te ich, dass es für immer mei­ner Per­son ver­bun­den sein wird, mei­nem per­sön­li­chen Luft­raum, den ich mit mir füh­re, wohin ich auch gehe. Selt­sam ist viel­leicht, dass es gleich­wohl unmög­lich sein wird, die­ses Wesen je wie­der ein­zu­fan­gen, weil es schnell ist in sei­nen Reak­tio­nen, schnel­ler als mei­ne Hand, schnel­ler als eine Gewehr­ku­gel, ein Wesen, das über die Flug­flug­fä­hig­kei­ten einer Stu­ben­flie­ge ver­fügt. – Heu­te Nacht pfeift ein Sturm­wind übers Dach. Ich fra­ge mich, was die Vögel gera­de machen. Höre das Moped eines Zei­tungs­bo­ten. Ich habe den Mann, der eine Frau sein könn­te, noch nie gese­hen. Er ist pünkt­lich wie immer. Ich wer­de gleich das Fens­ter öff­nen. — stop

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