tango : 17.01 UTC — Ich will schnell erzählen, wie ich unlängst mit einer Maschine, während sie meinen Cappuccino zubereitete, gesprochen habe. Ich sagte: Hey, einen Cappuccino bitte. Und die Maschine antwortete: Hey, wird gemacht! Also wartete ich. Indem ich wartete, hörte ich der Maschine zu. Ich vernahm einige plausible Geräusche aus dem Inneren des Gehäuses, außerdem einige Geräusche, die nicht sehr plausibel waren. Das waren Geräusche des Pfeifens oder Singens, Geräusche, die entweder meiner Unterhaltung dienten oder weil sich die Maschine tatsächlich selbst, während sie arbeitete, eine Freude machte. Ich habe schon oft genau so wartend vor genau dieser Maschine gestanden, ich vermute, dass mich die Maschine inzwischen kennt, vielleicht sogar Zeitpunkte, da ich zu ihr kommen werde, also Gewohnheiten meines Lebens. Einmal, als ich den Standort der Maschine erreichte, war mein Cappuccino bereits fertig gewesen. Das ist schon seltsam, nicht wahr, ich begann über Fähigkeiten der Maschine nachzudenken. Kann diese Maschine vielleicht sehen oder vermag sie meinen Duft wahrzunehmen? Dass sie über einen Hörsinn oder über eine spezielle Art eines hörenden Sensors verfügt, steht für mich schon lange fest, weil sie mich begrüßt. Manchmal erkundigt sie sich nach meinen Wünschen. Mein lieber Louis, will sie wissen, einen Cappuccino oder doch etwas anderes Heißes zur Feier des Tages? An diesem Morgen, von dem ich eigentlich erzählen will, ist aber doch etwas sehr Seltsames geschehen. Vielleicht war es der Wind, jedenfalls fiel eine Papptasse aus dem Bauch der Maschine auf einen Vorsatz unter einem Hahn, aus dem bald heißer Kaffee kommen sollte. Die Tasse landete etwas schräg und verharrte in dieser Position. Die Maschine sagte zu mir: Becher bitte setzen. Mein Gott, das war seltsam! Ich dachte, wer nur hat diese Sprache erfunden, möglicherweise die Maschine selbst? Ich streckte meine Hand nach dem Becher aus. In dem Moment, da ich den Becher anheben wollte, spritzte heißer Kaffee auf den Rücken meiner Hand, weswegen ich mit leiser Stimme protestierte. Ich sagte: Verdammt! Die Maschine antwortete: Verzeihung. — stop
Aus der Wörtersammlung: denken
zweite nachricht von den vasentieren
xylophon : 12.08 UTC — Vasentiere verfügen am Rande ihrer Behälterwanne über zwei Augen einerseits, ein System filigraner Röhren zum Atmen andererseits. Beine haben sie nicht, weil sie stationäre, im Idealfall schwebende Lebewesen sind. Wenn man mich nun fragte, warum Vasentiere in meinem Geist überhaupt existieren, würde ich vielleicht sagen: Nun, weil ich bereits vor längerer Zeit an Vasentiere dachte, auch weil sie sehr nützlich sind, weil sie über das Vermögen verfügen, kleinste Mengen Wassers noch aus trockenster Luft zu gewinnen, weswegen sie sehr gefragt sind, man möchte sie besitzen, um nach Ursachen ihrer erstaunlichen Begabung zu forschen, die vermutlich Bestimmung ist. Indessen wurden Vasentiere in ihrer natürlichen Umgebung auch in großen Höhen angetroffen. Sie sind dort winzig, in Regenwäldern hingegen von erheblicher Größe. Sprechen im Übrigen können Sie nicht, aber denken und hören, weil sie in je spezifischer Weise ihre Augen bewegen, sobald man sie mit Sprache konfrontiert. — stop
tibet
alpha : 8.02 UTC — In einem feinen Gespräch über das Schreiben tauchte plötzlich Dürrenmatt auf, seine Geschichte vom Winterkrieg in Tibet, dort ein einarmiger Söldner, der in einem Tunnelsystem im Rollstuhl sitzend entlang feuchter Wände vor- und rückwärts fährt. Er ritzt einen Textfaden von mehreren Kilometern Länge in die Felswand eines Bergmassives. Ich erzählte von dieser Geschichte, wenige Stunden später war ich mir nicht sicher, ob meine Erinnerung präzise gewesen war. Sofort suchte ich nach dem Buch in meiner Bibliothek, dann erinnerte ich mich, das Buch verliehen zu haben, aber nicht an wen. Wenn ich versuche, mich zu erinnern, gehe ich gern auf und ab. Ich gehe so lange, bis ich ahne, dass ich mich nicht erinnern werde. Kurz darauf sitze ich auf einem Stuhl und plane an etwas anderes zu denken. Es regnet, ein Gewitter, oder es regnet nicht. — stop
gespräch mit einem seemann
tango : 20.10 UTC — Im Schnellzug heute Morgen beobachtete mich ein Mann von vielleicht achtzig Jahren, wie ich auf meiner flachen Bildschirmschreibmaschine einen Text notierte. Ich hatte die Schreibmaschine quer auf meine Knie abgelegt und schrieb mit fünf oder sechs Fingern recht flink auf einer virtuellen Tastatur. Das war ein fast lautloser Vorgang gewesen, vielleicht deshalb sagte der Mann plötzlich: Früher waren die Schreibmaschinen sehr laut gewesen! Ich hob meinen Blick und lächelte den Mann an. Er fragte sofort weiter: Das ist doch eine Schreibmaschine? Ich nickte. Ja, sagte ich, das ist eine Schreibmaschine und zugleich auch ein Gerät, mit dem ich Texte senden kann und Nachrichten empfangen, sogar morsen könnte ich. — Ich habe früher auch gemorst, sagte der Mann, ich bin auf einem Segelschiff zur See gefahren, da war ich sehr jung gewesen. Er schwieg für einen Moment, dann sagte er: Sie brauchen gar kein Papier, nicht wahr? Ich antwortete: Das ist richtig, im Grunde brauche ich kein Papier. — Was schreiben sie denn? Wollte der Mann wissen. Ich schreibe eine Geschichte, sagte ich. Ist das denn gut, dass sie eine Geschichte ohne Papier schreiben? fragte der Mann. Ich sagte: Darüber muss ich nachdenken. Der Mann lachte: Sie ist wirklich nicht groß, diese Schreibmaschine. Sagen sie, wie viele Geschichten passen denn in diese Schreibmaschine hinein? Ich antwortete: Ich glaube, sehr viele Geschichten, ja, vermutlich unvorstellbar viele Geschichten. — Das ist gut, sagte der Mann, so viele Geschichten, dass sie im Zug sitzen und schreiben können, so lange sie wollen, ohne je aussteigen und eine neue Schreibmaschine kaufen zu müssen. Vorübergehend schaute er zum Fenster hinaus. — stop
von der stille
himalaya : 20.12 UTC — Einmal spazierte ich durch New York an einem warmen Tag im April. Ich ging einige Stunden lang ohne ein Ziel nur so herum, manchmal blieb ich stehen und beobachtete dies oder das. Ich dachte, New York ist ein ausgezeichneter Ort, um unterzutauchen, um zu verschwinden, sagen wir, ohne aufzuhören. Ich stellte mir vor, wie ich in dieser Stadt Jahre spazieren würde und schauen, mit der Subway fahren, auf Schiffen, im Central Park liegen, in Cafés sitzen, durch Brooklyn wandern, ins Theater gehen, ins Kino, Jazz hören, sein, anwesend sein, gegenwärtig, ohne aufzufallen. Ich könnte existieren, ohne je ein Wort zu sprechen, oder vielleicht nur den ein oder anderen höflichen Satz. Ich könnte Nachtmensch oder Tagmensch sein, nie würde mich ein weiterer Mensch für eine längere Zeit als für eine Sekunde bemerken. Sehen und vergessen. Wenn ich also einmal verschwinden wollte, dann würde ich in New York verschwinden, vorsichtig über Treppen steigen, jeden Rumor meiden, den sensiblen New Yorker Blick erlernen, eine kleine Wohnung suchen in einer Gegend, die nicht allzu anstrengend ist. In Greenwich Village vielleicht in einer höheren Etage sollte sie liegen, damit es schön hell werden kann über Schreibtisch und Schreibmaschine. Ich könnte dann von Zeit zu Zeit ein Tonbandgerät in meine Hosentasche stecken und für einen oder zwei meiner Tage verzeichnen, was Menschen, die mir begegneten, erzählten. So ging ich damals dahin, ich glaube, ich spazierte im Kreis herum, berührte da und dort die Küste eines Flusses, und als es Abend wurde, besuchte ich Marina Abramović, die seit Monaten bereits in einem Saal des Museums für moderne Kunst auf einem Stuhl saß. Wie sie Menschen erwartete, um mit ihnen gemeinsam zu schweigen, berührende Stunden, und ich dachte und notierte, wie ich heute wieder notiere, es geht darum, in der Begegnung mit Menschen Zeit zu teilen, es geht darum, die Zeit zu synchronisieren, in meinem Falle geht es darum, langsamer zu werden, um Menschen in der Wirklichkeit nahekommen zu können, es geht darum in dieser rasenden Welt von Stillstand, so langsam zu werden, und wenn es nur für wenige Stunden ist, dass ein Gespräch, eine Berührung, überhaupt möglich sein kann. Daran wieder erinnern, Tag für Tag. — Heute bin ich nicht in New York. Wo ich bin, schwebt ein dunkler, schlafender Zeppelin am Horizont, der möglicherweise bald aufwachen und blitzen wird. Ein schöner, nachdenklicher Tag, weitere schöne Tage werden folgen. Ich werde langsam lesen und langsam sprechen, und denken werde ich so langsam wie nie zuvor. Ich werde die Empfindung der Zeit zur Geschmeidigkeit überreden, ja, das ist vorstellbar, weiche, warme Stunden. — stop
hrabal
ulysses : 0.12 UTC — Ein gutes Heft ist, würde Hrabal, wenn er noch lebte, vielleicht sagen, gut für die Ohren, etwas zu denken, aber von dem Gedachten nichts zu äußern. — stop
die geschwindigkeit der wörter
tango : 22.30 UTC — Wie flink vermag ich mit einem Finger auf einem Bildschirm zu schreiben, wie schnell mit einem Sensorstift? Am schnellsten schreibe ich, wenn ich mittels Wörtern denke? Ich schreibe dann, ohne eine sichtbare Spur zu hinterlassen, schreibe eine denkende Spur, die erinnert oder sofort vergessen werden könnte, wie jener Mann, der in einer Erzählung Patricia Highsmith’s einen Roman nach dem anderen Roman im Kopf notiert. Das Schreiben per Hand auf Papier oder mittels einer Tastatur auf einem Bildschirm bewirkt vermutlich ohne Ausnahme eine Verlangsamung des Denkens, eine Präzisierung. Das sprechende, erzählende Denken scheint der Luft, den Vögeln verbunden, das schreibende Denken dem Wasser, den Fischen. Ich stelle mir vor, Menschen, die mich einmal schweigsam wahrgenommen haben, eine in sich gekehrte Person, werden diese Gedanken in einer vollkommen anderen Weise wahrnehmen, als jene Menschen, die einen sprudelnd erzählenden, Wörter sprühenden Mann erlebten. — stop
late late blues
echo : 18.30 UTC — Samstag. Kaum auf den Beinen beschließe ich, ein Experiment zu wagen, an dem ich mich vor Jahren schon einmal versuchte. Ich wünschte, einen Gedanken genau so zu denken, als wäre dieser Gedanke der letzte meiner Gedanken. Die Beobachtung, dass sich bereits die Wahrnehmung eines letzten Gedankens in einer Zeit weit nach dem letzten Gedanken zu befinden scheint, als ob jedem Gedanken sofort ein Echo folgte. Vielleicht wird überhaupt jeder Gedanke niemals als Gedanke im Moment seiner Verfertigung, sondern immer nur in seiner Echospur für mich verfügbar sein. — Noch zu tun: Nachdenken über den Sandmann. — stop
kaktusblüte
nordpol : 18.52 UTC — Ein Zufall führte mich in einem Moment zu Herrn K., als er gerade zum ersten Mal sein neues Bürozimmer betrat. Er führte einen Karton mit sich, nicht größer als eine Schuhschachtel. Aus diesem Behältnis hob er eine Notebookschreibmaschine, ein Mäppchen mit Bleistiften, eine farbige Fotografie sowie einen Kaktus, der blühte. Herr K. prüfte die Schubladen des Schreibtisches, der zu dem kleinen Zimmer mit Ausblick auf einen Park gehörte, sie waren leer. Seinen Kaktus stellte er auf die Fensterbank, die Fotografie neben ein Telefon, das sich bereits im Zimmer befunden hatte, ehe Herr K. eingetreten war. Er setzte sich auf einen Stuhl und sagte: Wissen Sie, mehr brauche ich nicht. Das sollten Sie immer bedenken, nur niemals heimisch werden, nur nicht glauben, dass Ihnen dieses Büro gehört. Im Gegenteil, Sie selbst gehören diesem Zimmer wie jeder andere, der nach Ihnen an dieser Stelle arbeiten wird. Wer in und von diesem Zimmer aus operiert, muss sich bewusst sein, dass er jederzeit ebenso plötzlich wie er gekommen ist, auch wieder gehen wird. In dieser Postion, die Sie hier oben bekleiden, haben Sie Erfolg oder sie haben keinen Erfolg. Binden Sie sich also nicht, arbeiten Sie konzentriert und genießen Sie die Aussicht, aber, um Himmels willen, fühlen Sie hier niemals zu Hause! — Diese Geschichte ereignete tatsächlich an einem Freitag im Juli des vergangenen Jahres. — stop
beckett
charlie : 6.32 UTC — In dem kleinen Café, das den Namen Sahara trägt, wird Menschen, die am Flughafen arbeiten, Rabatt gewährt. Iclal ist müde, sie kommt gerade von der Arbeit. Außerdem schneit es in einer Weise, als wäre Winter. Sie zieht ihren Mantel aus und die Handschuhe, legt sie auf den Tisch vor sich hin und sagt: Ich will über die Abstimmung in der Türkei nicht sprechen. Sprechen wir über meine nächste Reise, ich weiß nicht, wohin ich reisen soll, ich bin seit ich denken kann, immer in die Türkei gereist, dieses Mal werde ich nicht in die Türkei reisen. — Ist es zu gefährlich, frage ich. — Nein, antwortet Iclal, es ist nicht gefährlich für mich, ich will nicht. Wohin könnte ich nur reisen im Sommer? — Ich sage: Venedig ist schön, aber eher im späten Herbst, vielleicht magst Du in die Berge gehen, Du könntest auf einer Hütte im Karwendelgebirge wohnen und wandern, das ist ganz wunderbar dort. In diesem Moment entdecke ich einen Schriftzug von weißer Farbe, der Iclal’s rosafarbenes T‑Shirt bedeckt: Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better. Das sind wunderbare Worte, sage ich, Samuel Beckett hat sie geschrieben. — Ja, wirklich, antwortet Iclal, wer ist das? Sie sieht an sich herab. Ich habe nicht darauf geachtet, was da steht, das ist Englisch, ich kann kein Englisch, was steht da, das Beckett geschrieben hat? — Ich überlege, wie ich Becketts Sätze korrekt übersetzen könnte. Ich überlege lange. Das ist offensichtlich schwierig, sagt Iclal. Nein, sage ich, das ist Poesie, da muss man sehr behutsam mit den Wörtern umgehen, man muss sehr genau sein. Kurz darauf werde ich mit meiner Übersetzung fertig. Iclal hört zu. Iclal beginnt zu lachen. Bald bekommt sie kaum noch Luft wie so lacht, und ich dachte noch, wie gerne ich ihr Lachen in diesem Moment auf Tonband aufgenommen hätte — stop