sierra : 16.52 — Bei der Behörde für Wortverwertung meldete sich am Telefon eine weibliche Stimme. Die Stimme sprach so leise, dass ich zunächst glaubte, in mein Telefongerät hineinrufen zu müssen, um die Stimme auf der anderen Seite der Leitung erreichen zu können. Worum es denn gehe, wollte man wissen. Ich antwortete, dass es darum gehen würde, dass ich im Moment versuchte zu verstehen, wo genau ich jene kleinen Zählprogrammmaschinen in meine Texte einzubauen habe, damit sie von Ihnen, von der Wortverwertungsbehörde, mit der ich gerade spreche, wahrgenommen und als gültig bewertet werden könnten. Ein Gespräch entwickelte sich. Das Gespräch dauerte fünf Minuten. Im Verlaufe dieses Gespräches wurde meine Stimme leiser und leiser, die Stimme auf der anderen Seite der Leitung lauter und lauter. Jetzt, da das Gespräch oder die Unterhaltung zu einem Ende gekommen ist, meine ich Folgendes verstanden zu haben: Wenn ich einen Text notiere, der eine Gedankenbewegung nachvollzieht, darf diese Gedankenbewegung nicht unterbrochen sein, also plötzlich das Thema wechseln oder den Eindruck vermitteln, als würde ein Teil der Denkbewegung fehlen, also eine durch Entfernung eines Textabschnittes künstliche Unterbrechung erfolgt sein, weswegen es sich nicht mehr um einen Text, also um einen Gedanken handeln würde, sondern um einen zweiten Text, also um einen zweiten Gedanken, der mit ersterem Gedanken in keiner Verbindung stehen würde, weshalb dieser zweite Text eine weitere, eine zweite Zählprogrammmaschine in Form eines Codes benötigen würde, um als eine Einheit wahrgenommen zu werden. Des Weiteren ist mir deutlich geworden, dass ein Gedanke nicht begleitet sein darf, von weiteren Gedanken, die an etwas anderes denken, während sich der erste Gedanke im Hintergrund weiterbewegt, um anderer Stelle wieder hervorzukommen. Ich habe nun zunächst einen kleinen Knoten im Kopf. Fünf Gramm. — stop
Aus der Wörtersammlung: halt
dampfende ohren
alpha : 6.55 — Ich forsche gern in meinem digitalen Analyseprogramm nach Fragen an Suchmaschinen, die zu meiner Particlesarbeit führten. Merkwürdige, verrückte, poetische Sentenzen sind zu finden. In der vergangenen Woche zum Beispiel folgende: meine schreibmaschine schreibt buchstaben übereinander . kleine rote fliegen in der küche . käfer der auf unserem körper wohnt . lustige geschichten über ohren . ägyptisches frauzeichen mit flügeln . schimpansen im weltall . schlafende elefanten . männer mit kleinen köpfen . ist albert sanchez pinol ein mann . louis’ lichtgeschichte. stop — Über Nacht ist es kalt geworden. An der Straßenbahnhaltestelle beobachte ich einen älteren Herrn, aus dessen Ohren Dampf zu treten scheint. Man könnte sagen, es handelt sich um den ersten rauchenden Kopf, den ich in meinem Leben persönlich gesehen habe. Als ich näher herantrete, erkenne ich, dass sich in den Ohren des dampfenden Herrn je ein Tier befand. Ich fragte, ob ich vielleicht einmal genauer betrachten dürfte, was dort in seinen Ohren existiert. Weil der alte Mann nichts hörte, trug ich mein Anliegen in Zeichensprache vor. Er schien mich zu verstehen und neigte unverzüglich seinen Kopf, sodass ich eine gute Aussicht hatte auf das rechte seiner Ohren. Tatsächlich waren dort Augen und Zangen eines Käfers zu erkennen. Als ich mich näherte, zog sich das Wesen ein wenig in die Tiefe des Ohres zurück, das von weißem flaumigen Haar besetzt war, wie von einem kostbaren Pelz. Der dünne Faden des Käferatems, den ich kurz zuvor beobachtet hatte, war nun gut zu sehen, aber ich konnte nicht eindeutig identifizieren, woher der Atem des Käfers eigentlich kam, wo der Atem, der in der kalten Luft kondensierte, den Käferkörper präzise verließ. Noch ehe ich meine Frage zur Konstruktion des Käfers stellen konnte, war der alte Herr in eine Straßenbahn gestiegen und davongefahren. — Dienstag. — stop.
anton voyls fortgang
~ : oe som
to : louis
subject : ANTON VOYLS FORTGANG
date : nov 10 12 10.08 p.m.
Es ist gekommen, wie ich es erwartet habe. Noe schweigt. Wir haben ihm George Perecs Roman Anton Voyls Fortgang in die Tiefe geschickt. Es handelt sich in unserer Versuchsanordnung um das Unterwasserbuch No 282, ein Buch, in dem der Buchstabe E auf 320 Seiten nicht erscheinen wird. Kurz nachdem Noe seine Lektüre mit fester Stimme aufgenommen hatte, versuchten wir vorherzusehen, wie lange Zeit Noe lesen würde, ehe er das vollständige Fehlen eines bedeutenden Buchstabens im Text bemerkt haben würde. Er las etwa 10 Minuten, dann hörte er auf, seine Stimme wurde zunächst leiser, er dehnte die Worte, sagte, dass ihm etwas merkwürdig vorkommen würde, er könne bisher nicht sagen, was genau ihm merkwürdig erscheine, er müsse nachdenken. Wir sitzen jetzt alle vor den Lautsprechern und Bildschirmen und warten. Im Schein der Lampe, die Noe und das Buch, das er in seinen schweren Händen hält, beleuchtet, sehen wir, dass er sich langsam bewegt. Er scheint im Buch zu blättern. Er scheint überhaupt noch immer, nach 656 Tagen in einer Meerestiefe von 820 Fuß schwebend, ein guter Beobachter zu sein, obwohl es nichts zu sehen gibt als etwas Dämmerung, wenn Tag geworden ist, und ein paar Fische, die ihn von Zeit zu Zeit besuchen. Ich nehme an, Noe wird oft an uns denken. Er hört uns zu, hört, was wir sprechen, auch dann, wenn wir unter uns sind, wenn wir vergessen haben, das Mikrofon auszuschalten. An der Art und Weise wie wir atmen, vermag Noe zu unterscheiden, ob Lin, Eric, Martin, Tom, Lilly oder ich vor dem Mikrofon Platz genommen haben. Gerade eben beginnt er wieder zu lesen, er scheint an den Anfang des Buches zurückgekehrt zu sein: In Rocamadour gabs Mundraub sogar am Tag: man fand dort Thunfisch, Milch und Schokobonbons im Kilopack. Und wieder schweigt Noe. Es ist später Abend. Samstag. Ein Frachtschiff, hell beleuchtet, lungert am Horizont. Ahoi, lieber Louis. Dein OE SOM
gesendet am
10.11.2012
1856 zeichen
schneebiene
tango : 6.45 — In Tageslicht aus nächster Nähe beobachtet, handelt es sich bei jener Maschine, die gestern Abend bei leichtem Schneefall noch auf der 5th Avenue südwärts durch die Luft reiste, um eine Biene, die auch bei Nacht fliegen kann, weil ihre Augen so künstlich sind wie ihr gesamter Flugapparat, ihre Wirbelsäule, ihre Beine, ihre Fühler, alles das ist von äußerst leichtem Metall gewirkt, 528 Schräubchen halten das komplizierte Wesen zusammen, das niemals größer sein wird als ein wirkliches, ein aus organischen Einzelteilen hergestelltes Insekt. Genau genommen ist diese Biene ein sehr kleiner Hubschrauber, wendig, leise, ein Helikopter, der sich im Kostüm einer Biene befindet, ein spähendes Subjekt, eine Drohne, die man vielleicht einmal bewaffnen könnte, um sie einzusetzen für gute oder weniger gute Zwecke. Gestern Abend beobachtete ich nun mit höchstem Interesse, wie man der kleinen Maschine kurz vor ihrem Start ein weiteres Gewand überstreifte, das an einen hellen Pelz erinnerte, sodass ich lachen musste, weil ich für einen Moment glaubte, man habe die äußere Beschaffenheit einer Biene mit der Idee eines Eisbären gekreuzt. Kaum aus dem Fenster des Erfinders geflogen, war die weiß gefiederte Biene schon im dichten Schneetreiben verschwunden. Nun konnten wir glücklich durch die Augen der Unsichtbaren die Winterwelt betrachten, wir sahen uns selbst in einer Verfolgung und wir begegneten Menschen, riesenhaften Gesichtern, die feucht waren, Regenschirmen, dem Licht der Fußgängerampeln und Dampfwolken, die aus dem Boden pafften, als wären sie der Atem unsichtbarer, unter dem Asphalt verborgener Riesen. stop. Dämmerung. stop Es ist Freitag. — Guten Morgen! — stop
im reservat der trinkerlemure
himalaya : 6.46 — Ich hörte, irgendwo auf dieser Welt soll eine Stadt existieren, die über einen besonderen Park verfügt, eine Naturlandschaft, in welcher Trinkerlemure existieren, Abertausende beinahe unsichtbare Personen. Man kann sich das vielleicht nicht vorstellen, ohne längere Zeit darüber nachgedacht zu haben. Wälder und Wiesen, ein Fluss, da und dort ein Berg, nicht sehr hoch, Höhlen, Hütten, Schlafsacktrauben, die von mächtigen Bäumen baumeln. Man könnte sagen, dass es sich bei diesem Park vermutlich um ein Hotel oder ein Reservat handeln wird von enormen Ausmaßen, 15 Kilometer in der Breite, 20 Kilometer in der Länge. Das Areal ist umzäunt. Tore bieten Zugang im Westen, im Norden, im Osten, im Süden. Dort fahren Ambulanzen vor oder Krankenwagenbusse, um schreckliche Gestalten auszuladen, die in den großen Städten der Welt aufgesammelt wurden, zerlumpte, eitrige, zitternde Wesen, sie sprechen oder fluchen in Sprachen, die wir nur ahnen, wenn wir uns Mühe geben, ihnen zuzuhören, Englisch ist darunter, Russisch, Chinesisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und viele weitere Sprachen mehr. Sie haben meist eine weite Reise hinter sich, aber jetzt sind sie angekommen, Endstation Sehnsucht, Krankenschwestern helfen, den letzten Weg zurückzulegen durch eines der Tore. Dann sind sie frei. Wir erkennen am Horizont eine Straßenbahnhaltestelle. Sie liegt am Rande eines Waldes. Tatsächlich fahren dort ausrangierte Züge der Stadt Lissabon im Kreis herum, es geht um nichts anderes, als dass man in diesen Zügen sitzen und trinken darf so viel man will. Aus polierten Hähnen strömt Whiskey. An jedem zweiten Baum ist ein Fässchen mit Likören oder Gin oder Wodka zu entdecken. Es riecht sehr fest in dieser Landschaft, gerade dann, wenn es warm ist, Bienen und Fliegen und Libellen torkeln über wundervoll blühende Wiesen. Da und dort sitzen heitere Gruppen volltrunkener Männer und Frauen in der Idylle, sie erzählen von der Heimat oder von den Delirien, die man bereits überlebt haben will. Manch einer weiß nicht mehr genau, wie sein Name gewesen sein könnte. Andere lehnen an Bäumen, klapperige Tote, die ungut riechen, arme Hunde. Aber wer noch lebt, ist rasend vor Angst oder zufrieden, man kann sich überallhin zur Ruhe legen. In dem Flüsschen, das ich bereits erwähnte, lagert flaschenweise kühles Bier, es scheint sogar der Himmel nicht Wasser, sondern Wodka zu regnen, auch die Vögel alle sind betrunken. Aus einem Waldgebiet tritt eine zierliche Frau, sie taumelt. Die Frau trägt einen Hut und ein langes weißes Kleid, so schreitet sie durch das hohe Gras, bückt sich nach den Blüten, es ist in der Zeit der Kornblumen, dieses zauberhafte Blau. Manchmal fällt die Frau um, sie ist dann eine Weile nicht zu sehen, aber dann erscheint ihr Hut zunächst und kurz darauf sie selbst. Jetzt steht sie ganz still, schaukelt ein wenig hin und her, seit Stunden frage ich mich, um wen genau es sich handeln könnte. — stop
PRÄPARIERSAAL : freihändig
alpha : 1.45 — Spaziergang nachts bis 1. Die Luft kalt und klar. Fortsetzung der Audiotranskription. Matthias erzählt: > Die Geräusche des Saals sind nicht leicht zu erinnern. Ich hatte den Eindruck, dass wir, die lebenden Menschen, nach und nach immer lauter wurden. Manchmal war es so laut, dass ich mich mit meinem Gegenüber am Tisch nicht verständigen konnte. Das Geräusch der Pinzetten, die gegen Metallbehälter geschlagen wurden, um Gewebe abzuschütteln, ich glaube, das ist das Geräusch, dass ich mit dem Präpariersaal als typisch verbinde. Und die plötzlich hereinbrechenden Lautsprecherstimmen, wenn jemand eine Ansprache halten wollte. Ich bin jedes Mal fürchterlich erschrocken. Ein Erlebnis ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Das war an einem Tag gewesen, der sehr warm war. Die Sonne brannte durchs Fenster der Apsis. Ich schwitzte wie der Teufel und richtete mich immer wieder auf und spazierte herum, weil mir der Rücken schmerzte von der gebückten Haltung vor dem Tisch. Wenn ich meine Runden drehte, hatte ich meistens meine Handschuhe ausgezogen. Das war auch jenem Tag so gewesen. Und als ich dann zurückkehrte und meine Arbeit wieder aufgenommen hatte, erkundigte sich eine Kollegin am Tisch, ob ich jetzt immer – freihändig – präparieren würde. Ich bemerkte, dass ich vergessen hatte, meine Handschuhe wieder anzuziehen. Das war ein Versehen. Ich habe, und das wundert mich wirklich, über das Wort – freihändig – nachgedacht in den folgenden Minuten. Das hörte sich so an, als würde ich in diesem Moment ohne Netz gearbeitet haben. — stop
rom : synapsen
marimba : 16.33 — Ich folge einer Wendeltreppe, bis ich ein flaches Dach erreiche, sofort steige ich weiter. Plötzlich befinde ich mich innerhalb der Kuppel des Doms auf einem schmalen Absatz, großartiger Ausblick in die Tiefe. Winzige Gestalten da unten vor dem zentralen Altar der Kirche, man meint sich selbst in jeder der Menschenminiaturen, die sich über den Marmorboden langsam fortbewegen, erkennen zu können. Ein Polizist sitzt nur wenige Meter entfernt vor einem Monitor, der ein Bild zeigt, das über ein Teleobjektiv aufgenommen wird. Es könnte sein, dass der Mann jene Miniaturmenschen beobachtet, die mir so ähnlich sind. Wer ist verdächtig? Wie, frage ich, müsste ich mich verhalten, um in die Andacht dieses Apparates genommen zu werden? Kann der Apparat vielleicht erkennen, ob ich Fieber habe oder nicht? In diesem Moment nimmt mich der Polizist tatsächlich ins Visier seiner persönlichen Augen, weil er bemerkte, dass ich mich für seine Instrumente interessiere. Weiter aufwärts in der Schale, die die Kuppel formt, immer im Kreis herum eine enge Wendeltreppe, bald gehe ich gebückt. Dann der Himmel und Menschen und am Horizont das Meer, und die Stadt in der Wärme flimmernd. Ich erkenne, wenn ich mich ostwärts um die Kuppellaterne der Kirche herumbewege, die Straße, in welcher sich das Haus befindet, in dem ich wohne. Gewaltige Pinienbäume, Synapsen, weit entfernt in den Gärten der Villa Borghese. Ein Mann hastet über den alten, großen Platz. Das Gespräch der Möwen in der Luft in nächster Nähe. — stop
rom : umberto ecco
alpha : 22.57 — Der Mann hinter dem Tresen ist ein freundlicher Mann, unrasiert, akkurat gebügeltes weißes Hemd, ein hübsches, junges Gesicht, das an den Wänden auf zahlreichen Fotografien wiederzufinden ist, vermutlich deshalb, weil man sich mit ihm zeigen wollte, abgelichtet sein, sagen wir, berühmte Menschen und einfache Menschen, die ich nicht auseinanderhalten kann, weil ich die berühmten Menschen der Stadt Rom nicht kenne. Sie lächeln an der Seite des jungen Mannes stehend, manche scheinen vielleicht betrunken zu sein. Aber einen der fotografierten Männer habe ich schon einmal gesehen, es handelt sich bei diesem Herrn um Umberto Eco. Der Schriftsteller zeigt seine Zähne, er lacht in die Kamera. Umberto Eco scheint an diesem Abend, der einem Stempelaufdruck zufolge drei Jahre zurückliegt, hervorragend gelaunt gewesen zu sein. Vielleicht hatte er gerade einen dieser herrlichen Espressos getrunken, wie ich an diesem Morgen. Es war vermutlich Winter gewesen, Umberto Ecco trägt einen Hut und einen Mantel mit einem Pelzkragen. Oder es war Sommer und Umberto Ecco hatte sich in der Jahreszeit vertan. Wieder ist es sehr warm heute. Eine Ambulanz rast an der weit geöffneten Tür des Cafés vorbei, man kann das Geräusch der Sirenen der Not den ganzen Tag über vernehmen. Aber nachts ist es still in dieser Stadt, Rom ist eine Stadt, die schläft wie die Menschen, die sie bewohnen. Es riecht nach warmem Schinken in diesem Moment. Auf dem Bildschirm meines Fotoapparates sind Säulen zu sehen und Durchleuchtungsmaschinen und Hunderte leere Plastikflaschen, Substanzen, die man nicht mit in die große, kalte Kirche am Petersplatz nehmen darf, sie könnten explodieren. Ich hebe den Fotoapparat leicht an und fotografiere Umberto Eco, sodass er jetzt zweifach im Pelzkragen existiert. Wenn ich mir nicht vorgenommen hätte, das Pantheon zu besuchen, ich würde gern warten, Tage, Wochen, um nachzusehen, ob Umberto Eco zurückkommen wird. Ich habe bemerkt, dass meine Ohren knistern, wenn ich Kaffee trinke in Rom. — stop
rom : katzen
tango : 16.08 — In dem ich durch die Stadt spaziere in feuchter Luft, die Vorstellung schwitzender Fliegen, Fliegen, die sich schütteln wie nasse Hunde, die aus einem Gewässer steigen. Seit drei Tagen streife ich den Fluss entlang, sitze und warte, dass eine der berühmten doppelköpfigen Tiberkatzen vor meinen Augen erscheinen möge. Das Schiff, auf dem ihre Art hergestellt worden sein soll vor wenigen Jahren, liegt noch fest vertäut nahe der Ponte Sisto, ein Schiff ohne Leben, da und dort ist es bereits rostig geworden. Über dem Achterdeck schwingt eine Glühbirne in ihrer Fassung an einem Kabel auf und ab. Ich habe mehrfach versucht, das Schiff zu erreichen. Es ist vergebliche Mühe, kein Weg führt hinunter auf den letzten Absatz vor dem Fluss. Sobald ich eine Treppe betrete, die zum Schiff führen soll, komme ich an einer anderen Stelle als gewünscht wieder heraus. Auch auf Wegen, die unmittelbar das Ufer begleiten, ist das Schiff nicht zu erreichen, man geht und geht und kommt doch niemals an. Aber ich kann das Schiff betrachten von der gegenüberliegenden Seite des Flusses aus. Ein grauer, wuchtiger Körper, Karpernbüsche haben sich an der Reling zur Sonne hin festgesetzt. Hier soll er gelebt haben, der Erfinder der Tiberkatzen. Man wollte ihn verhaften, man wollte dem Mann, der in den Blaupausen der Schöpfung eigene Wünsche verzeichnete, Einhalt gebieten. Nun ist er spurlos verschwunden, aber seine Katzenwesen sollen noch existieren in der alten Stadt. Ich trage frischen Fisch in meiner Tasche. Manchmal halte ich an. Ich setzte mich ans Ufer, lasse meine Beine über dem braunen Wasser baumeln, lege einen Fisch neben mich ab und warte. Die Steine sind warm. — stop
von den vasentieren
tango : 3.15 — Tagelang habe ich überlegt, ob es sinnvoll ist, über die Existenz der Vasentiere weiter nachzudenken. In diesem Diskurs mit mir selbst, haben meine Vorstellungen über das Wesen und die Gestalt der Vasentiere, indessen weiter an Präzision zugenommen, ohne dass ich das zunächst bemerkte. Einmal wartete ich an einer Ampel unter einer Kastanie. Es war früher Abend und ich nutzte diese Situation des Innehaltens, um mir vorzustellen, wie es sein könnte, wenn ich eine Vase wäre. Ich hielt zunächst den Atem an, was eigentlich nicht notwendig gewesen war, Vasentiere dürfen atmen, Vasentiere müssen atmen, und versuchte mich so wenig wie möglich zu bewegen, eine innere feste Struktur auszubilden, sagen wir, eben eine Art Behälter zu sein. Das ist gut gelungen, auch nachdem ich von einer Kastanie auf den Kopf getroffen worden war, bewegte ich mich nicht. In diesem Moment wurde stattdessen deutlich, dass Vasentiere niemals flüchten, weil sie nicht flüchten wollen und weil sie nicht flüchten können, ihnen fehlen Füße und Beine. Aber sie haben Augen und Ohren, und sind von ihrer organischen Konstruktion her begabt, Formen nachzuahmen, die geeignet sind, tiefere Gewässer in sich auszubilden, das ist nicht verhandelbar. Auch nicht, dass sie das Wasser zur Versorgung der Pflanzen, welchen sie Herberge bieten, aus der Luft entnehmen, sei sie noch so trocken. Möglich ist, dass Vasentiere, die in der Lage sind, mittels ihrer Gedanken Bewegung zu formulieren, eher unglückliche Wesen sein werden, daran sollte man unbedingt denken, ehe man sich an die Verwirklichung der Vasentiere machen wird. — stop