bamako : 6.45 — In der 37. Minute einer Filmdokumentation, die von den Strukturen der Goldman Sachs Bank erzählt, ereignete sich etwas sehr Merkwürdiges. Lloyd Blankfine, Vorstandsvorsitzender genau dieser Bank, wurde in einem Fernsehinterview befragt. Ein äußerst scharfzüngiger Redner von heller Stimme, erkundigte sich Mr. Blankfine zunächst bei dem Moderator der Sendung, wie oft er ihn, Blankfine, im Fernsehen gesehen habe? Nie! Wissen Sie was. Das war vermutlich ein Fehler. Wir müssen uns jetzt bemühen, den Leuten zu erklären, was wir tun. Sofort spitzte sich die Lage zu. Der Moderator der Sendung, der Mr. Blankfine unmittelbar gegenübersaß, parierte mittels einer weiteren Frage, die der Banker so nicht erwartet haben mag. Er formulierte präzise: Ist es vorgekommen, dass ihre Investment-Berater einem Kunden Anlagen verkauft haben, gegen die Goldman zur selben Zeit spekulierte? Nun geschah Folgendes: Mr. Blankfine’s Augen weiteten sich, er senkte seinen Blick, setzte zu einer Antwort an, ein Geräusch war zu hören, der Teil eines nicht erkennbaren Wortes, sein Mund stand leicht offen, er schwieg, er schwieg sehr gründlich, sieben Sekunden lang, für eine üblicherweise äußerst schnell sprechende und denkende Person, die sich unter öffentlicher Beobachtung weiß, ein bedeutender Zeitraum. Ich habe diese Sentenz des Gespräches mehrfach vor und zurückgespielt, da mir Lloyd Blankfine in jenem Moment eine außerordentlich authentische Persönlichkeit gewesen zu sein schien. Ein Mensch, der nach einzelnen Wörtern suchte, nach einem angemessenen Gedanken in seinem Kopf, weil sich bislang dort Sätze formulierten, die so aufrichtig waren, dass Mr. Blankfine sie nicht aussprechen durfte, um nicht für immer Schaden zu nehmen, er selbst nicht und seine Bank nicht. Ich beobachtete sein Gesicht. Dreifach war Lidschlag zu erkennen, seine Augäpfel erweckten den Eindruck, als würden sie wachsen unter dem Druck eines Blickes, der nicht entscheiden konnte, ob er sich nach innen oder nach außen richten sollte, während ungeheure, vorbewusste Rechenleistung entfesselt war, um vielleicht doch einen Ausweg zu finden. — stop
Aus der Wörtersammlung: minute
PRÄPARIERSAAL : freihändig
alpha : 1.45 — Spaziergang nachts bis 1. Die Luft kalt und klar. Fortsetzung der Audiotranskription. Matthias erzählt: > Die Geräusche des Saals sind nicht leicht zu erinnern. Ich hatte den Eindruck, dass wir, die lebenden Menschen, nach und nach immer lauter wurden. Manchmal war es so laut, dass ich mich mit meinem Gegenüber am Tisch nicht verständigen konnte. Das Geräusch der Pinzetten, die gegen Metallbehälter geschlagen wurden, um Gewebe abzuschütteln, ich glaube, das ist das Geräusch, dass ich mit dem Präpariersaal als typisch verbinde. Und die plötzlich hereinbrechenden Lautsprecherstimmen, wenn jemand eine Ansprache halten wollte. Ich bin jedes Mal fürchterlich erschrocken. Ein Erlebnis ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Das war an einem Tag gewesen, der sehr warm war. Die Sonne brannte durchs Fenster der Apsis. Ich schwitzte wie der Teufel und richtete mich immer wieder auf und spazierte herum, weil mir der Rücken schmerzte von der gebückten Haltung vor dem Tisch. Wenn ich meine Runden drehte, hatte ich meistens meine Handschuhe ausgezogen. Das war auch jenem Tag so gewesen. Und als ich dann zurückkehrte und meine Arbeit wieder aufgenommen hatte, erkundigte sich eine Kollegin am Tisch, ob ich jetzt immer – freihändig – präparieren würde. Ich bemerkte, dass ich vergessen hatte, meine Handschuhe wieder anzuziehen. Das war ein Versehen. Ich habe, und das wundert mich wirklich, über das Wort – freihändig – nachgedacht in den folgenden Minuten. Das hörte sich so an, als würde ich in diesem Moment ohne Netz gearbeitet haben. — stop
indulin
charlie : 2.12 — Der Versuch in den vergangenen Minuten, Farben zu erinnern, die ich in der Sixtinischen Kapelle vor zwei Wochen noch beobachtet habe. Es ist merkwürdig, diese Farben, die doch von meinen persönlichen Augen aufgenommen wurden, sind in dieser Nacht nur sehr flüchtig verfügbar. Da ist zunächst ein intensives BLAU, ein Wort, wie das Wort BLAU in einer Geschichte der katalanischen Schriftstellerin Mercè Rodoreda, deren Existenz mir wieder in den Sinn gekommen ist: Sie ist weiß und sie ist blau. Das heißt, sie ist weiß wie die weiße Rose, und ganz plötzlich wird sie blau. Ein Insekt färbt sie, so scheint es, aber niemand weiß, wie es das macht. Ein Augenblick der Zerstreutheit und schon ist sie blau. Dieses Insekt trägt in einem Knie, mit fädigem Speichel festgenäht, ein Päckchen, und in diesem Päckchen, umgeben von Eiern und von Blau – reinstes Indulin – ist der Ehemann. Dieser Ehemann schläft den ganzen Tag und bebrütet die Eier, die durch ein Loch in das Päckchen fallen, das in dem Knie ist, woran es festgenäht ist. Wenn die Stunde kommt, kriecht das Insekt der Blume ins Herz, lädt das Päckchen ab, und die weiße Blume wird blau von oben bis unten. Sie sagen: – Oh, es ist nämlich so, daß der Ehemann, sobald er sich blumenumhüllt sieht, das Päckchen aufbricht und alles von blauem Saft überschwemmt wird und die Eier platzen und die Kleinen sofort losfliegen, jedes mit seinem Päckchen im Knie … einverstanden. Aber das sind bloße Vermutungen. Die Wahrheit ist, daß die Blume in einem Nu blau wird. Wie? Dahinter kommt man nie, und jedermann ist ein bißchen durcheinander und verwirrt. — stop
rom : taschen
marimba : 22.05 — Man wird vielleicht nicht sofort bemerken, dass man sich in einem Jagdgeschehen befindet. Nein, von Jägern ist auf der Piazza Navona zunächst nichts zu sehen und nichts zu hören. Ein zauberhafter Platz, länglich in der Form, drei Brunnen, eine Kirche, und Cafés, eines nach dem anderen, kleinere Läden, in welchen wir Pasta in allen möglichen Formen und Farben entdecken, Weine, Schinken, Käse. Am Abend fliegen beleuchtete Propeller durch die Luft. Maler, welche entsetzliche Bilder produzieren, erwarten amerikanische Kunden, sie sitzen auf Klappstühlen im Licht ihrer Glühlampen, die sie mittels Batterien mit Strom versorgen. Straßenmusikanten sind da noch, mit ihren Bandoneons, Geigen, Kontrabässen, und Angestellte der Müllentsorgung, Frauen, jüngere Frauen in weinroten Overalls, ihre Hände sind gepflegt, ihre Fingernägel rot lackiert. Aber jetzt, wenn man in Richtung jener schwarzhäutigen jungen Männer blickt, die vor einem der Brunnen den Versuch unternehmen, ihre Arbeit zu verrichten, wird es ernst. Sie haben Handtaschen in allen möglichen Formen auf den Boden vor sich abgestellt, je zwei Reihen, Behälter von Prada, Picard, Chanel, Griffe derart ausgerichtet, dass man sie mit je einer Handbewegung allesamt sofort ergreifen und flüchten kann. Eine typische Geste, sind doch jene armselig wirkenden Händler der Luxustaschen mehr oder weniger flüchtende Wesen. Kaum haben sie ihre Anordnung im Flanierbezirk möglicher Kunden sorgfältigst aufgebaut, raffen sie ihre Ware wieder zusammen und rasen in eine der Seitenstraßen davon, um nach wenigen Minuten wieder hervorzukommen, wie in einem Spiel, wie aufgezogen. Am ersten Abend meiner Beobachtungen auf der Piazza Navona, waren nur Flüchtende zu sehen, nicht aber die Jäger, eine eigenartige Situation, aber schon am zweiten Abend war eine jagende Gestalt vor meinen Augen in Erscheinung getreten. Es handelte sich um einen Hauptmann der Carabinieri, um einen Herrn präzise mit äußerst aufrechtem Gang. Er trug weiße Streifen an seinen Hosen, und eine Uniformjacke, tadellos, und eine Mütze, sehr amtlich, er war eine wirkliche Zierde, ein Staatsmann, wie er so über den Platz schritt, hinter den flüchtenden afrikanischen Männer her, ausdauernd, lauernd, ein Ansitzjäger, möchte ich sagen, einer, der an Straßenecken wartet, um die Wiederkehr der schwarzen Händler zu unterbinden oder um einen von ihnen einzufangen und an Ort und Stelle unverzüglich zu verspeisen. Stop. Freitagabend. stop. Eine Biene überquert zur Unzeit den Platz in südliche Richtung, als wär sie ein Zugvogel. — stop
rom : im museum
delta : 10.01 — Durch Hallen, Zimmer, Flure, Säle der vatikanischen Museen bewegen sich Menschen mit Vorsatz. Eine Versammlung von Menschen in Gruppen, genauer, die sich zwischen einem Eingang und einem Ausgang in gemeinsamer Richtung entlang einer Linie bewegen, die sich schlängelt, die kurvt, die sich faltet. Köpfe, tausende Köpfe vor großartiger Malerei, Säle mit Tierskulpturen, Menschenskulpturen, Säulenskulpturen. Über der sich langsam bewegenden Menge zittern an Schirmen, Taktstöcken, Zeigern Wimpel aller Art, dort genau befinden sich männliche oder weibliche Führer, die sprechen, eine Art beruhigendes Sprechen, eine Bändigung der Besuchergruppen, die wie durchblutete Schiffe über einen Hafen zu lotsen sind. Man kann seltsame Dinge vernehmen, sobald man sich einer der Gruppen nähert und lauscht. Die Führer sprechen leise in ihre Mikrofone: Schauen Sie dorthin, sehen Sie sich das an, Augen, dreitausend Jahre alte Augen, sehr selten. Und jetzt gehen wir weiter! In der Sixtinischen Kapelle nur wenige Minuten später existieren männliche Personen, die für Geräuschlosigkeit unter den staunenden müden Menschen sorgen. Sie tragen kleine Mikrofone in der Nähe ihres Mundes, sie sagen Folgendes: Psssst! Oder sie sagen: Silence, please! — stop
mikobeli
alpha : 0.22 — Die Entdeckung des Wortes mikobeli ereignete sich am 20. Dezember des Jahres 2007. Ich machte das so: Zunächst schloss ich die Augen. Dann versuchte ich lauthals Wörter auszusprechen, die ich nie zuvor hörte. Eine nicht ganz einfache Aufgabe. Kurz darauf notierte ich das Wort mikobeli auf ein Blatt Papier und prüfte, ob das Wort in den Verzeichnissen der Googlemaschine bereits enthalten sein könnte. Das war nicht der Fall, ich war zufrieden. Einige Zeit, zwei oder drei Wochen lang, versuchte ich weitere unbekannte und zugleich wohlklingende Wörter zu entdecken, dann hörte ich damit auf. Heute, Dienstag, 4. September 2012, um kurz nach 17 Uhr MESZ, wurde mir das Wort mikobeli wieder in Erinnerung gerufen, in dem ich bemerkte, dass nahe Tiblisi (Georgien) nach genau diesem erfundenen Wort in den Googleverzeichnissen gesucht worden war. Und weil nun das Wort mikobeli in meinem digitalen Schatten zu finden war, durfte ich für wenige Minuten einen Besucher aus dem Kaukasus auf meiner Particles – Seite verzeichnen. Erstaunlich ist, dass das Wort mikobeli von meiner Analysemaschine mittels georgischer Schriftzeichen wiedergegeben wird, fein und weich und vollständig fremd. Irgendein Mensch, stellte ich mir vor, könnte in derselben Art und Weise wie ich das Wort mikobeli erfunden haben und hatte kurz darauf nach Spuren seiner Existenz im Internet gesucht. Eine aufregende Geschichte, die sich tatsächlich genauso ereignete. Bitte melden! — stop
lichtpelze
~ : louis
to : daisy und violet hilton
subject : LICHTPELZE
Ich habe Euch, liebe Daisy, liebe Violet, folgendes zu berichten. Es schneit heute Nacht, weil es schneien muss. Lichtpelze, kaum Wind, sie schaukeln an meinem Fenster aus dem Nebeldunkel kommend vorbei. Ich glaube, ich habe Euch schon erzählt, dass ich mir vor Wochen eine kleine Maschine vorgestellt habe, die fliegen kann. Diese vorgestellte Maschine ist nun eine tatsächlich sehr kleine Maschine geworden, nicht größer als eine Murmel in Kinderhand. Zarteste Rädchen und Schrauben und Gewinde sind in ihrem Innern zu finden, Batterien von der Größe eines Bergschneckenherzens weiterhin, sowie eine äußerst filigrane Funkantenne, ein Linsenauge und Mikrofone oder Ohren, die in der Nähe des Auges derart montiert worden sind, dass sie in der Lage sein könnten, Geräusche aufzuzeichnen. In wenigen Minuten, wenn ich meinen Brief an Euch aufgegeben haben werde, solltet Ihr mir zusehen, wie ich das Fenster öffnen und mein fliegendes Auge auf seine erste Reise schicken werde. Ich habe mir einen Flug südwärts vorgenommen. Zunächst abwärts 24 Stockwerke, dann die 72. Straße ostwärts bis hin zur Lexington Avenue, wir werden ihr bis zum Ende folgen. Am Gramercy Park biegen wir in Richtung Third Avenue ab, spazieren schwebend weiter, nehmen die Bowery, Saint James Place und kurz darauf die Brooklyn Bridge. Einige Stunden werden sicher vergehen, ehe wir nach 15 Meilen Brighton Beach erreicht haben werden, ein Abenteuer. Welche Höhe wird eine geeignete Reisehöhe sein? Was werden die Vögel auf der großen Brücke unternehmen, sobald sie uns erkennen? Ich habe meine Fernsteuerung bereits in der Hand. Es ist jetzt 7 Uhr und 55 Minuten. Ich fliege durch eine von Schnee und dichtem Nebel fast unsichtbare Stadt. – Ahoi! Euer Louis
gesendet am
29.08.2012
2.01 MESZ
1688 zeichen
elefantenohrtier dx-18
tango : 2.55 — Bei diesem Wesen, das mir heute Abend auf dem Schreibtisch vorliegt, handelt es sich zunächst um das Ohr eines Afrikanischen Elefanten, welches in meiner Wohnung bereits seit einigen Stunden gegenwärtig ist, während ich den dazugehörigen Elefanten ebenso dauerhaft nicht zu finden vermag. An jener Stelle des Ohres, die üblicherweise ein Elefantenkörper einnehmen würde, ist stattdessen eine Kreatur anzutreffen, nicht größer als ein Zwergbärenmaki von 30 Gramm Gewicht, riesige gelbe Augen, aber kein Schwanz, keine Füße, keine Beine, keine Hände, keine Arme. Das Wesen lebt. Man kann es füttern. Ich vermute, es wird an diesem Abend vielleicht erkältet sein, weil sein Atem pfeift. Ich habe vor wenigen Minuten noch versucht, mein eigenes kleines Ohr in die Nähe des Torsos zu bewegen, um vielleicht Herzschläge vernehmen zu können. Unverzüglich wurde ich gebissen, das Tier fauchte wie ein kleiner Tiger. Sobald ich dagegen das Elefantenohr, das über meinem Schreibtisch ausgebreitet liegt, mit meinen Händen berühre, scheint das Wesen zufrieden zu sein, schnurrt und maunzt. Gleichwohl ist gestattet, das Ohr mit kleinem Tier vom Tisch anzuheben, dann baumelt es dicht über dem Boden, was ihm Freude bereitet. Ich habe den Verdacht, es könnte sich bei dieser neuartigen anatomischen Anordnung insgesamt um eine gut durchblutete Struktur handeln, die mit Vorsatz hergestellt wurde, damit man sich in kühlen Nächten darunter legen kann. Ich werde dieser Spur nachgehen. Man frisst bevorzugt Krabben. Rosa Zapfenzunge. — stop
PRÄPARIERSAAL : verwandlung
alpha : 1.55 — Mein Tonbandgerät wird vielleicht bald aufhören zu existieren. Ein Knistern ist zu vernehmen, sobald sich die Motoren der Maschine in Bewegung setzen. Wenn ich sie schüttele, scheint etwas in ihr herum zufallen, weshalb ich sie in dieser Nacht öffnen werde, um nachzusehen, ob ich etwas tun kann, um ihren Verfall aufzuhalten. Es ist jetzt 1 Uhr 32 Minuten. Noch drehen sich die Räder der Maschine. Gerade eben erzählte Yolande aus Kamerun von ihrer Erfahrung der Verwandlung in der Umgebung anatomischer Arbeit : > Ich habe schon am ersten Abend gespürt, dass sich in meinem Leben etwas verändern würde. Ich kann mich, wie ich schon sagte, nicht sehr gut an meinen ersten Tag im Präpariersaal erinnern. Als ich nachts vor dem Spiegel stand, waren meine Augen gerötet. Das machte mir Sorgen. Ich konnte nicht einschlafen und darum bin ich im Zimmer auf- und abgelaufen. Und plötzlich hatte ich ein ganz starkes Gefühl von Lebendigkeit in mir. Ich hatte das Gefühl, dass diese alltäglichen, kleinen Schwierigkeiten unter Menschen, unbedeutend sind. Alles vollkommen unwichtig. Ich habe dann erholsam geschlafen. — Wenn ich von meiner Erfahrung des Präparierkurses erzähle, reagieren die Menschen mit respektvollem Staunen. Ihre Augen werden groß und immer größer, je mehr sie erfahren. Sie meinen, dass sie das selbst niemals aushalten würden. Dann erzähle ich gern von meinen Freunden am Tisch. Ich habe als sehr wertvoll empfunden, in einem Team arbeiten zu können. Wir machten dieselben Erfahrungen und hatten ein gemeinsames Ziel: das Erlernen der Strukturen des menschlichen Körpers. Außerdem fand ich sehr angenehm, mit den Händen arbeiten zu können, ich konnte die Materie anfassen, Muskeln und Nerven und Blutgefäße. Wir waren alle weiß gekleidet, vielleicht fühlten wir uns deshalb wie in einer anderen Haut. In dem Moment, da ich meinen weißen Kittel anzog und meine Handschuhe, hatte ich das Gefühl mich zu verwandeln. Auch dann, wenn ich mir nur ausmalte, wie ich meine Handschuhe überstreifte, verwandelte ich mich auf der Stelle. — stop
lichtprobe
himalaya : 3.10 — Ein Minutenausschnitt aus der fürchterlichen Wirklichkeit eines Bürgerkrieges. Im Filmdokument, das ich vor zwei Tagen beobachtet habe, sind in der syrischen Stadt Aleppo Männer zu sehen, sehr junge, beinahe kindlich wirkende und etwas ältere Männer, sie erschießen weitere Männer, die teilweise kaum noch bekleidet waren und offensichtlich von Schlägen verletzt. In einer Art Rausch, so nehme ich das aus großer Entfernung wahr, wurde getötet, aufgenommen von Handykameras. Kurz darauf waren diese Handlungen auf Servermaschinen geladen und sind seither von jedem Ort dieser Welt, der über einen Internetzugang verfügt, für unbestimmte Zeit abrufbar. Man kann den einen oder anderen der schießenden Männer für Sekunden ebenso gut erkennen wie jene Männer, die durch Schüsse getötet wurden. Hunderte, wenn nicht Tausende dieser Dokumente liegen vor. Was wird mit diesen Dokumenten geschehen? Werden Sie bereits gesichert? In dieser Minute vielleicht? Und vom wem und in welcher Absicht? – stop