Aus der Wörtersammlung: nacht

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cindirella

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MELDUNG. Erfolg­reich, bereits zum 3. Male aus 28500 Fuß Höhe über dem pazi­fi­schen Oze­an kurz vor San­ta Rosa abge­wor­fen: Pana­ma-Nacht­af­fen­da­me Cin­di­rel­la, 13 Jah­re, sechs­te Über­le­ben­de der Test­se­rie Tef­lon-D08 {Haut­we­sen}. Man ist, der Schre­cken, noch voll­stän­dig ohne Spra­che, aber bei vol­lem Bewusst­sein. – stop
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von vögeln

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alpha : 23.50 UTC — Ich hör­te von Droh­nen­vö­geln, die der­art natur­nah gestal­tet sind, dass sie am Him­mel von tat­säch­li­chen Vögeln beglei­tet wer­den. Selt­sa­me Sache. — Es ist jetzt kurz vor Mit­ter­nacht. Das Radio erzählt, in der Stadt Mariu­pol sol­len Men­schen sich in Hin­ter­hö­fen auf Stüh­le unter den Nacht­him­mel gesetzt haben, um auf den Tod zu war­ten. — stop

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ein bein

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hima­la­ya : 10.52 UTC — Ges­tern Abend notier­te ich auf einen Notiz­zet­tel: Das Bein einer Frau ruh­te auf einem Dach. Heu­te Mor­gen fand ich die­sen Zet­tel vor. Ich erin­ner­te mich, eine Foto­gra­fie wahr­ge­nom­men zu haben, die das Bein einer Frau auf dem Dach eines Hau­ses der Stadt Mariu­pol zeig­te. Ich bemerk­te, dass ich mich nicht gewun­dert hat­te, das abtrenn­te Bein einer Frau auf einem Dach bemerkt zu haben. Das Bein trug noch einen Schuh am Fuss, einen Stie­fel. Auch war ich mir nicht sicher gewe­sen, die Exis­tenz die­ser Foto­gra­fie über Nacht in mei­nem Gedächt­nis zu behal­ten. Ich notier­te auf dem Zet­tel eine Anwei­sung: Foto­gra­fie sichern! Selt­sa­me Sache. — stop

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am tiber

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nord­pol : 10.15 UTC — An einem spä­ten Abend beob­ach­te­te ich von einer Brü­cke aus einen Mann, der am Ufer des Tiber­flus­ses kau­er­te. Der Mann füt­ter­te grö­ße­re und klei­ne­re Tie­re mit sei­ner lin­ken Hand, in der rech­ten Hand hielt er eine Angel fest. Das war nicht sofort zu erken­nen gewe­sen, weil sich im Fluss und auch in der Luft über dem Fluss nichts beweg­te, nicht ein­mal das Was­ser zeig­te Strö­mung. Die Fluss­ober­flä­che schim­mer­te im Mond­licht wie ein See, und das Schilf des Ufers schien von Win­den, nicht von wil­dem Was­ser gebeugt. Da waren Schat­ten im Gras der klei­nen Insel, hun­der­te vor­wärts oder rück­wärts sprin­gen­de Sche­men. Noch nie zuvor habe ich so vie­le Rat­ten auf einen Blick gese­hen. Wie Eisen­spä­ne einer phy­si­ka­li­schen Anord­nung zur Unter­su­chung magne­ti­scher Fel­der waren sie zu dem Mann hin aus­ge­rich­tet, wir­bel­ten durch­ein­an­der, sobald der Mann Fut­ter­wa­re unter die Tie­re schleu­der­te. Dann wie­der stil­les War­ten. Eine Bisam­rat­te, scheu­er Herr­scher, enter­te das Land. — Am fol­gen­den Tag kehr­te ich mor­gens zur Nacht­brü­cke zurück. Der Mann kau­er­te noch immer nah der klei­nen Insel und angel­te im Fluss. Möwen hat­ten sich genä­hert. Rat­ten waren nur weni­ge zu sehen, aber Tau­ben. Wenn der Mann einen Fisch erbeu­te­te, warf er ihn sei­nen Freun­den vor die Füße. An den stei­len Wän­den der künst­li­chen Tiber­fas­sung da und dort blü­hen­de Büsche. Eidech­sen zün­gel­ten gegen die Son­ne. — Das Radio erzähl­te von einer Frau, die nachts um 3 Uhr im 5. Stock eines Hau­ses der Stadt Mariu­pol in ihrer Küche stand und koch­te, als die Stadt vom Krieg über­fal­len wur­de. — stop

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nachtkäfer

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lima : 2.28 UTC — Für einen Moment dach­te ich heu­te Nacht an eine Geschich­te, die ich vor lan­ger Zeit ein­mal erzähl­te. Das war gegen 2 Uhr gewe­sen. Ich beob­ach­te­te aus meh­re­ren Metern Ent­fer­nung wie ein Käfer, der einem Zep­pel­in­kä­fer ähn­lich war, sehr lang­sam durch mein Zim­mer schweb­te, um auf einer Tisch­lam­pe zu lan­den. Dort blieb er für eini­ge Minu­ten sit­zen. Sofort such­te ich nach jener Geschich­te, die von einem Zep­pel­in­kä­fer han­delt. Sobald ich sie gefun­den hat­te, segel­te der Käfer, der mich an mei­ne Notiz erin­nert hat­te, in die Dun­kel­heit davon, sodass ich ihn bei­na­he für die per­so­ni­fi­zier­te Erin­ne­rung die­ser einen Geschich­te hal­ten möch­te. Sie geht so: Ein selt­sa­mes Wesen schweb­te kurz nach 1 Uhr in der Nacht schnur­ge­ra­de eine unsicht­ba­re Linie über den höl­zer­nen Fuß­bo­den mei­nes Arbeits­zim­mers ent­lang, wur­de in der Mit­te des Zim­mers von einer Luft­strö­mung erfasst, etwas ange­ho­ben, dann wie­der zurück­ge­wor­fen, ohne aller­dings mit dem Boden in Berüh­rung zu kom­men. — Ein merk­wür­di­ger Auf­tritt. – Und die­ser groß­ar­ti­ge Bal­lon von opa­k­em Weiß! Ein Licht, das kaum noch merk­lich fla­cker­te, als ob eine offe­ne Flam­me in ihm bren­nen wür­de. Ich habe mich zunächst gefürch­tet, dann aber vor­sich­tig auf Knien genä­hert, um den Käfer von allen Sei­ten her auf das Genau­es­te zu betrach­ten. — Fol­gen­des ist nun zu sagen. Sobald man einen Zep­pel­in­kä­fer von unten her besich­tigt, wird man sofort erken­nen, dass es sich bei einem Wesen die­ser Gat­tung eigent­lich um eine fili­gra­ne, flü­gel­lo­se Käfer­ge­stalt han­delt, um eine zer­brech­li­che Per­sön­lich­keit gera­de­zu, nicht grö­ßer als ein Streich­holz­kopf, aber schlan­ker, mit acht recht lan­gen Ruder­bei­nen, gestreift, schwarz und weiß gestreift in der Art der Zebra­pfer­de. Fünf Augen in grau­blau­er Far­be, davon drei auf dem Bauch, also gegen den Erd­bo­den gerich­tet. Als ich bis auf eine Nasen­län­ge Ent­fer­nung an den Käfer her­an­ge­kom­men war, habe ich einen leich­ten Duft von Schwe­fel wahr­ge­nom­men, auch, dass der Käfer flüch­tet, sobald man ihn mit einem Fin­ger berüh­ren möch­te. Ein Wesen ohne Laut. – Das Radio erzählt, im Kel­ler eines ver­schüt­te­ten Hau­ses der Stadt Mariu­pol wür­de seit zwei Tagen ein Tran­sis­tor­ra­dio selt­sa­me Geräu­sche machen, pfei­fen, piep­sen, ver­mut­lich des­halb, weil der Strom zurück­ge­kom­men ist. — stop

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tonbandspule

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romeo : 16.01 UTC — Vor 11 Jah­ren hat­te ich von der Ent­de­ckung eines Muse­ums der Nacht­häu­ser erzählt, das sich am Shore Bou­le­vard nörd­lich der Hell Gates Bridge befin­det, die den Stadt­teil Queens über den East River hin­weg mit Ran­di­lis Island ver­bin­det. Es ist noch immer ein recht klei­nes Haus, rote Back­stei­ne, ein Schorn­stein, der an einen Fabrik­schlot erin­nert, ein Gar­ten, in dem ver­wit­ter­te Apfel­bäu­me ste­hen, der Fluss so nah, dass man ihn rie­chen kann. Heu­te liegt der Gar­ten tief ver­schneit. Ich ste­he unter einem der Apfel­bäu­me, die ohne Blät­ter sind. Die­ser Baum trägt sei­ne Som­mer­früch­te so, als ob er sie fest­hal­ten wür­de, sie sind etwas klei­ner gewor­den, vol­ler Fal­ten, aber sie leuch­ten rot und sie duf­ten. Der jun­ge Mann, der mich bereits ein­mal durch das Muse­um geführt hat­te, kommt in die­sem Moment auf mich zu. Er freut sich, dass ich wie­der­ge­kom­men bin. Eine Wei­le ste­hen wir uns gegen­über, es ist zum Erbar­men kalt, wir tre­ten von einem Bein aufs ande­re, wäh­rend der jun­ge Mann eine Ziga­ret­te raucht, dann ist es fast dun­kel und wir tre­ten wie­der in das Muse­um ein. Er will mir eine klei­ne Maschi­ne zei­gen, die im ers­ten Stock seit vie­len Jah­ren in einer wei­te­ren Vitri­ne sitzt. Auf den ers­ten Blick scheint es sich um eine ähn­li­che Appa­ra­tur zu han­deln, wie jene von der ich berich­te­te. Ein Gecko von Metall, der in der Lage ist, sich zum Zwe­cke pro­tes­tie­ren­der Kom­mu­ni­ka­ti­on Wän­de hin­auf an die Decke eines Zim­mers zu bege­ben, um sich dort fest­zu­sau­gen. Aber anstatt eines oder meh­re­rer Schlag­in­stru­men­te, mit wel­chen gegen die Decke getrom­melt wer­den könn­te, ver­fügt die­ses klei­ne Wesen über einen Laut­spre­cher, der wie ein Mund gestal­tet ist, und des­halb her­vor­ra­gend geeig­net zu sein scheint, hef­ti­ge Geräu­sche des Spre­chens zu erzeu­gen. Bei die­ser Appa­ra­tur, sagt der jun­ge Ange­stell­te, han­delt es sich um den ers­ten Decken­spre­cher der Geschich­te, ein äußerst sinn­vol­les Gerät. Er for­dert mich auf, näher zu tre­ten. Sehen Sie genau hin, sehen Sie, er ist ver­beult! Tat­säch­lich war der klei­ne eiser­ne Gecko von zahl­rei­chen Schlä­gen so ver­letzt, dass er viel­leicht kaum noch in der Lage gewe­sen war, sei­ner Auf­ga­be nach­zu­kom­men. Denk­bar ist, dass er in einer Nacht der Tag­men­schen der­art wir­kungs­voll gear­bei­tet haben könn­te, dass man ihn fan­gen woll­te, wes­halb man in die Woh­nung des Nacht­men­schen ein­ge­bro­chen war, um ihn zum Schwei­gen zu brin­gen. Als man das ram­po­nier­te Gerät vie­le Jah­re spä­ter öff­ne­te, ent­deck­te man eine Ton­band­spu­le, auf wel­cher Lite­ra­tur von Bedeu­tung fest­ge­hal­ten war. Ein Bruch­stück der his­to­ri­schen Auf­nah­me war noch vor­han­den gewe­sen, und jetzt, in die­ser Nacht, spielt mir der jun­ge Mann vor, was der Appa­rat gespro­chen hat­te. Eine äußerst lau­te schep­pern­de Stim­me ist zu ver­neh­men: Zuerst woll­te er mit dem unte­ren Teil sei­nes Kör­pers aus dem Bett hin­aus­kom­men, aber die­ser unte­re Teil, den er übri­gens noch nicht gese­hen hat­te und von dem er sich kei­ne rech­te Vor­stel­lung machen konn­te, erwies sich als zu schwer beweg­lich; es ging so lang­sam; und als er schließ­lich, fast wild gewor­den, mit gesam­mel­ter Kraft, ohne Rück­sicht sich vor­wärts stieß, hat­te er die Rich­tung falsch gewählt, schlug an dem unte­ren Bett­pfos­ten hef­tig an, und der bren­nen­de Schmerz, den er emp­fand, belehr­te ihn, dass gera­de der unte­re Teil augen­blick­lich viel­leicht der emp­find­lichs­te war. — Hier endet die Spu­le, ums sofort wie­der von vor­ne zu begin­nen. — Das Radio erzähl­te von einem Jun­gen, der in einem Luft­schutz­kel­ler im Licht der Tele­fon­lam­pen sei­nen Geburts­tag fei­er­te. Er trug eine rote Papp­na­se im Gesicht und einen wei­ßen Papier­hut, einen run­den, spitz zulau­fen­den Zylin­der auf dem Kopf. — stop

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perlboot no 2

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echo : 0.02 UTC — Auf der Suche nach Behäl­ter­kon­struk­tio­nen, in wel­chen Perl­boo­te der Gat­tung Nau­ti­lus durch eine gro­ße Stadt trans­por­tiert wer­den könn­ten, ohne Scha­den zu neh­men, ein­mal vor Jah­ren auf eine Web­site gesto­ßen, die unter dem Namen Lou­is Benett fol­gen­de Zei­chen­fol­ge ver­merkt: mem­ber sin­ce mon­day, 30 janu­ary 2012 20.00 / last online > never log­ged in / pro­fi­le views : 7324 – stop. Selt­sa­me Geschich­te. Die Spur eines über­aus vor­sich­ti­gen Ver­hal­tens viel­leicht, wei­ter­hin Zögern. – Mit­ter­nacht. — Das Radio erzählt, im März des ver­gan­ge­nen Jah­res sei eine laut spre­chen­de Frau höhe­ren Alters aus dem 8 Stock eines Hau­ses in Meers­nä­he gesprun­gen. — stop

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notizen aus sarajevo : koffertext

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ulys­ses : 18.55 UTC — Das Bänd­chen Noti­zen aus Sara­je­vo von Juan Goy­tiso­lo, das im Jahr 1993 in der Edi­ti­on Suhr­kamp erschien, muss ein­mal feucht oder nass gewor­den sein. Es wellt sich noch immer, obwohl es Jah­re gepresst unter wei­te­ren Büchern im Regal dar­auf war­te­te, wie­der gele­sen zu wer­den. Ich erin­ne­re nicht, wo ich das Buch gele­sen hat­te, viel­leicht in einem Park, ver­mut­lich war Regen gefal­len. Seit Tagen liegt es auf mei­nem Küchen­tisch, ich habe es bis­her nur ein­mal kurz geöff­net, bemerk­te fol­gen­den mit Blei­stift mar­kier­ten Absatz: “Gleich nach sei­ner Ankunft in Sara­je­vo muss der Frem­de in die Geset­ze und Regeln eines Ver­hal­tens­ko­dex ein­ge­weiht wer­den, der Grund­vor­aus­set­zung für sein Über­le­ben ist. Er, der an ein frei­es Leben ohne Hemm­nis­se gewöhnt ist, muss in sei­nem neu­en Lebens­raum, der Mau­se­fal­le, die er mit 380000 ande­ren Men­schen teilt, schnell ler­nen. Er muss die hoch­ge­fähr­li­chen Gebie­te und die­je­ni­gen ken­nen, in denen er sich ohne all­zu gro­ße Gefahr bewe­gen kann, er muss wis­sen in wel­chen Stadt­tei­len Mör­ser­gra­na­ten nie­der­ge­hen, wel­ches die belieb­tes­ten Stra­ßen­ecken und Kreu­zun­gen der Hecken­schüt­zen sind, wo er gebückt gehen und wo er schnell los­ren­nen muss. Jede Unacht­sam­keit oder ein Feh­ler bei der Aus­wahl des Weges kön­nen töd­lich für ihn sein. Jedes Hin­aus­ge­hen — und jeder muss ein­mal raus­ge­hen, um Was­ser, Holz oder Nah­rungs­mit­tel zu holen — ist, wie die Men­schen in Sara­je­vo sagen, rus­si­sches Rou­lette.“ — stop / S.32/33

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zwei zimmer

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romeo : 7.32 UTC — Nachts, sobald ich die Vögel pfei­fen höre, meis­tens ist es einer für sich allein, der in Ahnung ers­ten Lichts zu sin­gen beginnt, weiß ich, dass ich auf­ste­hen soll­te und zu den Fens­tern gehen, um mei­ne Rol­los für Schlaf her­un­ter zu las­sen. In genau die­sem Moment dre­hen sich Tag und Nacht schein­bar um eine Ach­se, Tag­zim­mer bei Nacht wer­den zu Nacht­zim­mern bei Tag. Gleich, in einer Minu­te, ist es wie­der so weit. Das Radio erzählt, in der Stadt Mariu­pol leb­ten Men­schen, die nach befreun­de­ten Men­schen suchen, wel­che seit Mona­ten ohne Lebens­zei­chen sind. — stop

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ein streichholzkopf

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ulys­ses : 22.02 — Wann war es gewe­sen, dass ich zum ers­ten Mal bemerk­te, wie mei­ne Brie­fe klei­ner und klei­ner wur­den? Wesen von wirk­li­chem Papier, Bögen in Umschlä­gen mit einem Post­wert­zei­chen, das zuletzt die Anschrif­ten­sei­te mei­nes Schrei­bens voll­stän­dig bedeck­te. Im Post­amt wer­de ich seit­her ernst genom­men. Vor eini­gen Wochen kauf­te ich sinn­vol­ler Wei­se ein hand­li­ches Mikro­skop und einen Satz Blei­stif­te von äußers­ter Här­te. Ich spitz­te das Schreib­werk­zeug eine Vier­tel­stun­de lang, dann leg­te ich einen Bogen Papier in das Licht einer Lin­se mitt­le­rer Stär­ke. Ich näher­te mich mit beben­den Fin­gern. Man soll­te mich in die­sem Moment gese­hen haben. Bei jedem Wort, das ich auf das klei­ne Blatt notier­te, hielt ich die Luft an. Tat­säch­lich habe ich in mei­nen Leben noch nie zuvor in einer der­art sorg­fäl­ti­gen Wei­se geschrie­ben. Ich brauch­te drei Stun­den Zeit, um das Papier, das nicht grö­ßer gewe­sen war als eine Brief­mar­ke von 1.5 cm Kan­ten­län­ge, voll­stän­dig zu beschrif­ten. Ich schrieb fol­gen­de Zei­len an einen Freund: Lie­ber Sta­nis­law, Du wirst es nicht glau­ben, nach 1 Uhr heu­te Nacht schweb­te ein Zep­pel­in­kä­fer einer nicht sicht­ba­ren, schnur­ge­ra­den Linie über den höl­zer­nen Fuß­bo­den mei­nes Arbeits­zim­mers ent­lang, wur­de in der Mit­te des Zim­mers von einer Luft­strö­mung erfasst, etwas ange­ho­ben, dann wie­der zurück­ge­wor­fen, ohne aller­dings mit dem Boden in Berüh­rung zu kom­men. – Ein merk­wür­di­ger Auf­tritt. – Und die­ser groß­ar­ti­ge Bal­lon von opa­k­em Weiß! Ein Licht, das kaum noch merk­lich fla­cker­te, als ob eine offe­ne Flam­me in ihm bren­nen wür­de. Ich habe mich zunächst gefürch­tet, dann aber vor­sich­tig auf Knien genä­hert, um den Käfer von allen Sei­ten her auf das Genau­es­te zu betrach­ten. – Fol­gen­des ist nun zu sagen. Sobald man einen Zep­pel­in­kä­fer von unten her besich­tigt, wird man sofort erken­nen, dass es sich bei einem Wesen die­ser Gat­tung eigent­lich um eine fili­gra­ne, flü­gel­lo­se Käfer­ge­stalt han­delt, um eine zer­brech­li­che Per­sön­lich­keit gera­de­zu, nicht grö­ßer als ein Streich­holz­kopf, aber schlan­ker, mit sechs recht lan­gen Ruder­bei­nen, gestreift, schwarz und weiß gestreift in der Art der Zebra­pfer­de. Fünf Augen in grau­blau­er Far­be, davon drei auf dem Bauch, also gegen den Erd­bo­den gerich­tet. Als ich bis auf eine Nasen­län­ge Ent­fer­nung an den Käfer her­an­ge­kom­men war, habe ich einen leich­ten Duft von Schwe­fel wahr­ge­nom­men, auch, dass der Käfer flüch­tet, sobald man ihn mit einem Fin­ger berüh­ren möch­te. Ein Wesen ohne Laut. Dein Lou­is, herz­lichst. — Es war eine wirk­lich har­te Arbeit, all die­se Zei­chen zu notie­ren. Dann fal­te­te ich das Blatt Papier ein­mal kreuz und quer. Ich arbei­te mit zwei Pin­zet­ten wie­der­um unter star­kem Licht, steck­te den Brief in ein Cou­vert, des­sen Her­stel­lung noch mühe­vol­ler gewe­sen war als das Schrei­ben des Brie­fes selbst, und mach­te mich auf den Weg in das nächs­te Post­amt. Dort wur­de ich unver­züg­lich an den Schal­ter für beson­de­re Brief­for­ma­te wei­ter­ge­lei­tet, wo mein Brief, den ich mit einer Pin­zet­te auf den Tre­sen beför­dert hat­te, von einer wei­te­ren Pin­zet­te ent­ge­gen­ge­nom­men wur­de. Ich war sehr glück­lich. Ich beob­ach­te­te, wie der Beam­te eine Brief­mar­ke von der Grö­ße eines Reis­korns behut­sam auf mei­nen Brief leg­te und mit­tels eines Stem­pels, der vor mei­nen blo­ßen Augen kaum noch sicht­bar gewe­sen war, ent­wer­te­te. Dann ging mein Brief auf Rei­sen. Er flog sehr weit durch die Luft, und ich habe ihn für kur­ze Zeit ver­ges­sen. Nun aber, vor weni­gen Stun­den, wur­de mir von einem Son­der­bo­ten der Post ein Brief von der­art leich­ter Gestalt über­ge­ben, dass ich zunächst die Anwei­sung erhielt, alle Fens­ter mei­ner Woh­nung zu schlie­ßen. Die­ser Brief, eine Depe­sche mei­nes Freun­des, ruht vor mir auf dem Tisch. Es ist ein sehr klei­nes Kunst­werk. Auf sei­ner Brief­mar­ke sol­len sich zwei Para­dies­vö­gel befin­den, die ihre Schnä­bel kreu­zen. Ich wer­de das gleich über­prü­fen. — Das Radio erzählt, dem ers­ten Offi­zier einer “Soma­liein­heit” soll in der Stadt Mariu­pol ein Orden über­ge­ben wor­den sein, der nun mit­tels einer Span­gen­na­del für alle Zeit an der Brust des Man­nes mitt­le­ren Alters befes­tigt sei. — stop