Aus der Wörtersammlung: zeichen

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amsterdam avenue

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nord­pol

~ : malcolm
to : louis
sub­ject : AMSTERDAM AVENUE
date : jan 18 13 0.12 a.m.

Ges­tern, in den frü­hen Mor­gen­stun­den, mel­de­te Alli­son, sie habe Fran­kie ver­lo­ren. Kein Signal, kei­ne Bewe­gung. Sie war sehr auf­ge­regt gewe­sen, hat­te sich auf ihr Fahr­rad gesetzt und eini­ge Run­den durch den Park gedreht, ehe sie uns alar­mier­te. Es ist selt­sam, wir haben nie dar­an gedacht, dass das Eich­hörn­chen Fran­kie den Cen­tral Park ohne unse­re Erlaub­nis je ver­las­sen könn­te. Zunächst glaub­ten wir, Fran­kie sei viel­leicht von einem Wasch­bä­ren oder einem streu­nen­den Hund oder einem Luchs gefan­gen wor­den. Auch haben wir dar­an gedacht, dass auf ihn geschos­sen wor­den sein könn­te. Aber das wür­de nicht erklä­ren, wes­halb Fran­kies Sen­der nicht län­ger funk­tio­nier­ten. Es war ein­zig denk­bar, dass Fran­kie in das Reser­voir gefal­len sein könn­te, viel­leicht, obwohl ein her­vor­ra­gen­der Schwim­mer hat­te ihn die Käl­te des Was­sers getö­tet. Aber dann mel­de­te Hen­ry, er habe wie­der ein Signal, und zwar in der 59. Stra­ße Ecke Ams­ter­dam Ave­nue. Ich ver­mu­te­te, dass irgend­je­mand Fran­kie gefan­gen haben könn­te, was kaum vor­stell­bar war, so schnell sich das klei­ne Tier zu bewe­gen ver­mag, mit sei­nem Kör­per und auch mit­tels sei­ner Gedan­ken. Es ist jetzt frü­her Nach­mit­tag. Ein eisi­ger Wind bläst von Wes­ten her durch die Stra­ßen. Und wenn ich nun erzäh­le, dass wir Fran­kie lebend in Frei­heit ent­deck­ten, wer­den Sie das viel­leicht kaum glau­ben. Er sitzt in unse­rer unmit­tel­ba­ren Nähe auf dem Dach eines Zei­tungs­ki­osks und nascht aus einer Tüte, ich mei­ne, Fran­kie hat ein paar Nüs­se erbeu­tet. Er wirkt gesund, der Lärm der Stra­ße scheint ihn nicht wei­ter zu berüh­ren. Ich glau­be, er hat uns bemerkt, scheint viel­leicht zufrie­den zu sein, unse­re ver­trau­ten Erschei­nun­gen zu sehen. Wir kom­men sehr nah an ihn her­an. Was sol­len wir tun? Sol­len wir den Ver­such unter­neh­men, Fran­kie ein­zu­fan­gen, oder sol­len wir abwar­ten, was gesche­hen wird? Alli­son spe­ku­liert, Fran­kie könn­te sich plan­voll in Rich­tung des Hud­son River Parks bewe­gen. Mel­den Sie sich bit­te, mel­den Sie sich so bald wie mög­lich! — Aller­bes­te Grü­ße sen­det ihn Mal­colm / code­wort : indianertrompete

emp­fan­gen am
18.01.2013
2035 zeichen

mal­colm to louis »

polaroidmilli

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josephine auf der mary murray

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tan­go : 6.34 — Ist das nicht eine wun­der­ba­re Vor­stel­lung, wie sich Jose­phi­ne an einem war­men Sams­tag­vor­mit­tag auf den Weg macht nach New Jer­sey, um das Wrack der MS Mary Mur­ray zu besich­ti­gen? Wie sie ein Taxi ordert. Wie der Fah­rer erzählt, dass er noch nie eine so wei­te Fahrt unter­nom­men habe im Auf­trag. Eigent­lich dür­fe er mit sei­nem Wagen die Stadt nicht ver­las­sen. Also stei­gen sie in Jose­phi­nes Auto um, einen uralten Buick, der seit über einem Jahr­zehnt nicht aus der Gara­ge bewegt wor­den war. Sie neh­men die Ver­raza­no-Nar­rows Bridge süd­wärts. Jose­phi­ne raucht schon lan­ge nicht mehr, aber heu­te macht sie eine Aus­nah­me, eine. Ihr dün­nes wei­ßes Haar, das im Wind flat­tert, fängt sie mit wen­di­gen Fin­gern wie­der ein. Sie trägt Turn­schu­he und ein oran­ge­far­be­nes, som­mer­li­ches Kleid. Die Haut ihrer Bei­ne, Arme, Schul­tern sind hell wie ihr Haar. Eine Stun­de rau­schen sie wort­los auf dem New Jer­sey Turn­pi­ke dahin. Nahe Free­holf hal­ten sie an. Gleich neben dem High­way bewegt sich ein Fluss, dunk­les, müdes Was­ser, lang­sam. Am Ufer war­tet ein jun­ger, bär­ti­ger Mann in einem Pad­del­boot von leuch­tend roter Far­be. Wie Jose­phi­ne sich in die­sem Augen­blick wünscht, foto­gra­fiert zu wer­den, wie sie sich in das Boot setzt, wie sie ihren Stroh­hut mit bei­den Hän­den zurecht­rückt, dann fah­ren sie los, unter mäch­ti­gen Brü­cken hin­durch in Rich­tung des Rarit­an­flus­ses. Möwen ste­hen im bra­cki­gen Was­ser. Es ist fast still, nur das Geräusch des Pad­dels, ein paar Flie­gen brum­men durch die Luft. Ein­mal nähert sich ein Hub­schrau­ber der Küs­ten­wa­che, dreht wie­der ab. Und plötz­lich ist sie zu sehen, eine Fata Mor­ga­na in der Land­schaft, das aus­ran­gier­te gewal­ti­ge Fähr­schiff der Sta­ten Island Flot­te, die MS Mary Mur­ray. Schlag­sei­te steu­er­bords ruht sie in einem Bett von Schilf, Libel­len schie­ßen hin und her, blaue und grü­ne rie­si­ge Tie­re. Wie sich Jose­phi­ne und der jun­ge Mann dem Schiffs­wrack vor­sich­tig nähern. Wie der jun­ge Mann eine Lei­ter am Rumpf des Schif­fes befes­tigt. Wir sehen der alten Dame zu, wie sie vor­sich­tig Spros­se um Spros­se erklimmt. Ihr behut­sa­mer Gang über das Deck, das sich neigt. Jetzt, da die Far­ben vom Schiffs­kör­per fal­len, von Stür­men und Regen gepeitscht, von der Son­ne gebrannt, kann man das höl­zer­ne Herz der alten Flot­ten­da­me erken­nen, Käfer und Amei­sen spa­zie­ren über die Sitz­bän­ke der Pro­me­na­de. Jose­phi­ne muss nicht lan­ge suchen, im Schat­ten einer Ulme, die sich über das Schiff zu beu­gen scheint, eine Sitz­bank, hier genau, ja, hier genau muss die Schrift ihrer Schwes­ter Geral­di­ne zu ent­de­cken sein, ein Satz nur, den das klei­ne Mäd­chen im Jahr 1952 an einem Som­mer­nach­mit­tag auf dem Weg von Man­hat­tan nach Sta­ten Island in das Holz der Bank geritzt hat­te, wäh­rend ihre Zwil­lings­schwes­ter Char­lot­te sie vor Ent­de­ckung schütz­te. Wie Jose­phi­nes zit­tern­de Fin­ger in die­sem Augen­blick über die Ver­tie­fung der Zei­chen fah­ren. — stop

jose­phi­ne

ping

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josephine besucht chelsea

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ulys­ses : 15.07 — Ich erin­ne­re mich an einen Tag im Mai des Jah­res 2010, als Jose­phi­ne und ich durch den Cen­tral Park spa­zier­ten. Es war ein war­mer Tag gewe­sen, ein Tag, an dem Wasch­bä­ren ihre Ver­ste­cke im Unter­holz flüch­te­ten, um den Som­mer zu begrü­ßen. Nie zuvor hat­te ich Wasch­bä­ren per­sön­lich gese­hen, und auch an die­sem Tag hat­te ich kaum Zeit, sie zu beob­ach­ten, weil die betag­te Dame an mei­ner Sei­te süd­wärts dräng­te. Gut gelaunt schien sie ihr Alter nicht im min­des­ten zu spü­ren, und so folg­ten wir der 8th Ave­nue Rich­tung South Fer­ry, pas­sier­ten die Port Aut­ho­ri­ty Bus­sta­ti­on, das zen­tra­le Post­amt und die Penn Sta­ti­on, um nahe dem Joy­ce-Thea­ter in die 18th Stra­ße ein­zu­bie­gen. Bei­na­he zwei Stun­den waren wir bis dort­hin unter­wegs gewe­sen, es däm­mer­te bereits. Vor dem Haus 264 West blieb Jose­phi­ne ste­hen. Sie hol­te ihr Tele­fon aus der Hand­ta­sche und mel­de­te mit lau­ter Stim­me, dass sie bereits unten vor dem Haus ste­hen wür­de und abge­holt zu wer­den wün­sche! Ein Herr, in etwa dem­sel­ben Alter, in dem sich Jose­phi­ne befand, öff­ne­te uns kurz dar­auf die Tür. Er war mit einem Haus­man­tel beklei­det, der in einem tie­fen Blau leuch­te­te, hat­te kei­ner­lei Haar auf dem Kopf und trug Turn­schu­he. Ich erin­ne­re mich, dass ich mich wun­der­te über sei­ne gro­ßen Füße, denn der Mann, den mir Jose­phi­ne mit dem Namen Valen­tin vor­stell­te, war eher zier­lich, wenn nicht klein gera­ten. Wäh­rend wir eine enge Trep­pe in den sechs­ten Stock hin­auf­stie­gen, dach­te ich an die­se Schu­he und auch dar­an, ob ich selbst in ihnen über­haupt lau­fen könn­te. Bald tra­ten wir durch eine schma­le Tür, hin­ter der sich ein Raum von uner­war­te­ter Grö­ße befand, ein Saal viel­mehr, mit einer hohen Decke und einem gut gepfleg­ten Boden von Holz, der nach Oran­gen duf­te­te. Lin­ker Hand öff­ne­te sich ein Fens­ter, das die gesam­te Brei­te des Rau­mes füll­te, mit einem groß­ar­ti­gen Aus­blick auf Chel­sea, auf Dach­gär­ten, Anten­nen und Satel­li­ten­wäl­der, ich glaub­te, vor einer Stadt ohne Stra­ßen zu ste­hen. Und da war nun die­ser alte Mann in sei­nem blau­en Haus­man­tel, der uns bat, auf einem Sofa Platz zu neh­men, wel­ches das ein­zi­ge Möbel­stück gewe­sen war, das ich in dem Raum ent­de­cken konn­te. Ein paar Was­ser­fla­schen reih­ten sich an einer der Wän­de, die von Back­stein waren, von hel­lem Rot, und an die­sen Wän­den waren nun Papie­re, Foto­ko­pien von Buch­sei­ten, genau­er, akku­rat anein­an­der gereiht, sodass sie die Wän­de des Saa­les bedeck­ten. Jose­phi­ne schien sehr berührt zu sein von die­sem Anblick. Sie saß mit durch­ge­drück­tem Rücken auf dem Sofa und bewun­der­te das Werk ihres Freun­des, der uns zu die­sem Zeit­punkt bereits ver­ges­sen zu haben schien. Er stand vor einer der Buch­sei­ten und las. Es han­del­te sich um ein Papier des 1. Band der Entde­ckungs­rei­sen nach Tahi­ti und in die Süd­see von Georg Fors­ter in eng­li­scher Über­set­zung. Und wie wir den alten Mann beob­ach­te­ten, erzähl­te mir Jose­phi­ne, dass er das mit jedem der Bücher machen wür­de, die er lesen wol­le, er wür­de sie ent­fal­ten, ihre Zei­chen­li­nie sicht­bar machen, er lese immer im Ste­hen, er sei ein Wan­de­rer. — stop

jose­phi­ne

ping

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teegedanken

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nord­pol

~ : oe som
to : louis
sub­ject : TEEGEDANKEN
date : dec 21 12 11.05 p.m.

Eini­ge Tage und Näch­te haben wir alle gemein­sam in der Werk­statt zuge­bracht. Noe konn­te uns hören in der Tie­fe, wir hat­ten unse­re Mikro­fo­ne nicht aus­ge­schal­tet, um ihn teil­ha­ben zu las­sen, an unse­rem Leben. Jetzt, lie­ber Lou­is, jetzt, da der Hei­li­ge Abend näher kommt, wird Noe melan­cho­lisch. Er frag­te wie­der nach sei­nen Eltern, ob sei­ne Mut­ter und sein Vater noch leb­ten. Was sol­len wir ant­wor­ten? Was nur, ver­dammt, sol­len wir ant­wor­ten? Nichts als die Wahr­heit? Wir wis­sen es nicht! Und so tun wir unser Bes­tes, Noe auf­zu­hei­tern. Ben­ny Good­man spielt von der Kon­ser­ve: Live at Car­ne­gie­hall. Noe liebt Ben­ny Good­man seit Kind­heits­ta­gen. Wei­ter­hin haben wir Noe in eine leich­te, beru­hi­gen­de Schwin­gung ver­setzt, er pen­delt jetzt unter dem Schiff mit einer Ampli­tu­de von 20 Metern nach links und nach rechts. Indes­sen ahnt Noe nicht, was hier oben bei uns vor sich geht. Es ist näm­lich so, dass wir unse­rem Tau­cher eine Über­ra­schung berei­ten wer­den. Eric, unser Maschi­nist, hat­te die Idee, einen Weih­nachts­baum für Noe zu kon­stru­ie­ren, die Anmu­tung eines Weih­nachts­bau­mes genau­er, der geeig­net ist, in die Tie­fe gelas­sen zu wer­den. Wir haben uns Mühe gege­ben, der Baum ist hübsch gewor­den, drei Meter hoch, ein Gebil­de aus Metall, das über einen Stamm und Äste ver­fügt. Da und dort haben wir Unter­was­ser­fa­ckeln befes­tigt, die wir von der Fer­ne zün­den wer­den. Ein beson­de­rer Abend, lie­ber Lou­is, steht bevor! Ob wir das Licht erken­nen wer­den an der Ober­flä­che des Mee­res? Was wird Noe sagen? Und wie wer­den die Fische, die gro­ßen und die klei­nen Raub­fi­sche reagie­ren? — Es ist jetzt Frei­tag und spät. Ein Duft von Zimt, Gewürz­nel­ken und Kaf­fee strömt durch das Schiff. Am Mon­tag wer­den wir uns ein paar jun­ge Süß­was­ser­wel­se bra­ten. Es geht alles also einen guten Weg. Vor Stun­den noch zitier­te Tau­cher Noe aus dem Gedächt­nis einen wei­sen Satz, den der Phi­lo­soph Gui­do Cero­net­ti in sei­nen Tee­ge­dan­ken notier­te. Noe sag­te: Wenn ich wie ein Ver­lie­rer leben könn­te, wäre ich es etwas weni­ger. — In die­sem Sin­ne, lie­ber Lou­is: Ahoi! Dein OE SOM

gesen­det am
22.12.2012
2065 zeichen

oe som to louis »

polaroidschirme

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die schrift meines vaters

pic

nord­pol : 7.05 — Dass mein Vater älter wur­de und müde, war sei­ner Schrift deut­lich anzu­se­hen. Die Buch­sta­ben wur­den klei­ner, man­che stan­den senk­recht, ande­re neig­ten sich einer unsicht­ba­ren Linie zu, auf der sie sich wort­wei­se vor­wärts beweg­ten. Ich könn­te sagen, die Schrift mei­nes Vaters wirk­te so, als wäre ein Sturm seit­wärts über sie hin­weg­ge­fah­ren, zer­zaust, und doch waren alle not­wen­di­gen Buch­sta­ben für jedes der Wör­ter, die mein Vater geschrie­ben hat­te, gesetzt. Er notier­te zuletzt ger­ne mit­hil­fe der Tas­ta­tur sei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne, das war nicht so anstren­gend, er ver­moch­te die Grö­ße der Zei­chen zu vari­ie­ren, sodass er sehen konn­te, was er gera­de auf den Bild­schirm brach­te. Ein­mal muss­te mein Vater einen Brief unter­zeich­nen, es war ein Okto­ber­tag, mein Vater war­te­te lan­ge Zeit vor dem Papier, das auf dem Tisch vor ihm ruh­te, hielt den Stift, den man ihm gereicht hat­te, in der Hand, betrach­te­te die­sen Stift, dreh­te ihn zwi­schen den Fin­gern, er zöger­te den Moment hin­aus, da er mit der Auf­zeich­nung sei­nes Namens begin­nen wür­de. In die­sem Moment ahn­te ich, dass mein Vater sei­nen Namen malen wür­de, dass sei­ne nicht bewuss­te Signa­tur, die ein Leben lang gül­tig gewe­sen war, nicht län­ger zu exis­tie­ren schien, oder dass er unter den Augen eines Beob­ach­ters sich nicht län­ger trau­te, sei­ne urei­ge­ne Signa­tur aus­zu­füh­ren. Ja, mein Vater fürch­te­te sich, weil der Wind der ver­ge­hen­den Zeit sei­ne Schrift erfass­te. Sie war ein­mal eine akku­ra­te Schrift gewe­sen, eine Schrift wie gedruckt, sie notier­te kom­pli­zier­te mathe­ma­ti­sche For­meln, ohne je ihre Fas­sung auf den Papie­ren zu ver­lie­ren. Als Jun­ge beschloss ich, die­se Geheim­schrift der Zah­len und Wör­ter zu ent­schlüs­seln, bis sie noch vor mei­nem Vater selbst zu ver­schwin­den begann. Zurück­ge­blie­ben sind nun sei­ne Stif­te in einer Schub­la­de: Kugel­schrei­ber, Füll­fe­der­hal­ter, Blei­stif­te, Bunt­stif­te, auch ein Werk­zeug, mit dem man in wei­ßer Far­be notie­ren kann, viel­leicht um zu kor­ri­gie­ren, viel­leicht um Nicht­sicht­ba­res auf das Papier zu set­zen. — stop

ping

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schnee

2

alpha

~ : malcolm
to : louis
sub­ject : SCHNEE
date : dec 2 12 0.15 p.m.

Über Nacht ist Schnee gefal­len. Ein har­ter, böiger Wind fegt vom East River her durch die Stra­ßen in den Park. Wir sind die ers­ten Spa­zier­gän­ger heu­te Mor­gen. Es ist bei­na­he still in der Däm­me­rung. Weit­hin sehen wir hin­ter uns unse­re eige­ne Spur auf dem Weg, den wir nord­wärts gehen. Immer wie­der blei­ben wir ste­hen, um nach Fran­kie zu sehen. Er scheint sich wohl­zu­füh­len, man könn­te sagen, dass es sich bei die­sem Eich­hörn­chen um einen Schnee­tau­cher han­deln könn­te. Für Minu­ten ist nichts von ihm zu sehen, aber dann plötz­lich sein Kopf, der aus dem Schnee ragt, er schüt­telt sich, sei­ne Ohren beben, ja, Fran­kie scheint glück­lich zu sein in die­ser neu­en wei­ßen Welt. Auch Möwen sind in den Cen­tral Park gekom­men. Sie hocken auf Sitz­bän­ken und Mau­ern, ich glau­be, sie haben es auf Zwer­ge wie Fran­kie abge­se­hen, denk­bar, dass sie den Schnee als Gewäs­ser betrach­ten und jene Tie­re, die sich für einen kur­zen Moment an der Ober­flä­che zei­gen, für Fische, die sie jagen müs­sen. Es sind gro­ße Vögel, gel­be Augen, rie­si­ge Schnä­bel, die uns heu­te Mor­gen tat­säch­lich Sor­ge berei­ten, sie könn­ten Fran­kie erle­gen und mit ihm aufs Meer hin­aus­flie­gen, mit all sei­nen Sen­so­ren, die uns dann nicht wei­ter­hel­fen wer­den. Wann wer­den Sie uns besu­chen, Mr. Lou­is? Wir hof­fen noch in die­sem Win­ter! Ein­mal Fran­kie mit eige­nen Augen betrach­ten, nicht wahr! Schnell ist er gewor­den. In der kom­men­den Woche wol­len wir zum ers­ten Mal erpro­ben, ob wir in der Lage sind, ihn mit unse­rer Fern­steue­rung beein­flus­sen zu kön­nen. Wir haben vor, Fran­kie in Krei­sen durch den Park lau­fen zu las­sen. – Aller­bes­te Grü­ße sen­det ihn Mal­colm / code­wort : hillarystep

emp­fan­gen am
03.12.2012
1630 zeichen

mal­colm to louis »

ping

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dampfende ohren

9

alpha : 6.55 — Ich for­sche gern in mei­nem digi­ta­len Ana­ly­se­pro­gramm nach Fra­gen an Such­ma­schi­nen, die zu mei­ner Par­tic­les­ar­beit führ­ten. Merk­wür­di­ge, ver­rück­te, poe­ti­sche Sen­ten­zen sind zu fin­den. In der ver­gan­ge­nen Woche zum Bei­spiel fol­gen­de: mei­ne schreib­ma­schi­ne schreibt buch­sta­ben über­ein­an­der . klei­ne rote flie­gen in der küche . käfer der auf unse­rem kör­per wohnt . lus­ti­ge geschich­ten über ohren . ägyp­ti­sches frau­zei­chen mit flü­geln . schim­pan­sen im welt­all . schla­fen­de ele­fan­ten . män­ner mit klei­nen köp­fen . ist albert san­chez pinol ein mann . lou­is’ licht­ge­schich­te. stop — Über Nacht ist es kalt gewor­den. An der Stra­ßen­bahn­hal­te­stel­le beob­ach­te ich einen älte­ren Herrn, aus des­sen Ohren Dampf zu tre­ten scheint. Man könn­te sagen, es han­delt sich um den ers­ten rau­chen­den Kopf, den ich in mei­nem Leben per­sön­lich gese­hen habe. Als ich näher her­an­tre­te, erken­ne ich, dass sich in den Ohren des damp­fen­den Herrn je ein Tier befand. Ich frag­te, ob ich viel­leicht ein­mal genau­er betrach­ten dürf­te, was dort in sei­nen Ohren exis­tiert. Weil der alte Mann nichts hör­te, trug ich mein Anlie­gen in Zei­chen­spra­che vor. Er schien mich zu ver­ste­hen und neig­te unver­züg­lich sei­nen Kopf, sodass ich eine gute Aus­sicht hat­te auf das rech­te sei­ner Ohren. Tat­säch­lich waren dort Augen und Zan­gen eines Käfers zu erken­nen. Als ich mich näher­te, zog sich das Wesen ein wenig in die Tie­fe des Ohres zurück, das von wei­ßem flau­mi­gen Haar besetzt war, wie von einem kost­ba­ren Pelz. Der dün­ne Faden des Käfe­ratems, den ich kurz zuvor beob­ach­tet hat­te, war nun gut zu sehen, aber ich konn­te nicht ein­deu­tig iden­ti­fi­zie­ren, woher der Atem des Käfers eigent­lich kam, wo der Atem, der in der kal­ten Luft kon­den­sier­te, den Käfer­kör­per prä­zi­se ver­ließ. Noch ehe ich mei­ne Fra­ge zur Kon­struk­ti­on des Käfers stel­len konn­te, war der alte Herr in eine Stra­ßen­bahn gestie­gen und davon­ge­fah­ren. — Diens­tag. — stop.

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dos passos’ lesebrille

9

del­ta : 22.01 — In dem Moment, da ich beim Augen­op­ti­ker mei­nen Wunsch nach einer Lese­bril­le vor­ge­tra­gen hat­te, war ich etwas ver­le­gen gewe­sen, als ob ich plötz­lich uralt gewor­den sei und etwas an Bedeu­tung ver­lo­ren hät­te. Ich sag­te nun zu dem Mann, der hin­ter dem Tre­sen stand: Hören Sie, ich benö­ti­ge eigent­lich noch kei­ne Bril­le. Ich sehe, glau­be ich, noch gut nach nah und fern. Aber ich möch­te ger­ne die­ses Buch hier lesen. Ich leg­te John Dos Pas­sos’ Roman Man­hat­tan Trans­fer auf den Tre­sen ab, genau­er gesagt, Dos Pas­sos’ Roman in der deut­schen Taschen­buch­aus­ga­be des Rowohlt Ver­la­ges, ein Buch, dem sofort anzu­se­hen ist, dass man Papier spa­ren woll­te, eine ehren­wer­te Hand­lung, um Urwäl­der vor der Ver­nich­tung zu bewah­ren, das ist denk­bar. Man kann sich das so vor­stel­len: Die Zei­chen, die im Kör­per des Buches zu fin­den sind, sind äußerst klein gera­ten, alle Zei­len lie­gen dicht zuein­an­der und span­nen sich tat­säch­lich fast voll­stän­dig vom lin­ken bis zum rech­ten Rand der Sei­te. Es ist ein dicht bedruck­tes Buch, eine bei­na­he dunk­le Erschei­nung. Kön­nen Sie mir even­tu­ell mit einer pas­sen­den Bril­le wei­ter­hel­fen, frag­te ich den Opti­ker vor­sich­tig. Wis­sen Sie, wie ich bereits erwähn­te, ich benö­ti­ge eigent­lich noch kei­ne Bril­le! Der Opti­ker nahm also das Buch in die Hand, wog es hin und her, öff­ne­te es, warf einen kur­zen Blick auf die ers­te Sei­te des Romans und lächel­te, ich soll­te ihm fol­gen. Im Maga­zin, – es war ein gro­ßes, erheb­li­ches, ja ein bedeu­ten­des Waren­la­ger -, führ­te er mich Schub­la­den­wän­de ent­lang, die bis unter die Decke reich­ten, es roch sehr gut, etwas nach Alko­hol und etwas nach fei­nen Motor­ölen. Nach einer Wei­le blieb er ste­hen und deu­te­te auf eine der Schub­la­den. Dort stand, gleich­wohl in sehr klei­ner Schrift geschrie­ben: Dos Pas­sos / Man­hat­tan Trans­fer. Wie er nun die Schub­la­de öff­ne­te, lagen dicht an dicht eini­ge schö­ne Lese­bril­len in ver­schie­de­nen Far­ben und Grö­ßen und For­men. Über Dos Pas­sos’ Bril­len­schub­la­de war ein Fach mit der Beschrif­tung: Samu­el Beckett / Gesam­mel­te Roma­ne zu erken­nen. Gleich rechts davon lager­ten Ulys­ses’ Bril­len. – stop

ping

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anton voyls fortgang

2

del­ta

~ : oe som
to : louis
sub­ject : ANTON VOYLS FORTGANG
date : nov 10 12 10.08 p.m.

Es ist gekom­men, wie ich es erwar­tet habe. Noe schweigt. Wir haben ihm Geor­ge Perecs Roman Anton Voyls Fort­gang in die Tie­fe geschickt. Es han­delt sich in unse­rer Ver­suchs­an­ord­nung um das Unter­was­ser­buch No 282, ein Buch, in dem der Buch­sta­be E auf 320 Sei­ten nicht erschei­nen wird. Kurz nach­dem Noe sei­ne Lek­tü­re mit fes­ter Stim­me auf­ge­nom­men hat­te, ver­such­ten wir vor­her­zu­se­hen, wie lan­ge Zeit Noe lesen wür­de, ehe er das voll­stän­di­ge Feh­len eines bedeu­ten­den Buch­sta­bens im Text bemerkt haben wür­de. Er las etwa 10 Minu­ten, dann hör­te er auf, sei­ne Stim­me wur­de zunächst lei­ser, er dehn­te die Wor­te, sag­te, dass ihm etwas merk­wür­dig vor­kom­men wür­de, er kön­ne bis­her nicht sagen, was genau ihm merk­wür­dig erschei­ne, er müs­se nach­den­ken. Wir sit­zen jetzt alle vor den Laut­spre­chern und Bild­schir­men und war­ten. Im Schein der Lam­pe, die Noe und das Buch, das er in sei­nen schwe­ren Hän­den hält, beleuch­tet, sehen wir, dass er sich lang­sam bewegt. Er scheint im Buch zu blät­tern. Er scheint über­haupt noch immer, nach 656 Tagen in einer Mee­res­tie­fe von 820 Fuß schwe­bend, ein guter Beob­ach­ter zu sein, obwohl es nichts zu sehen gibt als etwas Däm­me­rung, wenn Tag gewor­den ist, und ein paar Fische, die ihn von Zeit zu Zeit besu­chen. Ich neh­me an, Noe wird oft an uns den­ken. Er hört uns zu, hört, was wir spre­chen, auch dann, wenn wir unter uns sind, wenn wir ver­ges­sen haben, das Mikro­fon aus­zu­schal­ten. An der Art und Wei­se wie wir atmen, ver­mag Noe zu unter­schei­den, ob Lin, Eric, Mar­tin, Tom, Lil­ly oder ich vor dem Mikro­fon Platz genom­men haben. Gera­de eben beginnt er wie­der zu lesen, er scheint an den Anfang des Buches zurück­ge­kehrt zu sein: In Roca­ma­dour gabs Mund­raub sogar am Tag: man fand dort Thun­fisch, Milch und Scho­ko­bon­bons im Kilo­pack. Und wie­der schweigt Noe. Es ist spä­ter Abend. Sams­tag. Ein Fracht­schiff, hell beleuch­tet, lun­gert am Hori­zont. Ahoi, lie­ber Lou­is. Dein OE SOM

gesen­det am
10.11.2012
1856 zeichen

oe som to louis »

ping

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karawane

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echo

~ : malcolm
to : louis
sub­ject : KARAWANE
date : nov 6 12 0.30 a.m.

Wir soll­ten viel­leicht eines der Rat­te­n­un­ge­tü­me fan­gen, die den Cen­tral Park seit der gro­ßen Flut bevöl­kern. In Her­den lun­gern sie unter Bäu­men im Feu­er­laub, unzäh­li­ge rie­si­ge Tie­re, pfei­fen­de Spra­che, weit­hin zu hören, hel­le Töne. Eine ihrer Kara­wa­nen beweg­te sich vor weni­gen Stun­den noch Höhe 61. Stra­ße über ein Base­ball­feld, lang­sam, ein unheim­li­cher Anblick. Ver­mut­lich des­halb ver­harrt Fran­kie in den Kro­nen der Bäu­me, aber auch dort haben wir ein­zel­ne Rat­ten­tie­re gesich­tet. Es ist denk­bar, dass sie sich nicht wie­der zurück wagen wer­den in den Unter­grund. In einem Haus an der Lex­ing­ton Ave­nue sol­len Rat­ten in Appar­te­ments des 32. Stock­wer­kes ein­ge­drun­gen sein. Man stel­le sich das ein­mal vor, man wird die­sen Anblick nie wie­der ver­ges­sen, wo eine Rat­te gewe­sen ist, wird sie fort­an immer sein, wenn nicht per­sön­lich, dann als Mög­lich­keit, als eine Unru­he der Gedan­ken, der Träu­me. Sie stei­gen in den Fall­roh­ren auf­wärts. — Es ist schon lan­ge dun­kel gewor­den, der 6. Novem­ber ange­bro­chen. Leich­ter Regen, obwohl der Him­mel wol­ken­los scheint. Selt­sa­me Span­nung liegt in der Luft. – Ihr Mal­colm / code­wort : syracus

emp­fan­gen am
06.11.2012
1785 zeichen

mal­colm to louis »



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