Aus der Wörtersammlung: abend

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trockenzungen

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del­ta : 6.22 — Ich träum­te ein­mal von einem Schlaf­saal, in dem ein­hun­dert arme Dich­ter wohn­ten. Sie lie­fen sehr lang­sam, sagen wir, vor­sich­tig her­um, weil sie nicht wach waren, son­dern schlie­fen. Eines Abends wur­den sie in dem Auf­trag geweckt, fei­ne For­mu­lie­run­gen für einen beson­de­ren Regen zu fin­den, einen Regen, der eine gro­ße Stadt unter Was­ser set­zen soll­te. Ihre Freu­de, ihre Begeis­te­rung, viel­leicht end­lich wie­der gehört zu wer­den. Wie sie durch­ein­an­der spa­zier­ten. Und das Rascheln der Papie­re, das Knir­schen der Stif­te, das Geräusch ihrer suchen­den Tro­cken­zun­gen. — stop

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asmara tigri

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lima : 16.01 — Die Frau, die mir sofort eine Geschich­te erzäh­len wird, scheint müde zu sein. Immer wie­der fal­len für Sekun­den ihre Augen zu. Frü­her Mor­gen, Tigri hat die Nacht über gear­bei­tet. Wir sit­zen in einem Schnell­zug vom Flug­ha­fen in die Stadt. Gera­de woll­te sie noch wis­sen, war­um ich auf dem Note­book einen Film betrach­te, der von ein­stür­zen­den Tür­men des World Trade Cen­ters berich­tet. Sie habe, bemerkt Tigri, sechs Stun­den lang Brie­fe sor­tiert, das heißt, Luft­post­brie­fe für Inseln, die im Pazi­fi­schen Oze­an lie­gen, weil sie eine Spe­zia­lis­tin für Inseln ist, auch für Inseln atlan­ti­scher Gebie­te, aber vor allem ken­ne sie sich aus mit Inseln, die Kiri­ba­ti hei­ßen oder Ton­ga oder Palau oder Vanua­tu. Sie sagt, dass sie die­se Namen lie­ben wür­de, dass sie Anfang der 70er Jah­re in einem Dorf nahe der eri­tre­ischen Haupt­stadt Asma­ra gebo­ren wor­den sei und dass das Dorf im Jahr 1984 wie­der auf­ge­baut wer­den muss­te, weil an einem Sonn­tag­abend ein MIG-Flug­zeug das Dorf zer­stört habe und vie­le ihrer Freun­de getö­tet. Zu die­sem Zeit­punkt leb­te Tigri bereits in West­deutsch­land. Wenn sie den Namen ihres Dor­fes aus­spricht, bin ich nicht imstan­de, das schö­ne Geräusch in mei­nem Kopf zu behal­ten, aber das Wort Asma­ra kann ich mir mer­ken. Sobald ich das Wort Asma­ra for­mu­lie­re, leuch­ten ihre Augen, also sage ich drei­mal Asma­ra und freue mich über die Wirk­sam­keit die­ses Wor­tes. Asma­ra soll eine Stadt hel­len Lich­tes sein, sage ich, es soll dort immer­zu nach Kaf­fee duf­ten, und Tigri lacht und ich den­ke, dass das jetzt ent­we­der so ist oder dass das nicht so ist, dass sie jeden­falls das Hel­le mag und auch den Kaf­fee­duft. Man spre­che Tig­ri­gna dort in ihrer Gegend, sagt Tigri, und ich bemer­ke, dass ihr gan­zer Name selbst in die­sem Wort ent­hal­ten sei. Wie­der lacht die jun­ge Frau, schließt kurz die Augen, erzählt, dass ihr Bru­der, ein Gynä­ko­lo­ge, aus den Diens­ten eines Kran­ken­hau­ses ent­las­sen wur­de, weil man ihn nicht als das behan­deln woll­te, was er zu sein wünsch­te. Mein Bru­der, wis­sen Sie, möch­te ein König sein. Nun ist er arbeits­los und König. Er ist natür­lich schwarz wie ich, genau­so schwarz, und schwarz steht den Köni­gen nur in Afri­ka. Sie macht eine kur­ze Pau­se, reibt sich die Augen. Wir sind jetzt allein auf die­ser Welt, sagt Tigri, alles ging sehr schnell. Im ver­gan­ge­nen Jahr sei ihr Vater gestor­ben in Eri­trea, ein glück­li­cher Mensch, ein Bus­fah­rer, ein sehr stol­zer Herr. Im Okto­ber des­sel­ben Jah­res sei schließ­lich die Mut­ter mit dem Flug­zeug via Rom nach Frank­furt gekom­men. Sie habe, ohne das zu wis­sen, einen Tumor im Kopf mit­ge­bracht, im Febru­ar war sie dann umge­fal­len und tot im März. Tigri lehnt ihren Kopf an die Wand des Zuges, schaut aus dem Fens­ter. Ein hei­ßer, schwü­ler Mor­gen. Ob sie den Film anse­hen dür­fe, will sie wissen.
ping

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tonwellenschrauben

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echo : 22.18 – Lun­ger­te im Wald unter Loui­sia­na-Moo­sen. Sturm­ge­räu­sche, auch Zika­den waren zu hören gewe­sen, ihre Flü­gel­stim­men, hell, schrill, glä­sern, Ton­wel­len­schrau­ben. Auf Knien kroch ich bald jagend durchs Unter­holz, woll­te eines der locken­den Tie­re fan­gen. Anstatt Insek­ten ent­deck­te ich Spiel­do­sen, hun­der­te, ja tau­sen­de, krei­sen­de Lärm­ma­schi­nen. Sie leuch­te­ten, feu­er­rot und blau, je nach Höhe oder Tie­fe ihres Gesangs. Sobald ich mich näher­te, um eines der Wesen zu ergrei­fen, schos­sen sie senk­recht in die Luft, ganz so als wür­den sie über prall gefüll­te Druck­luft­bäu­che fürs flüch­ten­de Rei­sen gebie­ten. Dann wur­de ich wach. Es war Abend gewor­den. Sams­tag. Ein Orkan näher­te sich von Wes­ten, knis­tern­de Fens­ter, Frö­sche schweb­ten sum­mend vor den Fens­tern. Zwei Stun­den lang dach­te ich über die Erfin­dung dienst­ba­rer Käfer nach, Gat­tung, die Stil­le zu erzeu­gen ver­mag, wann immer gewünscht. Ich stell­te mir vor, wie sie sich rück­wärts über mei­ne Wan­gen hin zu mei­nen Ohren bewe­gen, wie sie ihre küh­len Lei­ber in mei­ne Gehör­gän­ge ver­sen­ken, wie sie sich deh­nen und stre­cken, sanft, sanft, bis sie nahe­zu ver­schwun­den sein wer­den. Zwei Füh­ler noch, ein Paar kleins­ter Augen links, ein Paar kleins­ter Augen rechts, Doch­te, nein, Dioden­lich­ter. Ich hör­te nichts. — stop

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Edna St. Vincent Millay

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sier­ra : 20.08 — Wie im Kurz­schlaf die Welt neu geord­net wird. Alle Geschich­ten erzäh­len sich, als hät­ten sie sich über die küh­le Hand einer Nacht gefal­tet. Jede begin­nen­de Stun­de, eine Stun­de vor unbe­kann­ter Land­schaft. — Nach­mit­tags dann begeg­net mir im Park wie­der ein­mal ein zen­tra­ler Satz des por­tu­gie­si­schen Erzäh­lers Antó­nio Lobo Antu­nes. Er sag­te, um ein Buch zu schrei­ben, müs­se man etwas ris­kie­ren. Ein Schrift­stel­ler, der nichts wage, sei unauf­rich­tig. Ich spa­zier­te und über­leg­te, was genau zu unter­neh­men ist, damit mein Schrei­ben so gefähr­lich wer­den könn­te, dass ich von einem Wag­nis spre­chen dürf­te. — Abend jetzt. Küh­le Luft. Vor weni­gen Minu­ten die Stim­me der Dich­te­rin Edna St. Vin­cent Mil­lay. Sie liest ihr Poem RECUERDO. We were very tired, we were very mer­ry, We had gone back and forth all night on the fer­ry. Das fei­ne Doku­ment auf­ge­ho­ben. Oder zu mir geholt. stop. Wie auch immer. — stop

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staten island ferry : prozession

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nord­pol : 5.55 – Eine Geschich­te ist zu erzäh­len an die­sem Mor­gen küh­ler Luft kurz vor Sep­tem­ber. Die­se Geschich­te ereig­ne­te sich bereits vor­ges­tern, nachts, bei mir zu Hau­se, weil ich mich nicht ent­schei­den konn­te, was ich unter vie­len Din­gen, die zu tun gewe­sen waren, zunächst erle­di­gen soll­te, also mach­te ich alles zur glei­chen Zeit. Ich hat­te eine Enten­brust zu Mor­cheln und Pflau­men gelegt. Außer­dem hat­te ich mir vor­ge­nom­men, ein wei­te­res ana­to­mi­sches Ton­band abzu­hö­ren, eine jugend­li­che Stim­me berich­te­te vom Dach des Kühl­schran­kes aus lei­se vor sich, wäh­rend ich kochend Fern­seh­bil­der eines Hur­ri­kans beob­ach­te­te, der sich auf die Stadt New York zube­weg­te. > Wenn ich von mei­nen Wochen im Prä­pa­rier­saal spre­che, dann spre­che ich ger­ne von mei­ner Traum­zeit. stop > Zu die­sem Zeit­punkt, das ist fest­zu­hal­ten, war ich nicht ganz bei der Sache gewe­sen, nicht wirk­lich in der Nähe der Gedan­ken, die ein jun­ger Mann für mich aus­ge­spro­chen hat­te, ande­rer­seits auch nicht aus­rei­chend kon­zen­triert auf das Gesche­hen jen­seits des Atlan­ti­schen Oze­ans. Ein­mal stell­te ich den Ton des Fern­seh­ge­rä­tes lau­ter, wen­de­te die Brust des Vogels in der Pfan­ne und hör­te genau in die­sem Moment, der Schiffs­ver­kehr um Man­hat­tan her­um sei ein­ge­stellt, das war kurz nach Mit­ter­nacht euro­päi­scher Zeit gewe­sen. Ich mein­te außer­dem gehört zu haben, man sei gera­de damit beschäf­tigt, die Fäh­ren der Sta­ten Island Ver­bin­dung den Hud­son River hin­auf, in eine siche­re Umge­bung zu trans­fe­rie­ren. Ein fei­nes Bild, das sich vor mei­nen Augen sofort ent­wi­ckel­te. Acht oran­ge­far­be­ne Schif­fe in einer Rei­he hin­ter­ein­an­der auf dem gro­ßen Fluss, Schif­fe, die sich gewöhn­li­cher­wei­se pen­delnd anein­an­der vor­bei­be­we­gen. Ich stürm­te aus der Küche, in der Hoff­nung auf dem Fern­seh­schirm ein Bild zu sehen, das dem gera­de eben noch in mei­nem Kopf ent­wor­fe­nen Bild ähn­lich gewe­sen sein könn­te. Anstatt einer Fähr­ge­schich­te, war nun jedoch vom Regen die Rede, von den Win­den des Hur­ri­kans, die über den feuch­ten Strand nahe der Stadt Oce­an Pines feg­ten. Ein Repor­ter, der tropf­te, ver­harr­te tap­fer, Füße im Was­ser, vor einer Fern­seh­ka­me­ra, die in grö­ße­rer Ent­fer­nung, dem­zu­fol­ge sicher, mon­tiert gewe­sen war. Er hielt ein Mikro­fon in der Hand, das merk­wür­dig fau­chen­de Geräu­sche erzeug­te. Möwen, spit­ze gel­be Schnä­bel in den Sturm gerich­tet, ver­harr­ten in sei­ner Nähe, sie mach­ten einen zufrie­de­nen Ein­druck, authen­ti­sche Tie­re, wäh­rend ich, wei­ter­hin die Pro­zes­si­on der Fähr­schif­fe im Kopf, zurück in die Küche spa­zier­te. Ein selt­sa­mes Gefühl von Nicht­wirk­lich­keit in der Nähe mei­ner Feu­er­stel­le, ein gro­ßes Durch­ein­an­der, das ich zu sor­tie­ren ver­such­te, in dem ich bis in den frü­hen Mor­gen des Sonn­tags hin­ein, auf allen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Kanä­len ver­geb­lich Bewei­se dafür zu fin­den such­te, dass Fähr­schif­fe der Sta­ten Island Ver­bin­dung sich tat­säch­lich an die­sem spä­ten Sams­tag­abend, als ich mich nicht ent­schei­den konn­te, auf dem Hud­son River strom­auf­wärts beweg­ten. — stop. — Ende der Geschich­te. — stop

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PRÄPARIERSAAL : nachtarbeit

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tan­go : 23.15 — Im Regen mit Ton­band­ge­rät unter dem Schirm am See. Sams­tag. August­kas­ta­ni­en fal­len aus den Bäu­men. Auf den Häup­tern der Rot­wan­gen­schild­krö­ten, die sich zu mei­nen Füßen arg­los ver­sam­meln, als lausch­ten sie wie ich Magnet­kopf­stim­men, feuch­te Häub­chen von Ahorn­sa­men. Kaum ein Mensch unter­wegs. Ich dach­te für einen Moment, weiß nicht wie das gekom­men ist, dass ich an die­sem Ort ohne Zeu­gen sofort den Ver­such unter­neh­men könn­te, eine der Schild­krö­ten an ihrem Hals zu packen, sie aus dem Was­ser zu heben, um sie zu Hau­se in der Küche mit einem Mei­ßel zu öff­nen. Auf Por­zel­lan gebet­tet kurz dar­auf ein Rep­ti­li­en­häuf­chen, rosa­far­ben, feins­te Strei­fen Schild­krö­ten­bau­ches, des­sen eigent­li­che Gestalt ich mir hin­ter Pan­zer­häu­ten lie­gend zur­zeit nicht vor­stel­len kann. — 22 Uhr 58. Jani­ne erzählt: > Ich kann mich noch gut dar­an erin­nern, dass ich nachts auf­wach­te und den haar­lo­sen Kopf mei­nes Freun­des vor mir gese­hen habe. Ich erschrak fürch­ter­lich. Ich saß ein paar Minu­ten senk­recht im Bett, dann bin ich auf­ge­stan­den. Wir haben eine sehr schö­ne Küche. Ich habe von Zeit zu Zeit in der Küche kam­piert. Ich habe dort gelernt und manch­mal bin ich mit dem Kopf auf dem Ana­to­mie­at­las ein­ge­schla­fen. Merk­wür­dig, über wie viel Kraft ich doch ver­fü­ge. Ich war beim Tan­zen, zwei­mal wan­dern in den Ber­gen, ich habe gepaukt und ich habe mit dem Skal­pell gear­bei­tet. Ich habe vor­mit­tags und mit­tags und Abend für Abend in der Biblio­thek gele­sen. Und wenn ich nachts in der Küche ein­ge­schla­fen bin, dann waren da plötz­lich sehr schar­fe Bil­der in mei­nem Kopf. Auf­blit­zen­de Foto­gra­fien, die über­fall­ar­tig Angst erzeug­ten. Der geöff­ne­te Mund eines Toten. San­di­ge Zun­gen. Ein hoch auf­ra­gen­der, dun­kel­ro­ter Penis. Das zer­teil­te und gehäu­te­te Gesicht einer alten Frau. Das war nicht geträumt, ich habe die­se Bil­der bei vol­lem Bewusst­sein vor mir gese­hen. Jetzt kom­men sie mich sel­te­ner besu­chen. — stop

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katzenbojen

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echo : 22.58 — Eine Stadt der Was­ser­men­schen. Es ist Abend. Som­mer. Vor dem zen­tra­len Bahn­hof ste­hen tau­sen­de Bür­ger plau­dernd, rau­chend, scher­zend bis zu den Häl­sen in den Flu­ten. Was­ser weit­ver­brei­tet. In Kaf­fee­häu­sern, Woh­nun­gen, Büro­ge­bäu­den. Die Kör­per der Men­schen sind leicht gewor­den, Kör­per, die sich zu stre­cken schei­nen. Auch schwim­men­de Tau­ben. Und Kat­zen wie Bojen auf dem Was­ser trei­bend, lau­ernd. — Ob es viel­leicht ein­mal sinn­voll sein könn­te, Men­schen der­art zu imp­fen, dass sich ihre Haut unver­züg­lich in die Haut der Regen­bo­gen­fo­rel­len ver­wan­del­te? — stop
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tiefenschatten

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char­lie

~ : oe som
to : louis
sub­ject : SCHATTEN
date : aug 18 11 5.12 p.m.

Seit zwei Tagen bereits kei­ne Nach­richt aus der Tie­fe. Wir hören Noes Atem, wir ver­zeich­nen das Gewicht sei­nes Tau­cher­an­zu­ges an der Win­de des Schif­fes. Noe ist noch bei uns, aber kein Wort zu hören von Noe. Weder ant­wor­tet er auf Fra­gen noch folgt er unse­rem Wunsch, er möge doch wei­ter lesen in Tony Mor­ri­sons Roman Jazz. Wir hat­ten das Buch am ver­gan­ge­nen Mon­tag zu ihm in die Tie­fe geschickt. Noe las noch an dem­sel­ben Abend drei Stun­den, dann war er ein­ge­schla­fen. Seit­her schweigt Noe, wes­halb Mil­ler sich vor Stun­den­zeit zur Inspek­ti­on auf den Weg nach unten begab. 2 Fuß in der Minu­te, schnel­ler geht das nicht, schnel­ler wür­de Mil­ler das Leben kos­ten, wir müs­sen uns gedul­den. Fünf Stun­den noch, dann wird Mil­ler Noe errei­chen, eine span­nen­de Situa­ti­on, viel­leicht wird auch Mil­ler dann schwei­gen, das ist denk­bar, eine beun­ru­hi­gen­de Vor­stel­lung wie unse­re bei­den Tief­see­män­ner schwei­gend in der Düs­ter­nis schwe­ben, wie sie sich viel­leicht unter­hal­ten wer­den in der Zei­chen­spra­che der Tau­cher. — Habe ich Dir, lie­ber Lou­is, berich­tet, dass es vor weni­gen Tagen schnei­te? Noch nie habe ich Schnee auf offe­ner See beob­ach­tet. See­mö­wen jagen dicht über die Was­ser­ober­flä­che hin. Es sieht so aus, als wür­den sie Flo­cken fan­gen, mäch­ti­ge Tie­re, gel­be Schnä­bel, hell­brau­ne Flü­gel. Sie wir­ken in etwa ver­klei­det, Möwen­vö­gel, die sich in Kos­tü­men jun­ger Habich­te bewe­gen, ihre schril­len Rufe, ein wei­te­res Dut­zend sitzt auf unse­rem Funk­turm, Eis­zap­fen haben sich gebil­det, Wol­ken kom­men näher, berüh­ren das Was­ser. Mil­ler ist in die­sem Moment auf fünf­hun­dert Fuß Tie­fe ange­kom­men. Unter ihm, mel­det Mil­ler, sei in der Dun­kel­heit Noe zu erken­nen, das Licht sei­ner Lam­pen. Ein gewal­ti­ger Kör­per­schat­ten soll vor ihm zu sehen sein. Ich mel­de mich bald wie­der. Dein OE

gesen­det am
18.08.2011
1796 zeichen

oe som to louis »

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PRÄPARIERSAAL : skalpell

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romeo : 3.05 — Ich habe das Fau­chen eines Schwans gehört. Zunächst war ich mir nicht sicher gewe­sen, ob ich mich nicht viel­leicht geirrt haben könn­te, ein Nach­ge­räusch, dach­te ich, ein Schat­ten in den Ohren, wie in den Augen Nach­bil­der ent­ste­hen, weil ich am Abend wirk­li­chen, fau­chen­den Schwä­nen im Pal­men­gar­ten begeg­net war. Also spul­te ich das Band zurück und hör­te noch ein­mal genau­er hin, und da war das luf­ti­ge Geräusch tat­säch­lich wie­der zu hören gewe­sen, in einer Atem­pau­se Emi­lys, deren Stim­me ich im Nym­phen­bur­ger Schloss­park auf­ge­zeich­net hat­te. Sie woll­te Spa­zie­ren­ge­hen. Sie hat­te gesagt, sie kön­ne sich bes­ser kon­zen­trie­ren in Bewe­gung, vor allem bes­ser schwei­gen, nach­den­ken im Gehen. Win­ter­zeit, Schnee lag hoch bis zu den Knien und die Schwä­ne fauch­ten hung­rig. Emi­ly nun, so wie sie gespro­chen hat­te, ohne Pau­sen an die­ser Stel­le, weil ich ihr Schwei­gen in den Zei­chen ent­fern­te: > Bevor ich erzäh­le, wie ich die Öff­nung des Kör­pers erlebt habe, möch­te ich erwäh­nen, dass die­ser ers­te Tag und auch der zwei­te Tag für mich nur schwer zu ertra­gen gewe­sen sind. Ich war beein­druckt von der gro­ßen Zahl der Tische, die in den Apsi­den stan­den. Ganz ehr­lich, ich war ein­ge­schüch­tert. Ich fühl­te mich unsi­cher und unbe­deu­tend und ich glau­be, vie­le ande­re haben sich selbst auch so wahr­ge­nom­men. Man will das natür­lich nicht zei­gen. Man wünscht sich, sou­ve­rän zu sein. Aber ich muss­te mich über­win­den, den Kör­per über­haupt nur zu berüh­ren. Da war ein Wider­stand in mir, dem ich bis heu­te noch nach­spü­ren kann Ich habe meh­re­re Ver­su­che unter­nom­men und hat­te plötz­lich gro­ße Angst, dass ich das über­haupt nie­mals könn­te. Aber mei­ne Freun­de am Tisch waren sehr ver­ständ­nis­voll. Sie haben mich nicht gedrängt und auch unser Tischas­sis­tent nicht. Er sag­te, dass das ganz nor­mal sei und dass ich mich beru­hi­gen sol­le und ganz ruhig atmen. Ich hat­te eine irgend­wie ver­zerr­te Wahr­neh­mung, alles war so laut um mich her­um und ich bekam schlecht Luft. Ich bin dann erst ein­mal aus dem Saal geflüch­tet. Eine Freun­din hat mich beglei­tet und wir sind auf dem Flur hin- und her­ge­lau­fen. Und dann woll­te sie zurück und ich folg­te. Ich erin­ne­re mich an den grü­nen Kit­tel unse­res Assis­ten­ten. Er beug­te sich gera­de über den Kör­per des Toten und zog das Skal­pell vom Kinn in Rich­tung des Nabels. Ich wun­der­te mich, dass man gar nichts hören konn­te. Ver­ste­hen Sie, ich kann mir heu­te noch nicht erklä­ren, war­um ich ein Geräusch erwar­tet habe. Man konn­te auch kei­ne Spu­ren eines Schnit­tes erken­nen. Dann ist etwas Merk­wür­di­ges mit mir gesche­hen. Ich habe mei­ne Posi­ti­on am Tisch wie­der ein­ge­nom­men, das heißt, ich habe mich wie­der zu mei­ner Grup­pe gestellt. Ich habe mei­ne Hand­schu­he ange­zo­gen, mein Skal­pell aus­ge­packt und mei­ne Pin­zet­te und dann habe ich ange­fan­gen zu arbei­ten. Ich will das so sagen, ich habe den Kör­per auf dem Tisch zunächst mit dem Skal­pell berührt und dann mit mei­nen Hän­den. Ich war sehr glück­lich gewe­sen, dass ich mich über­win­den konn­te. Immer wie­der ist aber das Gefühl einer gewis­sen Unwirk­lich­keit zurück­ge­kehrt, der Ein­druck an die­sem Ort deplat­ziert zu sein, fremd oder so etwas. Sobald ich dann etwas getan habe, wenn ich gear­bei­tet habe, wenn ich also prä­pa­riert habe, ging das gut mit mir. Ich glau­be, ich war eine von jenen, die stets tief über das Prä­pa­rat gebeugt waren, ich bin sehr schnell in den Saal zum Tisch gelau­fen, und wenn ich fer­tig war, habe ich den Saal so rasch wie mög­lich wie­der verlassen.



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