Aus der Wörtersammlung: eiche

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ai : LAOS

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MENSCH IN GEFAHR: “Auch ein Jahr nach der Ver­schlep­pung von Som­bath Som­pho­ne haben die lao­ti­schen Behör­den immer noch kei­ne umfas­sen­den Ermitt­lun­gen ein­ge­lei­tet, um sein Schick­sal auf­zu­klä­ren. Des­halb besteht Anlass zu gro­ßer Sor­ge um den 62-Jäh­ri­gen. Der zivil­ge­sell­schaft­lich enga­gier­te Akti­vist wur­de vor knapp einem Jahr an einem Kon­troll­punkt der Poli­zei in Vien­ti­a­ne, der Haupt­stadt von Laos, ent­führt. Auf­grund einer chro­ni­schen Erkran­kung ist Som­bath Som­pho­ne auf die täg­li­che Ein­nah­me von Medi­ka­men­ten ange­wie­sen. / Som­bath Som­pho­ne wur­de am Abend des 15. Dezem­ber 2012 an einem Kon­troll­punkt der Poli­zei in Vien­ti­a­ne in Anwe­sen­heit von Sicher­heits­per­so­nal in einem Last­wa­gen ver­schleppt. Seit­her ist gut ein Jahr ver­gan­gen, und bis­lang fehlt von ihm jede Spur. Der bevor­ste­hen­de Jah­res­tag des “Ver­schwin­dens” von Som­bath Som­pho­ne und der Man­gel an umfas­sen­den und unpar­tei­ischen Unter­su­chun­gen in sei­nem Fall geben Anlass zur Sor­ge um das Schick­sal und Wohl­erge­hen des Akti­vis­ten. /Die Ver­schlep­pung von Som­bath Som­pho­ne wur­de mit einer Ver­kehrs­ka­me­ra auf­ge­zeich­net. Sei­ner Fami­lie war es gelun­gen, das Video­ma­te­ri­al zu kopie­ren. Die lao­ti­schen Behör­den behaup­ten, auf den Auf­nah­men sei­en nicht die Kenn­zei­chen der Fahr­zeu­ge zu sehen, mit denen Som­bath Som­pho­ne ver­schleppt wur­de. Die USA, die Euro­päi­sche Uni­on, Mit­glie­der des Ver­bands Süd­ost­asia­ti­scher Natio­nen (ASEAN) sowie die UN-Hoch­kom­mis­sa­rin für Men­schen­rech­te haben die lao­ti­schen Behör­den wie­der­holt dazu auf­ge­for­dert, die Ver­schlep­pung von Som­bath Som­pho­ne drin­gend zu unter­su­chen. Den­noch schei­nen die bis­lang unzu­rei­chen­den Ermitt­lun­gen still­zu­ste­hen. Tech­ni­sche Unter­stüt­zung bei der Aus­wer­tung des Video­ma­te­ri­als haben die Behör­den abge­lehnt. Drei par­la­men­ta­ri­sche Dele­ga­tio­nen, die nach Laos fuh­ren, um den Fall direkt bei den Behör­den vor­zu­brin­gen, sehen kei­ner­lei Anzei­chen dafür, dass die Behör­den bei den Ermitt­lun­gen Fort­schrit­te machen oder dass ech­te Anstren­gun­gen unter­nom­men wer­den, Som­bath Som­pho­ne zu fin­den und mit sei­ner Fami­lie zu ver­ei­nen. Offen­sicht­lich fehlt es an der ernst­haf­ten Absicht, das Schick­sal von Som­bath Som­pho­ne auf­zu­klä­ren. Dies legt nahe, dass die Behör­den ver­su­chen, sei­ne Ver­schlep­pung zu ver­schlei­ern. / Som­bath Som­pho­ne grün­de­te im Jah­re 1996 das Trai­nings­cen­ter für mit­be­stimm­te Ent­wick­lung (Par­ti­ci­pa­to­ry Deve­lo­p­ment Trai­ning Cent­re) zur För­de­rung von Bil­dung, Füh­rungs­qua­li­tä­ten und nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung in Laos. 2005 wur­de er mit dem Ramon Mags­ay­say-Preis (Ramon Mags­ay­say Award for Com­mu­ni­ty Lea­der­ship) aus­ge­zeich­net. Er gehör­te zu den Orga­ni­sa­to­ren des Asia-Euro­pe People’s‑Forums, das im Okto­ber 2012 in Vien­ti­a­ne statt­fand. Letz­te­res ist mög­li­cher­wei­se ein Grund für sei­ne Ver­schlep­pung.” — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 22. Janu­ar 2014 hin­aus, unter »> ai : urgent action

ping

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schlafen in turku

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hima­la­ya : 2.32 — Viel­leicht wer­den Sie sich erin­nern. Vom Schla­fen habe ich bereits im Jahr 2008 notiert, und zwar im Monat Novem­ber. Vor weni­gen Minu­ten, als ich nach schwe­ben­den Bal­lo­nen über der Stadt Tur­ku such­te, habe ich einen ent­spre­chen­den Text unter dem Titel „Schla­fen in Tur­ku“ in den Ver­zeich­nis­sen der Goog­le-Such­ma­schi­ne wie­der­ent­deckt. Der Text ist mir noch immer nah, wes­halb ich ihn mit­ge­nom­men und an die­sem Zeit­ort ein­ge­fügt habe. Ich stel­le nun zum zwei­ten Mal die Fra­ge: Ist Ihnen viel­leicht bekannt, dass Wale, Pott­wa­le genau­er, wenn sie schla­fen, Kopf nach oben im Was­ser schwe­ben? Lang­sam sin­ken­de Tür­me, lei­se sin­gend, lei­se knat­ternd, fried­vol­le Ver­samm­lun­gen, die mit dem Golf­strom trei­ben. Wenn Sie ein­mal wach lie­gen soll­ten, wenn Sie nicht schla­fen kön­nen, weil Sor­gen Sie bedrän­gen oder ande­re schmerz­vol­le Gedan­ken, wird es hilf­reich sein, eine Tauch­fahrt zu unter­neh­men im Kopf durchs Bild der träu­men­den Wale. Oder Sie rei­sen an die Ost­see, neh­men die nächs­te Fäh­re nach Tur­ku. Sie wer­den dann schon sehen. Bal­lo­ne, zum Bei­spiel, Bal­lo­ne wer­den Sie sehen am Hori­zont, Bal­lo­ne am dämm­ri­gen Him­mel, dort müs­sen Sie hin. Alles ist gut zu Fuß zu errei­chen, eine Stun­de oder zwei, nicht län­ger, je nach Gepäck. Man wird Sie schon erwar­ten, man wird Sie freund­lich begrü­ßen, man wird Sie fra­gen, wie lan­ge Zeit Sie zu schla­fen wün­schen, wel­cher Art die Din­ge sind, die Sie zu ver­ges­sen haben, die Sie beschwe­ren. Man wird Ihren Blick zum Him­mel len­ken und Sie wer­den erken­nen, dass unter den Bal­lo­nen Men­schen schwe­ben, auf­recht und reg­los, in Dau­nen­män­tel gehüllt, von einem leich­ten Wind hin und her geschau­kelt, hun­der­te, ja tau­sen­de Men­schen. — Stil­le herrscht. — Nur das Fau­chen der Feu­er­ma­schi­nen von Zeit zu Zeit. - Drei Uhr drei­und­drei­ßig auf dem Mai­dan zu Kyjiw. — stop

polaroidkiemenana

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schirmqualle

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oli­mam­bo

~ : oe som
to : louis
sub­ject : SCHIRMQUALLE
date : dez 06 13 6.22 p.m.

Ges­tern ist Mar­len zu ihrer zwei­ten Exkur­si­on in die Tie­fe zu Noe auf­ge­bro­chen. Seit sie von ihrem ers­ten Besuch zurück­ge­kehrt war, hat­te sie nicht viel mit uns gespro­chen. Sie erzähl­te ledig­lich, dass sie sich wäh­rend der ers­ten Stun­den ihres Auf­ent­hal­tes unter der Was­ser­ober­flä­che in ihrem Tau­cher­an­zug vor allem dar­auf kon­zen­triert habe, sich mög­lichst nicht zu bewe­gen. Immer dann, wenn sie sich beweg­te, sei die Enge ihres Habi­tats deut­lich spür­bar gewor­den, sie habe dann unter Atem­not gelit­ten. Solan­ge sie sich jedoch kaum beweg­te, sei alles gut gewe­sen. Noe habe kei­ne Notiz von ihr genom­men. Sie habe sei­ne Augen bes­tens erkannt hin­ter der Schei­be sei­nes Hel­mes, aber er selbst habe nicht ein­mal ver­sucht, ihre, Mar­lens Augen, auf­zu­su­chen. Es sei ihr unheim­lich gewe­sen, ent­we­der sei Noe sehr dis­zi­pli­niert oder längst ver­rückt gewor­den. Natür­lich habe sie geschla­fen, selbst­ver­ständ­lich habe sie wäh­rend des Schla­fens ihre Augen geschlos­sen, und natür­lich kön­ne sie nicht aus­schlie­ßen, dass Noe ihr in die­ser Zeit nicht doch etwas Auf­merk­sam­keit gewid­met haben könn­te. In den lan­gen Stun­den ihres Besu­ches habe er ohne Unter­bre­chung vor­ge­le­sen. Er habe das Buch indes­sen mit sei­nen eiser­nen Hand­schu­hen fest­ge­hal­ten. Fische waren nicht in ihre Nähe gekom­men, wes­halb sie Fische nicht beschrei­ben kön­ne, aber eine blau leuch­ten­de Schirm­qual­le. Sie habe das Seil, an dem Noe befes­tigt ist, genau­er betrach­tet, es sei doch sehr dünn, auch Noe’s Atem­ver­sor­gung wir­ke höchst zer­brech­lich. Natür­lich habe sie nicht unmit­tel­bar ver­stan­den, wel­che Wör­ter und Sät­ze Noe for­mu­lier­te, obwohl sie ihm sehr nah gekom­men war. Sie habe jedoch Noe’s Stim­me mit­tel­bar über den Funk des Schif­fes gehört, eine Stim­me, wie aus einer gro­ßen Ent­fer­nung. – Wei­ter­hin Schnee­fall und hef­ti­ger Wind. Es wird früh dun­kel und spät wie­der hell. Bob ist see­krank. Ich mel­de mich wie­der. Ahoi. Dein OE SOM

gesen­det am
6.12.2013
1878 zeichen

oe som to louis »

ping

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bristolhotel

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alpha : 2.26 — Fol­gen­de Per­son, ein Mann, könn­te rei­ne Erfin­dung sein. Der Mann war mir wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges auf­ge­fal­len, das heißt, ich hat­te einen Ein­fall oder eine Idee, oder ich mach­te viel­leicht eine Ent­de­ckung. Ich könn­te von die­ser Per­son, die sich nicht weh­ren kann, behaup­ten, dass sie nicht ganz bei Ver­stand sein wird, weil sie seit lan­ger Zeit in einem Hotel­zim­mer lebt, wel­ches sie nie­mals ver­lässt. Das Hotel, in dem sich die­ses Zim­mer befin­det, erreicht man vom Flug­ha­fen der nor­we­gi­schen Stadt Ber­gen aus in 25 Minu­ten, sofern man sich ein Taxi leis­ten kann. Es ist das Bris­tol, unweit des Natio­nal­thea­ters gele­gen, dort, im drit­ten Stock, ein klei­nes Zim­mer, der Boden hell, sodass man mei­nen möch­te, man spa­zier­te auf Wal­kno­chen her­um. Nun aber zu dem Mann, von dem ich eigent­lich erzäh­len will. Es han­delt sich um einen wohl­ha­ben­den Mann im Alter von fünf­zig Jah­ren. Er ist 176 cm groß, gepflegt, kaum Haa­re auf dem Kopf, wiegt 73 Kilo­gramm, und trägt eine Bril­le. Sie­ben wei­ße Hem­den gehö­ren zu ihm, Strümp­fe, Unter­wä­sche, dun­kel­brau­ne Schu­he mit wei­chen Soh­len, ein hell­grau­er Anzug und ein Kof­fer, der unter dem Bett ver­wahrt wird. Auf einem Tisch nahe einem Fens­ter, zwei Hand­com­pu­ter. In den Anschluss des einen Com­pu­ters wur­de ein USB-Spei­cher­me­di­um ein­ge­führt. Auf dem Bild­schirm sind Ver­zeich­nis­se und Datei­na­men zu erken­nen, die sich auf jenem Spei­cher­me­di­um befin­den. Auf dem Bild­schirm des zwei­ten Com­pu­ters ein ähn­li­ches Bild, Ver­zeich­nis­se, Datei­na­men, Zeit­an­ga­ben, Grö­ßen­ord­nun­gen. Was wir sehen, sind Com­pu­ter des Man­nes, der Mann arbei­tet in Ber­gen im Bris­tol im Zim­mer auf dem Kno­chen­bo­den. Er sitzt vor den Bild­schir­men und öff­net Datei­en, um sie zu ver­glei­chen, Tex­te im Block­satz. Zei­le um Zei­le wan­dert der Mann mit­hil­fe einer Blei­stift­spit­ze durch das Gebiet der Wor­te, die ich nicht lesen kann, weil sie in einer Spra­che notiert wur­den, die mir unbe­kannt. Es scheint eine ver­schlüs­sel­te Spra­che zu sein, wes­halb der Mann dazu gezwun­gen ist, jedes Zei­chen für sich zu über­prü­fen. Fünf Stun­den Arbeit am Vor­mit­tag, fünf Stun­den Arbeit am Nach­mit­tag, und wei­te­re fünf Stun­den am Abend bis in die Nacht. Der Mann trinkt Tafel­was­ser, raucht nicht, und isst gern Fisch, Dorsch, See­teu­fel, Stein­butt. 277275 Datei­en sind zu über­prü­fen, 12.532.365 Sei­ten. Er scheint noch nicht sehr weit gekom­men zu sein. Die Vor­hän­ge der Fens­ter sind zuge­zo­gen, es ist ohne­hin gera­de eine Zeit ohne Licht. Ein Mäd­chen, das ihm manch­mal sei­nen Fisch ser­viert, macht ihm schö­ne Augen. Mor­gens sind die Hör­ner der Schif­fe zu ver­neh­men, die den Hafen der Stadt ver­las­sen. Es ist der 1. Dezem­ber 2013. — stop
polaroidhumming

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rooseveltblüte

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sier­ra

~ : malcolm
to : louis
sub­ject : ROOSEVELTBLÜTE
date : nov 22 13 8.15 p.m.

Am 22. Novem­ber berich­tet die New York Times über Eich­hörn­chen Fran­kie, das seit Wochen auf dem Hur­ri­ka­ne Deck der Sta­ten Island Fäh­re John F. Ken­ne­dy lebt. Wir konn­ten das nicht auf­hal­ten. Weder den Bericht selbst, noch eine Foto­gra­fie, die das Eich­hörn­chen zeigt, wie es auf einer Sitz­bank nach einem Fin­ger greift. Fran­kie scheint sich auf dem Schiff wohl­zu­füh­len. Viel­leicht ist es die Wär­me, viel­leicht sind es die Bewe­gun­gen der Fäh­re auf dem Meer, die ihm gefal­len. Natür­lich ist er längst zur Attrak­ti­on gewor­den, zum Stadt­ge­spräch, wird foto­gra­fiert und mit fri­schen Erd­nüs­sen ver­sorgt. Seit eini­gen Tagen nimmt Fran­kie gleich­wohl Bana­nen zu sich, zutrau­lich wagt er sich nah an die Pas­sa­gie­re der Fäh­re her­an, greift mit sei­nen Hän­den nach den Früch­ten, ver­mag sie zu öff­nen, duckt sich, has­tet mit sei­ner Beu­te je unter eine der Sitz­bän­ke, wes­halb zahl­rei­che Pas­sa­gie­re nie­der­knien, um Fran­kie nicht aus den Augen zu ver­lie­ren. Ges­tern beob­ach­te­ten wir, wie ein Mäd­chen Fran­kie berüh­ren durf­te. Er zit­ter­te leicht, als das Kind mit einer Hand über sei­nen Rücken fuhr. Das Mäd­chen bemerk­te Fran­kies Sen­der, der dicht unter sei­ner Haut ver­bor­gen liegt, rasch zog es sei­ne Hand zurück. Es ist beun­ru­hi­gend, welch gro­ße Auf­merk­sam­keit Fran­kie genießt. Wir haben den Ein­druck, man­che der Pas­sa­gie­re fah­ren nur des­halb mit der Fäh­re, um Fran­kie besich­ti­gen zu kön­nen. Kaum noch kom­men wir an ihn her­an, ohne selbst foto­gra­fiert zu wer­den. Heu­te ist es sehr win­dig. Brook­lyn und New Jer­sey lie­gen im Nebel. Man könn­te glau­ben, dass wir uns auf hoher See befin­den. Die Schei­ben des Schif­fes schep­pern. Was­ser peitscht über die Vor­decks der Fäh­re. Men­schen mit Foto­ap­pa­ra­ten ste­hen im Wind und suchen nach Man­hat­tan. Etwas see­krank sen­de ich aller­bes­te Grü­ße aus New York – Mal­colm / code­wort : rooseveltblüte

emp­fan­gen am
23.11.2013
1855 zeichen

mal­colm to louis »

polaroidbadende

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landungsbrücken

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gink­go : 6.55 — M. ist ver­schwun­den. Freun­de suchen nach ihm. Sie rufen bei mir an und fra­gen, ob er viel­leicht bei mir unter­ge­kom­men sein könn­te. Ich habe M. seit zwei Jah­ren weder gese­hen noch von ihm gehört. Dass er unter­ge­taucht sein könn­te, wun­dert mich nicht. Ich erin­ne­re mich gut an ihn. Er hat­te kein Geld, war wirk­lich arm. Ein­mal erwähnt er, er habe seit eini­gen Jah­ren kein ein­zi­ges Buch zu Ende gele­sen. Auch sei er nie­mals in einer Buch­hand­lung gewe­sen. Trotz­dem habe er sehr viel gele­sen. Er mache das so. Er lade sich Lese­pro­ben auf sein Lese­ge­rät aus dem Inter­net. Die­se Pro­ben lese er dann immer wie­der, es gin­ge ihm um den Klang der Spra­che, nicht so sehr um die Geschich­ten selbst. Er suche regel­recht nach Lese­pro­ben, die frei ver­füg­bar sind. Er habe zur­zeit über 6000 ers­te Sei­ten gespei­chert, die sich in sei­nem Kopf wie Lan­dungs­brü­cken ver­hiel­ten. Er spa­zie­re eini­ge Satz­me­ter weit aufs Meer hin­aus, dann gehe es nicht wei­ter, das fes­te Land sei ent­fernt und sehr viel Raum vor­han­den, in wel­chen man sich stür­zen und davon­schwim­men kön­ne. — stop
polaroidversuche

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batavia

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gink­go : 22.16 — Ich bin nahe dar­an, mich an die Exis­tenz der Schne­cke Esme­ral­da zu gewöh­nen, die am 20. Okto­ber in der Gestalt eines Geschenks zu mir gekom­men war. Es ist so, dass ich nun behut­sam durch mei­ne Woh­nung lau­fe, auch nie­mals im Dun­keln, Esme­ral­da könn­te viel­leicht gera­de über den Boden wan­dern. Alle Türen ste­hen offen, manch­mal muss ich län­ge­re Zeit nach der klei­nen Schne­cke suchen. Heu­te Mor­gen saß sie an der Decke mei­nes Arbeits­zim­mers, das war zum ers­ten Mal, ich ent­deck­te sie nach einer Stun­de, ich hat­te sogar hin­ter den Kühl­schrank geschaut, einen Tisch, drei Lam­pen, Stüh­le und zwei Kom­mo­den ver­rückt. Eine Schne­cke, mit einem Schne­cken­haus auf dem Rücken, erscheint als äußerst zer­brech­li­ches Wesen, gera­de dann, wenn sie über einem Abgrund wan­delt. Eine hal­be Stun­de beglei­te­te ich Esme­ral­da auf ihrem Weg von Ost nach West. Ich hör­te, wie ich mit ihr sprach. Esme­ral­da, sag­te ich, Esme­ral­da! Hielt indes­sen einen Hut in der Hand, um Esme­ral­da im Not­fall auf­fan­gen zu kön­nen. Gegen den Abend zu, sie hat­te eine Wei­le in einem Meter Höhe an der Wand neben mei­nen Büchern aus­ge­ruht, erreich­te sie den Boden, kroch von West nach Ost quer durch mein Zim­mer, um an der gegen­über­lie­gen­den Wand wie­der zur Decke hin auf­zu­stei­gen. Ich lock­te mit einem Stück­chen Apfel, ver­geb­lich. Ich zog Esme­ral­da an ihrem Häus­chen von der Wand, setz­te sie in der Küche neben einem Blatt Bata­via­sa­la­tes ab, auch das war nicht erfolg­reich gewe­sen. Esme­ral­da wen­de­te unver­züg­lich, klet­ter­te vom Tisch, um am spä­ten Abend genau jenen Ort wie­der zu errei­chen, den sie zuvor ein­ge­nom­men hat­te. Nach wie vor wun­de­re ich mich dar­über, dass Esme­ral­da ihr Gehäu­se wie ein Schmuck­stück auf dem Rücken zu tra­gen pflegt. Ich habe noch nie wahr­ge­nom­men, dass sie sich in ihr Häus­chen zurück­ge­zo­gen hät­te. Ihr Kör­per ist feucht, ihre Stiel­au­gen sin­ken manch­mal zu Boden, das ist der Moment, da sie zu schla­fen scheint. — stop

nach­rich­ten von esmeralda »

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amsterdam

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india : 5.28 — Eine absur­de Geschich­te könn­te in die­sen Tagen ihren Anfang neh­men oder ihren Anfang längst genom­men haben. Sie ist schnell erzählt. Eine E‑Mailbotschaft wird von einer in gehei­mer Wei­se for­schen­den Behör­de abge­fan­gen. Die Bot­schaft ist auf­wen­dig ver­schlüs­selt. Weil man ver­schlüs­sel­te Nach­rich­ten nicht unver­züg­lich dechif­frie­ren kann, wird die Depe­sche in einem rie­si­gen Daten­spei­cher auf­ge­nom­men, das heißt, nicht die Nach­richt selbst, aber eine Kopie die­ser Nach­richt. Unver­züg­lich neh­men Rechen­ma­schi­nen, die rasend schnell zu den­ken in der Lage sind, ihre spe­zi­el­le Arbeit der Ent­schlüs­se­lung auf. Die Nach­richt scheint auf den ers­ten Blick nicht sehr kom­plex zu sein. Ver­mut­lich sind vier oder fünf Sät­ze ent­hal­ten. Genau lässt sich das nicht bestim­men, auch Satz­zei­chen und Leer­räu­me sind ver­schlüs­selt wie die Buch­sta­ben der Nach­richt selbst. 2700 Jah­re ver­ge­hen. Hun­der­te Rechen­ma­schi­nen haben zum Zweck der Deco­die­rung rou­ti­niert gerech­net, Maschi­nen, die von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on schnel­ler und schnel­ler wur­den. An einem Sonn­tag, 4713 nach Chris­ti Geburt, mel­det eines der rech­nen­den Sys­te­me mit­tels zar­ten Glo­cken­ge­räu­sches, die Nach­richt lie­ge nun in ver­ständ­li­cher Fas­sung vor. Uralte Spra­che, nie­der­län­di­sche Spra­che, aber les­bar, das heißt, gleich­wohl über­setz­bar. Jene Nach­richt, die von Jan Ver­meer an San­ne Kes­ten im Novem­ber des Jah­res 2013 gesen­det wur­de, lau­tet so: Mon Ché­rie, kom­me Sams­tag nach Ams­ter­dam. Gleis 8. 22 Uhr 07. Zäh­le die Stun­den. Dein Jan – stop

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manitoba

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del­ta : 2.15 — Vor weni­gen Minu­ten erreicht mich eine E‑Mail. Ein Freund notiert, er habe von der kana­di­schen Fir­ma Metro­melt Inc. vor lan­ger Zeit bereits einen Auf­trag erhal­ten, der sehr anspruchs­voll sei. Es gin­ge dar­um, eine Vor­rich­tung zu kon­stru­ie­ren, die in der Lage sei, Infor­ma­ti­on der Wet­ter­diens­te so zu bear­bei­ten, dass sie mit­tels eines spe­zi­el­len Funk­ge­rä­tes in die Gehir­ne schla­fen­der Mit­ar­bei­ter gesen­det wer­den könn­ten. Die­se Mit­ar­bei­ter sei­en zustän­dig für die Alar­mie­rung zahl­rei­cher Schnee­räum­ko­lon­nen in den Pro­vin­zen Bri­tish Colum­bia sowie Mani­to­ba. Ins­be­son­de­re sei es not­wen­dig, Mess­füh­ler, die der Kon­zern in den betrof­fe­nen Gebie­ten instal­liert habe, aus­zu­le­sen und zu ana­ly­sie­ren, um zu einem defi­nier­ten Zeit­punkt, Träu­me von Schnee in den Schlaf­kam­mern der Ange­stell­ten des Unter­neh­mens zu erzeu­gen, sodass sie, einem Reflex fol­gend, inmit­ten der Nacht unver­züg­lich erwa­chen und zu ihren Tele­fo­nen grei­fen wür­den. Mein Freund berich­te­te, er habe sei­nen Auf­trag­ge­bern ange­bo­ten, ein Sys­tem zu for­mu­lie­ren, das geeig­net sei, im Fal­le von Schnee, Glo­cken­wer­ke in Betrieb zu set­zen, die jeden, der Schnee räu­men­den Ange­stell­ten unmit­tel­bar und recht­zei­tig wecken wür­den. Die­sen sei­nen Vor­schlag habe man abge­lehnt. Nun wüss­te er nicht wei­ter, er tra­ge seit Wochen ein ungu­tes Gefühl mit sich her­um. – Zwei Stun­den nach Mit­ter­nacht. 3° Cel­si­us Außen­tem­pe­ra­tur. Ers­te Gedan­ken. — stop
ping

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PRÄPARIERSAAL : tonspule

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sier­ra : 2.36 — Ton­spu­le 68. Micha­el erzählt: > Ich beob­ach­te, dass ich mei­nen leben­di­gen Kör­per mit dem toten Gewe­be vor mir auf dem Tisch ver­glei­che. Ich lege Ner­ven, Mus­keln und Gefä­ße einer Hand frei, bestau­ne die Fein­heit der Gestal­tung, über­le­ge wie exakt das Zusam­men­spiel die­ser ana­to­mi­schen Struk­tu­ren doch funk­tio­nie­ren muss, damit ein Mensch Kla­vier spie­len, grei­fen, einen ande­ren Men­schen strei­cheln kann, wie umfas­send die Inner­va­ti­on der Haut, um Wär­me, Käl­te, ver­schie­de­ne Ober­flä­chen erfüh­len, ertas­ten zu kön­nen. Immer wie­der pen­delt mein Blick zwi­schen mei­ner leben­di­gen und der toten Hand hin und her. Ich bewe­ge mei­ne Fin­ger, ein­mal schnell, dann wie­der lang­sam, ich schrei­be, ich notie­re, was ich zu ler­nen habe, bis zur nächs­ten Prü­fung am Tisch, und beob­ach­te mich in die­sen Momen­ten des Schrei­bens. Abends tref­fen wir uns in der Biblio­thek hier gleich um die Ecke und ler­nen gemein­sam. Vor allem vor den Testa­ten wer­den die Näch­te lang. Ich kann zum Glück gut schla­fen. Unse­re Assis­ten­tin ist eine jun­ge Ärz­tin, die noch nicht ver­ges­sen hat, wie es für sie selbst gewe­sen war im Saal. Sie ist immer sehr warm und freund­lich zu uns. Aber natür­lich ach­tet sie streng auf die Ein­hal­tung der Regeln, kein Han­dy, kein Kau­gum­mi im Mund, ange­mes­se­ne Klei­dung. Manch­mal ver­sam­melt sie uns und wir pro­ben am Tisch ste­hend das nahen­de Tes­tat, es gibt eigent­lich kaum einen Tag, da wir nicht von ihr befragt wer­den, das erhöht natür­lich unse­re Auf­merk­sam­keit und Kon­zen­tra­ti­on enorm. Ein­mal erzähl­te sie uns eine Geschich­te, die mich sehr berühr­te. Sie sag­te, ihre Mut­ter sei sehr stolz, dass sie eine Ärz­tin gewor­den ist. Sie habe ihr ein­ge­schärft: Was Du gelernt hast, kann Dir nie­mand mehr neh­men. Aber natür­lich, als wir die fei­nen Blut­ge­fä­ße betrach­te­ten, die unser Gehirn mit Sau­er­stoff ver­sor­gen, wur­de mir bewusst, dass wir doch auch zer­brech­lich sind, dass unser Leben sehr plötz­lich zu Ende gehen kann. Der­zeit will ich dar­an aber nicht den­ken. Ich bin froh hier sein zu dür­fen, ich habe lan­ge dar­auf gewar­tet. Manch­mal gehe ich durch den Saal spa­zie­ren. Wenn ich Lun­gen­flü­gel betrach­te, oder Her­zen, oder Kehl­köp­fe, Lage und Ver­lauf ein­zel­ner Struk­tu­ren, dann erken­ne ich, dass im All­ge­mei­nen alles das, was in dem einen Kör­per anzu­tref­fen ist, auch in dem ande­ren ent­deckt wer­den wird, kein Kör­per jedoch ist genau wie der ande­re, damit wer­de ich in Zukunft zu jeder­zeit rech­nen. — stop
polaroidfähre



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