nordpol : 6.33 — Ein Eisbriefbote wartete gestern, es war ein Dienstag, vor meiner Wohnungstüre im 22. Stock. Der Mann trug blaue Turnschuhe der Marke Nike, kurze, helle Hosen und ein weißes Hemd, das viel zu groß gewesen war für seinen schmächtigen Körper. Er schwitzte, weil er die Treppe nehmen musste, da in meinem Haus keinerlei Aufzug existiert, weshalb das Haus nicht sehr beliebt ist bei Gästen und Boten. Meistens biete ich den hart arbeitenden Männern über die Funksprechanlage an, ihnen entgegenzukommen. Ich sage: Treffen wir uns im 11. Stock in 10 Minuten! Gestern aber war ich sehr müde gewesen. Ich trank einen Kaffee, telefonierte mit einer Behörde, und wartete dann still in aller Ruhe, bis der Mann bei mir oben unter dem Dach angekommen war. Es sind diese ersten Blicke, die ich nie vergesse. Der erschöpfte Bote öffnete seine Kühltasche und überreichte mir einen weiteren eisgekühlten weichen Behälter, in welchem sich nun unmittelbar ein Brief von Eis befand, den ich zunächst in meinen Gefrierschrank zu weiteren Eisbriefen und Eisbüchern legte. Kurz darauf setzte ich mich ins Treppenhaus und hörte dem jungen Mann bei seinem Abstieg zu. Er war sehr schnell unterwegs gewesen, er schien zu fliegen, stürzte im fünften oder sechsten Stock, Minuten lang war kein Laut zu hören, dann das Wimmern einer Ambulanz. Da saß ich längst in meiner Küche und las, was mir ein Freund notierte, wie er schrieb, mit großer Freude auf dem vergänglichsten Material, das ihm zur Verfügung stehe: Lieber Louis, dieser Brief ist geheim. Er wird sich auflösen, sobald oder bevor Du ihn gelesen haben wirst. Du musst Dich also beeilen oder den Brief immer wieder einmal in den Kühlschrank zurücklegen oder ihn fotografieren, ehe er geschmolzen sein wird. Sei behutsam, mein Lieber. Lies bitte nicht an Tagen, da es warm ist in Deiner Wohnung unter dem Dach, es könnte sein, dass Du in schwüler Luft nicht schnell genug lesen kannst. Ich vermute, ich habe die Wörter an dieser Stelle bereits vergeblich geschrieben. Dein K. – stop
Aus der Wörtersammlung: lage
lufteis
ulysses : 0.22 — Ob es geheimdienstlichen Analysemaschinen möglich ist, zwischen fiktionalen Texten und nicht fiktionalen Texten zu unterscheiden? — Weiterhin Wärme in den Zimmern. Kaum Fliegen, vielleicht weil es draußen schön kühl ist. Gewitterduft, würzig nach Moos und Fröschen. Ich erinnere mich in diesem Moment vor einigen Jahren einen besonderen Kühlschrank in Empfang genommen zu haben, einen Behälter von enormer Größe. Ich wiederhole, dass dieser Kühlschrank, in welchem ich plane im Sommer wie auch im Winter kostbare Eisbücher zu studieren, eigentlich ein Zimmer für sich darstellt, ein gekühltes Zimmer, das wiederum in einem hölzernen Zimmer sitzt, das sich selbst in einem größeren Stadthaus befindet. Nicht dass ich in der Lage wäre, in meinem Kühlschrankzimmer auf und ab zu gehen, aber es ist groß genug, um einen Stuhl in ihm unterzubringen und eine Lampe und ein kleines Regal, in dem ich je zwei oder drei meiner Eisbücher ausstellen werde. Dort, in nächster Nähe zu Stuhl und Regal, habe ich einen weiteren kleineren, äußerst kalten, einen sehr gut isolierten Kühlschrank aufgestellt, einen Kühlschrank im Kühlschrank sozusagen, der von einem Notstromaggregat mit Energie versorgt werden könnte, damit ich in den Momenten eines Stromausfalles ausreichend Zeit haben würde, jedes einzelne meiner Eisbücher in Sicherheit zu bringen. Es ist nämlich eine unerträgliche Vorstellung, jene Vorstellung warmer Luft, wie sie meine Bücher berührt, wie sie nach und nach vor meinen Augen zu schmelzen beginnen, all die zarten Seiten von Eis, ihre Zeichen, ihre Geschichten. Seit ich denken kann, wollte ich Eisbücher besitzen, Eisbücher lesen, schimmernde, kühle, uralte Bücher, die knistern, sobald sie aus ihrem Schneeschuber gleiten. Wie man sie für Sekunden liebevoll betrachtet, ihre polare Dichte bewundert, wie man sie dreht und wendet, wie man einen scheuen Blick auf die Texturen ihrer Gaszeichen wirft. Bald sitzt man in einer U‑Bahn, den leise summenden Eisbuchreisekoffer auf dem Schoß, man sieht sich um, man bemerkt die begeisterten Blicke der Fahrgäste, wie sie flüstern: Seht, dort ist einer, der ein Eisbuch besitzt! Schaut, dieser glückliche Mensch, gleich wird er lesen in seinem Buch. Was dort wohl hineingeschrieben sein mag? Man sollte sich fürchten, man wird seinen Eisbuchreisekoffer vielleicht etwas fester umarmen und man wird mit einem wilden, mit einem entschlossenen Blick, ein gieriges Auge, nach dem anderen gegen den Boden zwingen, solange man nicht angekommen ist in den frostigen Zimmern und Hallen der Eismagazine, wo man sich auf Eisstühlen vor Eistische setzen kann. Hier endlich ist Zeit, unter dem Pelz wird nicht gefroren, hier sitzt man mit weiteren Eisbuchbesitzern vertraut. Man erzählt sich die neuesten arktischen Tiefseeeisgeschichten, auch jene verlorenen Geschichten, die aus purer Unachtsamkeit im Laufe eines Tages, einer Woche zu Wasser geworden sind: Haben sie schon gehört? Nein! Haben sie nicht? Und doch ist keine Zeit für alle diese Dinge. Es ist immer die erste Seite, die zu öffnen, man fürchtet, sie könnte zerbrechen. Aber dann kommt man schnell voran. Man liest von unerhörten Gestalten, und könnte doch niemals sagen, von wem nur diese feine Lufteisschrift erfunden worden ist. — stop
seepocken
olimambo : 2.18 — Sonntag. Große Hitze. — Zum ersten Mal habe ich eine Serie Fotografien betrachtet, die ich mit einer Kamera aufgenommen hatte, während ich die Fifth Avenue in Manhattan südwärts spazierte. Ich hatte nur eine vage Idee, was auf diesen Fotografien einmal zu sehen sein könnte, weil ich den Fotoapparat mit der rechten Hand festhielt, die an meiner Seite baumelte. Ich stellte mir vor, meine Hand würde sich in eine Kamera verwandelt haben, die in einem regelmäßigen Abstand von etwa 5 Sekunden je eine Aufnahme machte. Wie erwartet, waren Taschen und Beine, Schuhe, Hosen, Röcke, Papierkörbe, Ampeln, der Asphalt, Randsteine, Himmel, Wolken und Tauben zu sehen, Dächer sehr hoher Häuser, gleichwohl Klimaanlagen, die wie Seepocken an den Fassaden der Häuser sitzen, Feuerleitern, Dampfwolken, Gesichter von Menschen, die mir entgegengekommen waren, sie sahen mich an, nicht die Kamera, sondern mich selbst vielleicht, oder sie sahen vor sich hin, lachten, träumten. Manche der Menschen aßen, einige trugen dunkle Brillen, weil die Sonne sehr tief in die Straße leuchtete, andere hatten Hüte auf dem Kopf, es waren ein paar ausgesprochen müde Gesichter darunter, kaum jemand rauchte. Ich habe in dieser Art und Weise des Gehens 1524 Aufnahmen gemacht. Keiner der fotografierten Menschen schien indessen bemerkt zu haben, dass ich ihn abgebildet hatte. Aber es ist denkbar, dass der ein oder andere der fotografierten Menschen mein Tun bemerkte, nachdem ich längst vorübergegangen war, ein Gedanke, ein Gefühl, ein Verdacht, langsam, sehr viel langsamer als das Licht, das ich gerade noch eingefangen hatte. — stop
ein seltsames buch
echo : 1.18 — Seit zwei Stunden beobachte ich ein Buch, das kein gewöhnliches Buch ist, sondern ein seltsames Buch. Dass es sich um ein seltsames Buch handelt, ist dem Buch zunächst nicht anzusehen, weil es seiner äußeren Gestalt nach, ein übliches Buch zu sein scheint. Dieses hier auf meinem Tisch ist von einer blauen Farbe. Sobald man das blaue Buch in die Hände nimmt, wird man aber spüren, dass das Buch atmet, weil an seiner Rückseite durch feine Lamellen warme Luft auszutreten scheint. Das ist deshalb so, weil sich in dem Buch eine Recheneinheit befindet, ein winziger Computer, der sich mit dem Text oder mit der Geschichte, die sich in dem Buch befindet, beschäftigt. Es handelt sich bei dem Buchkörper bei genauer Betrachtung nämlich um eine Versammlung hauchdünner Bildschirme, auf welchen sich Zeichen befinden, Bildschirme, die man umblättern kann. Was zunächst zu sehen ist, gleich auf welcher Seite das Buch aufgeschlagen wird, sind eben erwähnte Buchstaben oder Ziffern, die sich rasend schnell bewegen, sodass man nicht lesen, vielmehr nur ahnen wird, was sich dort befinden könnte. Es ist dies der Moment, da der Computer des Buches jenen Text, den man mit eigenen Augen gerne sofort lesen würde, zu entschlüsseln beginnt. Ein möglicherweise aufwendiges, zeitraubendes Verfahren. Als ich das Buch kaufte, konnte mir der Händler der verschlüsselten Bücher nicht sagen, wie lange Zeit ich warten müsse, bis der Text des Buches für mich sichtbar werden würde. Es bereitete ihm Freude, ich bin mir sicher, auszusprechen, was ich längst dachte, dass die Entschlüsselung des Textes eine Stunde, einen Tag oder zweihundert Jahre dauern könnte, das sei immerhin das Prinzip, weshalb man ein Buch dieser Art erwerben wollte, dass man ein Buch besitzt, von dem man nicht sagen könne, ob es jemals lesbar werden wird. — Kurz nach Mitternacht. — stop
ludmilla
echo : 6.12 — Ich habe eine E‑Mail bekommen. Lesen Sie selbst: Verehrter Louis, wie geht es Ihnen? Ich hoffe, Sie sind wohlbehalten zurückgekehrt von Ihrer Reise. Leider konnten wir uns nicht treffen, so wie noch im Januar geplant. Es ist schwieriger geworden, das Haus zu verlassen. Ich fühle mich nicht länger sicher auf der Straße. Aber auch unter meinem eigenen Dach habe ich immer wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich nehme an, es existieren längst Ideen über mich, vielleicht wird man sagen: Er könnte nun doch verrückt geworden sein. Aber natürlich weiß ich, was ich tue und wovor ich mich fürchte. Im April war ich noch lange Stunden am Strand unterwegs gewesen, besuchte meine Freundin Ludmilla, die abends vor dem Boardwalk mit ihren Freuden im kalten Seewind sitzt. Ihr gehört jetzt ein Rollstuhl, den sie von eigener Hand bewegen kann, weil sie zäh und leicht ist, Sie würden staunen. Irgendwann muss ich das Haus wieder verlassen, das ist mir Herzenswunsch, ich kann Ludmilla doch nicht verlieren, ohne sie noch einmal gesehen zu haben. Im Dezember wird sie 92 Jahre alt, da kann man an das Ende schon einmal denken, nicht wahr! Nun, ich will nicht klagen, bin sehr vorsichtig geworden. Wenn ich zum Einkaufen gehe einmal in der Woche, dann niemals allein, sondern immer in der Begleitung eines alten Freundes. Sie werden verstehen, dass ich seinen Namen nicht erwähne. Er ist zuverlässig, hilft mir beim Tragen der Flaschen. Was ich sonst noch benötige, lasse ich mir kommen. Ich erinnere mich, jetzt, da ich hier sitze und schreibe, dass ich als Kind einmal überlegte, eine Sprache zu erfinden, die nur ich verstehen kann. Ich hatte mir vorgenommen, alle Wörter, die ich kannte, in meine neue Sprache zu übersetzen. Ich wollte lernen, mittels dieser Wörter zu denken. Seit wenigen Tagen arbeite ich nun daran, mir genau diesen uralten Wunsch zu erfüllen. Ist das nicht wunderbar! Vielleicht werde ich mich bald wieder sicher fühlen. Seemöwen sitzen auf dem Balkon, ihre Augen wirken beizeiten so, als wären sie Objektive, die man füttern kann. Genug! Es ist Sonntag. Morgen werde ich Ihnen einen Brief von Papier übermitteln, in welchem ich eine Liste von Wörtern vermerkte, die Sie in Zukunft bitte nicht weiter verwenden, wenn Sie mir eine E‑Mail schreiben. Sie wissen, wo der Brief zu finden ist. Bis bald, mein lieber Louis. Ihr Michael – stop
kekkola
ulysses : 22.00 — Schnell erzählen, was ich entdeckte, als ich Kekkola besuchte, dem ich seit einigen Jahren verbunden bin, weil er gern sehr seltsame Dinge tut. Eigentlich ist er nicht sonderlich verrückt, vielmehr sind die Menschen verrückt, von deren Leben Kekkola erzählt. Ich habe keine Ahnung, ob sie tatsächlich jemals existierten, jedenfalls nimmt es Kekkola sehr genau damit, sie zu verstehen, sich in sie einzufühlen. Einmal soll er drei Tage lang mit einem Luftgewehr reglos auf seinem Balkon gekauert haben. Er zielte gegen einen weiteren Balkon, oder auf ein Fenster, das sich hinter diesem Balkon befand. Er wartete. Es war im Winter gewesen und es war kalt im 38. Stock, ein Schneesturm passierte, ohne Kekkola vom Balkon vertreiben zu können. Als ich gestern mit ihm telefonierte, hörte ich im Hintergrund Wassergeräusche. Ich fragte, ob er zu Hause sei und ob ich vorbeikommen solle. Ich hatte den Eindruck, dass er vielleicht Fieber haben könnte, weil er nicht sehr deutlich formulierte, schläfrig und etwas irr. Also eilte ich zu ihm. Er bemerkte noch, dass er mir nicht öffnen würde, weil er sich in einem Versuch befände, der Schlüssel zur Wohnung sei in der Lobby abzuholen. Kekkola saß im Bad auf einem Stuhl vor seiner Wanne. Um ihn herum auf dem Boden lagen Wasserflaschen, auch Whiskey, Brotstangen, Bücher und eine Decke, die ihm von den Schenkeln gerutscht sein musste. Seine Füße standen in der Badewanne in Salzwasser, das von einer grünlichen Farbe war. Es roch moorig in der Zelle gleich neben der Küche. Glücklicherweise war Kekkola noch am Leben. Er hatte tatsächlich hohes Fieber. Ich bat einen Nachbarn um Hilfe. Wir hoben seine Beine vorsichtig aus dem Wasser, sie waren schwer entzündet, an seinen Zehen begann sich die Haut vom Körper zu lösen, eine Blaukrabbe hatte sich in seine linke Wade verbissen. Kekkola’s Füße stanken fürchterlich, er fluchte, wie wir ihn ins Schlafzimmer schleppten. Vier Tage hatte er in beschriebener Haltung ausgeharrt, fünf Tage wollte er schaffen. Als ich die Badewanne, der Ausfluss war verstopft, von Hand auszuschöpfen begann, entdecke ich einen jungen Hornhecht, drei Atlantikaale, Sandwürmer, Glasscherben, Schlickgarnelen, Muschelschalen und fünf weitere Blaukrabben, die sich heftig wehrten. — stop
ai : USA
MENSCH IN GEFAHR : “Warren Hill soll am 15. Juli im US-Bundesstaat Georgia hingerichtet werden. Die sieben ExpertInnen, die ihn untersucht haben, sagen inzwischen alle, dass er “geistig behindert” ist. In diesem Fall würde eine Hinrichtung gegen die US-amerikanische Verfassung verstoßen. Seine Rechtsbeistände haben sich an den Obersten Gerichtshof der USA gewandt, damit er eingreift. / Im Jahr 2002 befand ein Richter des Bundesstaates Georgia, dass Warren Hill tatsächlich “deutlich unterdurchschnittliche intellektuelle Fähig¬keiten” aufweise, aber dass nicht zweifelsfrei “Defizite im adaptiven Verhalten” nachzuweisen seien. Warren Hill war 1991 wegen des 1990 begangenen Mordes an seinem Mithäftling Joseph Handspike zum Tode verurteilt worden. Im Jahr 1988 hat das Parlament des Bundesstaates Georgia ein Gesetz verabschiedet, das die Verhängung der Todesstrafe gegen jede Person untersagt, bei der “ohne berechtigten Zweifel” eine “geistigen Behinderung” festgestellt wurde. Das Gesetz definiert diese Behinderung als “deutlich unterdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten”, die zu “Defiziten im adaptiven Verhalten” führen, die sich “in der Entwicklungsphase manifestierten”. / Der Oberste Gerichtshof der USA (US Supreme Court) befand in der Grundsatzentscheidung “Atkins gegen Virginia”, dass die Hinrichtung von geistig behinderten Menschen gegen die US-Verfassung verstoße. Die Rechts¬beistände von Warren Hill baten auf Grundlage dieser Entscheidung um erneute Prüfung ihrer vorherigen Rechtsmit¬tel. Diesmal entschied das zuständige Gericht, dass “das Überwiegen der Beweise” ausreiche um festzustellen, dass Warren Hill an einer geistigen Behinderung leidet. Das strengere Kriterium “ohne berechtigte Zweifel” müsse nicht erfüllt sein. Auf der Grundlage dieser Beurteilung kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Beeinträchtigung von Warren Hill einer geistigen Behinderung gleichkäme. Die Behörden von Georgia legten dagegen jedoch Rechtsmittel beim Obersten Gericht des Bundesstaates ein, das 2003 mit vier zu drei Stimmen entschied, in diesem Kontext sei das Kriterium “ohne berechtigten Zweifel” anzulegen. Der Fall wurde dann an die Bundesgerichte verwiesen, und 2011 entschied ein Bundesberufungsgericht (Court of Appeals for the 11th Circuit) mit sieben zu vier Stimmen, dass selbst wenn der Bundesstaat in seiner Gesetzgebung nicht für einen angemessenen Ausgleich gesorgt hat, das US-Bundesgericht aufgrund von US-Recht nicht befugt sei einzu¬schreiten, auch wenn es die Entscheidung des bundesstaatlichen Gerichts “für nicht korrekt oder unüberlegt” erachte. / Im Februar 2013 stoppte das Bundesberufungsgericht des 11. Bezirks die Hinrichtung von Warren Hill. Zu diesem Zeitpunkt waren alle an dem Fall beteiligten ExpertInnen zu dem Schluss gekommen, dass Warren Hill an einer “geistigen Behinderung” leidet. Am 22. April jedoch wies das dreiköpfige Richtergremium das neue Rechtsmittel von Warren Hill mit der Begründung zurück, das Gericht sei den strengen Beschränkungen unterworfen, die das “Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus und zur effektiven Durchsetzung der Todesstrafe” (Anti-Terrorism and Effective Death Penalty Act — AEDPA) aus dem Jahr 1996 bei aufeinanderfolgenden Rechtsmitteln anwende. Eine Richterin des Gremiums widersprach dieser Auffassung jedoch und erklärte, “ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz kann nicht angewendet werden, um das in der Verfassung festgeschriebene Recht von Warren Hill, nicht hingerichtet zu werden, außer Kraft zu setzen”. Die Richterin schrieb: “… der Bundesstaat Georgia wird einen geistig behinderten Mann hinrichten. Denn alle sieben ExpertInnen, die Warren Hill jemals untersucht haben, sowohl die vom Bundesstaat bestellten als auch die von Warren Hill beauftragen ExpertInnen, sind inzwischen zu der übereinstimmenden Auffassung gelangt, dass er geistig behindert ist.” / Die Rechtsbeistände von Warren Hill bitten den Obersten Gerichtshof der USA, die Hinrichtung zu stoppen. Der Gerichtshof hatte die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes AEDPA 1996 bestätigt und erklärt, das Gesetz habe nicht die Befugnis des Gerichtshofs aufgehoben, sich direkt mit Originalanträgen (original habeas petitions) zu befassen, d.h. unter außergewöhnlichen Umständen kann sich der Gerichtshof mit einem ihm direkt vorgetragenen Fall befassen, ohne dass der Fall nach einem Berufungsverfahren vor einem anderen Gericht an den Gerichtshof weiterverwiesen wurde. Mehrere JuraprofesssorInnen in den USA haben sich in einem Schreiben an den Gerichtshof gewandt und sich dafür ausgesprochen, dass der Gerichtshof sich zu diesem ungewöhnlichen Schritt entschließen sollte.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 15. Juli 2013 hinaus, unter »> ai : urgent action
südostnordwest
~ : oe som
to : louis
subject : SÜDOSTNORDWEST
date : july 02 13 8.12 p.m.
Taucher Noe seit 851 Tagen unter der Wasseroberfläche. Tiefe 812 Fuß. Position: 42°55’NORD 51° 42’ WEST. stop. Es ist kurz nach Mitternacht, die See wieder ruhig. Gestern, ungefähr zur selben Tageszeit, wurden wir wie aus dem Nichts von einer mächtigen Welle getroffen. Beinahe wären wir gekentert. Entsetzt über das Vorgefallene, lagen wir einige Minuten still. Dann machten wir uns auf die Suche, wollten wissen, ob wir noch vollzählig waren. Momente voller Demut. Ich erinnere mich an Lidwiens zartes, blasses Gesicht, wie sie vor dem Funkgerät sitzt und Noe anruft, er möge sich melden. Es war wie ein Gebet, sie fürchtete, ihn verloren zu haben, das Tau, an dem er in der Tiefe schwebt, könnte gerissen sein, aber wir spürten ein leichte, schaukelnde Bewegung unter dem Schiff. Es hatte den Anschein, als würde Noe unter uns durchs Dunkel pendeln. Nach einer halben Stunde geduldigen Hoffens meldete er sich, wollte wissen, was geschehen war. Natürlich antworteten wir ausweichend, um ihn nicht zu beunruhigen. Erst vergangene Woche war es gewesen, da wir Noe erklärten, dass zu seinen Füßen weitere 10660 Fuß Tiefe warteten. Noe war für zwei Tage sprachlos gewesen, dann begann er Murphys Geschichte zu lesen Stunde um Stunde, setzte immer wieder von vorn an, das Buch scheint ihn zu beruhigen. In diesem Moment, da ich Dir schreibe, geht es wieder los: Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues. Murphy saß, als ob es ihm frei stünde, im Schatten, in einer Gasse West Brombtons. Hier hatte er wohl schon sechs Monate lang gesessen, getrunken, geschlafen, sich an- und ausgezogen, in einem mittelgroßen Käfig mit Front nach Nordwesten und ununterbrochener Sicht auf mittelgroße Käfige mit Front nach Südosten. – Es ist uns, lieber Louis, ein gutes Zeichen, dass Noe wieder liest. Wir haben ihm versprochen, noch in diesem Monat eine Brille aufzutreiben, ein Gestell zu fabrizieren, das an seinem Helm befestigt werden kann. Manchmal denke ich, Noe glaubt uns nicht mehr, keinem unserer Versprechen, keiner Idee. — Ahoi! Dein OE SOM
gesendet am
03.07.2013
2071 zeichen
cairo
alpha : 4.32 — Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich vor zwei Jahren mit einem Bekannten führte, der lange Zeit in Ägypten lebte, genauer in Kairo am Nil. Er wurde in der alten, riesigen Stadt geboren, vor einem halben Jahrhundert. Ich hatte von unserem Gespräch bereits erzählt. Immer, wenn ich ihn seither getroffen hatte, stellte ich ihm Fragen: Warst Du zu Hause im Sommer? Wie geht es Deiner Familie? Was kostet ein Hotelzimmer in Kairo in sicherer Lage? Ich bemerkte, dass Belem sich über meine Fragen freute, aber er antwortete nur selten präzise, er sagte immer wieder, dass es eine Frage des Respekts sei, dass man irgendwie lernen müsse, gemeinsam zu arbeiten und zu leben. Viele Menschen seien arm, das sei das größte Problem, sie könnten nicht lesen und schreiben. Einmal fragte ich, ob er bereit wäre, einen kleinen Text aus der arabischen Sprache für mich zu übersetzen, einen Twitterbrief, den ich nicht lesen konnte. Aber das wollte Belem nicht, er schien sich in diesem Moment vor mir oder den Zeilen, die ich auf ein Stück Papier gedruckt hatte, zu fürchten. — Montag. Seit Stunden komme ich nicht weiter in der Lektüre digitaler Nachrichten aus Kairo. Ich versuche, zu verstehen. Es sind sehr seltsame Texte, die mir Übersetzungsmaschinen liefern, Bruchstücke, Ahnungen, Wortsand: Gott Ylankwa auf der Erde und im Himmel ein Fluch und Fluch ya Welad El Bhaim o oberste Karte Hunde vor Aiallk Einak Ahan fühlen Sodbrennen Herz Eltern und alle da Les Ahan Schafe Iowa euch haben tatsächlich Amorphophallus Rivieri CDDA Schafe ich Worte von Beleidigung und defekt, aber nach Li da Sie lip Tstahlwa schmutzigsten Beleidigung in Alashan Antua eigentlich Schafe und Hunde und Sklaven und Amrkwa welche Hatbkowa brauchen euch eine Betharbwa Alhan Cuesh Religion und nicht in die Heimat Euch Betharbwa Alhan 7tt jeder Hund und Ely ist Mursi nicht beigelegt. Mursi da wenn Ragel harte Masche 7tt Khrong wurde das Blut Division zu halten oder sogar mindestens seiner Familie und seinen Clan aber Lebensdauer Staaten Khainin Brüdern und beide Alaikum Ya Ya Welad Hunde Hunde / Und Gott Staatssicherheit haben sie Gnade, die uns von DVD Elly Zico Btalwa verließ die Sicherheit des Staates und die Herstellung da Rettung, welche Bektosh kennen sie lachen über Leute und Leute ich Tani Les ein Raza Ullah Einwohner in Sidi Gaber in der elften Runde ihre Brüder Embareh Æøáúæç Úáì Ãç Íþæã Èå Architektur und schlagen den Portier und sie in ihrer Wohnung waren und eine Stimme hörte zu mir sprechen und ich traf den Schuss und Aialha Horror und weinte und floh die besetzten Oberfläche Btaa Architektur, und Violine von Atrmi wurde die Violine ein Verbrecher und Embareh führen den Sicherheitsstatus / Erste Bewertungen über den Stausee ist klar, dass Kinder nicht müssen manuelle Illustrator Gabe Architektur der Eingang Portal Teilnehmer arbeiten und mehr Menschen sind entweder Kinder, ihre Eltern-Wächter, die nur Sie der Stausee-Entwicklung herausnehmen, aber sie Menschen, die sie benötigen sind, um Schutz gegen unsere Herrn sagen Ahan Mikhlinash Brüder hasste Sie jeden Bedarf wir sagen ganz klar die Szene zu einem meiner Brüder ist Bdkon NAS Keteer sehr Pädagogen Dkonhm Ägyptens und Familien starrte ist rührend, meine Brüder und Les in eine feste Schiene Und sie nehmen ihre Mode Welaikh und Gentleman und Menschen Wakhdinha das Alter des Propheten Christian Lehman Daqqoun Kinder-und Jugendsport halten Masche einer Bank, es nicht Brüder, ist vorausgesetzt die Tahrir Daqqoun Kteer waren die Rebellen, nicht Brüder natürlich sage ich allen mein Ziel, dass alle Medien benötigten zu Fuß und wir sahen, Schließung des Auges Ehna Lina in ich weggelassen Z Mabenshov CBC tagsüber DreamWorks benötigt, finden Sie unter Nile News und Arabisch und Al-Jazeera siehe Entwarnung Notwendigkeit gezeigt Nicht alle Kanäle Valfol Wahrheit und Bedauern-Verlängerung. — stop
kaprunbiber
~ : malcolm
to : louis
subject : KAPRUNBIBER
date : jun 24 12 10.12 p.m.
371 West 11. Straße. Wir haben unsere Position kaum verändert. Frankie scheint sich auf dem Dach des Backsteinhauses, von dem wir bereits erzählten, für unbestimmte Zeit eingerichtet zu haben. Dass wir eine Wohnung anmieten konnten im Haus gleich gegenüber, ist von großem Vorteil, wir fallen nicht weiter auf, in dem wir nach Frankie Ausschau halten. Eine kleine Wohnung mit ramponiertem Dielenboden, der unter unseren Schritten ächzt und kracht. Bei gutem Wetter sitzen wir auf einem der Balkone des Hauses. Frankie besucht uns dort von Zeit zu Zeit, er wagt sich schon auf den Tisch, wenn wir Nüsse für ihn abgelegt haben. Wüsste er, wer wir sind, würde er sich vermutlich fernhalten. Er scheint seine erste Begegnung mit uns tatsächlich vergessen zu haben. So nah kommt er heran, dass wir die Umrisse des Speichermediums, welches wir unter seinem Fell vernähten, mit bloßem Auge erkennen. Und so haben wir angenehme Beobachtungstage. Juni. Die Nächte sind ruhig, stündlich vernehmen wir Signalzeichen der Schiffe vom nahen Fluss. Dann kommt die Sonne und ihre Hitze, Frankie ruht, wie eine Katze, flach auf dem Blechdach des Hauses gegenüber. Manchmal rast er das alte Gemäuer senkrecht auf und nieder, als würde er nach Fliegen jagen. Es scheint ihm außerordentlich gutzugehen, klappernde Mülltonnen, die geöffneten Fenster der Wohnungen, Wassertanks auf den Dächern, in welchen Frankie badet, es ist ein wirklich guter Ort für ein junges, kräftiges Eichhörnchen. Die Nachrichten jedoch, die wir über unsere Kanäle empfangen, sind beunruhigend. Ich zweifele manchmal daran, ob wir noch in der Lage wären, Frankie zu töten, sollte der Befehl zu seiner Beseitigung kommen. – Ihr Malcolm / codewort : kaprunbiber
empfangen am
24.06.2013
1950 zeichen