echo : 22.56 UTC — Auf meiner Nase wurde zufällig ein Haar entdeckt, ein Haar für sich, ein einzelnes Haar, kein Bewuchs in dem Sinne von Wald, aber doch eben ein Haar wie ein Baum. Kurz nachdem ich die Meldung von der Entdeckung des Haares entgegengenommen hatte, habe ich das Haar entfernt, kein Schmerz, aber Verwunderung, weil ich doch sehr lange Zeit ohne Haar auf meiner Nase lebte. Ich fragte mich, wie ich dieses Haar übersehen konnte, es soll sich um ein durchaus gut sichtbares Haar gehandelt haben, ein silbergraues Gewächs. Nun also morgens fortan der kontrollierende Blick zu meiner Nasenspitze hin. Eigentlich wollte ich eine ganz andere Geschichte erzählen an einem Tag, da die Börsenkurse stürzen, weil sich der 49. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in einer Weise äußerte, dass man für möglich hält, er könnte Atomwaffen zünden. — stop
Aus der Wörtersammlung: nase
nikolai wassiljewitsch
marimba : 0.12 UTC — Eigentlich sollte ich niemals das Ende eines Traumes erzählen, Traumenden befinden sich nicht selten bereits mit einem Bein im neuen Tag, in einem Bezirk der Welt, den wir Wirklichkeit nennen, ich bin dann schon wach geworden auf einem Bein, habe die Fenster geöffnet, es regnet zum Beispiel, auf der Straße weit unter mir bewegen sich Regenschirme, Menschen sind keine zu erkennen, aber ein paar nasse Tauben, die sich, von der Schwere ihres Gefieders in die Tiefe gezogen, kaum noch in der Luft zu halten vermögen. Eine Exkursion zur Kaffeemaschine hin nütze ich, um mein Mikroskop vom Tisch zu holen. Tatsächlich erkenne ich jetzt eine Herde goldgrüner Frösche, die sich an der Hauswand gegenüber westwärts bewegen. Zu hören ist von ihnen nichts, aber der Regen rauscht sehr schön, prasselt auf die Blätter der Bäume, tropft von den Regenrinnen auf blecherne Fenstersimse, was für ein wunderschöner Morgen, schon habe ich den Traum, den ich träumte, beinahe vergessen. Wie gut die Luft heute riecht, das denke ich noch, und erkenne in diesem Augenblick zwei menschliche Nasen, die dicht nebeneinander auf dem Rücken einer Straßenlampe sitzen, sie sind sicher aus einem Buch gehüpft, das ich nicht lesen kann, weil es in russischer Sprache aufgeschrieben wurde, ich erinnere mich, Gogol, nicht wahr, ich sollte bald Gogols Nase lesen, auch sollte ich ein wenig der russischen Sprache lauschen, um bald wieder glücklich einzuschlafen. — stop
ai : USA
MENSCH IN GEFAHR: „Sara Beltrán Hernández floh vor häuslicher Gewalt und Bandenkriminalität im November 2015 aus El Salvador in die USA, um dort bei Verwandten zu leben. Sie wird seither in einer Hafteinrichtung in Texas festgehalten, obwohl sie einen Asylanspruch hat. Sie benötigt dringend medizinische Versorgung und sollte bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag dringend auf Bewährung freigelassen werden. / Sara Beltrán Hernández befindet sich in einer Hafteinrichtung der US-amerikanischen Einwanderungs- und Zollfahndungsbehörde in Dallas im Norden von Texas und wartet auf den Gerichtsentscheid zu dem von ihr eingelegten Rechtsmittel gegen ihre Abschiebung aus den USA. Sie befindet sich seit ihrer Ankunft an der US-amerikanischen Grenze zu Mexiko am 4. November 2015 in Haft. Obwohl sie Angehörige mit US-amerikanischer Staatsangehörigkeit hat, die ihr Erscheinen bei allen zukünftigen Anhörungen sicherstellen können, verweigern ihr die US-Behörden eine Freilassung auf Bewährung und begründen dies mit Fluchtgefahr. / Sara Beltrán Hernández beantragte Asyl in den USA, weil sie ihren Aussagen zufolge in El Salvador Morddrohungen von einem Bandenführer und Bandenmitgliedern erhalten hat, die bereits Menschen getötet haben sollen. Sara Beltrán Hernández hat an Eides statt erklärt, dass sie schwere körperliche und seelische häusliche Gewalt erfahren hat und sexuell missbraucht wurde. / Laut ihrem Rechtsbeistand brach Sara Beltrán Hernández am 10. Februar 2017 in der Hafteinrichtung zusammen. Angestellte des Haftzentrums brachten sie daraufhin in das Huguley-Krankenhaus im texanischen Fort Worth. Am 13. Februar 2017 informierte sie ihren Rechtsbeistand darüber, dass bei ihr ein Gehirntumor diagnostiziert worden sei, der operativ entfernt werden müsse. Am 18. Februar, erst acht Tage nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus, gestattete die Einwanderungs- und Zollfahndungsbehörde Sara Beltrán Hernández, ihre Familie anzurufen. Sie sagte, sie habe inzwischen Krämpfe, Nasenbluten sowie Kopfschmerzen und Probleme klar zu denken. Sie sei aber immer noch nicht operiert worden. Am 22. Februar teilte ihr das Krankenhauspersonal mit, dass sie am 27. Februar operiert werde und brachte sie in die Hafteinrichtung zurück. / Eine Inhaftierung soll von Einwanderungsbehörden lediglich als letztes Mittel eingesetzt und jeder einzelne Fall muss begründet werden. Freilassung auf Bewährung sollte aus humanitären Gründen in den Fällen gewährt werden, in denen die Person keine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellt und keine Fluchtgefahr besteht. Da diese Vorgaben auf Sara Betrán zutreffen, sollte sie umgehend aus der Haft entlassen werden.“ — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 7. April 2017 hinaus, unter > ai : urgent action
vor neufundland 03.15.06 : YOKO oder die liebe
ulysses : 3.55 — Gestern sendete Noe eine Frage. Er wollte wissen, in welchem Monat wir leben. Eine größere Gruppe weißer Wale habe ihn nordwärts passiert. Er habe den Verdacht, es werde Frühling, er wünschte, bald wieder einmal Besuch zu erhalten. Kurz darauf eine weitere Meldung Noes aus 805 Fuß Meerstiefe vor Neufundland > ANFANG 03.15.06 | | | > großartige aussicht wieder. s t o p langsam aufsteigender wal. s t o p muschelrücken. s t o p kraterhaut. s t o p als würde der mond an mir vorüberziehen. b i g y e l l o w f i s h s o u t h w e s t. s t o p träumte von yoko. s t o p träumte ihren mund ihre stimme ihre brüste. s t o p spürte ihren atem an hals an brust an nase. s t o p wird man vielleicht seltsam mit der zeit mit dem meer? s t o p lange zeiten der stille der erinnerung. s t o p schluss jetzt. s t o p fangen wir noch einmal von vorn an. b l u e b o x f r o m a b o v e . ich spreche mit mir selbst. s t o p denkbar dass ich eine tonspur hinterlasse. s t o p vielleicht bin ich im radio zu hören. s t o p ob yoko mich hören kann? s t o p kein komma zu finden nicht eine taste s t o p habe den verdacht jünger zu werden. s t o p die liebe. s t o p. erstaunlich. s t o p | | | ENDE 03.16.25 – stop
von kreide und schnee
nordpol : 22.01 — Farben antarktischen Eises auf einem Gesicht, noch Kreidefarben, noch Pigmente ohne Öle, Wangen, Nase, Lippen, Stirn, von flinken, träumenden Fingern im Prozess der Arbeit scheinbar ohne Bewusstsein im Versehen auf die eigene Haut gezeichnet, Anmutungen von Blau, von Grau, von Weiß, von Schwarz. Es scheint bedeutend, wenn nicht unverzichtbar zu sein, Farben von Schwarz, von Umbra, Kernschattenfarben, in die Hand zu nehmen, die Farben der Wüstengesteine, um das Eis der Antarktis, das Eis eines grönländischen Gletschers voraus zeichnen zu können. Ein leises Gespräch, wispernd, in dem Sandgesteine sich auf die Leinwand legen, zärtlich fauchend, das Licht in den meerwärts fließenden Schatten, in den Winkeln eines Mundes. Wie Melly Cusaro, die an einem winterlichen Tag beschloss, den Mars zu bereisen, fortan das Wesen des Eises und des Schnees zu begreifen sucht. Wer nach Wasser forschen wird in der Weltraumferne, sagt sie, muss sich von der Wüste und vom Schnee eine präzise Vorstellung gezeichnet haben. Es schneite in Brooklyn, Schnee lehnte an Wänden alter Häuser, türmte sich auf Balkonen, rieselte im zarten Atem eines fast windstillen Tages von den Ulmen. Wer mochte, konnte mit Schlittschuhen über die Promenade auf den Höhen fahren. Welches Geräusch würde in der Stille ein Kontrabass von Eis erzeugen? — stop
tintenfinger
lima : 0.55 — Mit dem langsamen Verschwinden der Briefe flüchten unsere Postwertzeichen in Schachtelbehälter, in Alben, in Museen, kostbare, bunte Wesen von Papier, die wir noch mit unseren Zungen befeuchteten, um sie mit Briefumschlägen für immer zu verbinden. Auch Gesten, die den Briefen zugeordnet sind, werden sich nach und nach verlieren. Die Geste des Zerreißens beispielsweise, oder die Geste des Zerknüllens. Wann habe ich zuletzt beobachtet, wie der Empfänger eines Briefes sich dem geöffneten Dokument mit der Nase näherte, um von der Luft der geliebten schreibenden Person zu atmen, die mit dem Brief gereist sein könnte? Verloren die Abdrücke der Tintenfinger, die Ränder einer Briefseite zierten, verloren auch das feine Geräusch der Skalpelle, indem sie teilend durch das seidene Futter der Kuvertkoffer ziehen. Ein absurder Gedanke möglicherweise, wie ich den E‑Mailbrief einer Behörde, der mich zornig werden lässt, ausdrucke, wie ich ihn in einen Umschlag stecke, wie ich ihn für einige Sekunden in Händen halte, wie ich mich konzentriere, wie ich den Brief genussvoll in winzige Teile zerlege. — stop
von frauen unter zelten
olimambo : 0.55 — Vor Straßenbahnhaltestellen warten Flüchtlingsmenschen in Trainingsbekleidung, Familien, sie steigen nicht ein, sie schauen, schauen diese seltsamen Menschen an, beobachten vielleicht das Leben hier im Norden, Einheimische, wie sie aus Straßenbahnen steigen. Im Foyer des Hospitals ein junger Mann an der Seite eines Wesens, das sich als wandelndes Zelt darstellt, schwarz, mit einem Sehschlitz. Dort sind ein paar Augen zu erkennen. Eine irritierende Erscheinung. Ich werfe dem Wesen, vermutlich einer Frau, im gehbaren Zelt einen Blick zu in einer konzentrierten, direkten, auch fragenden Weise, die für mich nicht üblich ist. Im Flur vor der Intensivstation, weitere Frauen in schwarzen Gewänderzelten, die Gesichter dieser Frauen liegen jedoch frei. Ich vermag ihre Nasen, ihre Münder, gleichwohl ihre Augen zu sehen, ihr scheues Lächeln. Sie stehen auf Zehenspitzen, sprechen in ein Mikrofon, das an einer Wand befestigt ist neben einer Tür von opakem Glas. In englischer Sprache erkundigen sie sich nach ihrem Vater, der auf der Intensivstation liegen soll. — stop
salzluft
sierra : 6.25 — In der zentralen Bibliothek der Stadt Uppsala soll eine Abteilung duftender Bücher existieren. Der Beschreibung nach handelt es sich bei dieser Abteilung um einen kühlen, abgedunkelten Saal, in dem sich entlang der Wände gläserne Behälter reihen, in welchen sich je ein Buch befindet. Diese Bücher seien mindestens einhundert Jahre alt. Sie hätten sehr bewegte Zeiten hinter sich, seien zur See gefahren, überdauerten Jahrhunderte in Kirchen oder überlebten zu Füßen vulkanischer Berge schwerste Eruptionen. Nähere man sich nun einem dieser Behälter, würde man bemerken, dass er über einen Vorsatz mit einem Riegel verfüge, den man öffnen könne, sobald man eine Nase an den Vorsatz legte. Unverzüglich würde man überrascht von intensiven Düften, von Salzluftduft, zum Beispiel, wie er Seehäfen eigen sei, oder von Schwefeldämpfen, von Weihrauch- oder Myrredüften. Lesen könne man die Bücher natürlich nicht, das sei nun überhaupt nicht vorgesehen, sie sind ja eingesperrt, und das würde sich niemals ändern, eine merkwürdige Geschichte. Diese merkwürdige Geschichte wurde mir gestern von einem Reisenden erzählt, der nachts im Terminal 1 des Flughafens wartete. Es war um kurz nach fünf Uhr, als sich eine Frau mit einem kleinen roten Koffer in der Hand nährte. Sie erkundigt sich nach der Uhrzeit. Ich sagte: Es ist genau fünfzehn Minuten nach. Woraufhin die Frau weiter fragte: Morgens oder abends? — stop
von zeppelinkäfern
marimba : 2.28 — Für einen Moment dachte ich heute Nacht an eine Geschichte, die ich vor langer Zeit einmal erzählte. Das war gegen 2 Uhr gewesen. Ich beobachtete aus mehreren Metern Entfernung, wie ein Käfer, der einem Zeppelinkäfer ähnlich war, sehr langsam durch mein Zimmer schwebte, um auf einer Tischlampe zu landen. Dort blieb er für einige Minuten sitzen. Sofort suchte ich nach jener Geschichte, die von einem Zeppelinkäfer handelt. Sobald ich sie gefunden hatte, segelte der Käfer, der mich an meine Notiz erinnert hatte, in die Dunkelheit davon, sodass ich ihn beinahe für die personifizierte Erinnerung dieser einen Geschichte halten möchte. Sie geht so: Ein seltsames Wesen schwebte kurz nach 1 Uhr in der Nacht schnurgerade eine unsichtbare Linie über den hölzernen Fußboden meines Arbeitszimmers entlang, wurde in der Mitte des Zimmers von einer Luftströmung erfasst, etwas angehoben, dann wieder zurückgeworfen, ohne allerdings mit dem Boden in Berührung zu kommen. — Ein merkwürdiger Auftritt. – Und dieser großartige Ballon von opakem Weiß! Ein Licht, das kaum noch merklich flackerte, als ob eine offene Flamme in ihm brennen würde. Ich habe mich zunächst gefürchtet, dann aber vorsichtig auf Knien genähert, um den Käfer von allen Seiten her auf das Genaueste zu betrachten. — Folgendes ist nun zu sagen. Sobald man einen Zeppelinkäfer von unten her besichtigt, wird man sofort erkennen, dass es sich bei einem Wesen dieser Gattung eigentlich um eine filigrane, flügellose Käfergestalt handelt, um eine zerbrechliche Persönlichkeit geradezu, nicht größer als ein Streichholzkopf, aber schlanker, mit acht recht langen Ruderbeinen, gestreift, schwarz und weiß gestreift in der Art der Zebrapferde. Fünf Augen in graublauer Farbe, davon drei auf dem Bauch, also gegen den Erdboden gerichtet. Als ich bis auf eine Nasenlänge Entfernung an den Käfer herangekommen war, habe ich einen leichten Duft von Schwefel wahrgenommen, auch, dass der Käfer flüchtet, sobald man ihn mit einem Finger berühren möchte. Ein Wesen ohne Laut. – Guten Morgen! Heute ist Sonntag bei großer Hitze. — stop
geister
india : 0.58 — Das tödliche Elend kommt nicht in Sekundenbruchteilen auf arme Menschen nieder, als eine Welle langsam und kontinuierlich ansteigender Preise für Zucker, Mais, für Wasser kommts daher. Wer sind diese Personen, die mit Getreide spekulieren? Könnte man nicht einen Namen finden? Ein Gesicht? Ein menschliches Wesen, Nase, Augen, Ohren, das man befragen könnte: Warum tun Sie das? — stop