Aus der Wörtersammlung: tief

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ohne radioradar

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nord­pol : 1.55 — Eine stil­le Arbeits­nacht. Auf dem Tisch in der höl­zer­nen Küche unter dem Dach sta­peln sich Ton­spu­len, die ich nach Zeit­punkt der Auf­nah­me oder den Namen der Per­so­nen, die ich befrag­te, sor­tier­te: Katin­ka 1 — 3. Vor weni­gen Minu­ten war ich kurz ein­ge­schla­fen, ohne vom Stuhl zu fal­len. Balan­ce scheint mög­lich zu sein, oder ich habe nicht sehr tief geschla­fen. Als ich erwach­te, saß Esme­ral­da vor mir auf dem Tisch. Sie betrach­te­te mich. Ihre Füh­ler­au­gen beweg­ten sich äußerst lang­sam auf und ab. Dann setz­te sie sich in Bewe­gung, wen­de­te sich einer Bana­ne zu, die auf dem Tel­ler lag, dort schien sie bald ein­ge­schla­fen zu sein. Ich kann sie der­zeit berüh­ren, ihren schim­mern­den Leib, sie flüch­tet nicht, sie ist kühl und sie riecht nach Eisen und Regen und etwas nach Salz. Ges­tern hat­te ich mich wie­der ein­mal gefragt, ob Esme­ral­da viel­leicht in der Lage sei, zu hören. Ich mach­te mich sofort auf den Weg zum Com­pu­ter, um nach­zu­for­schen, ob Schne­cken über ein Gehör ver­fü­gen. Dann klin­gel­te das Tele­fon, eine Stun­de spä­ter erin­ner­te ich mich, dass ich nach den Ohren der Schne­cken fra­gen woll­te. Heu­te aber ist eine sol­che Nacht, da ich nichts wis­sen will, auch nicht ob Esme­ral­da hören kann, wenn ich pfei­fe oder spre­che. In mei­ner Nähe, sie schla­fen ver­mut­lich gera­de, exis­tie­ren Per­so­nen, die nichts ahnen vom Mor­den in der Ukrai­ne, von Viren, die in Afri­ka Men­schen befal­len, von Flücht­lin­gen, die durch das Sing­schar — Gebir­ge irren. Sie lesen kei­ne Zei­tung, sie besit­zen weder Radio noch Fern­seh­ge­rät, aber sie lesen Bücher, die sich immer sehr weit hin­ter der Jetzt­zeit bewe­gen. — stop

nach­rich­ten von esmeralda »
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herr bisaso

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hima­la­ya : 2.08 — Jeden Mor­gen, im Früh­ling oder im Som­mer, Herbst oder Win­ter, erscheint Herr Bisaso gegen 4 Uhr am Ter­mi­nal 1 des Frank­fur­ter Flug­ha­fens. Er trägt eine graue Hose, ein dun­kel­blau­es Hemd, eine gel­be Kra­wat­te und ein Schild­chen, auf dem das Wort SECURITY zu lesen steht, außer­dem ein Stäb­chen von etwa 1 Meter 50 Län­ge, das er in der rech­ten oder lin­ken Hand mit sich zu füh­ren pflegt. Das Stäb­chen scheint aus Bam­bus­rohr gemacht, an sei­ner Spit­ze sitzt eine wei­che Bee­re von Leder und Samt, die von Herrn Bisaso ver­mut­lich höchst­per­sön­lich dort ange­bracht wor­den war. Der alte Mann ist von statt­li­cher Erschei­nung, bei­na­he zwei Meter groß, er wur­de in Mom­ba­sa gebo­ren, lebt aber schon lan­ge Zeit, Jahr­zehn­te, in Euro­pa. Blitz­blan­ke, schwar­ze Schu­he. Auf die­sen Schu­hen macht er sich nun auf sei­nen mor­gend­li­chen Weg, der ihn über das Ter­mi­nal 1 zum Ter­mi­nal 2 und wie­der zurück­füh­ren wird. Ich sehe ihn, wie er sich umsieht und pfeift, er scheint fröh­lich zu sein, er liebt den Mor­gen und viel­leicht auch sei­ne Arbeit, sei­nen Auf­trag. In die­ser Wei­se, lei­se pfei­fend, nähert er sich einer Bank, auf wel­cher ein Mann liegt, der schläft. Das Hemd des Man­nes ist ver­rutscht, sein Bauch zu sehen, auch sind sei­ne Schu­he zu Boden gefal­len. Es riecht ein wenig bit­ter in der Luft. Behut­sam berührt Herr Bisaso den Mann mit jenem wei­chen Ende sei­nes Bam­bus­zei­gers an der Schul­ter, und schon fährt der Mann hoch aus einem Traum, reibt sich die Augen, fuch­telt dann mit den Hän­den, und beginnt laut zu schimp­fen. Guten Mor­gen, ent­geg­net Herr Bisaso mit tie­fer Stim­me. Er steht ganz ruhig und war­tet, bis der noch halb­wegs, Schla­fen­de auf­ge­stan­den ist. Jetzt ist er zufrie­den. Er schlen­dert zur nächs­ten Bank, die zum Nacht­la­ger einer jun­gen Frau gewor­den ist, auch sie scheint ein wenig bit­ter zu rie­chen und ohne Kof­fer zum Flug­ha­fen gekom­men zu sein. Bald steht auch sie, reibt sich die Augen, betrach­tet den gro­ßen Mann und sein Stäb­chen, das Herr Bisaso noch nicht sehr lan­ge Zeit mit sich führt. Fol­gen­de Nach­richt wäre vor weni­gen Wochen noch mög­lich gewe­sen. MELDUNG: Von 4 bis 5 Uhr wur­den in den Ter­mi­nals des Frank­fur­ter Flug­ha­fens 87 Per­so­nen, die auf Sitz­ge­le­gen­hei­ten ruh­ten, von Mr. Bisaso geweckt. Er muss­te des­halb 2 Trit­te, eine Umar­mung, alle­samt unwill­kür­lich, aber nur zwei Ohr­fei­gen ent­ge­gen­neh­men. — stop

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am karibasee

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alpha : 20.22 — Nadi­ne Gor­di­mer erzähl­te vor weni­gen Tagen in einem Fern­seh­ge­spräch, man habe vor lan­ger Zeit ihren Roman Burger’s Daugh­ter auf gehei­men Wegen zu Nel­son Man­de­la ins Gefäng­nis geschmug­gelt. Auf den­sel­ben gehei­men Wegen sei ihr kurz dar­auf ein per­sön­li­cher Brief Nel­son Man­de­las über­mit­telt wor­den, zeit­le­bens ein kost­ba­res Doku­ment. Ich hör­te Nadi­ne Gordimer’s hel­le Stim­me zum ers­ten Mal. Wäh­rend ich lausch­te und ihr anmu­ti­ges Gesicht betrach­te­te, erin­ner­te ich mich an den ers­ten Moment, da ich vor Jah­ren die Lek­tü­re einer ihrer Erzäh­lun­gen auf­ge­nom­men hat­te, Some­thing out The­re. Ich folg­te damals nach weni­gen Sät­zen dem Wunsch, in der digi­ta­len Sphä­re eine Foto­gra­fie des Kari­ba­sees zu suchen, weil Nadi­ne Gor­di­mer vom künst­li­chen Gewäs­ser in der Savan­nen­land­schaft erzähl­te, von Ele­fan­ten gleich­wohl, die sich in sei­ne Flu­ten stürz­ten, um uralten Wan­der­rou­ten zu fol­gen. — Was hat­ten die ertrin­ken­den Tie­re dort unter dem Was­ser­spie­gel gese­hen? — Wovon hat­ten sie gehört in ihrer letz­ten Lebens­se­kun­de? — Ich las von der Tie­fe des Sees, von Fischen, die in ihm leben sol­len, von der Luft­feuch­tig­keit und vom Gewicht der Ele­fan­ten­kör­per, von der Bio­dich­te ihrer Kör­per und von Kul­tu­ren in See­nä­he sie­deln­der Men­schen. Und wäh­rend ich so vor mich hin stu­dier­te, von Sei­te zu Sei­te, von Link zu Link, ver­ging eine Stun­de Zeit. Plötz­lich erin­ner­te ich mich an das Buch, das ich neben mir abge­legt hat­te, und setz­te mei­ne Lek­tü­re fort. — Heu­te ist Nadi­ne Gor­di­mer gestor­ben. — stop

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kollibry

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echo : 5.55 — Im ver­gan­ge­nen Novem­ber ver­leg­te ich eine Nach­richt, die mir per E‑Mail zuge­stellt wor­den war. Ver­mut­lich hat­te ich ihre Exis­tenz bereits nach weni­gen Stun­den ver­ges­sen, sodass ihr Sen­der ver­geb­lich auf eine Ant­wort war­te­te. Heu­te Nacht habe ich sie glück­li­cher­wei­se wie­der ent­deckt. Es war damals etwas Bedeu­ten­des gesche­hen. L. hat­te ein Note­book geschenkt bekom­men, das ers­te Note­book sei­nes Lebens. Es war kein neu­es, es war ein gebrauch­tes Gerät, aber noch in einem guten Zustand, kaum ein Krat­zer am sil­ber­grau­en Gehäu­se, sei­ne Tas­ten funk­tio­nier­ten tadel­los, und die Pro­gram­me des Betriebs­sys­tems waren her­vor­ra­gend sor­tiert. Ein erns­tes Pro­blem stell­te aller­dings eine Buch­sta­ben­ma­schi­ne dar, prä­zi­se die Kor­rek­tur­rou­ti­ne eines Text­ver­ar­bei­tungs­pro­gramms, wel­ches vom Vor­be­sit­zer des Note­books jah­re­lang inten­siv ver­wen­det wor­den sein muss­te. Das klei­ne Zusatz­pro­gramm konn­te nicht aus­ge­schalt wer­den, was ange­nehm gewe­sen wäre. Zahl­rei­che feh­ler­haf­te Wör­ter waren in sei­ne tie­fen Spei­cher gewan­dert, und so web­te das Pro­gramm, wäh­rend L. mit sei­ner Hil­fe notier­te, Vor­schlä­ge in gera­de eben ent­ste­hen­de Tex­te, bei­spiels­wei­se anstatt des Wor­tes Koli­bri das Wort Kol­li­bry, was schließ­lich zu äußerst erstaun­li­chen Befun­den führ­te. L. glaub­te bald, sehr ernst­haft krank gewor­den zu sein. Er bat mich um Unter­stüt­zung, er wol­le den Spei­cher der Wort­miss­bil­dun­gen unver­züg­lich aus­ra­die­ren. – Es ist kurz vor drei Uhr. Ver­mut­lich kom­me ich mit mei­nen Hin­wei­sen viel zu spät, das ist denk­bar, sogar wahr­schein­lich, dass ich viel zu spät sein wer­de. Machen wir uns trotz­dem sofort auf die Suche nach einer Lösung. Gewit­ter­stim­mung vor den Fens­tern, Flie­gen, Blit­ze, aber kein Don­ner, viel­leicht eine Art Wet­ter­leuch­ten, gran­dio­se, aus dem Him­mel stür­zen­de Bäu­me von Licht. – stop

polaroidglobus

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valletta : west street

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nord­pol : 2.54 — Ges­tern Abend erreich­te mich eine E‑Mail von Geor­ges. Er schreibt: Mein lie­ber Lou­is, wie ich durch die Stadt Val­let­ta schlen­der­te, bemerk­te ich in der West Street nahe St. Lucia eine klei­ne Werk­statt. Sie war düs­ter, aber gera­de noch hell genug, dass ich ein Mäd­chen erken­nen konn­te, das an einem Tisch saß, sie schien Haus­auf­ga­ben zu machen. Ich rich­te­te mei­ne Kame­ra auf das Mäd­chen, um es zu foto­gra­fie­ren, da hob sie den Kopf und sah mich an, mit einem freund­li­chen Blick. Ich frag­te, ob ich ein­tre­ten dür­fe. Es war ein wirk­lich düs­te­rer Ort, das Licht der Stra­ße erreich­te gera­de noch den Tisch, auf dem das Schul­heft des Mäd­chens lag, und es war kühl, und es ging ein leich­ter Wind. In der Tie­fe des Rau­mes erkann­te ich einen wei­te­ren Tisch, der von einer Glüh­bir­ne beleuch­tet wur­de, die ohne Schirm von der Decke bau­mel­te. Hin­ter dem Tisch hock­te ein dun­kel­häu­ti­ger, alter Mann mit wei­ßem Haar. Ich grüß­te auch in sei­ne Rich­tung. Als ich mich gera­de her­um­dre­hen woll­te, um auf die Stra­ße zurück­zu­keh­ren, schal­te­te der Mann einen glä­ser­nen Leucht­glo­bus an. Ein schö­nes blau­es und gel­bes Licht von Mee­ren und Wüs­ten strahl­te in den Raum, vor des­sen Wän­den Rega­le bis zur Decke rag­ten. Dort war­te­ten wei­te­re Erd­ku­geln, es waren eini­ge Hun­dert bestimmt. Ich bemerk­te, dass der Mann auf dem Tisch Gläs­chen mit Far­be zu einer Rei­he abge­stellt hat­te, er selbst hielt einen fei­nen Pin­sel und ein Mes­ser mit einer win­zi­gen Klin­ge in der Hand. Außer­dem ruh­te der Glo­bus vor dem Mann auf dem Kopf, viel­leicht des­halb, weil er ein­mal aus sei­ner Fas­sung genom­men und augen­schein­lich her­um­ge­dreht wor­den war, der Süd­pol befand sich im Nor­den, der Nord­pol im Süden der leuch­ten­den Kugel, an wel­cher der Mann mit sei­nen Werk­zeu­gen arbei­te­te. Es war eine Arbeit für ruhi­ge Hän­de. In dem Moment, als ich näher gekom­men war, nah­men sie gera­de die Ent­fer­nung des Schrift­zu­ges Cape Town vor, der selbst auf dem Kopf ste­hend in das Blau des Mee­res jen­seits des afri­ka­ni­schen Kon­ti­nen­tes reich­te. Aus nächs­ter Nähe nun beob­ach­te­te ich, wie der alte Mann die Spu­ren, die die Radie­rung des Schrift­zu­ges erzeugt hat­te, mit blau­er Far­be füll­te. Immer wie­der prüf­te er indes­sen den Ton der Pig­men­te, in dem er eine Lupe in sein lin­kes Auge klemm­te. Er schien weit­ge­hen­de Erfah­rung in die­ser Arbeit gesam­melt zu haben, sei­ne Hän­de beweg­ten sich schnell, es roch nach Ter­pen­tin, und der Mann hauch­te gegen das Meer, wohl um sei­ne Trock­nung zu beschleu­ni­gen. Dann begann er zu schrei­ben, er schrieb Cape Town, er schrieb die Wör­ter so, dass sie rich­tig her­um vor unse­ren Augen erschie­nen. Ich erin­ne­re mich an ein Motor­rad, das auf der Stra­ße vor­bei knat­ter­te. Das Mäd­chen hat­te sei­ne Schul­hef­te geschlos­sen und war ins Licht der Son­ne getre­ten. Plötz­lich war es ver­wun­den. — stop
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abschnitt neufundland

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Abschnitt Neu­fund­land mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : Wrack­tei­le [ See­fahrt – 875, Luft­fahrt — 32, Auto­mo­bi­le — 244 ], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 6, 19. Jahr­hun­dert – 37, 20. Jahr­hun­dert – 76 , 21. Jahr­hun­dert — 188 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 16, gelöscht : 786 ], Fla­schen­schiff [ RMS Queen Mary : 1 ], Dia­ry [ Lin­da Zer­ka­fa­kis 1822 — 1901 : Band 1–4  Leder­rie­men­bin­dung ] Öle [ 0.01 Ton­nen ], Pro­the­sen [ Herz — Rhyth­mus­be­schleu­ni­ger – 56, Knie­ge­len­ke – 33, Hüft­ku­geln – 125, Bril­len – 768 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 39 : 2, Grö­ßen 38 — 45 : 87 ], Kühl­schrän­ke [ 3 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 5, mit Tau­cher – 6 ], Tele­fo­ne [ 52 ], Engels­zun­gen [ 12 ] | stop |

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tucholsky : dos passos

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echo : 5.32 — Um kurz nach vier Uhr ent­de­cke ich das Patent eines Büro­stuhls, der sich mit Strom ver­sor­gen lässt, um Schla­fen­de durch leich­te oder mit­tel­schwe­re elek­tri­sche Schlä­ge zu wecken. Kurz dar­auf, schon hell, ein Text Kurt Tuchol­skys aus dem Jahr 1928. Ich zitie­re: John Dos Pas­sos, ›Man­hat­tan Trans­fer‹ Da ist ›Man­hat­tan Trans­fer‹ von John Dos Pas­sos (bei S. Fischer in Ber­lin). Die­ser hal­be Ame­ri­ka­ner, des­sen ›Drei Sol­da­ten‹ (im Malik-Ver­lag) gar nicht genug zu emp­feh­len sind, hat da etwas Gutes gemacht. Ich den­ke, dass die Mode der ame­ri­ka­ni­schen Roma­ne, die uns die Ver­le­ger und die Snobs durch Über­maß sacht zu ver­ekeln begin­nen, nach­ge­las­sen hat – und das ist auch gut so. Nicht etwa, weil ner­vö­se und wenig erfolg­rei­che Reak­tio­nä­re der Lite­ra­tur, zum Bei­spiel in den ›Münch­ner Neu­es­ten Nach­rich­ten‹, gegen die Über­set­zun­gen aus dem Fremd­län­di­schen pol­tern –, son­dern weil es zwi­schen der Hys­te­rie der Anbe­tung und der Neur­asthe­nie der Ver­dam­mung ein ver­nünf­ti­ges Mit­tel­maß gibt. Man soll frem­de Län­der ken­nen­ler­nen – man soll sie nicht sofort seg­nen und nicht gleich ver­flu­chen. ›Man­hat­tan Trans­fer‹ ist ein gutes Buch – die Ame­ri­ka­ner haben sich da einen neu­en Natu­ra­lis­mus zurecht­ge­macht, der zu jung ist, um an den alten fran­zö­si­schen her­an­zu­rei­chen, aber doch fes­selnd genug. Es sind Foto­gra­fien, nein, eigent­lich gute klei­ne Radie­run­gen, die uns da gezeigt wer­den; ob sie echt sind, kann ich nicht beur­tei­len, die Leu­te, die lan­ge genug drü­ben gelebt haben, sagen Ja. Es ist die Lyrik der Groß­stadt dar­in, eine männ­li­che Lyrik. Der Ein­sa­me auf der Bank: »Fein hast du dein Leben ver­saut, Josef Har­ley. Fünf­und­vier­zig und kei­ne Freu­de und kei­nen Cent, um dir güt­lich zu tun.« Das hat ein­mal so gehie­ßen: »Qu’as tu fait de ta jeu­nesse?«, und das ist von Ver­lai­ne und ist schon lan­ge her, aber doch neu wie am ers­ten Tag. Das Mäd­chen da liegt auf ihrem Zim­mer in der gro­ßen Stadt, schwimmt in der Zeit und ist so allein. Sehr schön, wie ein Mann auf der Bett­kan­te sitzt, und da ist eine Frau, sei­ne Frau, und ein Kind, sein Kind – und plötz­lich sieht er, dass er »hage­re röt­li­che Füße hat, von Trep­pen und Trot­toirs ver­krümmt. Auf bei­den klei­nen Zehen saß ein Hüh­ner­au­ge.« Und da hat er Mit­leid mit sich und weint. Das Buch ist auch for­mal gut – Dos Pas­sos ist nicht nur ein Dich­ter, son­dern auch ein begab­ter Schrift­stel­ler. Sehr hübsch ist die­se Denk­fi­gur, der man öfter bei ihm begeg­net: »Auf dem Trep­pen­ab­satz befand sich ein Spie­gel. Kapi­tän James Meri­va­le blieb ste­hen, um Kapi­tän James Meri­va­le zu betrach­ten.« Und die­se, die gra­de­zu pro­gram­ma­tisch ist und viel tie­fer als sie, leicht­ge­fügt, wie sie ist, zu sein scheint: »Nichts hat so viel Erfolg wie der Erfolg.« Eine ähn­li­che Dreh­tür des Stils steht bei Sin­clair Lewis, im ›Elmer Gan­try‹, einem Buch von dem hier noch aus­führ­lich die Rede sein soll … Ein ein­zi­ger Klub, heißt es da, wird Herrn Gan­try, den Pre­di­ger, viel­leicht auf­neh­men. »Des Anse­hens wegen. Um zu bewei­sen, dass sie unmög­lich den Gin in ihren Schrän­ken haben kön­nen, den sie in ihren Schrän­ken haben.« Die Über­set­zung von ›Man­hat­tan Trans­fer‹ durch Paul Bau­disch ist sau­ber und anstän­dig. Klei­ne Anmer­kung: Man sagt im Deut­schen kaum: »Das macht mich zipf­lig« –, son­dern wohl immer: »Das macht mich kribb­lig«. Und was ist dies hier? »Dü Mau­re­ta­nia läuft öben eun; vür­und­zwan­zig Stun­den Ver­spö­tung« – Spricht eine alte gezier­te Dame so? ein Ober­hof­pre­di­ger? Nein, das ist die Über­set­zung irgend­ei­nes ›slang‹, und die Män­ner, die sich mit Über­tra­gun­gen aus dem Eng­li­schen befas­sen, soll­ten sich das abma­chen. — Der Mor­gen kommt. Tau­ben sit­zen auf dem Fens­ter­brett. Sie haben tief geschla­fen. — stop
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silent bob

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reming­ton : 1.55 — Mor­gen, am spä­ten Nach­mit­tag, wer­de ich zu mei­ner gro­ßen Freu­de am Hals lin­ker Hand von einer Blu­me besie­delt wor­den sein, von einem Haut­le­ber­blüm­chen, genau­er, das mir Sil­ent­Bob vor Jah­ren ein­mal in dem Moment sei­ner Erfin­dung schenk­te. Die klei­ne Pflan­ze soll sich gefahr­los mit mei­nem Kör­per­ge­we­be ver­bin­den, zwei oder drei Wur­zel­fä­den, die nicht sehr tief in mich ein­drin­gen wer­den. Unsi­cher ist noch, inwie­weit sich das gemei­ne Haut­le­ber­blüm­chen fort­set­zen wird, ob es mich viel­leicht weit­räu­mig besie­deln könn­te. Es soll sehr schön leuch­ten im Dun­keln, sechs blätt­ri­ge Blü­ten, und duf­ten, wir wer­den sehen. — stop
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abschnitt neufundland

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Abschnitt Neu­fund­land mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : Wrack­tei­le [ See­fahrt – 121, Luft­fahrt — 1216, Auto­mo­bi­le — 2436 ], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 3, 19. Jahr­hun­dert – 88, 20. Jahr­hun­dert – 213 , 21. Jahr­hun­dert — 72 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 155, gelöscht : 112 ], Licht­fang­ma­schi­nen [ Canon Ixus 155 : 8 ], Dia­ry [ Loui­sa Sha­pi­ro 1901 — 2012 : 1 ] Öle [ 0.56 Ton­nen ], Pro­the­sen [ Herz — Rhyth­mus­be­schleu­ni­ger – 10, Knie­ge­len­ke – 26, Hüft­ku­geln – 43, Bril­len – 1566 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 39 : 799, Grö­ßen 38 — 45 : 564 ], Kühl­schrän­ke [ 6 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 8, mit Tau­cher – 22 ], Tele­fo­ne [ 624 ], Engels­zun­gen [ 28 ] | stop |

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