Aus der Wörtersammlung: vorsichtig

///

winterherz

2

alpha : 6.52 — Neh­men wir ein­mal an, es exis­tier­ten Men­schen, die je über ein schla­gen­des, also ein akti­ves Herz ver­fü­gen und außer­dem über ein war­ten­des Herz, das ganz still im Brust­korb liegt, klein, gefal­tet, ein Alters­herz oder ein Win­ter­herz. Von die­ser Vor­stel­lung woll­te ich in der ver­gan­ge­nen Nacht einem klei­nen Mann ira­ni­scher Her­kunft erzäh­len. Aber kaum hat­te ich Luft geholt und mei­nen ers­ten Satz zu Ende gespro­chen, begann der klei­ne Mann sei­ner­seits eine Geschich­te zu erzäh­len. Er sag­te, er habe Merk­wür­di­ges erlebt, das Fest­netz­te­le­fon sei­ner Woh­nung sei gestört gewe­sen, er habe des­halb die Tele­fon­ge­sell­schaft über sein Mobil­te­le­fon ange­ru­fen. Eine weib­li­che Stim­me habe sich bald gemel­det, die sich sehr freund­lich mit ihm unter­hal­ten habe in der Art und Wei­se, dass sie Fra­gen stell­te. Sie frag­te zum Bei­spiel: Könn­ten Sie bit­te Ihr Pro­blem genau beschrei­ben. Oder sie erkun­dig­te sich, ob sei­ne Inter­net­ver­bin­dung noch funk­tio­nie­ren wür­de, ob sein Tele­fon über aus­rei­chen­de Strom­ver­sor­gung ver­fü­ge, wie lan­ge Zeit er in etwa nicht mit sei­nem Tele­fon tele­fo­niert habe. Das Gespräch dau­er­te, so erzähl­te der klei­ne Mann, eini­ge Minu­ten, bis er bemerk­te, dass tat­säch­lich eine Maschi­nen­stim­me zu ihm sprach. Wei­te­re drei Minu­ten ver­stri­chen, dann habe er sich vor­sich­tig erkun­digt, ob er mit einem mensch­li­chen Wesen der Tele­fon­zen­tra­le ver­bun­den wer­den könn­te. In die­sem Moment brach das Pro­gramm die Unter­hal­tung ab. Es wur­de still am Tele­fon, kei­ne Fra­gen, kei­ne Ant­wor­ten, kurz dar­auf war ein Pfei­fen zu hören. Und das soll nun einer am frü­hen Mor­gen noch ver­ste­hen. Der Him­mel leicht bewölkt. — stop

melly

///

dos passos

2

india : 0.28 — Der Mann im Traum könn­te John Dos Pas­sos gewe­sen sein. Er trug einen Kit­tel wie ihn Ärz­te tra­gen. Ich kam gera­de sehr vor­sich­tig eine stei­le Trep­pe her­un­ter, als ich ihn ent­de­cke. Er stand breit­bei­nig unter einer Lam­pe, die sich lang­sam hin und her beweg­te, weil wir uns auf einem Schiff befan­den. Leich­ter See­gang. Um die Lam­pe her­um schweb­te ein Kind. Es muss­te gera­de erst gebo­ren wor­den sein, ein Stück der Nabel­schnur bau­mel­te noch von sei­nem Bauch, außer­dem schien das Wesen feucht zu sein, es war so groß wie eine Man­da­ri­ne, anstatt Armen und Hän­den ver­füg­te es über Flü­gel, damit schweb­te das Kind, und John Dos Pas­sos schau­te ihm zu. Er schien sich nicht zu wun­dern, ich hat­te viel­mehr den Ein­druck, als wür­de er das Kind­we­sen prü­fen. Eine Mut­ter war nicht zuge­gen. — stop

ping

///

von nelken

2

echo : 6.10 — Ich beob­ach­te­te eine alte Frau, wie sie unter einem Regen­schirm im Gar­ten kniend Nackt­schne­cken von Nel­ken­blu­men pflück­te. Neben sich hat­te die alte Frau einen klei­nen Eimer abge­stellt, der sich all­mäh­lich mit Schne­cken­kör­pern füll­te. Hef­ti­ger Regen. Ich konn­te den Regen hören, wie er auf den Schirm der alten Frau trom­mel­te. Und ich hör­te eine hel­le Stim­me, die mit sich selbst oder zu den Schne­cken sprach. Immer wie­der ein­mal stand die alte Frau vor­sich­tig auf, um in ihr Haus zurück­zu­keh­ren. Sie klopf­te dann ihre Schu­he ab, stand hin­ter dem Fens­ter, schau­te in den Gar­ten und war­te­te, bis wei­te­re Schne­cken ohne Häu­ser in die Nähe ihrer Nel­ken gekom­men waren. Die­se Schne­cken reis­ten nicht von der Sei­te her an, son­dern kamen tat­säch­lich von unten aus dem erdi­gen Boden her­auf. Waren es wie­der vie­le Schne­cken gewor­den, kehr­te die alte Frau zurück in ihren Gar­ten und erneut hör­te ich den Regen und eine hel­le Stim­me. Ich hat­te bald den Ein­druck, die­se Schne­cken, die unab­läs­sig aus dem Boden stie­gen, könn­ten rein aus etwas Haut und kla­rem Was­ser bestehen, es waren der­art vie­le, dass sie ganz ein­fach zunächst win­zi­ge Wesen sein muss­ten, die sich zu ihrer vol­len Ent­fal­tung mit Was­ser füll­ten, sobald es reg­ne­te. Nach drei Stun­den war der Eimer gefüllt und die alte Frau deck­te ihn mit einem Koch­topf­de­ckel zu, hol­te aus dem Haus einen wei­te­ren Eimer, der etwas grö­ßer gewe­sen war, als der ers­te Eimer. Es däm­mer­te, dann war es dun­kel, und als es rich­tig dun­kel gewor­den war, fins­ter, kehr­te die alte Frau mit einer Taschen­lam­pe in den Gar­ten zurück. Sie trug jetzt Gum­mi­stie­fel an den Füßen und ein Nacht­hemd und es reg­ne­te noch immer. — stop

ping

///

kekkola im eisfach

2

ulys­ses : 0.05 — Seit eini­gen Stun­den bereits lese ich Berich­te der New York Times, die Kor­re­spon­den­ten kurz vor dem Ein­tref­fen des Wir­bel­sturms San­dy in einem Web­log notier­ten. Bald wer­de ich mei­ne Lek­tü­re unter­bre­chen. Das ist näm­lich so, dass ich mir für die kom­men­den Stun­den vor­ge­nom­men habe, eine Nacht des Jah­res 2012 zu wie­der­ho­len, sagen wir zur Fei­er des Tages. In weni­gen Minu­ten wer­de ich also vor mei­nen Kühl­schrank tre­ten, um in Lou­is Kekkola’s Eis­buch Das Wal­fisch­or­ches­ter wei­ter­zu­le­sen. Ich wer­de die Baum­woll­hand­schu­he der Archi­va­re tra­gen wie vor Jah­ren, wer­de mein Ton­band­ge­rät ein­schal­ten und lei­se spre­chen, indem ich das zer­brech­li­che Buch­we­sen vor­sich­tig in Hän­den hal­te. Sobald eine Sei­te des Buches abge­tas­tet sein wird, wer­de ich das Eis­fach schlie­ßen und in der Woh­nung spa­zie­ren, ein Gramm Wal­fisch­or­ches­ter im Kopf für ein Jahr.  — Eliza­bot ist zurück. — stop

ping

///

nachtflug

pic

india : 0.18 — In die­sem Jahr ist er spät zu mir gekom­men, der Win­ter längst vor­über. Ein Fal­ter segel­te ges­tern Abend durch mein Arbeits­zim­mer, bald saß er auf dem Boden. Ich näher­te mich sehr vor­sich­tig, hob ihn auf und setz­te ihn behut­sam an eine Wand. — Es ist jetzt kurz nach Mit­ter­nacht. Ein paar Dioden­lich­ter glü­hen zu mir her­über. Ob ich den Fal­ter füt­tern soll­te? Viel­leicht wür­de er etwas Him­beer­mar­me­la­de zu sich neh­men. Ich stel­le mir vor, der Fal­ter könn­te 254 Jah­re alt, er könn­te ein Lich­ten­berg­fal­ter sein, der rasch bei mir zu Kräf­ten kom­men möch­te. Ja, das ist denk­bar, immer wie­der denk­bar. Ges­tern, das will ich schnell noch erzäh­len, habe ich Flug­ver­su­che unter­nom­men mit einer fili­gra­nen Rücken­pro­pel­ler­droh­ne. Es han­delt sich um die Nach­bil­dung eines Tau­ben­schwänz­chen, dem­zu­fol­ge ist sie nicht grö­ßer als 50 Mil­li­me­ter. Ich habe ihr bei­gebracht, mir zu fol­gen, wenn ich durch mei­ne Woh­nung spa­zie­re. In die­ser Ver­fol­gung ist sie bereits sehr prä­zi­se, außer­dem so schnell in ihrer Bewe­gung gewor­den, dass ich sie mit blo­ßer Hand nicht fan­gen könn­te. Ein­mal näher­te sie sich mei­ner Schne­cke Esme­ral­da. Das war ein Moment von höchs­ter Auf­merk­sam­keit, ein Ver­hal­ten, als wür­de das Tau­ben­schwänz­chen mit Esme­ral­da spre­chen, sehr selt­sam, anrüh­rend, die Kirsch­bäu­me blü­hen. — stop

nach­rich­ten von esmeralda »
ping

///

über staten island nachts

2

whis­key : 8.28 — Auf der Suche im Inter­net nach Pro­pel­ler­flug­ma­schi­nen, die von Hand zu bedie­nen sind, ent­deck­te ich eine Leih­sta­ti­on für Droh­nen­vö­gel nahe des St. Geor­ge Fer­ry Ter­mi­nals, und zwar in der Bay Street, Haus­num­mer 54. Obwohl ich mich in Mit­tel­eu­ro­pa befand, muss­te ich, um Kun­de wer­den zu kön­nen, kei­ne wei­te­ren Anga­ben zur Per­son hin­ter­le­gen als mei­ne Kre­dit­kar­ten­num­mer, nicht also begrün­den, wes­halb ich den klei­nen Metall­vo­gel, sechs Pro­pel­ler, für drei Stun­den nahe der Stadt New York aus­lei­hen woll­te. Auch erkun­dig­te sich nie­mand, ob ich über­haupt in der Lage wäre, eine Droh­ne zu steu­ern, selt­sa­me Sache. Ich bezahl­te 24 Dol­lar und star­te­te unver­züg­lich mit­hil­fe mei­ner Com­pu­ter­tas­ta­tur vom Dach eines fla­chen Gebäu­des aus. Ich flog zunächst vor­sich­tig auf und ab, um nach weni­gen Minu­ten bereits einen Flug ent­lang der Metro­ge­lei­se zu wagen, die in einem sanf­ten Bogen in Rich­tung des offe­nen Atlan­tiks nach Tot­ten­ville füh­ren. Ich beweg­te mich sehr lang­sam in 20 Metern Höhe dahin, kein Schnee, kaum Wind. Die fer­ne und doch zugleich nahe Welt unter mir auf dem Bild­schirm war gut zu erken­nen, ich ver­moch­te selbst Gesich­ter von Rei­sen­den hin­ter stau­bi­gen Fens­ter­schei­ben pas­sie­ren­der Züge zu ent­de­cken. Nach einer hal­ben Stun­de erreich­te ich Clif­ton, nied­ri­ge Häu­ser dort, dicht an dicht, in den Gär­ten mäch­ti­ge, alte Bäu­me, um nach einer wei­te­ren Vier­tel­stun­de Flug­zeit unter der Ver­ranz­a­no-Nar­rows Bridge hin­durch­zu­flie­gen. Nahe der Sta­ti­on Jef­fer­son Ave­nue wur­de gera­de ein Feu­er gelöscht, eine Rauch­säu­le rag­te senk­recht hoch in die Luft, als wäre sie von Stein. Dort bog ich ab, steu­er­te in der­sel­ben Höhe wie zuvor, der Lower Bay ent­ge­gen. Am Strand spa­zier­ten Men­schen, die wink­ten, als sie mei­nen Droh­nen­vo­gel oder mich ent­deck­ten. Als ich etwas tie­fer ging, bemerk­te ich in der Kro­ne eines Bau­mes in Ufer­nä­he ein Fahr­rad, des Wei­te­ren einen Stuhl und eine Pup­pe, auch Tang war zu erken­nen und ver­ein­zelt Vogel­nes­ter. Es war spä­ter Nach­mit­tag  gewor­den jen­seits des Atlan­tiks, es wur­de lang­sam dun­kel. — stop

polaroidzug

///

in der paukenhöhle

pic

del­ta : 7.10 — Es ist leicht, sich Zell­kör­per vor­zu­stel­len, die vor­sich­tig geöff­net wur­den, um in sie hin­ein spä­hen zu kön­nen. Ich wünsch­te ihre Struk­tu­ren mit Namen bezeich­nen zu kön­nen, mit Wort­kör­pern, die mir gefal­len. Bereits die Ana­to­mie der Amei­sen Wort für Wort aus­zu­wei­sen, wird einen lan­gen poe­ti­schen Atem erfor­dern. Ich über­leg­te, wie sich afri­ka­ni­sche Men­schen bald erhe­ben wer­den, sie for­dern, ihre uralten Spra­chen in unse­re human ana­to­mi­sche Nomen­kla­tur ein­zu­spei­sen, ner­vus oli­mam­bo, der fort­an unter die­ser Bezeich­nung mensch­li­che Augen­li­der inner­vie­ren wird. Bald mel­den sich Bewoh­ner Grön­lands, sun­ni­ti­sche und schii­ti­sche Stäm­me, India­ner der wil­den Wäl­der Papua-Neu­gui­ne­as. Sie alle haben den Wunsch, ihre Spra­che, Wör­ter, ihre geis­ti­ge Welt in der Vor­stel­lung eines all­ge­mein­gül­ti­gen mensch­li­chen Kör­pers zu hin­ter­las­sen. Das zustän­di­ge Büro der Uno hoch über dem East River, eine Behör­de, Jahr­zehn­te nach­drück­li­cher Ver­hand­lung in der Pau­ken­höh­le. — stop

ping

///

grammophon

pic

zou­lou : 3.36 — Wür­den jene Fahr­zeit­räu­me früh­mor­gens in war­men Abtei­len der Züge nicht exis­tie­ren, wür­den wir viel­leicht nie mit­ein­an­der spre­chen. Er ist meis­tens müde von der Nacht­ar­beit. Fünf­zehn Minu­ten Zeit, zu kurz, um schla­fen zu kön­nen, zu lang, um zu schwei­gen. M. wur­de in der marok­ka­ni­schen Hafen­stadt Nador gebo­ren. Er ist Mos­lem, gläu­big, einer der Guten, wie er sagt, einer, vor dem sich nie­mand fürch­ten müs­se. Er geht in die Moschee, er spielt Fuß­ball, er ist ver­hei­ra­tet, nachts beauf­sich­tigt er Maschi­nen, die Brie­fe sor­tie­ren, und er lacht gern. Sein Blick ist warm, er ver­fügt über zwei Hän­de, dar­auf besteht er, und zwei Augen, eine Nase, einen Mund. Vor Kur­zem warn­te er mich, weil ich öffent­lich über den Glau­ben der Mos­lems notier­te. Er sag­te: Da musst Du vor­sich­tig sein, es gibt vie­le Ver­rück­te, schau, dass sie nicht wis­sen, wo Du wohnst. Ein­mal, kurz nach einer Rei­se nach New York, lese ich ihm eine Geschich­te vor, fol­gen­de Geschich­te, sagen wir, eine Geschich­te wie eine Fra­ge: Im Cen­tral Park zur Mit­tags­zeit ein beten­der Mann, Mos­lem, Rik­scha­fah­rer, der Höhe 61. Stra­ße unter einer mäch­ti­gen, weit­ver­zweig­ten Ulme kniet, viel­leicht unter einem jener Bäu­me, deren Setz­lin­ge im Jahr 2008 nach Ore­gon geschickt wur­den, um sie dort groß­zu­zie­hen und wie­der nach Man­hat­tan zurück­zu­ho­len. Das kla­gen­de Sin­gen der Kin­der­schau­kel. Ein Eich­hörn­chen hetzt über eine Wie­se. Bald kau­ert das Tier in der Nähe des beten­den Man­nes, scheint ihn zu beob­ach­ten. Ich könn­te jetzt war­ten, bis der Mann mit sei­nem Gebet fer­tig gewor­den ist. Ich könn­te mich zu ihm in sei­ne Rik­scha set­zen. Wir könn­ten gemein­sam durch den Park fah­ren. Ich könn­te ihm eine Geschich­te erzäh­len. Ich könn­te erzäh­len, dass ich eben noch in einem Café hör­te, wie eine jun­ge, lus­ti­ge Mut­ter von ihrer Absicht berich­te­te, ihren Sohn, der noch nicht gebo­ren wor­den ist, mit dem Namen „Gram­mo­phon“ zu ver­se­hen. Das ist eine wirk­lich auf­re­gen­de Geschich­te, die ich tat­säch­lich sofort erzäh­len soll­te. Ich soll­te den jun­gen Mann wei­ter­hin fra­gen, ob er mir viel­leicht erklä­ren wol­le, wes­halb es lebens­ge­fähr­lich für mich sein könn­te, wenn ich mich fra­gend über Moham­med, den Pro­phe­ten, äußern wür­de. Viel­leicht wür­de der jun­ge Mann brem­sen, viel­leicht sich unver­züg­lich von sei­nem Fahr­rad schwin­gen. Wir wür­den uns auf eine Bank set­zen und Geschich­ten erzäh­len von Gram­mo­pho­nen, von Pro­phe­ten und wie es ist, im Win­ter Rik­scha zu fah­ren. Und viel­leicht wür­de ich ihm dann noch vom Schnee erzäh­len, den ich als Kind aus der Luft gefan­gen habe. Ja, so könn­ten wir das machen, sofort, gleich, wenn der beten­de Mann sich erhe­ben wird. – stop

ping

///

san lorenzo de esmeraldas

9

kili­man­dscha­ro : 6.55 — Am Sams­tag der ver­gan­ge­nen Woche erreich­te mich eine Waren­sen­dung, die in einem Dorf namens San Loren­zo de Esme­ral­das bereits im Juli auf­ge­ge­ben wor­den war. Die klei­ne Ort­schaft liegt nahe der Gren­ze zu Kolum­bi­en im Dschun­gel unweit der Pazi­fik­küs­te, lan­ge Näch­te, feuch­te Luft, krei­schen­de Tama­ri­ne. Das Päck­chen, ich hat­te lan­ge dar­auf gewar­tet, ent­hielt ein Käst­chen von Holz in der Grö­ße einer Zigar­ren­schach­tel, das mit­tels eines blau­en Gum­mi­rie­mens ver­schlos­sen wur­de. Ich stell­te das Käst­chen auf mei­nen Schreib­tisch ab, um es vor­sich­tig zu öff­nen. Fei­ner, hel­ler Sand wur­de sicht­bar, Sand, so fein wie gemah­le­ner Kam­pot-Pfef­fer. Bald arbei­te­te ich mich mit einem Pin­sel vor­sich­tig in die Tie­fe vor­an, bis ich auf zwei Kör­per stieß. Es han­del­te sich um Käfer­we­sen, die des­halb etwas Beson­de­res dar­stell­ten, weil sie je über zwei Köp­fe ver­füg­ten und über sechs Füh­ler, die im Moment mei­ner Besich­ti­gung nicht im Gerings­ten auf mei­ne Gegen­wart reagier­ten. Nach einer hal­ben Stun­de, ich hat­te die Käfer bis dahin lie­be­voll betrach­tet, waren end­lich Lebens­zei­chen zu erken­nen, die Füh­ler der Käfer beweg­ten sich, und ich hob sie aus ihrem Sand­bett und sie schlu­gen mit den Flü­geln, als woll­ten sie mich begrü­ßen. Ihre Kör­per waren weich, sie beb­ten, und sie ver­ström­ten einen fei­nen Duft, der mich an Man­deln erin­ner­te. Zur ers­ten Pro­be setz­te ich einen der Käfer an mein lin­kes Ohr, und der Käfer drang unver­züg­lich in mich ein, sehr behut­sam, bis ich bemerk­te, dass sei­ne Füh­ler mein Trom­mel­fell betas­te­ten. Kurz dar­auf wei­te­te sich sein Kör­per, ich hör­te ihn knis­tern, bis er mei­nen Gehör­gang voll­stän­dig füll­te. Ein Pochen war zu ver­neh­men, das mich müde wer­den ließ. Kaum hat­te ich den zwei­ten Käfer in das ande­re mei­ner Ohren gesetzt, schlief ich ein. Zwölf Stun­den lang schlief ich tief und fest, mei­ne Stirn ruh­te auf dem Schreib­tisch. Als ich erwach­te, hat­ten sich bei­de Käfer wie­der in ihr Sand­bett zurück­ge­zo­gen. Es ist jetzt frü­her Mor­gen. — stop
ping

///

wanda

9

del­ta : 0.18 — Wie Wan­da gera­de wie­der ein­mal glück­lich ist, weil ihm sein Freund Joseph ein Buch Peter Nadas’ schenk­te, 1305 Sei­ten: Das Buch der Erin­ne­rung. Wenn man das Buch in die Hand nimmt, wird man ver­mut­lich sagen: Das ist ein schwe­res Buch. Das Papier scheint dünn zu sein, auch die Schat­ten der Buch­sta­ben sind gut zu erken­nen, so dünn sind die Sei­ten des Buches, dass das Licht sie zu durch­drin­gen ver­mag. Wan­da hat das sofort bemerkt. Seit­her nimmt er jede Sei­te, ehe er zu lesen beginnt, zärt­lich zwi­schen sei­ne Fin­ger, fährt ihre Rän­der ent­lang, legt kurz dar­auf ein Blatt Papier auf einen Tisch, der sein per­sön­li­cher Tisch ist, spitzt einen Blei­stift und notiert einen wei­te­ren Satz des Buches der Erin­ne­rung. Win­zi­ge, wun­der­ba­re Schrift­zei­chen, akku­rat gesetzt. Sobald Wan­da am Ende des Sat­zes ange­kom­men ist, hält er inne, um jedes nie­der­ge­leg­te Wort Zei­chen für Zei­chen zu prü­fen: … hat­te ich schon Buda­örs erreicht, der Weg dort­hin war lang, kur­ven­reich und dun­kel gewe­sen, eine Art Steil­pfad führ­te hin­un­ter in die Ebe­ne ein umge­pflas­ter­ter Gra­ben mit gefro­re­nen Wagen­spu­ren, auf bei­den Sei­ten das dich­te Spa­lier hoch auf­ge­schos­se­nen Gestrüpps … So arbei­tet Wan­da Stun­de um Stun­de vor­an, er beginnt am Mor­gen um kurz nach Acht, mit­tags schläft er von Eins bis Drei, Punkt sechs Uhr abends schließt er das Buch und löscht das Licht über dem Tisch. Vor­sich­tig ver­lässt er den Saal, er kann kaum noch sehen. Er sagt, er mache noch die­ses eine Buch, aber das hat er schon oft gesagt, sei­nem letz­ten Buch folg­te ein wei­te­res letz­tes Buch, das ihm Joseph schenk­te. Joseph ist ein Guter unter den Men­schen. Joseph sagt: Solan­ge Du Bücher notierst, solan­ge Du arbei­test, wird Dich nie­mand fra­gen ... — stop
ping



ping

ping