Aus der Wörtersammlung: seite

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schwarzweißballone

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india : 6.52 — Auf einer Schwarz-Weiß-Foto­gra­fie, die ich in den Maga­zi­nen mei­nes Vaters ent­deck­te, sind Wan­de­rer im Gebir­ge zu sehen. Die Auf­nah­me wur­de irgend­wann in den 20er-Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts gefer­tigt, 1926 oder 1928, undeut­li­che Schrift­zei­chen ver­hin­dern genaue­re Bestim­mung. Ich hat­te ein Ver­grö­ße­rungs­glas zu Hil­fe genom­men, um in die Tie­fe der Foto­gra­fie vor­drin­gen zu kön­nen. Acht Men­schen sind zu erken­nen, eini­ge lachen, ande­re schei­nen doch erschöpft zu sein. Sie sind in der Pha­se des Auf­stiegs fest­ge­hal­ten. Ein sehr stei­ler Pfad. Jen­seits die­ses Pfa­des ein Abgrund. Die Wan­de­rer haben Stö­cke in der Hand, Hüte auf dem Kopf, fes­te, schwe­re Schu­he an den Füßen. Bemer­kens­wert ist, dass sie kei­ne Ruck­sä­cke auf dem Rücken tra­gen. Im Bild­aus­schnitt sind außer­dem kei­ne Trä­ger zu sehen, weder Mulis noch Pfer­de, statt­des­sen eini­ge Stein­bö­cke am obe­ren Bild­rand. Dort vor allem Fel­sen, kein Him­mel, eini­ge Lat­schen­kie­fern. Ich leg­te die Foto­gra­fie zur Sei­te. Eini­ge Zeit spä­ter bemerk­te ich unter wei­te­ren Foto­gra­fien, eine zwei­te Schwarz-Weiß-Foto­gra­fie der Wan­der­grup­pe. Sie hat­te nun einen Grat erreicht, Him­mel ist zu sehen, Him­mel ohne Wol­ken. Einer der Män­ner deu­tet abwärts ins Tal. Die Grup­pe scheint ins­ge­samt ange­hal­ten zu haben. Sie besteht noch immer aus acht Per­so­nen. Über die­sen Per­so­nen schwe­ben hel­le Bal­lo­ne, die mit den Men­schen ver­bun­den gewe­sen sein müs­sen, da sie sich je in der­sel­ben Höhe über den Köp­fen der Wan­de­rer befin­den. Unter den Bal­lo­nen hän­gen Körb­chen, in wel­chen sich Waren befin­den, die nur undeut­lich aus dem Pixel­sand des Bil­des tre­ten, Ahnun­gen. Ich hat­te Bal­lo­ne die­ser Art bis dahin weder mit eige­nen Augen gese­hen, noch hat­te ich je von der Erfin­dung flie­gen­der Ruck­sä­cke gehört. Die Foto­gra­fien waren ohne jede Beschä­di­gung, nur etwas gewölbt, als wären sie für kur­ze Zeit feucht gewor­den. Kein Hin­weis auf Ort oder Urhe­ber der Arbei­ten. Viel­leicht Auf­nah­men mei­nes Groß­va­ters, den ich nie per­sön­lich ken­nen­ge­lernt habe, Auf­nah­men, die weni­ge Jah­re vor der Geburt mei­nes Vaters ange­fer­tigt sein müss­ten. Sie schwe­ben nun selbst frei, ohne leben­de Zeu­gen, wie Bal­lo­ne in der Zeit her­um. — stop
ping

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analog

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echo : 22.58 — In dem unter­ir­disch im Ver­bor­ge­nen lie­gen­den Saal, von dem ich berich­te, arbei­ten 5756 Men­schen. Gera­de eben hat die Nacht­schicht begon­nen. Es ist feucht und warm, 36° Cel­si­us, fei­ner war­mer Regen hängt in der Luft, auch ein Rau­schen viel­fäl­ti­ger Stim­men, die flüs­tern. Man sitzt vor klei­nen Tischen, wel­che mit dem Boden ver­schraubt wor­den sind, wie auch die Stüh­le, auf wel­chen man arbei­tet in allen mög­li­chen Posi­tio­nen. Über jedem der 5756 Tische befin­det sich ein Körb­chen, dort ruhen Brie­fe, die schein­bar end­los von der Decke wie vom Him­mel fal­len. Beob­ach­tet man nun einen der Tische genau­er und für eine gewis­se Zeit, wird man bemer­ken, dass es sich bei der Arbeit der Men­schen, die sich im Saal ein­ge­fun­den haben, um die Arbeit des Brief­öff­nens han­delt, kei­ne kör­per­lich schwe­re Arbeit, weil die Luft des Saa­les so feucht ist, dass sich die Brief­um­schlä­ge in den Hän­den der arbei­ten­den Men­schen wie von selbst öff­nen wol­len. Kaum lie­gen die Ein­ge­wei­de eines der Brie­fe flach auf dem Tisch, wer­den sie foto­gra­fiert von allen Sei­ten her, um sodann wie­der in ihren Umschlag gelegt und ver­schlos­sen zu wer­den. Eine Wol­ke von Kleb­stoff tritt zu die­sem Zweck aus einer Düse, die sich je an der rech­ten Sei­te der Tische befin­det, eine Art Rüs­sel, aus wel­chem kurz dar­auf ein hei­ßer Luft­strom pfeift. Prü­fen­de Bli­cke, ist alles so gefal­tet und beschrif­tet wie vor der Öff­nung gewe­sen? Und schon fällt der nächs­te Brief auf den Tisch, wird geöff­net, belich­tet, ver­schlos­sen, in Form gepresst, Minu­te um Minu­te, ein Brief und noch ein Brief, gele­sen wird an ande­rer Stel­le, es ist viel zu warm hier, um noch stu­die­ren und nach­den­ken zu kön­nen, rasen­de Pul­se. Da und dort fal­len Sand, fal­len glit­zern­de Papier­her­zen aus den geöff­ne­ten Kuverts, Schlüs­sel, Gebets­ket­ten, Bank­no­ten, Federn, digi­ta­le Spei­cher­kärt­chen, auf wel­chen, fas­zi­nie­rend, wei­te­re gehei­me Schrift­stü­cke zu ent­de­cken sind. – stop / Ver­suchs­an­ord­nung
polaroidlesender

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cloud

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ulys­ses : 2.05 — Neh­men wir ein­mal an, es wäre tat­säch­lich Mon­tag. Ein stür­mi­scher Tag. Es reg­net. Der Wind kommt von Wes­ten her. Ich gehe nach links, ich gehe mit dem Regen, mit Wind im Rücken. Viel­leicht habe ich die Maschi­ne, die mich in mei­ner Abwe­sen­heit besuch­te, des­halb nicht gese­hen. Sie muss über einen Schlüs­sel ver­fü­gen oder über beson­de­res Geschick. Sie arbei­te­te schnell, ich war kaum drei Stun­den unter­wegs. Ich war am Bahn­hof, habe etwas Reis mit Huhn geges­sen, spa­zier­te am Fluss, viel bun­tes Laub, traf eine Freun­din, die von einer Rei­se nach Dar­jee­ling erzähl­te, von den höl­zer­nen Zügen und vom Schnee, der so über­ra­schend gefal­len war, dass sie nach einer Nacht im Schlaf, vor einem Fens­ter ste­hend, ihren Augen nicht trau­te. Wie ich also nach Hau­se kom­me, sehe ich auf der Stra­ße Bücher lie­gen, es waren hun­der­te Bücher, ein klei­ner Berg im Vor­gar­ten, auch in den Kro­nen der Bäu­me waren Bücher hän­gen­ge­blie­ben. Die Woh­nungs­tür war ange­lehnt, die Fens­ter im Arbeits­zim­mer geöff­net. Inmit­ten die­ses Zim­mers stand nun jene Maschi­ne, deren Kom­men ich nicht wahr­ge­nom­men hat­te. Ein letz­tes Buch war in ihren Griff genom­men, rasend schnell blät­ter­te sie von einer Sei­te zur ande­ren, foto­gra­fier­te jede der Sei­ten, und schleu­der­te das Buch schließ­lich mit einer geschmei­di­gen Bewe­gung aus dem Fens­ter. Die Maschi­ne summ­te lei­se. Sie ver­füg­te über einen auf­rech­ten Gang wie ein Mensch. Ich hör­te ihre Schrit­te auf der Trep­pe. Ich schloss die Tür, auch mei­ne was­ser­fes­ten Bücher im Bad waren ver­schwun­den, Notiz­hef­te, Zet­tel­samm­lung, alles ver­schwun­den an die­sem stür­mi­schen Tag, der ein Mon­tag ist. Es reg­net. Und der Wind kommt von Wes­ten her. Noch ist es dun­kel, noch drei oder vier Stun­den wird es dun­kel sein. Gegen fünf Uhr wer­de ich die ers­te Stra­ßen­bahn hören, wie sie sich nähert, wie sie in eine Kur­ve fährt, ihr Pfei­fen, und die Stim­men schläf­ri­ger Men­schen. — stop

polaroidfenster1

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esmeralda

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tan­go : 22.08 — Vor zwei Tagen, spä­ter Nach­mit­tag, über­reich­te mir ein schwer atmen­der Bote ein Päck­chen, auf des­sen Anschrif­ten­sei­te mit wuch­ti­gen Druck­buch­sta­ben eine Anwei­sung notiert wor­den war: Do not shake! Der jun­ge Mann, viel­leicht um mich zu war­nen, deu­te­te auf die Schach­tel in sei­ner Hand und sag­te: Ich rie­che, dass in die­sem Päck­chen etwas lebt! Und schon war er wie­der auf der Trep­pe ver­schwun­den. Tat­säch­lich han­del­te es sich bei dem Päck­chen um einen Lebend­trans­port, der in der ita­lie­ni­schen Hafen­stadt Tala­mo­ne auf­ge­ge­ben wor­den war. Eine Schne­cke hock­te in einer per­fo­rier­ten Schach­tel geduckt unter wel­ken Blät­tern. Als ich das klei­ne Tier vor­sich­tig auf einen Tel­ler setz­te, mach­te es zunächst einen sehr müden, erschöpf­ten Ein­druck. Sein Haus schien bald vom Kör­per zu rut­schen, auch wur­de kei­ner­lei Flucht­ver­such unter­nom­men, statt­des­sen saß die Schne­cke nahe­zu ohne Bewe­gung und schau­te mich an. Selbst, als ich mich mit einem Fin­ger näher­te, zog sie sich nicht in ihr Kalk­ge­win­de zurück. Eine hal­be Stun­de lang betrach­te­ten wir uns gedul­dig. Dann war spä­ter Abend gewor­den, ich hat­te mehr­fach tele­fo­niert, der Schne­cke ein Apfel­stück­chen ange­bo­ten, das Pack­pa­pier, in wel­ches die Sen­dung ein­ge­schla­gen gewe­sen war, auf der Suche nach einer Bot­schaft oder einem Absen­der, ein­ge­hend unter­sucht, und war dann kurz spa­zie­ren gegan­gen. Indes­sen hat­te sich die Schne­cke in Rich­tung der Süd­wand mei­ner Küche in Bewe­gung gesetzt, war von dort aus, eine schim­mern­de Spur hin­ter­las­send, wei­ter zur Die­le hin gewan­dert, erreich­te dort den Boden, um eine hal­be Stun­de spä­ter mein Arbeits­zim­mer zu betre­ten. Der­art lei­se war die Schne­cke wei­ter­ge­zo­gen, dass ich sie bei­na­he ver­ges­sen hät­te. Dann war Sams­tag, der Sams­tag ver­ging, zwei wei­te­re Stück­chen Apfel, und es wur­de Sonn­tag und wie­der Abend und es begann zu reg­nen. In die­sem Moment sitzt die Schne­cke einen hal­ben Meter hoch über dem Fuß­bo­den an der Wand mei­nes Wohn­zim­mers. Sie scheint zu schla­fen. Wie­der­um ist sie nicht in ihrem Häus­chen ver­schwun­den, was höchst merk­wür­dig ist. — stop

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polaroidanemonen

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prada

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tan­go : 5.16 — Die Hand­ta­sche, der ich mich in der ver­gan­ge­nen Nacht ein­ge­hend wid­me­te, ist rot und weiß und von feins­tem Leder. Zwei Fächer sind in ihrem schma­len Bauch zu fin­den, die man mit Druck­knöp­fen ver­schlie­ßen kann. In die­sem Moment steht die Tasche auf vier metal­le­nen Füß­chen vor mir auf dem Schreib­tisch, Schul­ter­rie­men, Tra­ge­hen­kel, Außen­fä­cher, ein wirk­lich ansehn­li­ches Exem­plar, das glänzt und leicht ist. Die Tasche wiegt in nicht befüll­tem Zustand gera­de ein­mal 400 Gramm, so leicht ist die­se Tasche, ganz erstaun­lich. Nun habe ich Fol­gen­des unter­nom­men, ich habe zunächst in sorg­fäl­tigs­ter Wei­se einen präch­ti­gen Haut­bal­lon gefal­tet und in das lin­ke Sei­ten­fach der Leicht­hand­ta­sche abge­legt. Es han­delt sich um ein fili­gra­nes, flug­fä­hi­ges Natur­pro­dukt, wel­ches aus der Schwimm­bla­se eines Mond­fi­sches gefer­tigt wur­de. Ein fei­ner Schlauch, nicht sicht­bar auf den ers­ten Blick, führt vom Hals des Bal­lons wie­der­um zu einem Siphon, in dem sich Heli­um befin­det. Ich habe ihn, nach län­ge­rer Über­le­gung, auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te, im zwei­ten Außen­fach der Tasche unter­ge­bracht. Er ver­fügt über ein Ven­til, wel­ches unkon­trol­lier­tes Aus­strö­men des Gases ver­hin­dert, über einen Ver­schluss also, der mit einer sanf­ten Fin­ger­be­we­gung jeder­zeit geöff­net wer­den könn­te, sodass das Gas im Bruch­teil einer Sekun­de in den Bal­lon schie­ßen, das Fut­te­ral des Bal­lons öff­nen und die Hand­ta­sche mit Auf­trieb ergrei­fen wür­de. Soll­te ich zu die­sem Zeit­punkt das Ven­til der Tasche öff­nen, ende­te ihr Flug an der Decke mei­nes Zim­mers. — Kurz vor fünf Uhr am Mor­gen. Schon zu spät, um inmit­ten der Stadt heim­lich einen Frei­luft­ver­such unter­neh­men zu kön­nen. Noch etwas schla­fen dar­um, dann eine Spin­del mit äußerst fei­nem, aber zug­fes­tem Faden in der Län­ge von 100 Metern an der Tasche befes­ti­gen, dann wie­der Nacht. — stop

polaroidmolluske

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hirnhummeltee

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echo

~ : malcolm
to : louis
sub­ject : HIRNHUMMELTEE
date : oct 8 13 6.11 p.m.

Am ach­ten Sep­tem­ber, es war ein Sonn­tag gewe­sen, ein war­mer, freund­li­cher Tag, erreich­te Fran­kie Bat­tery Park. Er hielt sich nicht lan­ge auf unter den Bäu­men, die sich bereits herbst­lich färb­ten, folg­te der Küs­ten­li­nie, um zwei Stun­den spä­ter das Schiffs­ter­mi­nal South Fer­ry zu errei­chen. Bis dahin hat­ten wir ver­mu­tet, Fran­kie sei ein scheu­es, ein men­schen­scheu­es Tier, doch gegen den Abend zu in der Däm­me­rung, wag­te sich das Eich­hörn­chen in den zen­tra­len Saal des Gebäu­des, in wel­chem hun­der­te Pas­sa­gie­re auf das nächs­te Schiff nach Sta­ten Island war­te­ten. Alli­son warn­te als Ers­te mit­tels eines Funk­spru­ches, Fran­kie könn­te viel­leicht eines der Fähr­schif­fe entern. Und genau­so war es gekom­men, das klei­ne, mus­ku­lö­se Tier has­te­te laut­los über den blitz­blan­ken Boden des Ter­mi­nals, duck­te sich unter Sitz­bän­ken, ver­barg sich in den Schat­ten des Abends, um von den Hun­den der Küs­ten­wa­che unbe­merkt, nur von eini­gen Kin­dern stau­nend betrach­tet, über den Steg an Bord der John F. Ken­ne­dy zu huschen. Hier befin­den wir uns zu die­sem Zeit­punkt. Es ist wie­der Abend gewor­den, der drei­ßigs­te Tag, an dem Fran­kie auf dem Fähr­schiff über die Upper­bay pen­del­te, neigt sich dem Ende zu. Am Hori­zont, im Wes­ten, leuch­ten die Hafen­krä­ne New Jer­seys, sie blin­ken, mäch­ti­ge Eisen­vö­gel. Auf der Pro­me­na­de spa­zie­ren Men­schen mit Foto­ap­pa­ra­ten. Es ist ein schö­ner Spät­som­mer­abend. Seit vie­len Stun­den rollt ein Ball von einer Sei­te des Schif­fes zur ande­ren. Ich wer­de müde, indem ich ihm mit den Augen fol­ge. Nie­mand scheint sich an sei­ner Bewe­gung zu stö­ren, es ist so, als wür­de der Ball zum Schiff gehö­ren, als wür­de er schon seit vie­len Jah­ren über das Hur­ri­ka­ne­deck rol­len. Fran­kie schläft. Er ruht in einer Ret­tungs­wes­te, die unter einer Sitz­bank bau­melt. Die Wes­te schau­kelt im leich­ten See­gang hin und her. — Ihr Mal­colm / code­wort : hirnhummeltee 

emp­fan­gen am
8.10.2013
1871 zeichen

mal­colm to louis »

ping

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vom fliegen

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echo : 22.08 — Mein Vater ver­füg­te über ein her­vor­ra­gen­des Gedächt­nis. Jah­re­lang konn­te er sich an Geschich­ten erin­nern, die unmit­tel­bar mit Licht­bil­dern, die er auf­ge­nom­men hat­te, in Ver­bin­dung ste­hen. Nun, da er gestor­ben ist, exis­tie­ren vie­le die­ser Geschich­ten im Ver­bor­ge­nen, weil mein Vater sich nicht mehr an sie erin­nert, sie nicht mehr erzäh­len wird. In sei­nem Arbeits­zim­mer, wei­ter­hin unbe­rührt, steht ein schwe­rer, alter Schrank gleich neben einem Fens­ter zum Gar­ten, in wel­chem sich tau­sen­de Auf­nah­men in Maga­zi­nen befin­den. Eini­ge der Maga­zi­ne wur­den beschrif­tet. Ägyp­ten 1986, Chi­ca­go 1978 oder Wan­dern im Wal­lis 1969. Auf einer klei­nen Schach­tel ist Fol­gen­des notiert: Andre­as läuft. 87 Dia­fo­to­gra­fien sind in die­ser Schach­tel ent­hal­ten, far­bi­ge Auf­nah­men, die sich mit mei­nen ers­ten Spa­zier­ver­su­chen ver­bin­den. Ich tra­ge wei­che, hel­le Hosen und einen roten Pull­over. Ich schei­ne sehr begeis­tert gewe­sen zu sein, mache gro­ße, run­de Augen, manch­mal sit­ze ich auf dem Boden und lache, ein ander­mal sit­ze ich auf dem Boden und wei­ne. Auf der ein oder ande­ren Foto­gra­fie kom­men Hän­de von der Sei­te her ins Bild oder sie kom­men von oben. Ein­mal sind nur mei­ne Füße zu sehen, sehr klei­ne Füße in blau­en Strümp­fen. Man könn­te mei­nen, die­se Auf­nah­me wür­de doku­men­tie­ren, dass ich das Flie­gen lern­te, noch ehe ich rich­tig ste­hen und lau­fen konn­te. Indem ich die Bil­der mei­nes Vaters beob­ach­te, wird sei­ne Gegen­wart inten­siv spür­bar, er war bei jeder Auf­nah­me in mei­ner Nähe gewe­sen, in der Nähe eines Kin­des, das zur Zeit der Licht­nah­me noch kei­ne wirk­li­che Vor­stel­lung davon haben konn­te, was Erin­ne­rung ist. Und tat­säch­lich, ich kann mich nicht dar­an erin­nern, wie ich das Lau­fen lern­te. – Spä­ter Abend. stop. In Brook­lyn, Haus 77, Oran­ge St., soll eine Stein­kir­sche, Stein­kir­sche No 632, voll­endet wor­den sein. — stop. — 5.08 Gramm. — stop

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bohumil hrabal

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tan­go : 6.56 — Ich beob­ach­te mei­nen Fern­seh­bild­schirm. Er ist so flach, dass ich mei­ne, das beweg­te Bild, wel­ches er emp­fängt, müss­te trans­pa­rent sein wie ein Schmet­ter­lings­flü­gel. Ich könn­te in die­ser Vor­stel­lung durch das Zim­mer lau­fen, um jene Sequen­zen, die von Kriegs­vor­be­rei­tun­gen, von chir­ur­gi­schen, begrenz­ten Luft­schlä­gen erzäh­len, von der ande­ren Sei­te her zu betrach­ten. Erin­ne­re mich an Boh­u­mil Hra­bal, von dem berich­tet wird, er wür­de bevor­zugt hin­ter sei­nem Fern­seh­ge­rät Platz genom­men haben. Das muss zu einer Zeit gewe­sen sein, als Bild­schir­me in den Rah­men mons­trö­ser Appa­ra­tu­ren hock­ten, Röh­ren­bild­schir­me genau­er, die noch explo­die­ren konn­ten. Indem Hra­bal sei­nen Bild­emp­fän­ger von hin­ten betrach­te­te, han­del­te er mit dem Aus­druck äußers­ter Ver­wei­ge­rung, er saß dort und konn­te sich dar­auf ver­las­sen, kei­nes der emp­fan­ge­nen Bil­der sehen zu kön­nen, er war genau dort hin­ter jener Maschi­ne, die die Bil­der erzeug­te, vor den Bil­dern sicher. Viel­leicht hat­te er über­dies das Fern­seh­ge­rät aus­ge­schal­tet, ich weiß es nicht, gern wür­de ich ihn fra­gen, ihm erzäh­len, wie ich das mache in die­sen Tagen, da ich nicht mehr sicher bin, Lüge von Halb­wahr­heit oder Wahr­heit unter­schei­den zu kön­nen. Wirk­lich, wahr­haf­tig ist die­ses selt­sa­me, schmer­zen­de Gefühl, das ich bei dem Gedan­ken emp­fin­de, man könn­te die Armee des Dik­ta­tors Baschar al-Assad bom­bar­die­ren, sei­ne Flug­hä­fen, sei­ne Flug­zeu­ge, Rake­ten. Es ist ein zufrie­de­nes, zustim­men­des Gefühl, ein Reflex, wie ich so in mei­ner fried­li­chen, siche­ren Woh­nung sit­ze, eine Tas­se Kaf­fee in der Hand. Bald wan­de­re ich in die Küche und bra­te mir einen Fisch, eine klei­ne Dora­de. Ich höre die Stim­men der Kom­men­ta­to­ren vom Arbeits­zim­mer her, die wei­ter spre­chen, obwohl ich abwe­send bin. Und ich höre den Regen, es reg­net tat­säch­lich, dann hört es wie­der auf. Vögel flie­gen vor­über. Auf der Schei­be eines Fens­ters sitzt ein Mari­en­kä­fer und nascht von den Res­ten einer Wes­pe, die ich einen Tag zuvor töte­te, weil sie sich in der Dun­kel­heit mei­nem Bett näher­te. — stop
ping

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PRÄPARIERSAAL : ein arm

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gink­go : 0.18 — Pia erzählt: > Manch­mal, wenn ich abends nach dem Prä­pa­rier­kurs nach Hau­se gehe, bemer­ke ich, dass ich die Ein­drü­cke, die ich im Prä­pa­rier­saal gewon­nen habe, nicht mit der Stra­ße, über die ich spa­zie­re oder mit den Gesprä­chen der Men­schen, die ich in der U‑Bahn höre, in eine Ver­bin­dung brin­gen kann. Ich habe das Gefühl, dass der Saal frei schwebt, also ganz für sich ist, iso­liert. Ich rei­se zwi­schen zwei Wel­ten, von da nach dort und wie­der zurück, und das geht gut so hin und her. Ich wun­de­re mich, dass ich bis­her noch nie vom Prä­pa­rier­saal geträumt habe, ich kann mich jeden­falls nicht dar­an erin­nern, geträumt zu haben. Ich glau­be, ich bin in irgend­ei­ner Wei­se geschützt. Ich kann nicht genau sagen, was mich schützt, viel­leicht ist es die Freu­de an der Arbeit, die Dich­te der Auf­ga­ben, die mir gestellt sind. Ja, es ist viel zu tun. Lei­der kann ich nicht wirk­lich erzäh­len, was ich erle­be, ich mein Zuhau­se mei­nen Eltern oder mei­nen Freun­den. Die­se eine Geschich­te zum Bei­spiel, wie ich an einem Don­ners­tag in den Prä­pa­rier­saal tre­te und sehe, dass etwas grund­sätz­lich anders gewor­den ist. Ich war natür­lich nicht unvor­be­rei­tet gewe­sen, denn in der Prä­pa­rier­an­lei­tung wur­de ver­zeich­net, dass die Lei­chen auf dem Tisch von den Prä­pa­ra­to­ren an einem Mitt­woch­nach­mit­tag zer­legt wer­den. Und so war es gekom­men. Auf den Tischen lagen nur noch Arme und Bei­ne und die Hälf­ten je eines Kop­fes. Selt­sam, sage ich Ihnen, sehr selt­sam! Aber natür­lich sinn­voll. Von die­sem Moment an ist es mög­lich, einen Arm in die Hand zu neh­men und von allen Sei­ten her zu betrach­ten, oder ein Bein. Ich muss­te mich etwas über­win­den, das natür­lich, aber dann habe ich einen der bei­den Arme auf dem Tisch ange­ho­ben, bin mit ihm durch den Saal gelau­fen und habe ihn unter flie­ßen­dem Was­ser gewa­schen. Als ich auf dem Weg zurück an den Tisch war, kam mir eine Kom­mi­li­to­nin ent­ge­gen, auch sie trug einen Arm vor sich her. Der Arm war sehr groß, rich­tig schwer, eine klei­ne Frau und ein gro­ßer Män­ner­arm. Wir lächel­ten uns an, ich glau­be, weil wir bei­de in unse­ren Augen selt­sam aus­ge­se­hen haben könn­ten. Zurück an den Tisch gekom­men, habe ich das Arm­prä­pa­rat unter­sucht, Mus­keln, wo sie anset­zen, und Seh­nen. Ich erin­ne­re mich, ich habe etwas unter­nom­men, das ich nur des­halb tun konn­te, weil der Arm der Kör­per­spen­de­rin ganz für sich gewe­sen war. Ich habe näm­lich an einer Seh­ne des Unter­ar­mes gezupft und beob­ach­tet, wie sich an der Hand in nächs­ter Nähe ein Fin­ger beweg­te. Ein­mal, viel­leicht zwei oder drei Tage spä­ter, beob­ach­te­te ich, wie Kom­mi­li­to­nen an ihren Tischen, bevor sie ihr Prä­pa­rat mit Tüchern bedeck­ten, Arme und Bei­ne und die Hälf­ten der Gesich­ter, so auf dem Tisch anord­ne­ten, dass sie wie­der an einen voll­stän­di­gen Kör­per erin­ner­ten. Das hat mich beru­higt. - stop

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lufteis

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ulys­ses : 0.22 — Ob es geheim­dienst­li­chen Ana­ly­se­ma­schi­nen mög­lich ist, zwi­schen fik­tio­na­len Tex­ten und nicht fik­tio­na­len Tex­ten zu unter­schei­den? — Wei­ter­hin Wär­me in den Zim­mern. Kaum Flie­gen, viel­leicht weil es drau­ßen schön kühl ist. Gewit­ter­duft, wür­zig nach Moos und Frö­schen. Ich erin­ne­re mich in die­sem Moment vor eini­gen Jah­ren einen beson­de­ren Kühl­schrank in Emp­fang genom­men zu haben, einen Behäl­ter von enor­mer Grö­ße. Ich wie­der­ho­le, dass die­ser Kühl­schrank, in wel­chem ich pla­ne im Som­mer wie auch im Win­ter kost­ba­re Eis­bü­cher zu stu­die­ren, eigent­lich ein Zim­mer für sich dar­stellt, ein gekühl­tes Zim­mer, das wie­der­um in einem höl­zer­nen Zim­mer sitzt, das sich selbst in einem grö­ße­ren Stadt­haus befin­det. Nicht dass ich in der Lage wäre, in mei­nem Kühl­schrank­zim­mer auf und ab zu gehen, aber es ist groß genug, um einen Stuhl in ihm unter­zu­brin­gen und eine Lam­pe und ein klei­nes Regal, in dem ich je zwei oder drei mei­ner Eis­bü­cher aus­stel­len wer­de. Dort, in nächs­ter Nähe zu Stuhl und Regal, habe ich einen wei­te­ren klei­ne­ren, äußerst kal­ten, einen sehr gut iso­lier­ten Kühl­schrank auf­ge­stellt, einen Kühl­schrank im Kühl­schrank sozu­sa­gen, der von einem Not­strom­ag­gre­gat mit Ener­gie ver­sorgt wer­den könn­te, damit ich in den Momen­ten eines Strom­aus­fal­les aus­rei­chend Zeit haben wür­de, jedes ein­zel­ne mei­ner Eis­bü­cher in Sicher­heit zu brin­gen. Es ist näm­lich eine uner­träg­li­che Vor­stel­lung, jene Vor­stel­lung war­mer Luft, wie sie mei­ne Bücher berührt, wie sie nach und nach vor mei­nen Augen zu schmel­zen begin­nen, all die zar­ten Sei­ten von Eis, ihre Zei­chen, ihre Geschich­ten. Seit ich den­ken kann, woll­te ich Eis­bü­cher besit­zen, Eis­bü­cher lesen, schim­mern­de, küh­le, uralte Bücher, die knis­tern, sobald sie aus ihrem Schnee­schu­ber glei­ten. Wie man sie für Sekun­den lie­be­voll betrach­tet, ihre pola­re Dich­te bewun­dert, wie man sie dreht und wen­det, wie man einen scheu­en Blick auf die Tex­tu­ren ihrer Gas­zei­chen wirft. Bald sitzt man in einer U‑Bahn, den lei­se sum­men­den Eis­buch­rei­se­kof­fer auf dem Schoß, man sieht sich um, man bemerkt die begeis­ter­ten Bli­cke der Fahr­gäs­te, wie sie flüs­tern: Seht, dort ist einer, der ein Eis­buch besitzt! Schaut, die­ser glück­li­che Mensch, gleich wird er lesen in sei­nem Buch. Was dort wohl hin­ein­ge­schrie­ben sein mag? Man soll­te sich fürch­ten, man wird sei­nen Eis­buch­rei­se­kof­fer viel­leicht etwas fes­ter umar­men und man wird mit einem wil­den, mit einem ent­schlos­se­nen Blick, ein gie­ri­ges Auge, nach dem ande­ren gegen den Boden zwin­gen, solan­ge man nicht ange­kom­men ist in den fros­ti­gen Zim­mern und Hal­len der Eis­ma­ga­zi­ne, wo man sich auf Eis­stüh­len vor Eis­ti­sche set­zen kann. Hier end­lich ist Zeit, unter dem Pelz wird nicht gefro­ren, hier sitzt man mit wei­te­ren Eis­buch­be­sit­zern ver­traut. Man erzählt sich die neu­es­ten ark­ti­schen Tief­see­eis­ge­schich­ten, auch jene ver­lo­re­nen Geschich­ten, die aus purer Unacht­sam­keit im Lau­fe eines Tages, einer Woche zu Was­ser gewor­den sind: Haben sie schon gehört? Nein! Haben sie nicht? Und doch ist kei­ne Zeit für alle die­se Din­ge. Es ist immer die ers­te Sei­te, die zu öff­nen, man fürch­tet, sie könn­te zer­bre­chen. Aber dann kommt man schnell vor­an. Man liest von uner­hör­ten Gestal­ten, und könn­te doch nie­mals sagen, von wem nur die­se fei­ne Luft­eis­schrift erfun­den wor­den ist. — stop

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