Aus der Wörtersammlung: dis

///

mohn

2

del­ta : 4.02 — In einem Brief, von dem ich berich­ten darf, erzählt M. von der kur­di­schen Land­schaft, in der sie groß gewor­den war, eine kar­ge Gegend, Gebir­ge. Ich ken­ne den Namen der klei­nen Stadt, in der M. die höhe­re Schu­le besuch­te, ja, ich ken­ne den Namen die­ser Stadt mit ihren brau­nen und grau­en Häu­sern. Ich darf den Schnee beschrei­ben, den Schnee, der Meter hoch in den Dör­fern lag, aber nicht den Namen der Dör­fer selbst, oder den Namen der Stadt, die zwei Fuß­stun­den ent­fernt von M.s Hei­mat­dorf am Fuße eines Ber­ges liegt, der so hoch in den Him­mel ragt, dass manch­mal der Schnee auf sei­nen Gip­fel­hän­gen über den Som­mer hin lie­gen bleibt. Wie lang der Tag sein kann, wenn man allein ist, schreibt M. Wenn ihr schwer sei, spie­le sie mit Stei­nen, die sie gegen eine Wand ihres Zim­mers wer­fe, es ist ein Kin­der­spiel, und die Stei­ne sind so alt wie M. selbst. Sie erin­nert sich, dass ihre Brü­der im Som­mer, man konn­te den Schnee auf dem hohen Berg in der Nähe leuch­ten sehen, auf einer Wie­se über dem Dorf Fuß­ball spiel­ten. Es war ein stark geneig­tes Spiel­feld, man spiel­te berg­auf oder man spiel­te berg­ab. Die jun­gen Män­ner hat­ten zum Tal hin einen Stein­wall errich­tet, um den Ball dar­an zu hin­dern, ins Tal zu rol­len. Jetzt, schreibt M., sei die Wie­se wie­der eine Wie­se ohne Tore. Im Früh­ling wächst auf der Wie­se Mohn, dass alles ganz rot ist. Von den Brü­dern lebt nur noch einer, von dem nie­mand weiß, wo er sich befin­det. — stop
ping

///

elfmeter

2

char­lie : 6.55 — Von einer fas­zi­nie­ren­den Geschich­te wird berich­tet, die sich in der Fuß­ball­welt ereig­net haben soll. Man erzählt, ein bären­star­ker wie fröh­li­cher Spie­ler der nie­der­län­di­schen Natio­nal­mann­schaft sei wäh­rend eines Spie­les im Tor­raum der geg­ne­ri­schen Mann­schaft mehr­fach zu Flug­ver­su­chen gestar­tet. Er flog tat­säch­lich durch eige­ne Kraft je drei bis vier Meter durch die Luft. Es han­del­te sich bei die­sen Flug­ver­su­chen um sehr gefähr­li­che Kom­mu­ni­ka­tio­nen mit einem Schieds­rich­ter, der sich in zwei­en der Fäl­le nicht, ein­mal jedoch ange­spro­chen fühl­te. Er ver­füg­te einen Elf­me­ter, der zu einem Tor­er­folg führ­te. Im unmit­tel­ba­ren Anschluss an das Spiel soll der flie­gen­de, fröh­li­che Fuß­ball­spie­ler sich für einen sei­ner Flug­ver­su­che ent­schul­digt haben, nicht jedoch für letz­te­ren, der zu einem Elf­me­ter führ­te, die­sen habe er nur erfun­den. — stop
ping

///

gallipoli : melissano : ugento

2

marim­ba : 2.10 — Lino­sa erzähl­te mir eine Geschich­te, von der ich nicht sagen kann, ob sie sich tat­säch­lich so ereig­ne­te wie behaup­tet, oder ob die Geschich­te rein erfun­den sein könn­te. Seit eini­gen Mona­ten erhal­te er näm­lich täg­lich einen Luft­post­brief aus Ita­li­en. In dem Brief sei jeweils ein beid­sei­tig bedruck­tes Blatt Papier ent­hal­ten, Text in eng­li­scher Spra­che, num­me­riert, fei­ne, prä­zi­se for­mu­lier­te Sät­ze. Er habe, so berich­te­te Lino­sa, eini­ge die­ser Sät­ze in die Mas­ke einer Such­ma­schi­ne ein­ge­ge­ben, wes­halb ihm nun bekannt sei, dass es sich wohl um ein zer­leg­tes Buch han­deln könn­te, das man ihm schi­cken wür­de, um Her­man Mel­vil­les Erzäh­lung Bart­le­by. Das sei für sich genom­men schon eine selt­sa­me Ange­le­gen­heit, noch merk­wür­di­ger kom­me ihm aber vor, dass dem Schrei­ben bis­her kei­ne Erklä­rung, Begrün­dung oder auch nur ein Gruß bei­gefügt wor­den sei. Manch­mal kön­ne er mit­hil­fe des pos­ta­li­schen Stem­pels ent­zif­fern, in wel­cher Stadt der Brief Tage zuvor auf­ge­ge­ben wur­de. Städ­te mit wun­der­vol­len Namen, Gal­li­po­li, Melis­s­a­no, Ugen­to, Lec­ce, Brin­di­si, sei­en dar­un­ter. Wäh­rend er sich in den ers­ten Tagen noch gewun­dert, ja sogar ein wenig gefürch­tet habe, wür­de er sich inzwi­schen dar­über freu­en, nach­mit­tags aus dem 12. Stock sei­nes Miets­hau­ses zum Brief­kas­ten hin abzu­stei­gen, um den Brief ent­neh­men, öff­nen und wie­der im Auf­stieg befind­lich lesen zu kön­nen. 34 Brie­fe habe er bis­lang erhal­ten, 16 wei­te­re Brie­fe soll­ten noch fol­gen, sofern der unbe­kann­te Absen­der in logi­scher Wei­se fort­set­zen wür­de. Der letz­te Brief, der ges­tern aus Fasa­no kom­mend, bei Mr. Lino­sa ein­ge­trof­fen war, soll eine beson­de­re Brief­mar­ke auf sei­ner Anschrif­ten­sei­te getra­gen haben, acht Ren­tie­re, die in einen ver­schnei­ten Him­mel flie­gen. Die­se Brief­mar­ke leuch­te nachts in der Küche im Dun­keln, wo sie nun auf dem Sta­pel zuvor ein­ge­trof­fe­ner Brie­fe so lan­ge sicht­bar ruhen wer­den, bis wie­der Nach­mit­tag gewor­den sein wird. — stop

ping

///

ai : TASCHIKISTAN

aihead2

MENSCH IN GEFAHR: „Der tadschi­ki­sche Staats­bür­ger Alex­an­der Sodiqov, der der­zeit in Kana­da lebt, ist am 16. Juni im Osten Tadschi­ki­stans bei einem For­schungs­auf­ent­halt fest­ge­nom­men wor­den. Es besteht Sor­ge um sei­ne Sicher­heit und Grund zu der Befürch­tung, dass er gefol­tert oder ander­wei­tig miss­han­delt wird. Alex­an­der Sodiqov wur­de am 16. Juni in Chorugh, der Haupt­stadt der Auto­no­men Pro­vinz Berg-Badachschan im Osten des Lan­des, von zwei Ange­hö­ri­gen des Staats­ko­mi­tees für Natio­na­le Sicher­heit fest­ge­nom­men. Alex­an­der Sodiqov lebt der­zeit in Kana­da. Am 16. Juni um 9.30 Uhr Orts­zeit konn­te er sei­ne Frau anru­fen, sag­te ihr jedoch nicht, wo er fest­ge­hal­ten wird. Seit­her fehlt von ihm jede Spur. Amnes­ty Inter­na­tio­nal geht davon aus, dass er bis­her kei­nen Zugang zu einem Rechts­bei­stand hat. / Alex­an­der Sodiqov ist Dok­to­rand an der Uni­ver­si­tät Toron­to. Er recher­chier­te in Tadschi­ki­stan für das Pro­jekt Rising Powers and Con­flict Manage­ment in Cen­tral Asia (Auf­stre­ben­de Mäch­te und Kon­flikt­ma­nage­ment in Zen­tral­asi­en) des Bri­ti­schen Wirt­schafts- und Sozi­al­for­schungs­rats, an dem die Uni­ver­si­tät New­cast­le und die Uni­ver­si­tät Exe­ter betei­ligt sind. Sei­ne Fest­nah­me erfolg­te, als er gera­de ein Inter­view mit dem zivil­ge­sell­schaft­li­chen Akti­vis­ten und stell­ver­tre­ten­den Lei­ter des regio­na­len Arms der Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei Tadschi­ki­stans, Alim Sherz­a­mo­nov, führ­te. / Am 17. Juni durch­such­ten Polizeibeamt_innen das Haus von Alex­an­der Sodiqovs Mut­ter in der Haupt­stadt Duschan­be und nah­men diver­se Com­pu­ter und Daten­spei­cher­ge­rä­te mit. Am 17. Juni gab das Staats­ko­mi­tee für Natio­na­le Sicher­heit eine Stel­lung­nah­me ab, in der Alex­an­der Sodiqov Spio­na­ge­tä­tig­kei­ten für aus­län­di­sche Regie­run­gen vor­ge­wor­fen wer­den. Laut Berich­ten der Nach­rich­ten­agen­tur Asia Plus und von Radio Free Europe/Radio Liber­ty erschien Alex­an­der Sodiqov am Abend des 18. Juni und am Mor­gen des 19. Juni im Lokal­fern­se­hen in Badachschan und sprach über die Situa­ti­on in der Auto­no­men Pro­vinz. Radio Free Euro­pe berich­te­te, dass man­che Beob­ach­ter der Ansicht waren, das Film­ma­te­ri­al sei edi­tiert wor­den. Am 19. Juni sag­te der Lei­ter des Staats­ko­mi­tees für Natio­na­le Sicher­heit, Sai­mu­min Yati­mov, dass aus­län­di­sche Spio­ne unter dem Deck­man­tel von NGOs in Tadschi­ki­stan ope­rier­ten und ver­such­ten, die Sicher­heit im Land zu unter­gra­ben. / Alex­an­der Sodiqov wird nun schon seit 72 Stun­den fest­ge­hal­ten und muss daher gemäß den tadschi­ki­schen Geset­zen ent­we­der ange­klagt oder frei­ge­las­sen wer­den.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 31. Juli 2014 hin­aus, unter »> ai : urgent action

ping

///

tucholsky : dos passos

2

echo : 5.32 — Um kurz nach vier Uhr ent­de­cke ich das Patent eines Büro­stuhls, der sich mit Strom ver­sor­gen lässt, um Schla­fen­de durch leich­te oder mit­tel­schwe­re elek­tri­sche Schlä­ge zu wecken. Kurz dar­auf, schon hell, ein Text Kurt Tuchol­skys aus dem Jahr 1928. Ich zitie­re: John Dos Pas­sos, ›Man­hat­tan Trans­fer‹ Da ist ›Man­hat­tan Trans­fer‹ von John Dos Pas­sos (bei S. Fischer in Ber­lin). Die­ser hal­be Ame­ri­ka­ner, des­sen ›Drei Sol­da­ten‹ (im Malik-Ver­lag) gar nicht genug zu emp­feh­len sind, hat da etwas Gutes gemacht. Ich den­ke, dass die Mode der ame­ri­ka­ni­schen Roma­ne, die uns die Ver­le­ger und die Snobs durch Über­maß sacht zu ver­ekeln begin­nen, nach­ge­las­sen hat – und das ist auch gut so. Nicht etwa, weil ner­vö­se und wenig erfolg­rei­che Reak­tio­nä­re der Lite­ra­tur, zum Bei­spiel in den ›Münch­ner Neu­es­ten Nach­rich­ten‹, gegen die Über­set­zun­gen aus dem Fremd­län­di­schen pol­tern –, son­dern weil es zwi­schen der Hys­te­rie der Anbe­tung und der Neur­asthe­nie der Ver­dam­mung ein ver­nünf­ti­ges Mit­tel­maß gibt. Man soll frem­de Län­der ken­nen­ler­nen – man soll sie nicht sofort seg­nen und nicht gleich ver­flu­chen. ›Man­hat­tan Trans­fer‹ ist ein gutes Buch – die Ame­ri­ka­ner haben sich da einen neu­en Natu­ra­lis­mus zurecht­ge­macht, der zu jung ist, um an den alten fran­zö­si­schen her­an­zu­rei­chen, aber doch fes­selnd genug. Es sind Foto­gra­fien, nein, eigent­lich gute klei­ne Radie­run­gen, die uns da gezeigt wer­den; ob sie echt sind, kann ich nicht beur­tei­len, die Leu­te, die lan­ge genug drü­ben gelebt haben, sagen Ja. Es ist die Lyrik der Groß­stadt dar­in, eine männ­li­che Lyrik. Der Ein­sa­me auf der Bank: »Fein hast du dein Leben ver­saut, Josef Har­ley. Fünf­und­vier­zig und kei­ne Freu­de und kei­nen Cent, um dir güt­lich zu tun.« Das hat ein­mal so gehie­ßen: »Qu’as tu fait de ta jeu­nesse?«, und das ist von Ver­lai­ne und ist schon lan­ge her, aber doch neu wie am ers­ten Tag. Das Mäd­chen da liegt auf ihrem Zim­mer in der gro­ßen Stadt, schwimmt in der Zeit und ist so allein. Sehr schön, wie ein Mann auf der Bett­kan­te sitzt, und da ist eine Frau, sei­ne Frau, und ein Kind, sein Kind – und plötz­lich sieht er, dass er »hage­re röt­li­che Füße hat, von Trep­pen und Trot­toirs ver­krümmt. Auf bei­den klei­nen Zehen saß ein Hüh­ner­au­ge.« Und da hat er Mit­leid mit sich und weint. Das Buch ist auch for­mal gut – Dos Pas­sos ist nicht nur ein Dich­ter, son­dern auch ein begab­ter Schrift­stel­ler. Sehr hübsch ist die­se Denk­fi­gur, der man öfter bei ihm begeg­net: »Auf dem Trep­pen­ab­satz befand sich ein Spie­gel. Kapi­tän James Meri­va­le blieb ste­hen, um Kapi­tän James Meri­va­le zu betrach­ten.« Und die­se, die gra­de­zu pro­gram­ma­tisch ist und viel tie­fer als sie, leicht­ge­fügt, wie sie ist, zu sein scheint: »Nichts hat so viel Erfolg wie der Erfolg.« Eine ähn­li­che Dreh­tür des Stils steht bei Sin­clair Lewis, im ›Elmer Gan­try‹, einem Buch von dem hier noch aus­führ­lich die Rede sein soll … Ein ein­zi­ger Klub, heißt es da, wird Herrn Gan­try, den Pre­di­ger, viel­leicht auf­neh­men. »Des Anse­hens wegen. Um zu bewei­sen, dass sie unmög­lich den Gin in ihren Schrän­ken haben kön­nen, den sie in ihren Schrän­ken haben.« Die Über­set­zung von ›Man­hat­tan Trans­fer‹ durch Paul Bau­disch ist sau­ber und anstän­dig. Klei­ne Anmer­kung: Man sagt im Deut­schen kaum: »Das macht mich zipf­lig« –, son­dern wohl immer: »Das macht mich kribb­lig«. Und was ist dies hier? »Dü Mau­re­ta­nia läuft öben eun; vür­und­zwan­zig Stun­den Ver­spö­tung« – Spricht eine alte gezier­te Dame so? ein Ober­hof­pre­di­ger? Nein, das ist die Über­set­zung irgend­ei­nes ›slang‹, und die Män­ner, die sich mit Über­tra­gun­gen aus dem Eng­li­schen befas­sen, soll­ten sich das abma­chen. — Der Mor­gen kommt. Tau­ben sit­zen auf dem Fens­ter­brett. Sie haben tief geschla­fen. — stop
ping

///

safranmantel

2

echo

~ : oe som
to : louis
sub­ject : SAFRANMANTEL
date : april 24 14 10.55 p.m.

Es war, lie­ber Lou­is, vor zwei Tagen gewe­sen, als Noe die Lek­tü­re der Meta­mor­pho­sen Ovids von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de unter­brach. Er las noch fol­gen­de Sät­ze des 10. Buches: Durch die unend­li­che Luft, vom Safran­man­tel umhül­let, geht Hymenä­us ein­her, zu dem kal­ten Gebiet der Ciko­nen, wo ihn umsonst anfle­het der Ruf des melo­di­schen Orpheus. Jener erscheint ihm zwar; doch nicht heil­jauch­zen­de Wor­te bringt er, noch fröh­li­chen Blick, noch Ahnun­gen glück­li­cher Zukunft. Selbst die gehal­te­ne Fackel erzischt in beträ­nen­dem Damp­fe immer­dar und gewinnt nicht eini­ge Glut von Bewe­gung. Schreck­li­cher war der Erfolg, wie die Deu­tun­gen. Durch die Gefil­de Schweif­te die jüngst Ver­mähl­te, vom Schwarm der Naja­den beglei­tet, ach, und starb, an der Fer­se ver­letzt von dem Bis­se der Nat­ter. Als zu dem Him­mel empor der rhod­opei­sche Sän­ger lan­ge die Gat­tin beweint, jetzt auch zu ver­su­chen die Schat­ten. — Plötz­lich Stil­le, auch kei­ne Atem­ge­räu­sche, Nacht. Mar­len hat­te Dienst. Nach­dem sie, trotz mehr­fa­cher Ver­su­che, kei­nen Kon­takt zu Noe auf­neh­men konn­te, weck­te sie uns. Wir lausch­ten gemein­sam in die Tie­fe, unge­fähr eine Stun­de lang. Es war nichts Unge­wöhn­li­ches um uns her zu bemer­ken, auch auf dem Radar kein Hin­weis auf Fisch­schwär­me oder Wale, die Noe nahe­ge­kom­men sein könn­ten. Am frü­hen Mor­gen, Tau­cher Noe hat­te sei­ne Lek­tü­re nicht wie­der auf­ge­nom­men, aber er atme­te gleich­mä­ßig und hat­te getrun­ken, mach­te sich Bob auf den Weg in die Tie­fe. Zwei Stun­den dau­er­te sein Abstieg, dann mel­de­te er mit flüs­tern­der Stim­me: Ein U‑Boot in unse­rer Nähe. Es scheint uns zu umkrei­sen, ein dunk­ler Schat­ten, ein beein­dru­ckend gro­ßes Schiff. Ich habe mich Noe genä­hert. Er lach­te mich an. Das U‑Boot trägt kei­ner­lei Hoheits­zei­chen. Ein fei­ner Strahl von Licht bewegt sich in unse­re Rich­tung wie ein Fin­ger, ohne uns zu berüh­ren. — stop. — Es ist Don­ners­tag gewor­den, spä­ter Abend. Bob befin­det sich noch immer in 800 Fuß Tie­fe bei Noe. Auch das U‑Boot kreist wei­ter­hin unter uns. Vor einer Stun­de nahm Noe sei­ne Lek­tü­re wie­der auf, unsi­che­re Stim­me, aber immer­hin eine Stim­me, die liest. Wir sind froh dar­um. Der Him­mel über uns, ohne Wol­ken. Ster­ne. Präch­tig. — Dein OE SOM

gesen­det am
24.04.2014
2155 zeichen

oe som to louis »

ping

MELDUNGEN : OE SOM TO LOUIS / FIN

///

schirmqualle

2

oli­mam­bo

~ : oe som
to : louis
sub­ject : SCHIRMQUALLE
date : dez 06 13 6.22 p.m.

Ges­tern ist Mar­len zu ihrer zwei­ten Exkur­si­on in die Tie­fe zu Noe auf­ge­bro­chen. Seit sie von ihrem ers­ten Besuch zurück­ge­kehrt war, hat­te sie nicht viel mit uns gespro­chen. Sie erzähl­te ledig­lich, dass sie sich wäh­rend der ers­ten Stun­den ihres Auf­ent­hal­tes unter der Was­ser­ober­flä­che in ihrem Tau­cher­an­zug vor allem dar­auf kon­zen­triert habe, sich mög­lichst nicht zu bewe­gen. Immer dann, wenn sie sich beweg­te, sei die Enge ihres Habi­tats deut­lich spür­bar gewor­den, sie habe dann unter Atem­not gelit­ten. Solan­ge sie sich jedoch kaum beweg­te, sei alles gut gewe­sen. Noe habe kei­ne Notiz von ihr genom­men. Sie habe sei­ne Augen bes­tens erkannt hin­ter der Schei­be sei­nes Hel­mes, aber er selbst habe nicht ein­mal ver­sucht, ihre, Mar­lens Augen, auf­zu­su­chen. Es sei ihr unheim­lich gewe­sen, ent­we­der sei Noe sehr dis­zi­pli­niert oder längst ver­rückt gewor­den. Natür­lich habe sie geschla­fen, selbst­ver­ständ­lich habe sie wäh­rend des Schla­fens ihre Augen geschlos­sen, und natür­lich kön­ne sie nicht aus­schlie­ßen, dass Noe ihr in die­ser Zeit nicht doch etwas Auf­merk­sam­keit gewid­met haben könn­te. In den lan­gen Stun­den ihres Besu­ches habe er ohne Unter­bre­chung vor­ge­le­sen. Er habe das Buch indes­sen mit sei­nen eiser­nen Hand­schu­hen fest­ge­hal­ten. Fische waren nicht in ihre Nähe gekom­men, wes­halb sie Fische nicht beschrei­ben kön­ne, aber eine blau leuch­ten­de Schirm­qual­le. Sie habe das Seil, an dem Noe befes­tigt ist, genau­er betrach­tet, es sei doch sehr dünn, auch Noe’s Atem­ver­sor­gung wir­ke höchst zer­brech­lich. Natür­lich habe sie nicht unmit­tel­bar ver­stan­den, wel­che Wör­ter und Sät­ze Noe for­mu­lier­te, obwohl sie ihm sehr nah gekom­men war. Sie habe jedoch Noe’s Stim­me mit­tel­bar über den Funk des Schif­fes gehört, eine Stim­me, wie aus einer gro­ßen Ent­fer­nung. – Wei­ter­hin Schnee­fall und hef­ti­ger Wind. Es wird früh dun­kel und spät wie­der hell. Bob ist see­krank. Ich mel­de mich wie­der. Ahoi. Dein OE SOM

gesen­det am
6.12.2013
1878 zeichen

oe som to louis »

ping

///

hummergeschichte

9

alpha : 20.16 — Ich habe ges­tern mit K. gespro­chen. Er erzähl­te, er habe unlängst ver­suchs­wei­se online von Ham­burg aus einen gekoch­ten Hum­mer in Man­hat­tan bestellt. Das Tier kos­te­te 28 Dol­lar, alle not­wen­di­gen Anga­ben waren bald aus­ge­füllt, Name, Adres­se, Kre­dit­kar­ten­num­mer. Es war ein spä­ter Abend gewe­sen. K. erhielt einen Anruf. Er plau­der­te eini­ge Zeit mit einem Freund. Als er an den Com­pu­ter zurück­kehr­te, war sei­ne Maschi­ne ein­ge­schla­fen, sie erwach­te sofort, als er eine Tas­te beweg­te. In die­sem Moment muss es gesche­hen sein. K. berühr­te die wei­ter­hin geöff­ne­te Bestell­form an ent­schei­den­der Stel­le mit sei­ner Mou­se, kurz dar­auf erreich­te ihn per E‑Mail eine Bestä­ti­gung, der Hum­mer sei (Ship­ping) auf dem Weg. Ver­su­che K.’s, die Bestel­lung tele­fo­nisch rück­gän­gig zu machen, schlu­gen fehl, der Betrag von 28 Dol­lar für das Tier plus 25 Dol­lar Trans­port­ge­bühr wur­den von sei­nem Kre­dit­kar­ten­kon­to abge­bucht. Zwei Wochen spä­ter erhielt K. Nach­richt von hie­si­ger Zoll­be­hör­de, eine Sen­dung lie­ge für ihn am Hafen zur Abho­lung bereit. Ein fla­ches Gebäu­de, Import, meh­re­re Schal­ter, Trans­port­bän­der, Beam­te in grü­nen Uni­for­men. Als K. vor Ort erschien, wur­de gera­de eine Per­son, die hef­tig dis­ku­tier­te, in Hand­schel­len abge­führt. K. war­te­te. Nach einer Stun­de wur­de er zu einem Schal­ter geru­fen. Man über­reich­te ihm ein For­mu­lar, dem eine Foto­gra­fie bei­gefügt wor­den war. Das Doku­ment zeig­te ein geöff­ne­tes Paket von Sty­ro­por, dar­in einen Sud, in wel­chem wesent­li­che Tei­le eines Hum­mers schwam­men, Füh­ler, Schwanz, Augen­stie­le, Zan­gen, alles war noch gut zu erken­nen gewe­sen. Hän­de, die in Hand­schu­hen steck­ten, hiel­ten das Paket ins Licht. Auf beglei­ten­dem Schrei­ben wur­den Ver­bren­nungs­kos­ten von 118 EUR für impor­tier­te Son­der­müll­wa­re ange­mahnt. Ein Beam­ter berich­te­te, einer sei­ner Kol­le­gen sei wäh­rend der Öff­nung des Pake­tes umge­fal­len, die­ser habe sich am Kopf ver­letzt, wei­te­re Kos­ten wären denk­bar. – Sonn­tag. stop. Viel­leicht. stop. Guten Abend! — stop
ping

///

amsterdam

9

india : 5.28 — Eine absur­de Geschich­te könn­te in die­sen Tagen ihren Anfang neh­men oder ihren Anfang längst genom­men haben. Sie ist schnell erzählt. Eine E‑Mailbotschaft wird von einer in gehei­mer Wei­se for­schen­den Behör­de abge­fan­gen. Die Bot­schaft ist auf­wen­dig ver­schlüs­selt. Weil man ver­schlüs­sel­te Nach­rich­ten nicht unver­züg­lich dechif­frie­ren kann, wird die Depe­sche in einem rie­si­gen Daten­spei­cher auf­ge­nom­men, das heißt, nicht die Nach­richt selbst, aber eine Kopie die­ser Nach­richt. Unver­züg­lich neh­men Rechen­ma­schi­nen, die rasend schnell zu den­ken in der Lage sind, ihre spe­zi­el­le Arbeit der Ent­schlüs­se­lung auf. Die Nach­richt scheint auf den ers­ten Blick nicht sehr kom­plex zu sein. Ver­mut­lich sind vier oder fünf Sät­ze ent­hal­ten. Genau lässt sich das nicht bestim­men, auch Satz­zei­chen und Leer­räu­me sind ver­schlüs­selt wie die Buch­sta­ben der Nach­richt selbst. 2700 Jah­re ver­ge­hen. Hun­der­te Rechen­ma­schi­nen haben zum Zweck der Deco­die­rung rou­ti­niert gerech­net, Maschi­nen, die von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on schnel­ler und schnel­ler wur­den. An einem Sonn­tag, 4713 nach Chris­ti Geburt, mel­det eines der rech­nen­den Sys­te­me mit­tels zar­ten Glo­cken­ge­räu­sches, die Nach­richt lie­ge nun in ver­ständ­li­cher Fas­sung vor. Uralte Spra­che, nie­der­län­di­sche Spra­che, aber les­bar, das heißt, gleich­wohl über­setz­bar. Jene Nach­richt, die von Jan Ver­meer an San­ne Kes­ten im Novem­ber des Jah­res 2013 gesen­det wur­de, lau­tet so: Mon Ché­rie, kom­me Sams­tag nach Ams­ter­dam. Gleis 8. 22 Uhr 07. Zäh­le die Stun­den. Dein Jan – stop

polaroidtapete2

///

manitoba

9

del­ta : 2.15 — Vor weni­gen Minu­ten erreicht mich eine E‑Mail. Ein Freund notiert, er habe von der kana­di­schen Fir­ma Metro­melt Inc. vor lan­ger Zeit bereits einen Auf­trag erhal­ten, der sehr anspruchs­voll sei. Es gin­ge dar­um, eine Vor­rich­tung zu kon­stru­ie­ren, die in der Lage sei, Infor­ma­ti­on der Wet­ter­diens­te so zu bear­bei­ten, dass sie mit­tels eines spe­zi­el­len Funk­ge­rä­tes in die Gehir­ne schla­fen­der Mit­ar­bei­ter gesen­det wer­den könn­ten. Die­se Mit­ar­bei­ter sei­en zustän­dig für die Alar­mie­rung zahl­rei­cher Schnee­räum­ko­lon­nen in den Pro­vin­zen Bri­tish Colum­bia sowie Mani­to­ba. Ins­be­son­de­re sei es not­wen­dig, Mess­füh­ler, die der Kon­zern in den betrof­fe­nen Gebie­ten instal­liert habe, aus­zu­le­sen und zu ana­ly­sie­ren, um zu einem defi­nier­ten Zeit­punkt, Träu­me von Schnee in den Schlaf­kam­mern der Ange­stell­ten des Unter­neh­mens zu erzeu­gen, sodass sie, einem Reflex fol­gend, inmit­ten der Nacht unver­züg­lich erwa­chen und zu ihren Tele­fo­nen grei­fen wür­den. Mein Freund berich­te­te, er habe sei­nen Auf­trag­ge­bern ange­bo­ten, ein Sys­tem zu for­mu­lie­ren, das geeig­net sei, im Fal­le von Schnee, Glo­cken­wer­ke in Betrieb zu set­zen, die jeden, der Schnee räu­men­den Ange­stell­ten unmit­tel­bar und recht­zei­tig wecken wür­den. Die­sen sei­nen Vor­schlag habe man abge­lehnt. Nun wüss­te er nicht wei­ter, er tra­ge seit Wochen ein ungu­tes Gefühl mit sich her­um. – Zwei Stun­den nach Mit­ter­nacht. 3° Cel­si­us Außen­tem­pe­ra­tur. Ers­te Gedan­ken. — stop
ping



ping

ping