Aus der Wörtersammlung: hinweis

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schwarzweißballone

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india : 6.52 — Auf einer Schwarz-Weiß-Foto­gra­fie, die ich in den Maga­zi­nen mei­nes Vaters ent­deck­te, sind Wan­de­rer im Gebir­ge zu sehen. Die Auf­nah­me wur­de irgend­wann in den 20er-Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts gefer­tigt, 1926 oder 1928, undeut­li­che Schrift­zei­chen ver­hin­dern genaue­re Bestim­mung. Ich hat­te ein Ver­grö­ße­rungs­glas zu Hil­fe genom­men, um in die Tie­fe der Foto­gra­fie vor­drin­gen zu kön­nen. Acht Men­schen sind zu erken­nen, eini­ge lachen, ande­re schei­nen doch erschöpft zu sein. Sie sind in der Pha­se des Auf­stiegs fest­ge­hal­ten. Ein sehr stei­ler Pfad. Jen­seits die­ses Pfa­des ein Abgrund. Die Wan­de­rer haben Stö­cke in der Hand, Hüte auf dem Kopf, fes­te, schwe­re Schu­he an den Füßen. Bemer­kens­wert ist, dass sie kei­ne Ruck­sä­cke auf dem Rücken tra­gen. Im Bild­aus­schnitt sind außer­dem kei­ne Trä­ger zu sehen, weder Mulis noch Pfer­de, statt­des­sen eini­ge Stein­bö­cke am obe­ren Bild­rand. Dort vor allem Fel­sen, kein Him­mel, eini­ge Lat­schen­kie­fern. Ich leg­te die Foto­gra­fie zur Sei­te. Eini­ge Zeit spä­ter bemerk­te ich unter wei­te­ren Foto­gra­fien, eine zwei­te Schwarz-Weiß-Foto­gra­fie der Wan­der­grup­pe. Sie hat­te nun einen Grat erreicht, Him­mel ist zu sehen, Him­mel ohne Wol­ken. Einer der Män­ner deu­tet abwärts ins Tal. Die Grup­pe scheint ins­ge­samt ange­hal­ten zu haben. Sie besteht noch immer aus acht Per­so­nen. Über die­sen Per­so­nen schwe­ben hel­le Bal­lo­ne, die mit den Men­schen ver­bun­den gewe­sen sein müs­sen, da sie sich je in der­sel­ben Höhe über den Köp­fen der Wan­de­rer befin­den. Unter den Bal­lo­nen hän­gen Körb­chen, in wel­chen sich Waren befin­den, die nur undeut­lich aus dem Pixel­sand des Bil­des tre­ten, Ahnun­gen. Ich hat­te Bal­lo­ne die­ser Art bis dahin weder mit eige­nen Augen gese­hen, noch hat­te ich je von der Erfin­dung flie­gen­der Ruck­sä­cke gehört. Die Foto­gra­fien waren ohne jede Beschä­di­gung, nur etwas gewölbt, als wären sie für kur­ze Zeit feucht gewor­den. Kein Hin­weis auf Ort oder Urhe­ber der Arbei­ten. Viel­leicht Auf­nah­men mei­nes Groß­va­ters, den ich nie per­sön­lich ken­nen­ge­lernt habe, Auf­nah­men, die weni­ge Jah­re vor der Geburt mei­nes Vaters ange­fer­tigt sein müss­ten. Sie schwe­ben nun selbst frei, ohne leben­de Zeu­gen, wie Bal­lo­ne in der Zeit her­um. — stop
ping

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im zug

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marim­ba : 2.32 — Am Abend spät betrat ein jun­ger Mann einen Zug der Schnell­bahn­li­nie, wel­che die Stadt mit dem Flug­ha­fen ver­bin­det. Er schlepp­te ein Fahr­rad hin­ter sich her, das so schwer bepackt gewe­sen war, dass er sich, genau genom­men, nicht auf das Fahr­rad set­zen konn­te, es war kein Platz für sei­nen schma­len Kör­per. Auf der Spit­ze des Gepäck­ber­ges von Taschen und Tüten, ruh­te ein Körb­chen, dort schlief eine Kat­ze. Es war still, der Zug an die­sem Abend bei­na­he leer, ein Zug, der über Gepäck­ab­tei­le oder Nischen für Fahr­rä­der, Kin­der­wa­gen und gro­ße Kof­fer ver­füg­te. An kei­ner die­ser geeig­ne­ten Stel­len war der jun­ge Mann mit sei­nem Fahr­rad und sei­ner Kat­ze jedoch ein­ge­stie­gen, viel­mehr in ein Abteil, in wel­chem sich aus­schließ­lich Sitz­plät­ze befan­den. Nun geschah Fol­gen­des: Eine Stim­me in deut­scher Spra­che ersuch­te den jun­gen Mann an der nächs­ten Hal­te­stel­le, aus­zu­stei­gen und sich in ein Abteil zu bege­ben, das für ihn und sein Fahr­rad vor­ge­se­hen war. Da der jun­ge Mann nicht reagier­te, wie­der­hol­te die Stim­me ihr Anlie­gen in eben der deut­schen Spra­che. Auch die­se zwei­te Auf­for­de­rung blieb ohne Erfolg, wes­halb kurz dar­auf eine Anspra­che zunächst in eng­li­scher, dann in fran­zö­si­scher, schließ­lich in spa­ni­scher, zuletzt in por­tu­gie­si­scher Spra­che zu ver­neh­men war. Es han­del­te sich je um Ton­kon­ser­ven, die ver­mut­lich alle genau den­sel­ben Text ent­hiel­ten, die­sel­be Bot­schaft oder Bit­te, den Hin­weis dar­auf, dass Fahr­rä­der nur in den dafür vor­ge­se­he­nen Abtei­len beför­dert wer­den dür­fen. Die Stim­men waren freund­lich in ihrem Klang, ange­neh­me Stim­men, sie wickel­ten sich ab in einem Zeit­raum von drei oder vier Minu­ten. Es war ver­geb­lich, der jun­ge Mann beweg­te sich nicht. Nach einer kur­zen Pha­se der Stil­le hob sich die Stim­me des Fah­rers erneut. Er for­mu­lier­te nun in chi­ne­si­scher Spra­che, ich neh­me an, die­sel­be Bot­schaft wie zuvor, ein bemer­kens­wer­ter Vor­gang, ein Bei­spiel von Beharr­lich­keit. Als der Zug kurz dar­auf in einem klei­nen Bahn­hof stopp­te, erschien ein zier­li­cher Mann im Abteil. Er trug eine blaue Uni­form­ho­se und ein wei­ßes Hemd, es han­del­te sich um einen Mann chi­ne­si­scher Her­kunft. Er schien sehr auf­ge­bracht zu sein. Er näher­te sich dem jun­gen Mann, ges­ti­ku­lier­te hef­tig, deu­te­te mal auf den Besit­zer des Fahr­ra­des, dann auf das Fahr­rad selbst, hob die Hän­de zum Him­mel, um bald wie­der zu ver­schwin­den. Dann setz­te der Zug sich wie­der in Bewe­gung. Vor den Zug­fens­tern schim­mer­te Schnee in den Bäu­men. Ein Gespräch unter Rei­sen­den war zu hören. Die Kat­ze in ihrem Körb­chen hat­te für einen Moment die Augen geöff­net. — stop
polaroidmonroe

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tod in peking 3

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oli­mam­bo : 3.12 — Wie­der nach Spu­ren des Foto­gra­fen Ted­dy S. in digi­ta­len Räu­men gesucht, sie­ben Mona­te sind ver­gan­gen, seit er in Peking starb. Es ist merk­wür­dig. Ich kann mit­tels der Such­ma­schi­nen, die mir zur Ver­fü­gung ste­hen, kei­ne Nach­richt fin­den, die davon erzählt, dass er nicht mehr am Leben ist. Weder eine Todes­an­zei­ge noch eine Fra­ge nach sei­nem Ver­bleib ist zu ent­de­cken, aber nach wie vor Hin­wei­se auf sei­ne Arbeit, Foto­gra­fien, Noti­zen, Meta­da­ten zu Licht­fang­ma­schi­nen. Die letz­te schrift­li­che Nach­richt Ted­dys wur­de an einem Flug­ha­fen auf­ge­ge­ben. Es ist der 10. Okto­ber 2012: Pack­ing my bags for ano­ther trip to Chi­na. Tonight I’ll fly to Shang­hai and a litt­le later to Bei­jing for a lon­ger stay. Extre­me­ly hap­py to be back so fast after my last stay in August. — Wenn nun ein Mensch nach ihm such­te, weil er sich nach lan­ger Zeit an Ted­dy erin­ner­te, wenn er ihn nicht per­sön­lich antref­fen könn­te, an Tele­fo­nen nicht und hin­ter E‑Mail-Adres­sen, weil sei­ne vor­dem treu­en Ser­ver­ma­schi­nen Ted­dy nicht län­ger ken­nen, wür­de das Ende sei­nes Lebens viel­leicht denk­bar wer­den. Nichts mehr kommt hin­zu, weder Foto­gra­fien noch Wör­ter. — 27. Juni: A mes­sa­ge that you sent could not be deli­ver­ed to one or more of its reci­pi­ents. This is a per­ma­nent error. The fol­lo­wing address(es) fai­led: t.s@gmx.de SMTP error from remo­te mail ser­ver after RCPT TO:: host mx01.gmx.net [213.165.67.97]: 550 Reques­ted action not taken: mail­box unavailable. This is a copy of the mes­sa­ge, inclu­ding all the hea­ders. Return-path: Recei­ved: from fwd55.aul.x (fwd55.aul.x ) by mai­lout x with smtp id 1UsMG3-00075X-W9; Fri, 28 Jun 2013 02:09:48 +0200 Recei­ved: from local­host (Z w u h M r Z f Y h P e h n f I Z 0 n a e u s T F — d y f y 2 k j p g p s 3 4 m W f n T j B r a Y B Y k g O l M E e t S t u E g P p @ [ 1 7 2 . 2 0 . 1 0 1 . 1 2 4 ] ) by with esmtp id 1UsMG3-3aLg­s­C0; Fri, 28 Jun 2013 02:09:47 +0200 MIME-Ver­si­on: 1.0 Recei­ved: from 79.218.83.163:30332 by cmpweb56.aul.t‑online.de with HTTP/1.1 (NGCS V4‑0–19‑4 on API V3-11–28‑0) Date: 23 Jun 2013 02:09:47 +0200 — Rep­ly-To: To: t.s@gmx.de X‑Priority: 3 X‑UMS: E‑Mail X‑Mailer: DTAG NGCS V4‑0–19‑4 Sub­ject: fra­ge — Con­tent-Type: multipart/alternative; boundary=“=_0 f a 1 e 2 5 5 2 f 2 0 f 4 b e 2 7 4 6 f 4 5 c 4 7 f 7 b 2 0 0” Mes­sa­ge-ID: <1UsMG3-3aLgsC0@fwd55.aul.x> X‑ID: Z w u h M r Z f Y h P e h n f I Z 0 n a e u s T F — d y f y 2 k j p g p s 3 4 m W f n T j B r aY B Y k g O l M E e t S t u E g P p@x.net X‑TOI-MSGID: a e 6 4 0 9 f b — 1 8 7 0 — 4 5 a 9 — b 0 8 b — 9 2 2 8 6 6 a 4 d b a 9 –=_0 f a 1 e 2 5 5 2 f 2 0 f 4 b e 2 7 4 6 f 4 5 c 4 7 f 7 b 2 0 0 Con­tent-Type: text/plain; charset=“UTF‑8” Con­tent-Trans­fer-Enco­ding: 7bit — WO BIST DU? –=_0 f a 1 e 2 5 5 2 f 2 0 f 4 b e 2 7 4 6 f 4 5 c 4 7 f 7 b 2 0 0 Con­tent-Type: text/html; charset=“UTF‑8” Con­tent-Trans­fer-Enco­ding: quo­ted-prin­ta­ble — stop

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paris — mumbai

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tan­go : 3.55 — Eine ange­neh­me Nacht. Lei­ses Regen­ge­räusch. Ich habe über die Erfin­dung flie­gen­der Pflan­zen nach­ge­dacht, über Pflan­zen, die zeit­le­bens den Erd­bo­den nie­mals berüh­ren. Gegen drei Uhr dann einen Brief an Hen­ry geschrie­ben. Lie­ber Hen­ry, anbei die Stre­cke Paris — Mum­bai in Wor­ten, so wie sie der Com­pu­ter aus­ge­rech­net hat. Ich habe für das tür­ki­sche Staats­ge­biet eini­ge Lücken gelas­sen, da ich ent­spre­chen­de Zei­chen­sät­ze nicht fin­den konn­te, um Städ­te und Dör­fer kor­rekt dar­zu­stel­len. Von die­sen Gebie­ten ein­mal abge­se­hen, soll­te Dei­ne Rou­te voll­stän­dig vor­ge­schrie­ben sein. Du wirst, sofern alles gut gehen wird, nach 105 Stun­den Bom­bay errei­chen. Natür­lich darfst Du nicht anhal­ten, am bes­ten reist Du in Beglei­tung. Das Pro­gramm gab fol­gen­den war­nen­den Hin­weis: Unse­re Anga­ben die­nen nur zu Pla­nungs­zwe­cken. Es ist mög­lich, dass die Ver­kehrs­ver­hält­nisse auf­grund von Bau­stel­len, Ver­kehr, Wet­ter oder ande­ren Fak­to­ren von den hier dar­ge­stell­ten Vor­schlä­gen abwei­chen. Sie soll­ten daher Ihre Rei­se ent­spre­chend pla­nen und alle Ver­kehrs­schil­der oder Hin­weise bezüg­lich Ihrer Rou­te beach­ten. Ich wün­sche Dir, lie­ber Hen­ry, eine gute Rei­se. Dein Lou­is > Rou­te nach Mum­bai Cen­tral, Mum­bai, Maha­rash­tra, Indi­en 9.302 km – ca. 105 Stun­den Paris, Frank­reich‎ 1. Auf Rue de Rivo­li nach Wes­ten Rich­tung Rue du Renard star­ten 69 m wei­ter gesamt 69 m 2. Leicht links abbie­gen auf Rue de la Cou­tel­le­rie Ca. 56 Sekun­den 140 m wei­ter gesamt 210 m 3. Rechts abbie­gen auf Av. Vic­to­ria 32 m wei­ter gesamt 240 m 4. 1. Abzwei­gung links neh­men, um auf Rue Saint-Mar­tin zu wech­seln 71 m wei­ter gesamt 300 m 5. 1. Abzwei­gung links neh­men, um auf Quai de Ges­v­res zu wech­seln Ca. 1 Minu­te 160 m wei­ter gesamt 450 m 6. Wei­ter auf Quai de l’Hôtel de ville Ca. 1 Minu­te 600 m wei­ter gesamt 1,1 km 7. Wei­ter auf Quai des Céles­tins Blitz­ge­rät inner­halb von 200 m 260 m wei­ter gesamt 1,3 km 8. Wei­ter auf Quai Hen­ri IV Ca. 1 Minu­te 750 m wei­ter gesamt 2,1 km 9. Wei­ter auf Voie Mazas Ca. 1 Minu­te 950 m wei­ter gesamt 3,0 km 10. Wei­ter auf Quai de Ber­cy Ca. 2 Minu­ten 1,5 km wei­ter gesamt 4,5 km 11. A3 A6 Péri­phé­ri­que Por­te de Ber­cy Cha­ren­ton Die Auf­fahrt Rich­tung A3/A6/Périphérique/Porte de Bercy/Charenton neh­men 270 m wei­ter gesamt 4,8 km 12. An der Gabe­lung rechts hal­ten und wei­ter Rich­tung A4 70 m wei­ter gesamt 4,8 km 13. An der Gabe­lung rechts hal­ten und wei­ter Rich­tung A4 120 m wei­ter gesamt 5,0 km 14. An der Gabe­lung rechts hal­ten und wei­ter Rich­tung A4 27 m wei­ter gesamt 5,0 km 15. A4 Metz Nan­cy Mar­ne la Val­lée Cré­teil An der Gabe­lung rechts hal­ten, Beschil­de­rung in Rich­tung A4/Metz/Nancy/Marne la Vallée/Créteil fol­gen und wei­ter auf A4 Teil­weise gebüh­ren­pflich­tige Stra­ße Blitz­ge­räte ab 7,4 km > …

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am Wasser

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gink­go : 2.08 — Eine Foto­gra­fie, die mich ges­tern Abend per E‑Mail erreich­te, zeigt eine älte­re Frau auf der Dach­ter­ras­se eines Hau­ses, das voll­stän­dig aus Holz zu bestehen scheint. Das Gebäu­de befin­det sich an der Küs­te des Atlan­tiks auf Sta­ten Island. Ein blü­hen­der Gar­ten umgibt das Anwe­sen weit­räu­mig, man kann das gut erken­nen, weil der Foto­graf zum Zwe­cke der Auf­nah­me auf einen höhe­ren Baum gestie­gen sein muss, im Hin­ter­grund das Del­ta des Lemon Creek, zwei schnee­wei­ße Segel­boo­te, die vor Anker lie­gen, und Schwä­ne, sowie ein paar ame­ri­ka­ni­sche Sil­ber­mö­wen, die sich zan­ken. Die Frau nun winkt mit ihrer lin­ken Hand zu dem Foto­gra­fen hin. Mit der ande­ren Hand drückt sie ihren Som­mer­hut fest auf den Kopf, ver­mut­lich des­halb, weil an dem Tag der Auf­nah­me eine fri­sche Bri­se vom Meer her weh­te. Far­ben sind auf dem Schwarz-Weiß-Bild nur zu ver­mu­ten. Ich erin­ne­re mich jedoch, dass mir jemand erzähl­te, das Haus sei in einem leuch­ten­den Rot gestri­chen. Bei der Frau auf der Foto­gra­fie han­delt es sich übri­gens um Emi­ly im Alter von 62 Jah­ren. Ich kann das so genau sagen, weil in einer Notiz, die der E‑Mail bei­gefügt wur­de, einen Hin­weis zu fin­den war, eben auf Emi­ly, die sich im Moment der Belich­tung auf der Dach­ter­ras­se ihres Hau­ses damit beschäf­tig­te, eine Salz­wie­se anzu­le­gen: Das ist mei­ne Emi­ly als sie noch leb­te. Ein hei­ßer Tag. Wir waren von einem Spa­zier­gang zurück­ge­kom­men, hat­ten in Ufer­nä­he Salz­mie­ren, Strand­a­s­tern, Mit­tags­blu­men, Fuchs­schwän­ze, Blei­wurz und Was­ser­nüs­se gesam­melt. Am Nach­mit­tag mach­te sich Emi­ly an die Arbeit. Sie brach­te san­di­ge Erde auf ihren Blu­men­ti­schen aus, in wel­cher Lei­tun­gen für Flut, für Ebbe ver­bor­gen lagen. Sie war glück­lich gewe­sen, aber sie ahn­te bereits, dass das Was­ser stei­gen wird. Sie fürch­te­te sich vor den Win­ter­stür­men, ihren Namen, ihrer tosen­den Wild­heit. An dem Abend, als ich die Auf­nah­me mach­te, sag­te Emi­ly, dass es selt­sam sei, sie habe das Gefühl, an einem Ort zu woh­nen, der eigent­lich bereits dem Meer gehö­re. Dein S. – stop
ping

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stanislav lem : ein langsamer brief

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ulys­ses : 5.05 — In der Nacht zum 17. April 2010 im Schlaf eine inter­es­san­te Erfah­rung der Zeit. Ich hat­te mir vor­ge­nom­men, eine Zug­fahrt nach Montauk zu träu­men. Statt­des­sen träum­te ich, Sta­nisław Lém habe mir einen Brief geschrie­ben. Ein geheim­nis­vol­les Büro über­mit­tel­te mir den ers­ten, und zu die­sem Zeit­punkt gleich­wohl ein­zi­gen Buch­sta­ben einer Nach­richt des Schrift­stel­lers an mich mit dem Hin­weis, ich müs­se von die­sem Zeit­punkt an gedul­dig war­ten, da die Zeit der jen­seits Leben­den sehr viel lang­sa­mer ver­ge­hen wür­de, als die Zeit der dies­seits exis­tie­ren­den Men­schen. Mit einem wei­te­ren Zei­chen, einem zwei­ten Zei­chen des Brie­fes, sei im Juni, und zwar doch im Juni des lau­fen­den Jah­res zu rech­nen. Ich wach­te damals auf und war fröh­lich und mach­te mich unver­züg­lich an die Beob­ach­tung eines Nach­rich­ten­schat­tens, den flie­gen­de vul­ka­ni­sche Mikro­ge­bir­ge über Euro­pa erzeug­ten. Der über­tra­ge­ne Bucht­sta­be, den mir Sta­nis­law Lém damals über­mit­telt hat­te, war ein l gewe­sen. Als im Juni der zwei­te Buch­sta­be des Brie­fes über­tra­gen wur­de, es han­del­te sich um ein i, wur­de deut­lich, wes­halb Geduld von mir erwar­tet wur­de, da sich ein Wort deut­lich bestimm­te, das mich im Jah­re 2011, und zwar im Novem­ber voll­stän­dig erreicht haben wür­de. Ein gewis­ser Moment von Span­nung war zunächst wie­der im Janu­ar des Jah­res 2012 zu spü­ren gewe­sen, da ein voll­stän­dig neu­es Wort mit einem ers­ten Zei­chen auf­ge­nom­men war. Ein groß­ge­schrie­be­nes l, das Zwei­te bereits, traf ein, ihm folg­te im April ein o, sowie im Juli der Buch­sta­be u. Zu die­sem Zeit­punkt also ist noch kei­ner­lei Anlass zur Auf­re­gung gege­ben. Ich wer­de bei Gele­gen­heit Wei­te­res berich­ten. – stop

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summenlicht

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hima­la­ya : 3.15 — Über mei­nem Schreib­tisch brennt seit einer Stun­de ein war­mes Licht, elek­tri­sches Feu­er, wel­ches einem Glas­kol­ben ent­kommt, in dem sich wei­te­re klei­ne­re Glas­kol­ben befin­den. Die­se klei­ne­ren, unsicht­ba­ren Glas­kol­ben erzeu­gen das eigent­li­che Licht, das als Sum­men­licht durch das mil­chi­ge Glas zu mir in den Raum ent­kommt. Ich dach­te gera­de eben noch, als ich eine Kon­struk­ti­ons­zeich­nung mei­ner neu­es­ten Leucht­bir­ne betrach­te­te, dass sie Licht­bee­ren ent­hält, Licht­kir­schen genau­er. Auf einem wei­te­ren Zet­tel war das schö­ne Wort Lumen ver­zeich­net, außer­dem der Hin­weis, ich könn­te mei­ne Lam­pe 12000 Male ein und wie­der aus­schal­ten, ohne dass mein neu­es Licht dar­an zugrun­de gehen wür­de. Noch viel erstaun­li­cher war mir vor­ge­kom­men, dass der Licht­kör­per, den ich erwor­ben hat­te, 25 Jah­re leuch­ten wird. Eine erstaun­li­che Aus­sa­ge. Sie ist in einer Wei­se ver­zeich­net, als wäre ihre Grund­la­ge Erfah­rung. Ich habe mir gedacht, dass man viel­leicht eine Mög­lich­keit gefun­den haben könn­te, die Zeit für Unter­su­chun­gen des Lichts der­art zu beschleu­ni­gen, dass aus 25 Men­schen­jah­ren 2 Lam­pen­mo­na­te wer­den. Ich bekom­me das bis­her nicht voll­stän­dig in mei­nen Kopf, ins­be­son­de­re den Gedan­ken nicht, dass ich nach mei­ner ers­ten schö­nen Lam­pen­bir­ne zu mei­ner Leb­zeit höchst­wahr­schein­lich nur noch eine wei­te­re Frucht die­ser Art für gute Sicht über mei­nem Schreib­tisch erwer­ben wer­de. — stop

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ohrentraum

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bamako : 5.55 — War im Restau­rant. Dort schritt die Zeit sehr viel schnel­ler als übli­cher­wei­se vor­an. Jeder ein­tre­ten­de Besu­cher wur­de gewarnt, unge­fähr so: Guten Abend, mein Herr, wir wol­len sie dar­auf hin­wei­sen, dass ein Abend bei uns sie um etwa ein Jahr älter wer­den lässt. Tat­säch­lich fla­cker­te im Saal das Licht auf­ge­regt, das waren viel­leicht Däm­me­run­gen, Näch­te und Tage. Auch mein Herz schlug wie ver­rückt und das Blut zisch­te durch mei­ne Blut­ge­fä­ße. Ich ver­speis­te 250 Gramm gerös­te­ter mensch­li­cher Ohren in einer sanf­ten Zitro­nen­sauce. Als ich erwach­te, hör­te ich mei­ne eige­ne Stim­me, die etwas sag­te, das ich nicht ver­stand. Ich mach­te Kaf­fee und ich notier­te mei­nen Traum unver­züg­lich. Über die Notiz setz­te ich das Wort: Ohren­traum. — stop

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segelfalterschatten

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romeo : 8.15 — In einem Pro­to­koll der Goo­g­le­such­ma­schi­ne fin­de ich den Hin­weis, dass ich am 3. Mai 2007 nach einer Foto­gra­fie des Dich­ters Julio Cor­ta­zar gesucht haben soll, dann, erfolg­los, nach einem Segel­fal­ter­schat­ten der Gat­tung Iphicli­des poda­li­ri­us 5, nach Spu­ren Patrick Modia­nos, nach Schi­mä­ren und Match­box­au­to­mo­bi­len. Kei­ne Erin­ne­rung an den Aus­gangs­punkt mei­ner Suche. — stop

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verschwinden

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tan­go : 18.57 — Was hät­te ich zu unter­neh­men, wenn ich wüss­te, dass ein Mensch oder eine Grup­pe von Men­schen mit dem Gedan­ken spiel­te, mich so rasch wie mög­lich ums Leben zu brin­gen. Wie vie­le Spu­ren mei­nes Auf­ent­halts­or­tes sind in die­ser Text­li­nie zu fin­den, sodass man die Posi­tio­nen, die ich bewoh­ne, iden­ti­fi­zie­ren könn­te. Weiß man von mei­nen Freun­den? Wel­che Ver­zeich­nis­se im Inter­net müss­te ich von Hin­wei­sen befrei­en, wen instän­dig bit­ten, kein Wort über mich zu ver­lie­ren? Wie also unsicht­bar wer­den, nach und nach einer sein, der nie exis­tier­te? Ich könn­te mich bewe­gen, rei­sen, bis ich ein armer Hund gewor­den bin. Könn­te dann inne­hal­ten, könn­te vor­ge­ben, als habe ich geträumt, mei­ne per­fo­rier­te See­le, oder selbst noch zum Jäger wer­den. — stop



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