olimambo : 3.12 — Wieder nach Spuren des Fotografen Teddy S. in digitalen Räumen gesucht, sieben Monate sind vergangen, seit er in Peking starb. Es ist merkwürdig. Ich kann mittels der Suchmaschinen, die mir zur Verfügung stehen, keine Nachricht finden, die davon erzählt, dass er nicht mehr am Leben ist. Weder eine Todesanzeige noch eine Frage nach seinem Verbleib ist zu entdecken, aber nach wie vor Hinweise auf seine Arbeit, Fotografien, Notizen, Metadaten zu Lichtfangmaschinen. Die letzte schriftliche Nachricht Teddys wurde an einem Flughafen aufgegeben. Es ist der 10. Oktober 2012: Packing my bags for another trip to China. Tonight I’ll fly to Shanghai and a little later to Beijing for a longer stay. Extremely happy to be back so fast after my last stay in August. — Wenn nun ein Mensch nach ihm suchte, weil er sich nach langer Zeit an Teddy erinnerte, wenn er ihn nicht persönlich antreffen könnte, an Telefonen nicht und hinter E‑Mail-Adressen, weil seine vordem treuen Servermaschinen Teddy nicht länger kennen, würde das Ende seines Lebens vielleicht denkbar werden. Nichts mehr kommt hinzu, weder Fotografien noch Wörter. — 27. Juni: A message that you sent could not be delivered to one or more of its recipients. This is a permanent error. The following address(es) failed: t.s@gmx.de SMTP error from remote mail server after RCPT TO:: host mx01.gmx.net [213.165.67.97]: 550 Requested action not taken: mailbox unavailable. This is a copy of the message, including all the headers. Return-path: Received: from fwd55.aul.x (fwd55.aul.x ) by mailout x with smtp id 1UsMG3-00075X-W9; Fri, 28 Jun 2013 02:09:48 +0200 Received: from localhost (Z w u h M r Z f Y h P e h n f I Z 0 n a e u s T F — d y f y 2 k j p g p s 3 4 m W f n T j B r a Y B Y k g O l M E e t S t u E g P p @ [ 1 7 2 . 2 0 . 1 0 1 . 1 2 4 ] ) by with esmtp id 1UsMG3-3aLgsC0; Fri, 28 Jun 2013 02:09:47 +0200 MIME-Version: 1.0 Received: from 79.218.83.163:30332 by cmpweb56.aul.t‑online.de with HTTP/1.1 (NGCS V4‑0–19‑4 on API V3-11–28‑0) Date: 23 Jun 2013 02:09:47 +0200 — Reply-To: To: t.s@gmx.de X‑Priority: 3 X‑UMS: E‑Mail X‑Mailer: DTAG NGCS V4‑0–19‑4 Subject: frage — Content-Type: multipart/alternative; boundary=“=_0 f a 1 e 2 5 5 2 f 2 0 f 4 b e 2 7 4 6 f 4 5 c 4 7 f 7 b 2 0 0” Message-ID: <1UsMG3-3aLgsC0@fwd55.aul.x> X‑ID: Z w u h M r Z f Y h P e h n f I Z 0 n a e u s T F — d y f y 2 k j p g p s 3 4 m W f n T j B r aY B Y k g O l M E e t S t u E g P p@x.net X‑TOI-MSGID: a e 6 4 0 9 f b — 1 8 7 0 — 4 5 a 9 — b 0 8 b — 9 2 2 8 6 6 a 4 d b a 9 –=_0 f a 1 e 2 5 5 2 f 2 0 f 4 b e 2 7 4 6 f 4 5 c 4 7 f 7 b 2 0 0 Content-Type: text/plain; charset=“UTF‑8” Content-Transfer-Encoding: 7bit — WO BIST DU? –=_0 f a 1 e 2 5 5 2 f 2 0 f 4 b e 2 7 4 6 f 4 5 c 4 7 f 7 b 2 0 0 Content-Type: text/html; charset=“UTF‑8” Content-Transfer-Encoding: quoted-printable — stop
Aus der Wörtersammlung: spur
ai : SYRIEN
MENSCH IN GEFAHR : “Der Aktivist Ali Mahmoud Othman wurde im März 2012 in der Provinz Aleppo festgenommen und befindet sich seitdem an einem unbekannten Ort in Haft. Er gehörte einem Netzwerk von Aktivisten an, das in der Stadt Homs ein provisorisches Medienzentrum unterhielt. Es gab Filmmaterial an Nachrichtenagenturen weiter und half ausländischen Journalisten, während des militärischen Angriffs auf das Viertel Baba Amr im Februar 2012 nach Homs hineinzukommen beziehungsweise die Stadt zu verlassen. / Von einem anderen syrischen Aktivisten hat Amnesty International erfahren, dass Regierungskräfte Ali Mahmoud Othman eine Kurzmitteilung geschickt hatten, um ihn an einen bestimmten Ort zu locken, wo er dann festgenommen wurde. Im April 2012 strahlte das syrische Staatsfernsehen ein Interview mit Ali Mahmoud Othman aus, in dem man ihm Fragen zu seiner Beteiligung an der Protestbewegung in Homs und zu seinen Medienaktivitäten stellte. Er wurde zudem gefragt, weshalb die Proteste seiner Ansicht nach trotz der von Präsident Bashar al-Assad eingeleiteten Reformen unvermindert weitergingen. Aktivisten in Syrien sind der Ansicht, dass das Interview nicht glaubhaft ist und Ali Mahmoud Othman dazu gezwungen wurde. / Seit diesem Fernsehinterview fehlt von Ali Mahmoud Othman jede Spur. Im November 2012 sagte ein außerhalb Syriens lebender Familienangehöriger Amnesty International, die Familie habe aus inoffizieller Quelle erfahren, dass Ali Mahmoud Othman in das berüchtigte Militärgefängnis Saydnaya nahe Damaskus gebracht worden sei.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 25. Juni 2013 hinaus, unter »> ai : urgent action
jean paul
charlie : 3.08 — Während eines Gespräches im Gehen erzählte ich Mutter, dass ich vor Jahren einmal fürchtete, ihr Leben könnte vor dem Leben meines Vaters enden. In Bruchteilen einer Sekunde antwortete sie, dass Vater ihr in diesem Falle unmittelbar nachgestorben wäre. Ich war sofort stehen geblieben, das Wort nachsterben irritierte. Ich meinte dieses Wort noch nie zuvor gehört zu haben, und überlegte, ob Mutter das Wort vielleicht erfunden haben könnte, ein Wort also für eine Situation, die sie sich selbst vorgestellt haben mochte. Einige Stunden später suchte ich nach dem Wort in der digitalen Sphäre. Tatsächlich existiert dieses Wort bereits seit langer Zeit. Ich war nun ein altes Kind gewesen, das Wörter lernt, in dem es Geräusche von den Lippen seiner Mutter liest. Habe auf der Suche nach den Spuren jenes Wortes eine feine Beobachtung Jean Pauls entdeckt: Außerhalb des Traums kommen uns Empfindbilder öfter von Tönen als von Reden und Schällen vor; nach einer Musiknacht kann die bewegte Seele sich willkürlich die Melodien, aber nicht die Gespräche wiederklingen lassen; denn wie sehr der Musikton, die Poesie des Klanges, so tief mehr in uns als um uns zu spielen und unter allen Empfindungen von uns mehr geschaffen als empfangen zu werden scheint, beweiset die schon angeführte Erfahrung, daß wir an einem Singen und Flöten, das in immer weitere Ferne verfließt, gerade mit dem gespanntesten Ohre die letzten aussterbenden Töne von Außen nicht von den nachsterbenden von Innen sondern können. — stop. Drei Uhr. stop. Heute Nacht pfeift ein Vogel im Dunkeln, obwohl es noch lange Zeit nicht hell werden wird. Das ist seltsam. Er scheint mich im Auge zu behalten. Ich stehe am Fenster und bewege einen Arm und eine Hand, als würde ich winken. Diese Geste lässt den Vogel verstummen, warum? — stop
silent sentry
echo : 2.55 — Wird es vielleicht bald einmal möglich sein, menschliche Körper, präzise formuliert, die Oberfläche menschlicher Körper, derart zu gestalten, dass sie in unbekleidetem Zustand von aktiven Radartechnologien nicht zu erfassen sind, Menschengestalten demzufolge, die in der Begegnung weder Licht noch Geräusche emittieren? Welcher Art wäre die Lichtspur einer Bewegung ihres Körperraumes durch eine perzeptibele Menschenmenge? Und wären diese seltsamen Menschen in ihren eigenen Augen überhaupt noch sichtbar? Würden sie sich selbst eventuell noch wahrnehmen durch die Konzentration auf eine Vorstellung: Hier, vor mir auf dem Tisch, das weiß ich, weil ich ihn dorthin abgelegt habe, ruht mein Arm, so würde er sich in meinen Augen darstellen, wenn er für mich sichtbar wäre. All diese Fragen. – stop
pseudonym No 5
india : 6.22 — Ich kenne einen Mann, der leidenschaftlich gerne Wörter erfindet. Es handelt sich bei diesen Wörtern um Wörter, die vor ihrer Entdeckung in der Wirklichkeit tatsächlich bisher nicht existierten. Und weil er sich niemals sicher sein kann, ob das Wort, das gerade erst erfunden worden ist, in der Wirklichkeit tatsächlich noch nicht existiert, verbindet er seinen Computer mit der Suchmaschine Google. Wenn das Wort, das erfunden wurde, in den Verzeichnissen der Suchmaschine nicht zu entdecken ist, kann er sich seiner Sache beinahe sicher sein. Das Wort olimambosa, zum Beispiel, wurde in der vergangenen Woche ins Leben gerufen, ein vollständig neues Wort in der digitalen Sphäre. Vielleicht deshalb, weil der Mann im Moment seiner Erfindung sehr zufrieden mit sich und ein wenig stolz gewesen war, sendete er einen E‑Mailbrief an mich, um mir seine Erfindung zu schenken. Er schrieb, er würde sich verwandt mit mir fühlen, da ich ähnlich vorgehen würde wie er selbst. Für diese Behauptung habe er eine beweiskräftige Spur in meinen Particles-Archiven entdeckt. Dort soll ich am 30. Mai des vergangenen Jahres einen Text veröffentlicht haben unter dem Titel Pseudonym No 5. Tatsächlich, ich hatte den Text beinahe vergessen, wurde Folgendes geschrieben: Gestern war das Wetter schön, ich suchte spazierend im Park nach einem Namen für mein Pseudonym No 5. Sobald ich glaubte, einen geeigneten Namen gefunden zu haben, sagte ich ihn laut vor mich hin, ich sagte zum Beispiel: Felix Mayer Kekkola. Als Nachmittag geworden war, gefiel mir dieser Name noch immer, ich hatte Lilli M. Murphy bereits verworfen, auch Kaspar Joe Weidemann und weitere Namen waren gründlich vergessen. Ich notierte den gewählten Namen Felix Mayer Kekkola in mein Notizbuch und ging nach Hause. Es ist seltsam, ich war mit meinem neuen Namen an der Seite stark unruhig bis in den Abend hinein. Ich konnte mir diese Unruhe zunächst nicht erklären, dann hatte ich die Idee, dass ich nachsehen sollte, ob der Name Felix Mayer Kekkola vielleicht im Internet schon längere Zeit existiert, ein Mensch also, der genau so heißt, oder ein Mensch, der diesen Namen verwendet, um sich zu verbergen und zu veröffentlichen in ein und demselben Moment. Mehrfach prüfte ich mit Suchmaschinen die Existenz einer Spur. Kein Ergebnis für „Felix Mayer Kekkola“ war zu finden. Ich könnte nun also erstens annehmen, dass ein Mensch, der diesen Namen trägt, nicht existiert, was sicher nur sehr vorsichtig formuliert werden darf. Zweitens könnte ich jenen feinen Namen nun für mich besetzen, okkupieren sozusagen nach bestem Wissen und Gewissen, was in dieser Sekunde genau so geschieht, indem ich meinen Text in die digitale Sphäre sende. – stop
schallplatte
delta : 3.58 — Ich stellte mir eine Schallplatte vor, eine Schallplatte von 200 Metern Durchmesser, eine Tonspur von 100 Jahren Dauer. Was könnte auf dieser Schallplatte verzeichnet sein? Die Geräusche einer Lichtung des Amazonas Regenwaldes vielleicht? Oder eine menschliche Stimme, alle jene Wörter eines Lebens, auch in Träumen gesprochene Wörter. Das Schreien eines Kindes. Das Selbstgespräch einer uralten Frau? — stop
lufträume
bamako : 6.30 — Der Stuhl meines Vaters im Zimmer vor den Bäumen. Sobald ich mich setze, spüre ich seine Gegenwart, als wäre er gerade erst aufgestanden, um kurz in ein anderes Zimmer zu gehen. Genau dieser Ort, ja, dieser Raum, so viele Jahre, so viele Stunden lang hatte mein Vater an dieser Stelle verbracht, dass er nur sehr langsam weichen kann in der Wahrnehmung seines Sohnes. Da ist seine Schublade, sein Lichtmessgerät, sein Brieföffner, sein Radiergummi, sein Bleistift, seine Lupe, sein Fotoapparat. Und das hier ist seine Aussicht auf den winterlichen Garten, auf den Computerbildschirm, auf die Tastatur seiner Schreibmaschine, auf seine Lampe, die noch immer warmes Licht ins Zimmer sendet, Licht, das mein Vater sich wünschte. Es ist eine seltsame Erfahrung, dass sich mit den Spuren eines Menschen spürbare Gegenwart verbindet. Das Geräusch einer Zeitung, die raschelt. Eine Tür, die sich öffnet. Vor wenigen Tagen noch hörte ich meine Mutter davon erzählen, wie sehr ihr mein Vater fehle. Und weil die Worte nicht ausreichten, dieses Fehlen zu beschreiben, machte sie eine sehnende Geste, als würde sie einen unsichtbaren Mann umarmen, einen Raum, der nur noch Erinnerung ist, einen Raum, der weder mit Händen noch Lippen berührt werden kann. — stop
schnee
~ : malcolm
to : louis
subject : SCHNEE
date : dec 2 12 0.15 p.m.
Über Nacht ist Schnee gefallen. Ein harter, böiger Wind fegt vom East River her durch die Straßen in den Park. Wir sind die ersten Spaziergänger heute Morgen. Es ist beinahe still in der Dämmerung. Weithin sehen wir hinter uns unsere eigene Spur auf dem Weg, den wir nordwärts gehen. Immer wieder bleiben wir stehen, um nach Frankie zu sehen. Er scheint sich wohlzufühlen, man könnte sagen, dass es sich bei diesem Eichhörnchen um einen Schneetaucher handeln könnte. Für Minuten ist nichts von ihm zu sehen, aber dann plötzlich sein Kopf, der aus dem Schnee ragt, er schüttelt sich, seine Ohren beben, ja, Frankie scheint glücklich zu sein in dieser neuen weißen Welt. Auch Möwen sind in den Central Park gekommen. Sie hocken auf Sitzbänken und Mauern, ich glaube, sie haben es auf Zwerge wie Frankie abgesehen, denkbar, dass sie den Schnee als Gewässer betrachten und jene Tiere, die sich für einen kurzen Moment an der Oberfläche zeigen, für Fische, die sie jagen müssen. Es sind große Vögel, gelbe Augen, riesige Schnäbel, die uns heute Morgen tatsächlich Sorge bereiten, sie könnten Frankie erlegen und mit ihm aufs Meer hinausfliegen, mit all seinen Sensoren, die uns dann nicht weiterhelfen werden. Wann werden Sie uns besuchen, Mr. Louis? Wir hoffen noch in diesem Winter! Einmal Frankie mit eigenen Augen betrachten, nicht wahr! Schnell ist er geworden. In der kommenden Woche wollen wir zum ersten Mal erproben, ob wir in der Lage sind, ihn mit unserer Fernsteuerung beeinflussen zu können. Wir haben vor, Frankie in Kreisen durch den Park laufen zu lassen. – Allerbeste Grüße sendet ihn Malcolm / codewort : hillarystep
empfangen am
03.12.2012
1630 zeichen
im parc jarry
flugpanther
india : 6.02 — Auf das Grab meines Vaters fallen Früchte eines Baumes, der schon im letzten Jahr an Ort und Stelle gestanden haben muss. Da war vom Grab meines Vaters weit und breit noch nichts zu sehn, aber es war schon die Rede vom ihm, ganz heimlich, in Gedanken, der Vater könnte sterben. Eichhörnchen suchen zwischen Asternbüschen nach Eicheln, aufgeregt, der erste Schnee ist gefallen, es ist ein Schnee, der wieder an die Zeit denken lässt, die vergangen ist und noch vergehen wird, weshalb wir traurig werden, weil mein Vater den Schnee des letzten Jahres noch mit seinen Augen sehen konnte und jetzt nicht mehr sieht, ein Schnee ohne ihn, was wiederum ein seltsamer Gedanke ist, weil es einmal einen Schnee ohne uns alle geben wird, und das ein oder andere Grab, auf dem Eichhörnchen nach Eicheln suchen oder weiteren Nüssen. Wie sie zittern und beben, die Kälte, aber auch deshalb vielleicht, weil sie so gespannt sind, so aufmerksam, weil Raben in den Bäumen sitzen, die hungrig sind, fliegende Panther. Wie schnell man doch sein Leben verlieren kann, kaum hundert Jahre vergehen und schon ist man sehr wahrscheinlich tot, eine verdammte Sache, das Älterwerden bis man zum Sterben alt geworden ist, wenn man Glück hat, wenn man nicht vor dem Altsein stirbt. Wie mein Vater neben meiner Mutter am Fenster steht. Ein früher Morgen, ein Januarsonntag. Ich zieh meinen Koffer über den verschneiten Weg, auf dem noch keine Fußspuren zu sehen sind. 10 Stunden später werde ich in Manhattan sein. Mein Vater winkt. Ein Winken, ohne die Bewegung des Armes, nur seine Finger winken, sie klappen von oben nach unten, wie damals noch in den Schattenspielen, Krokodile, Wölfe, Elefanten, stumm von den Wänden. — stop