Aus der Wörtersammlung: erle

///

am telefon

pic

sier­ra : 6.05 — Mein Freund Lou­is erzähl­te eine Geschich­te von einem Mann, dem er vor weni­gen Jah­ren in New York begeg­net sein will. Ich wer­de kurz berich­ten, obwohl es schon spät gewor­den ist. An dem Tag, an dem Lou­is’ Geschich­te sich ereig­ne­te, wan­der­te er durch die Stadt ohne Ziel. Manch­mal stieg er in einen Zug der Sub­way und fuhr irgend­wo­hin. Ein­mal, es war Abend gewor­den, erreich­te er Brigh­ton Beach, aber anstatt den Strand zu besu­chen, fuhr er sofort wie­der zurück. Das war ein gro­ßes Glück gewe­sen, denn hät­te er nur einen oder zwei spä­te­re Züge nach Man­hat­tan genom­men, wäre er dem Mann, von dem er mir erzähl­te, ver­mut­lich nie begeg­net. Die­ser Mann war ein klei­ner, schmäch­ti­ger Herr, der breit­bei­nig vor einer Tür stand und zu tele­fo­nie­ren schien. Er sprach, ohne eine Pau­se zu machen, mit lau­ter Stim­me Wör­ter, die Lou­is nicht ver­ste­hen konn­te. Als der Zug nach einer hal­ben Stun­de Fahrt über den Dächern Brook­lyns in den Unter­grund tauch­te, geschah etwas Selt­sa­mes, denn der Mann sprach wei­ter in sein Tele­fon, obwohl jede Funk­ver­bin­dung im Tun­nel­sys­tem sofort unter­bro­chen wur­de. Kaum jemand unter den Fahr­gäs­ten schien den klei­nen Mann zu bemer­ken. Eine Fünf-Mann-Band betrat den Wag­gon, sie spiel­te einen Brass­tan­go, der Zug beb­te und der schmäch­ti­ge Mann tele­fo­nier­te und lach­te und spen­de­te einen Dol­lar. In der Lex­ing­ton Ave­nue, Höhe 63. Stra­ße, stieg der Mann aus, fuhr mit der Roll­trep­pe in das Zwi­schen­ge­schoss, stieg zur Stra­ßen­ebe­ne hin­auf und lief wei­ter nord­wärts. Er hat­te bis dahin, eine Stun­de war seit sei­ner Ent­de­ckung ver­gan­gen, nie auf­ge­hört zu spre­chen, und auch jetzt, im Gehen, setz­te er sei­ne Rede fort. An der Ecke zur 83. Stra­ße besuch­te der Mann eine Piz­ze­ria, auch Lou­is trat in den düs­te­ren Laden ein. Er hör­te dem Mann wei­ter zu, wie er mit vol­lem Mund sei­nen Text voll­zog, als könn­te er unmög­lich auf­hö­ren, als wür­de etwas Schreck­li­ches gesche­hen, wenn er nur ein­mal für eine Sekun­de eine Pau­se mach­te. Bald trat der klei­ne, spre­chen­de Mann wie­der auf die Stra­ße und setz­te sei­nen Weg in Rich­tung Har­lem fort. Es war inzwi­schen spä­ter Abend gewor­den, die Luft küh­ler, Men­schen saßen ent­lang der Häu­ser­wän­de auf Klapp­stüh­len. Um kurz nach Mit­ter­nacht plötz­lich hielt der Mann an und ver­stumm­te. Er stand eini­ge Minu­ten ganz still. Er schien zu über­le­gen. Dann leg­te er das Tele­fon auf dem Boden ab, dreh­te sich um und mach­te sich auf den Weg zurück. Er ging zunächst süd­wärts über die Lex­ing­ton Ave­nue, Höhe der 60. Stra­ße bog er nach links ab, schlen­der­te lang­sam zur Tram­way – Sta­ti­on, gegen drei Uhr lös­te er ein Ticket. — stop
polaroidtram

///

münchen — aleppo

2

kili­man­dscha­ro : 2.05 — Ich über­leg­te, ob ich, wenn ich bei wol­ken­lo­sem Him­mel in 33000 Fuß Höhe befind­lich aus einem Flug­zeug­fens­ter spä­hen wür­de, ein Schiff erken­nen könn­te, ein Schiff von der Grö­ße der Queen Mary sagen wir, einen Luxus­damp­fer, der zur Zeit mei­ner Geburt noch regel­mä­ßig zwi­schen New York und Sout­hamp­ton über den Atlan­tik hin und her gepen­delt war. — stop. Eine Rei­se von Mün­chen süd­ost­wärts in Wor­ten: Vom Haupt­bahn­hof in Rich­tung Bay­er­stra­ße star­ten 52 m wei­ter gesamt 52 m 2. Rechts abbie­gen auf Bay­er­stra­ße 130 m wei­ter gesamt 180 m 3. 1. Abzwei­gung rechts neh­men, um auf Paul-Heyse-Unter­füh­rung zu wechseln300 m wei­ter gesamt 500 m 4. Wei­ter auf Seidl­stra­ße 190 m wei­ter gesamt 700 m 5. Rechts abbie­gen auf Mars­stra­ße 270 m wei­ter gesamt 1,0 km 6. Wei­ter auf Eli­sen­stra­ße Ca. 1 Minu­te 500 m wei­te gesamt 1,5 km 7. Rechts abbie­gen auf Karls­platz 160 m wei­ter gesamt 1,6 km 8. Wei­ter auf Son­nen­stra­ße Ca. 1 Minu­te 700 m wei­ter gesamt 2,3 km 9. Wei­ter auf Blu­men­stra­ße Ca. 2 Minu­ten 850 m wei­ter gesamt 3,2 km 10. Rechts abbie­gen auf Frau­en­stra­ße Ca. 57 Sekunde500 m wei­ter gesamt 3,7 km 11. Rechts abbie­gen auf Isar­tor­platz 120 m wei­ter gesamt 3,8 km 12. Wei­ter auf Zwei­brü­cken­stra­ße 250 m wei­ter gesamt 4,0 km 13. Wei­ter auf Lud­wigs­brü­cke 230 m wei­ter gesamt 4,3 km 14. Wei­ter auf Rosen­hei­mer Stra­ße 130 m wei­ter gesamt 4,4 km 15. Nach rechts abbie­gen, um auf Rosen­hei­mer Stra­ße zu blei­ben Ca. 5 Minu­ten 3,0 km wei­ter gesamt 7,4 km 16. Wei­ter auf A8 (Schil­der nach Salz­burg / Nürn­berg / Flug­ha­fen Mün­chen) Teil­wei­se gebüh­ren­pflich­ti­ge Stra­ße Ca. 1 Stun­de 7 Minu­ten 126 km wei­ter gesamt 133 km 17. Wei­ter auf A1 gebüh­ren­pflich­ti­ge Stra­ße ca. 1 Minu­te 2,1 km wei­ter gesamt 135 km 18. Am Auto­bahn­kreuz Kno­ten Salz­burg rechts hal­ten und den Schil­dern A10/E55 in Rich­tung Vil­lach / Salz­burg Süd / Ita­li­en / Ljublja­na / Slo­we­ni­en fol­gen. Wei­ter auf A10 gebüh­ren­pflich­ti­ge Stra­ße Ca. 1 Stun­de 39 Minu­ten 182 km wei­ter gesamt 317 km. 19. Bei Aus­fahrt A11/E61 Rich­tung Slo­we­ni­en / Kara­wan­ken­tun­nel >
ping

///

lissabon

2

nord­pol : 22.01 — Unter Zei­tun­gen, die sich in mei­nem Brief­kas­ten befan­den, ent­deck­te ich eine selt­sa­me Post­kar­te. Auf der einen Sei­te des Papiers war die Stadt Lis­sa­bon zu erken­nen, eine gel­be Tram­bahn zwi­schen Häu­sern einer steil anstei­gen­den Stra­ße. Es muss spä­ter Abend gewe­sen sein, als die Auf­nah­me gefer­tigt wur­de. Men­schen sit­zen in beleuch­te­ten Abtei­len, eini­ge schla­fen, ande­re schau­en aus den Fens­tern der Wag­gons her­aus. Wie ich sie betrach­te­te, die Über­le­gung, man­che der foto­gra­fier­ten Men­schen könn­ten viel­leicht nicht mehr unter uns Leben­den sein, weil ihr Licht bereits Anfang der Fünf­zi­ger­jah­re ein­ge­fan­gen wur­de. Das jeden­falls ist so auf der Rück­sei­te der Ansichts­kar­te ver­merkt, Lis­boa 1952. Ihr Post­wert­zei­chen, das tat­säch­lich in Lis­sa­bon abge­stem­pelt wor­den war, ist eines, wie man sie zu jener Zeit ver­wen­de­te, sodass ich ver­mu­te­te, die Post­kar­te habe eine sehr lan­ge Rei­se­zeit hin­ter sich gebracht. Sie ist in mei­nen Augen über­haupt eine erstaun­li­che Erschei­nung. In die­sem Moment ruht sie im Nacht­licht auf mei­nem Schreib­tisch. Wör­ter, die ich nicht ken­ne. Nicht ein­mal die Buch­sta­ben, die Wör­ter bil­den, ver­mag ich zu ent­zif­fern, äußert fei­ne Zei­chen, eine Art gehei­mer Schrift, Male­rei, die vie­le Stun­den Arbeit gefor­dert haben dürf­te. Merk­wür­dig vor allem, auf der Post­kar­te ist kei­ne Anschrift zu fin­den. Sosehr ich nach mei­nem oder einem ande­ren Namen such­te, nichts ist zu ent­de­cken, was eine Begrün­dung dafür dar­stel­len könn­te, dass gera­de ich die­se Kar­te erhal­ten soll­te. Ich habe kei­ne Vor­stel­lung, wer sie geschrie­ben haben könn­te, auch nicht, ob eine Anschrift ver­se­hent­lich oder mit Absicht ver­ges­sen wur­de. — Däm­me­rung. Fle­der­mäu­se zwit­schern durch die Luft. Vor weni­gen Tagen ist Urs Wid­mer gestor­ben, vor genau zwei Jah­ren mein Vater um 17.32 Uhr. — stop
ping

///

tarasa shevchenko boulevard

pic

alpha : 3.12 — Auf Nacht­bän­ken schla­fen Men­schen, ärm­lich geklei­de­te Per­so­nen. Sie lie­gen mit ihrem Kopf auf Taschen, in wel­chen sich Aus­wei­se und Geld befin­den. Sobald Men­schen schla­fen, erschei­nen sie in mei­nen Augen wie Kin­der, sie wir­ken zer­brech­lich, auch wenn sie bären­star­ke Män­ner sind, die vor Wochen noch in Rumä­ni­en oder Bul­ga­ri­en leb­ten. Stau­big sind sie gewor­den, ein stren­ger Geruch geht von ihren Kör­pern aus. Wenn sie wach wer­den am Mor­gen, wenn sie im gol­de­nen Licht der Flug­ha­fen­trans­fer­räu­me sit­zen, die Luft duf­tet nach fri­schem Gebäck und Kaf­fee, schau­en sie mit tod­mü­den, gerö­te­ten Augen in den Strom der Pas­sa­gie­re, fei­ne, edle Gestal­ten dort, vie­le schei­nen fröh­lich zu sein, sie füh­ren fla­che Com­pu­ter mit sich und Bord­zei­tun­gen, sind in graue oder blaue Anzü­ge gehüllt, in Beglei­tung schwe­ben­der oder rol­len­der Kof­fer. Es ist kurz nach sechs Uhr. Lang­stre­cken­flug­zeu­ge sind gelan­det, New York, Los Ange­les, Peking, Mum­bai, Bue­nos Aires, Otta­wa. Vor einer Roll­trep­pe war­ten zwei Frau­en. Die eine der Frau­en erzählt eine Geschich­te in deut­scher Spra­che mit rus­si­schem Akzent. Ich blei­be ste­hen, ich höre zu. Es ist eine Geschich­te, die von der Stadt Kyjiw han­delt. Sie sei, sagt die Frau, im Juli des Jah­res 1986 nach Kyjiw gekom­men, um dort zu sin­gen, das heißt, ein Kon­zert zu geben. Sie erin­ne­re sich an blei­graue Roh­re, die aller­or­ten ent­lang der Häu­ser­wän­de in den Stra­ßen ver­legt wor­den sei­en. Was­ser ström­te aus die­sen Roh­ren über Geh­stei­ge, es war dar­um so gewe­sen, um radio­ak­ti­ven Staub, der von der Luft her­an­ge­tra­gen wur­de, fort  zuwa­schen. Für einen Moment der Ein­druck, die Frau habe bemerkt, dass ich ihrer Geschich­te fol­ge und dass sie nichts dage­gen ein­zu­wen­den hat. Sie ent­nimmt ihrer Hand­ta­sche sie­ben Aus­wei­se in wein­ro­ter Far­be, Rei­se­päs­se, ungül­tig gewor­de­ne Doku­men­te, in einem die­ser Aus­wei­se befin­det sich ein Stem­pel, jener Stem­pel, der die Rei­se nach Kyjiw doku­men­tiert. Es ist eine Fra­ge von Sekun­den, bis die Frau mit ihrem rech­ten Zei­ge­fin­ger das Papier, auf dem der Stem­pel seit Jah­ren fest­ge­hal­ten ist, berüh­ren wird. — stop

polaroidkueste2

///

terminal nachts

pic

tan­go : 2.28 — Ges­tern beob­ach­te­te ich einen Mann, wie er in einem Buch las. Er saß nahe einem Café im Flug­ha­fen­ter­mi­nal 1 auf sei­nem Kof­fer, lehn­te mit dem Rücken an einer Wand, bei­de Füße fest auf dem Boden. Außer­dem trug er einen breit­krem­pi­gen Hut von brau­ner Far­be auf dem Kopf und ein blau­es Hemd, wel­ches der­art leuch­te­te, dass mei­ne Augen bald schmerz­ten. Aber im Grun­de war ich auf den Mann nicht wegen sei­ner äuße­ren Erschei­nung auf­merk­sam gewor­den, es war die Metho­de, wie er die Erzäh­lung The Pri­ce of Salt von Patri­cia High­s­mith stu­dier­te. Ehe er näm­lich eine neue Sei­te des Buches zu lesen begann, riss er die­se nächs­te zu lesen­de Sei­te aus dem Kör­per des Buches her­aus, führ­te sie nahe an sei­ne Augen her­an, las, dreh­te die Sei­te her­um, las wei­ter, um kurz dar­auf die gele­se­ne Sei­te in die Tasche sei­nes Jacketts zu stop­fen. Das Jackett beul­te bereits auf bei­den Sei­ten deut­lich, weil das Buch bis zur Hälf­te gele­sen wor­den war. Genau genom­men zer­leg­te der Mann das Buch, das er las, in sei­ne papie­re­nen Ein­zel­tei­le, das Buch ver­schwand sozu­sa­gen unter sei­nen Hän­den, das waren übri­gens win­zi­ge Hän­de, die Hän­de eines Kin­des. Natür­lich kann ich an die­ser Stel­le kei­ne Aus­sa­ge dar­über machen, ob der Mann mit jedem der Bücher sei­nes Lebens so gehan­delt hat­te. Wann war es gewe­sen, als er die ers­te Sei­te aus einem Buch ent­nahm? Und war­um? Ich woll­te den Mann fra­gen, aber irgend­et­was hin­der­te mich dar­an, zu ihm zu gehen. Um kurz nach zwei Uhr stand ich auf und ging nach Hau­se. — stop

ping

///

ai : MEXIKO

aihead2

MENSCHEN IN GEFAHR: „2013 nah­men die Ein­wan­de­rungs­be­hör­den Mexi­kos 82 269 Migran­tIn­nen fest und 75 704 wur­den abge­scho­ben, die gro­ße Mehr­heit nach Gua­te­ma­la, Hon­du­ras und El Sal­va­dor. Eine grö­ße­re Zahl mit­tel­ame­ri­ka­ni­scher Migran­tIn­nen ver­such­te, in die USA zu gelan­gen. In Mexi­ko erlei­den vie­le Migran­tIn­nen wei­ter­hin Ver­stö­ße durch die Poli­zei, und ande­re wer­den Opfer geziel­ter Ent­füh­run­gen, des Men­schen­han­dels, von Ver­ge­wal­ti­gung und Tötun­gen durch kri­mi­nel­le Ban­den, die häu­fig im Ein­ver­neh­men mit loka­len Behör­den agie­ren. Refor­men der Migra­ti­ons­ge­setz­ge­bung, die man­che Rech­te von Migran­tIn­nen, ins­be­son­de­re das Recht auf Schutz und Zugang zur Jus­tiz stärk­ten, wur­den nicht ange­mes­sen umge­setzt. Die natio­na­le Stra­te­gie zur Bekämp­fung der Ent­füh­rung von Migran­tIn­nen zieht immer noch kei­ne kri­mi­nel­len Ban­den und Mit­ar­bei­te­rIn­nen von Behör­den zur Ver­ant­wor­tung, die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an Migran­tIn­nen bege­hen. 2011 berich­te­te die natio­na­le Men­schen­rechts­kom­mis­si­on von 10 00 Ent­füh­run­gen von Migran­tIn­nen ohne regu­lä­ren Auf­ent­halts­sta­tus durch kri­mi­nel­le Ban­den in einem Zeit­raum von nur sechs Mona­ten, häu­fig im Ein­ver­neh­men mit Behör­den­ver­tre­te­rIn­nen. Die Ver­ant­wort­li­chen für Ver­schlep­pun­gen und ande­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an Migran­tIn­nen wer­den nur sel­ten zur Rechen­schaft gezo­gen. / Die Behör­den auf Bun­des­staa­ten­ebe­ne igno­rie­ren die Mise­re der Migran­tIn­nen zu gro­ßen Tei­len, und die Bun­des­be­hör­den sehen Migran­ten­strö­me zuneh­mend als Gefahr für die natio­na­le Sicher­heit, statt die Sicher­heit von Migran­tIn­nen auf der Durch­rei­se zu gewähr­leis­ten. Vor kur­zem reis­ten Müt­ter von Migran­tIn­nen aus Mit­tel­ame­ri­ka auf der Suche nach ihren Kin­dern durch Mexi­ko und for­der­ten staat­li­che Unter­su­chun­gen. Die natio­na­le Men­schen­rechts­kom­mis­si­on ver­öf­fent­lich­te kürz­lich einen unbe­frie­di­gen­den Bericht zu der Tötung von 72 Migran­tIn­nen in San Fer­nan­do im Bun­destaat Tamau­li­pas im August 2010. Das Ver­sa­gen der Behör­den beim Schutz des Rechts auf Leben der Migran­tIn­nen und der umfas­sen­den Auf­klä­rung des Mas­sa­kers war nicht Inhalt des Berichts. Er beschränk­te sich auf begrenz­te Aspek­te des Falls im Zusam­men­hang mit grob feh­ler­haf­ten foren­si­schen Unter­su­chun­gen zur Iden­ti­fi­zie­rung der Opfer. Die Leich­na­me aus ande­ren Mas­sa­kern, / von denen vie­len ver­mut­lich Migran­tIn­nen sind, sind noch gar nicht iden­ti­fi­ziert wor­den. / Amnes­ty Inter­na­tio­nal ver­öf­fent­lich­te 2010 einen Bericht über die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an Migran­tIn­nen auf der Durch­rei­se durch Mexi­ko mit dem Titel “Invi­si­ble Vic­tims: Migrants on the move in Mexi­co”. Amnes­ty Inter­na­tio­nal hat eine Akti­on ins Leben geru­fen, um die Mise­re der Migran­tIn­nen auf dem Weg durch Mexi­ko sicht­bar zu machen.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 6. Mai 2014 hin­aus, unter »> ai : urgent action

ping

///

lichtbild : damaskus

pic

fox­trott : 0.15 — Eine hoch­auf­lö­sen­de Foto­gra­fie zeigt eine Stra­ße der Stadt Damas­kus bei Tages­licht. Die­se Stra­ße ist nicht irgend­ei­ne Stra­ße, son­dern eine Stra­ße, die sich in einem von syri­schen Regie­rungs­trup­pen bela­ger­ten Stadt­teil befin­den soll. Davon habe ich Kennt­nis, ich hat­te einen kur­zen Bericht gele­sen, der sich mit jener foto­gra­fier­ten Stra­ße befass­te. Die Häu­ser der Stra­ße sind zer­stört, nicht ganz zum Boden hin gezwun­gen, aber sie sind Rui­nen, sind unbe­wohn­bar gewor­den. Man erzählt, die Stra­ße, ein gan­zer Stadt­teil und die in ihm leben­den Men­schen sei­en voll­stän­dig von der Ver­sor­gung abge­schnit­ten, kein Trink­was­ser, kei­ne Nah­rung. Hun­der­te Men­schen sol­len bereits ver­hun­gert sein. Die Auf­nah­me nun lich­tet tau­sen­de im Infer­no leben­de Men­schen ab, Men­schen, die Bom­ben, Scharf­schüt­zen, Gift­gas und Aus­zeh­rung über­leb­ten, sie haben sich in der Schlucht zer­stör­ter Häu­ser vor der Kame­ra ein­ge­fun­den. Vie­le ste­hen gebeugt, als wür­den sie beten. Ande­re flie­ßen auf den Trüm­mern der Häu­ser­wän­de auf­wärts. Ein Bild wie aus einem Traum, der ein Alb­traum sein muss. Ich kann die Men­schen genau­er betrach­ten, indem ich die Auf­nah­me auf mei­nem Bild­schirm ver­grö­ße­re. Aus einer Men­ge tre­ten ein­zel­ne Men­schen her­vor, ein Mann mit lich­tem Bart und Bril­le, eine jun­ge Frau, die ein grü­nes Kopf­tuch trägt. In dem Moment der Auf­nah­me legt sie ihre Hän­de vor den Mund. Vie­le der Men­schen schei­nen wie die jun­ge Frau in das Objek­tiv der Kame­ra zu bli­cken. Für einen Augen­blick mei­ne ich, dass sie aus ihren Kel­lern gekom­men sein könn­ten, trotz der Gefahr von Ton­nen­bom­ben umge­bracht zu wer­den, um auf die­se Auf­nah­me zu kom­men, um nicht ganz zu ver­schwin­den, ja, das ist denk­bar. Aber ver­mut­lich ist die Wirk­lich­keit die­ser Auf­nah­me eine ande­re, ver­mut­lich wer­de ich nie erfah­ren, war­um die­se Men­schen zusam­men­ge­kom­men sind, so vie­le Men­schen, und wer über­leb­te und wer nicht über­leb­te. — Kin­der. Kei­ne Kin­der. — stop

ping

///

lichthals

pic

romeo : 1.28 — Noch ein Kind gewe­sen, beob­ach­te­te ich Flie­gen und Mücken mit arg­wöh­ni­schen Augen. Sie waren so wen­dig, wil­lens­stark und aus­dau­ernd in ihrer Jagd nach Zucker oder Blut, dass ich sie fürch­te­te und bewun­der­te zur sel­ben Zeit. Sir­ren­de Geräu­sche. Sturz­schrau­ben­flü­ge. Mos­ki­tos, die man nie­mals leben­dig mit einer Hand fan­gen, aber töten konn­te. Das Mikro­skop, mit des­sen Hil­fe ich vor lan­ger Zeit Flie­gen­lei­chen unter­such­te, habe ich unlängst wie­der­ge­fun­den. Ein schwe­res Objekt, schwarz lackier­tes Guss­ei­sen, dar­an befes­tigt, beweg­li­che Mes­sing­tei­le, Räd­chen ins­be­son­de­re, ein Spie­gel, und ein run­der, beweg­li­cher Tisch. Das Gerät war im zurück­lie­gen­den Jahr­hun­dert von Ernst Leitz in Wetz­lar gefer­tigt wor­den. An sei­nem zen­tra­len Licht­hals trägt es die Signa­tur No. 158461. Robert Koch soll aus die­ser Serie der Mikro­sko­pe das Mikro­skop mit der Zif­fer 100000 erhal­ten haben, Paul Ehr­lich das Mikro­skop mit der Num­mer 150000. Damals, als ich noch klein gewe­sen war, konn­te ich das Mikro­skop kaum auf den Tisch heben, an den ich mich zur Unter­su­chung gefan­ge­ner Flie­gen setz­te, sobald frü­her Abend gewor­den war. Um eine Flie­ge sezie­ren zu kön­nen, benö­tigt man sehr fei­nes Besteck, mei­ne Hän­de zit­ter­ten. Die ers­te Flie­ge, der ich mich mit einem Skal­pell näher­te, wach­te auf, sie beweg­te ihre Bein­chen, ich flüch­te­te aus dem Zim­mer. Die zwei­te Flie­ge, die ich unter­su­chen woll­te, war so gründ­lich tot, dass sie über kei­nen eigent­li­chen Kör­per mehr ver­füg­te, der unter­sucht wer­den konn­te. Die drit­te Flie­ge öff­ne­te sich, sie war uner­war­tet feucht gewe­sen. In einer metal­le­nen Schach­tel ver­wahr­te ich mei­ne Opfer. Der Schach­tel ent­kam ein bit­te­rer Geruch. Ich habe nun über­legt, ob ich die Unter­su­chung der Flie­gen oder klei­ne­rer Spin­nen­tie­re nicht drin­gend wie­der auf­neh­men soll­te. — stop
ping

///

nachts

pic

del­ta : 0.18 — Ich bat einen Freund, eine Geschich­te zu erzäh­len vom Glück, als er noch ein Kind gewe­sen war. Er muss­te nicht lan­ge über­le­gen. Er sag­te, dass er abends, sobald das Licht in sei­nem Zim­mer aus­ge­schal­tet wur­de, heim­lich in sei­nen Büchern gele­sen habe. Zu die­sem Zweck hat­te er eine Taschen­lam­pe unter sei­nem Kopf­kis­sen ver­steckt. Er las immer im Sit­zen, die Bei­ne ver­schränkt, Jules Ver­nes zum Bei­spiel. Auf­re­gend, nicht nur die Bücher, son­dern das ver­bo­te­ne Lesen zur Nacht­zeit selbst. Wäh­rend mein Freund von sei­nem Glück berich­te­te, erin­ner­te er sich, wie sein Bru­der, der in dem­sel­ben Zim­mer geschla­fen hat­te, ihm ein­mal erzähl­te, er, der Älte­re der bei­den, habe zur Som­mer­zeit wie ein leuch­ten­der Berg aus­ge­se­hen, der sich manch­mal beweg­te. Hin und wie­der fla­cker­te das Licht, weil die Kraft der Bat­te­rien in der klei­nen Lam­pe zur Nei­ge ging. Man muss­te dann immer ein wenig war­ten, bis sich die Bat­te­rien wie­der erhol­ten. Oft war er in die­ser Zeit des War­tens noch im Sit­zen ein­ge­schla­fen. — stop
ping

///

ai : RUSSISCHE FÖDERATION

aihead2

MENSCH IN GEFAHR: „Jew­ge­ni Witisch­ko muss eine drei­jäh­ri­ge Haft­stra­fe in einer Straf­ko­lo­nie antre­ten. So hat es das Regio­nal­ge­richt von Kras­no­dar in einem Rechts­mit­tels­ver­fah­ren am 12. Febru­ar ent­schie­den. Amnes­ty Inter­na­tio­nal betrach­tet den inhaf­tier­ten Umwelt­schüt­zer als gewalt­lo­sen poli­ti­schen Gefan­ge­nen, der straf­recht­lich ver­folgt wird, weil er Umwelt­schä­den in der Regi­on Kras­no­dar auf­ge­deckt hat. / Am 12. Febru­ar hat das Regio­nal­ge­richt von Kras­no­dar ein von Jew­ge­ni Witisch­ko ein­ge­leg­tes Rechts­mit­tel gegen die gegen ihn ver­häng­te Haft­stra­fe zurück­ge­wie­sen und damit die Ent­schei­dung eines Gerichts unte­rer Instanz bestä­tigt. In dem Urteil des Regio­nal­ge­richts heißt es, der Umwelt­schüt­zer habe gegen eine Auf­la­ge (Rei­se­be­schrän­kung) ver­sto­ßen, die ihm im Zusam­men­hang mit einer zur Bewäh­rung aus­ge­setz­ten drei­jäh­ri­gen Frei­heits­stra­fe auf­er­legt wor­den war. Er müs­se des­halb die drei Jah­re Haft in einer Straf­ko­lo­nie ver­bü­ßen. Das ursprüng­li­che Urteil war nach Auf­fas­sung von Amnes­ty Inter­na­tio­nal in einem poli­tisch moti­vier­ten und unfai­ren Gerichts­ver­fah­ren gegen ihn ergan­gen. Der Ter­min für die Ver­hand­lung über das Rechts­mit­tel war zunächst auf den 22. Febru­ar fest­ge­setzt wor­den, wur­de dann aber auf den 12. Febru­ar vor­ver­legt, sodass es in den Zeit­raum der 15-tägi­gen Haft von Jew­ge­ni Witisch­ko fiel, die er wegen kon­stru­ier­ter Vor­wür­fe im Zusam­men­hang mit “gering­fü­gi­gem Row­dy­tum” in der Stadt Tuap­se ver­bü­ßen muss­te. Der Umwelt­schüt­zer konn­te des­halb an der Ver­hand­lung nur per Video­schal­tung teil­neh­men. Als Reak­ti­on auf das Urteil kün­dig­te Jew­ge­ni Witisch­ko einen Hun­ger­streik an. / Nach­dem er sei­ne 15-tägi­ge Haft­stra­fe ver­büßt hat­te, soll­te Jew­ge­ni Witisch­ko am 18. Febru­ar frei­ge­las­sen wer­den und sich dann pri­vat auf den Weg zu der Straf­ko­lo­nie machen, um dort sei­ne drei­jäh­ri­ge Frei­heits­stra­fe anzu­tre­ten. Die Behör­den erklär­ten dann jedoch, er wer­de nicht aus der Haft ent­las­sen, son­dern beglei­tet von Gefäng­nis­per­so­nal direkt in die Straf­ko­lo­nie gebracht. Amnes­ty Inter­na­tio­nal vor­lie­gen­den Infor­ma­tio­nen zufol­ge befin­det er sich der­zeit auf dem Weg dort­hin, das genaue Ziel ist aber nicht bekannt.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 1. April 2014 hin­aus, unter »> ai : urgent action

ping



ping

ping