Aus der Wörtersammlung: uma

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vom denken

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echo : 5.58 UTC — Der Mathe­ma­ti­ker John von Neu­mann soll in der Lage gewe­sen sein, 100 mal schnel­ler zu den­ken als „gewöhn­li­che“ Men­schen den­ken. In dem Moment, da ich die­se Infor­ma­ti­on wahr­ge­nom­men hat­te, ver­such­te ich mir vor­zu­stel­len, wie sich mei­ne inne­re Stim­me, die Stim­me bewuss­ten Den­kens, ver­hal­ten wür­de, sobald ich in mei­nem Kopf plötz­lich in 100-facher Geschwin­dig­keit zu mir oder mit mir selbst spre­chen wür­de. Könn­te ich die­ses Geräusch über­haupt noch als Spra­che iden­ti­fi­zie­ren? Wäre von einem Hoch­ge­schwin­dig­keits­ort aus die Denk­stim­me eines „gewöhn­li­chen“ Men­schen im vir­tu­el­len Schall­ohr über­haupt noch wahr­zu­neh­men? Dif­fi­zi­le Fra­gen an die­sem frü­hen Mor­gen. Wie könn­te ich mei­ne Gedan­ken noch notie­ren, da sich mei­ne Hän­de sehr plötz­lich 100 mal schnel­ler bewe­gen müss­ten als zuvor, um mei­ne Gedan­ken auf Papier oder das Licht des Bild­schirms zu über­tra­gen. Viel­leicht wür­de ich nur noch Ergeb­nis­se mei­nes Den­kens notie­ren oder in mathe­ma­ti­schen For­men phan­ta­sie­ren. In jedem Fal­le wäre das Notie­ren mit Hän­den auf einer Tas­ta­tur, ein Vor­gang der Ent­schleu­ni­gung. Edward Tel­ler, der die Was­ser­stoff­bom­be erfun­den haben soll, kann­te John von Neu­mann per­sön­lich, weil sie gemein­sam arbei­te­ten. John von Neu­mann berech­ne­te die Höhe über dem Erd­bo­den, da eine Atom­bom­be im dem Augen­blick der Explo­si­on ihre größ­te Zer­stö­rungs­kraft ent­fal­ten wür­de. Mein Vater wie­der­um kann­te Edward Tel­ler per­sön­lich. Er war ein jun­ger Mann, als er Edward Tel­ler begeg­ne­te. Edward Tel­ler sei ihm sehr unheim­lich gewe­sen, erzähl­te mein Vater. — stop
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aleppo

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romeo : 0.15 — Ärz­te ohne Gren­zen notie­ren am 15. Oko­ber 2016: “Syri­sche und rus­si­sche Luft­an­grif­fe haben inner­halb von 24 Stun­den vier Kran­ken­häu­ser im bela­ger­ten Ost-Alep­po getrof­fen. Eines der Kran­ken­häu­ser wur­de dabei schwer beschä­digt, min­des­tens zwei Ärz­te wur­den ver­letzt. Auch ein Kran­ken­wa­gen wur­de bei den Angrif­fen zer­stört und des­sen Fah­rer getö­tet. / Das Gesund­heits­sys­tem im bela­ger­ten Ost-Alep­po erlitt damit am 14. Okto­ber die schwers­ten Schä­den seit dem Schei­tern der kur­zen Waf­fen­ru­he Ende Sep­tem­ber. Die Inten­si­tät der Luft­an­grif­fe auf die nord­sy­ri­sche Stadt nahm in den Tagen zuvor wei­ter zu. / Laut der Direk­ti­on für Gesund­heit sowie dem foren­si­schen Zen­trum in Ost-Alep­po star­ben dort zwi­schen dem 11. und dem 14. Okto­ber min­des­tens 62 Men­schen, 467 Men­schen wur­den ver­letzt, dar­un­ter 98 Kin­der. Die Zahl der Toten und Ver­wun­de­ten liegt mög­li­cher­wei­se noch höher, denn vie­le Fami­li­en begra­ben ihre Toten selbst, ohne sie in ein Kran­ken­haus zu brin­gen. / “Die Stadt bricht immer wei­ter zusam­men” / „Die rück­sichts­lo­sen Luft­an­grif­fe sind ein­deu­tig noch schlim­mer gewor­den“, sagt Car­los Fran­cis­co, Lan­des­ko­or­di­na­tor von Ärz­te ohne Gren­zen für Syri­en. „Eines der Kran­ken­häu­ser, die ges­tern getrof­fen wur­den, wur­de stark beschä­digt. Es ist ein wich­ti­ges chir­ur­gi­sches Zen­trum, das in den ver­gan­ge­nen Wochen schon drei­mal getrof­fen wor­den ist. Die Inten­si­tät der Angrif­fe erstickt die weni­gen medi­zi­ni­schen Kapa­zi­tä­ten, die das Gesund­heits­sys­tem in Alep­po noch hat. Die Stadt bricht immer wei­ter zusam­men, Tag für Tag, Stun­de für Stun­de. Syri­en und Russ­land zer­stö­ren die letz­ten Orte, an denen noch Leben geret­tet wer­den kön­nen. Damit zei­gen sie, dass sie in Ost-Alep­po jeg­li­ches Leben unmög­lich machen wol­len.“ / Laut Berich­ten von Kran­ken­haus­mit­ar­bei­tern in Ost-Alep­po wur­den bei den Angrif­fen vom 14. Okto­ber zwei Ärz­te ver­letzt, ein Lager­ver­wal­ter eines der Kran­ken­häu­ser erlitt Ver­bren­nun­gen. Bis­lang gab es in Alep­po noch 35 Ärz­te für rund 250.000 Men­schen. Nur sie­ben von ihnen sind Chir­ur­gen, die Kriegs­ver­letz­te ope­rie­ren kön­nen. Seit dem Beginn der Bela­ge­rung des Ost­teils im Juli wur­den die weni­gen ver­blie­be­nen Kran­ken­häu­ser 27 Mal getrof­fen, nicht ein ein­zi­ges Kran­ken­haus ist bei den Luft­an­grif­fen ohne Scha­den geblie­ben. / Nur noch elf funk­ti­ons­tüch­ti­ge Kran­ken­wa­gen / Auch ein Kran­ken­wa­gen der Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on (NGO) Al-Scham-Huma­ni­ta­ri­an-Foun­da­ti­on (AHF) wur­de am 14. Okto­ber kom­plett zer­stört, der Fah­rer wur­de getö­tet. Die AHF stellt den Men­schen in Syri­en seit 2011 kos­ten­lo­se medi­zi­ni­sche Hil­fe zur Ver­fü­gung. Erst eini­ge Tage zuvor hat­te die Direk­ti­on für Gesund­heit berich­tet, dass auf­grund der Luft­an­grif­fe sowie der feh­len­den Ersatz­tei­le nur noch elf funk­ti­ons­fä­hi­ge Kran­ken­wa­gen in Ost-Alep­po bereit­ste­hen. Frei­wil­li­ge und NGOs nut­zen ein­fa­che Fahr­zeu­ge, um Ver­wun­de­te zu trans­por­tie­ren. / „Wir haben es bereits gesagt und sagen es erneut: Alle Kon­flikt­par­tei­en müs­sen ermög­li­chen, dass schwer Ver­wun­de­te und Kran­ke aus der Stadt gebracht wer­den, bevor es zu spät ist“, sagt Pablo Mar­co, Lei­ter der Nah­ost-Pro­gram­me von Ärz­te ohne Gren­zen. „Über­le­bens­wich­ti­ge Güter und medi­zi­ni­sches Mate­ri­al müs­sen in die Stadt gebracht wer­den kön­nen. Die Men­schen dort lei­den nicht nur unter dem anhal­ten­den Bom­ben­ha­gel, son­dern auch dar­un­ter, dass sie über­haupt kei­ne Unter­stüt­zung erhal­ten.“ / Ärz­te ohne Gren­zen unter­stützt in Ost-Alep­po alle acht ver­blie­be­nen Kran­ken­häu­ser. Lan­des­weit unter­stützt die Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on mehr als 150 Gesund­heits­zen­tren und Kli­ni­ken. Im Nor­den Syri­ens betreibt Ärz­te ohne Gren­zen selbst sechs medi­zi­ni­sche Ein­rich­tun­gen. Zu den von der syri­schen Regie­rung kon­trol­lier­ten Gebie­ten ein­schließ­lich West-Alep­po erhält die Orga­ni­sa­ti­on kei­nen Zugang. - stop

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ai : SÜDAFRIKA

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MENSCHEN IN GEFAHR : “Im März wur­de der süd­afri­ka­ni­sche Land­rechts­ak­ti­vist und Vor­sit­zen­de des Ama­di­ba Cri­sis Com­mit­tee (ACC), Sik­ho­si­phi Rha­de­be, erschos­sen. Kurz vor sei­nem Tod hat­te er erfah­ren, dass sein Name sowie die Namen zwei­er wei­te­rer Sprecher_innen des ACC auf einer “Abschuss­lis­te” ste­hen. Es gibt Zwei­fel an der Gründ­lich­keit der Unter­su­chun­gen der Tötung. Zudem besteht Sor­ge um die Sicher­heit der bei­den ACC-Spre­cher_in­nen sowie wei­te­rer Aktivist_innen, die in Xolo­be­ni gegen ein Berg­bau­pro­jekt kämp­fen. Sik­ho­si­phi “Bazoo­ka” Rha­de­be wur­de am 22. März 2016 von zwei Män­nern erschos­sen, die ihn bei sich zuhau­se in Lur­hol­we­ni in der Pro­vinz Ost­kap auf­such­ten und sich als Poli­zis­ten aus­ga­ben. Sein min­der­jäh­ri­ger Sohn war bei dem Vor­fall anwe­send. Weni­ge Stun­den vor sei­nem Tod hat­te Sik­ho­si­phi Rha­de­be erfah­ren, dass sein Name auf einer “Abschuss­lis­te” stand. Auf die­ser Lis­te befin­den sich zudem die Namen zwei­er wei­te­rer ACC-Mit­glie­der, Mza­mo Dla­mi­ni und Nonhle Mbut­hu­ma. Sik­ho­si­phi Rha­de­be war Lei­ter des ACC, einer Gemein­schafts­in­itia­ti­ve gegen den Abbau von Titan und ande­ren Schwer­me­tal­len in einem Tage­bau auf Gemein­schafts­land in Xolo­be­ni durch ein loka­les Toch­ter­un­ter­neh­men des aus­tra­li­schen Kon­zerns Mine­ral Com­mo­di­ties Limi­t­ed (MRC). Das ACC befürch­tet, dass infol­ge des Berg­bau­pro­jekts Hun­der­te Ange­hö­ri­ge der Gemein­schaft der Umgun­gund­l­o­vu von ihrem ange­stamm­ten Land ver­trie­ben wer­den, und dass durch Umwelt­schä­den wie z. B. Was­ser­ver­schmut­zung ihr Recht auf einen ange­mes­se­nen Lebens­stan­dard (ein­schließ­lich Zugang zu sau­be­rem Trink­was­ser) ver­letzt wird. Das ACC besteht aus etwa 3.000 Mit­glie­dern und kämpft seit zehn Jah­ren für die Rech­te der Anwohner_innen, die im Fall einer Berg­bau­li­zenz für die MRC-Toch­ter­ge­sell­schaft gefähr­det wären. ACC-Mit­glie­der sind wegen ihrer Arbeit bedroht und ange­grif­fen wor­den, unter ande­rem auch von Anwohner_innen, die das Berg­bau­pro­jekt unter­stüt­zen. Die Orga­ni­sa­ti­on hat die­se Angrif­fe bei der Poli­zei ange­zeigt, die jedoch größ­ten­teils untä­tig geblie­ben ist. Nach der Tötung von Sik­ho­si­phi Rha­de­be sind füh­ren­de ACC-Mit­glie­der äußerst besorgt um ihre Sicher­heit. Kurz nach dem Vor­fall über­gab die ört­li­che Poli­zei die Unter­su­chung der Tötung an die Ein­heit zur Unter­su­chung schwe­rer Straf­ta­ten (Direc­to­ra­te for Prio­ri­ty Cri­mes Inves­ti­ga­ti­on — DCPI) des natio­na­len Poli­zei­diens­tes. Doch die Ermitt­lun­gen wei­sen eini­ge Män­gel auf, was Zwei­fel dar­an auf­kom­men lässt, ob die Fami­lie von Sik­ho­si­phi Rha­de­be Gerech­tig­keit erfah­ren wird.” — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 6. Juli 2016 hin­aus, unter > ai : urgent action

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von schuhen

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char­lie : 3.25 – Bahn­steig 23, Cen­tral­bahn­hof, Diens­tag, 28 Minu­ten nach 10 Uhr abends. Auf einer Bank sitzt eine Frau in dunk­lem Gewand, über ihrem Kopf ein Tuch von eben­so schwar­zer oder dun­kel­grau­er Far­be, das ihr Haar lose bedeckt. Die Frau scheint von hohem Alter zu sein und müde und scheu, noch nicht ein­mal drei Stun­den ist es her, dass sie an die­sem Ort ein­ge­trof­fen ist. Ich höre, der jun­ge Mann, der an ihrer rech­ten Sei­te sitzt, sei ihr Enkel, er war es gewe­sen, der die alte Frau aus dem Zug getra­gen hat­te, weil sie nicht mehr lau­fen konn­te, so erschöpft waren ihre Füße vom wochen­lan­gen Wan­dern durch halb Euro­pa, außer­dem waren zuletzt Schu­he kaum noch vor­han­den. Ein Mäd­chen hat ihren Kopf im Schoß der Urgroß­mutter gebor­gen und schläft. Eigent­lich müss­ten da noch zwei Jungs sein, der älte­re Bru­der des klei­nen Mäd­chens, aber der ist tot, und auch ihr jün­ge­rer Bru­der ist nicht da, weil er tot ist, und auch ihre Mut­ter nicht, da ihre Woh­nung von einer Gra­na­te getrof­fen wor­den war, als das klei­ne Mäd­chen auf die Stra­ße rann­te ganz allein, was eigent­lich ver­bo­ten war im Novem­ber des ver­gan­ge­nen Jah­res in einem Dorf 16 Kilo­me­ter weit ent­fernt von der Stadt Homs. Auch der Urgroß­va­ter des über­le­ben­den Mäd­chens ist nicht da, weil er tot ist. Aller­dings ist der Urgroß­va­ter zur übli­chen Zeit eines natür­li­chen Todes gestor­ben und in Form einer Foto­gra­fie nach Euro­pa mit­ge­kom­men, die die alte Frau in die­sem Moment in ihrer Hand hält und betrach­tet. Ihr Sohn, der Vater des jun­gen Man­nes, der sei­ne Groß­mutter aus dem Zug getra­gen hat­te, spricht gera­de mit einer fröh­li­chen Per­son, die eine Wes­te trägt, wel­che leuch­tet, dass es in den Augen nur so schmerzt. Er ver­sucht der jun­gen deut­schen Frau zu erklä­ren, dass er vor Stun­den sei­ne Ehe­frau aus den Augen ver­lo­ren habe, er sagt immer wie­der ihre Namen auf, damit man unver­züg­lich nach ihr suchen kön­ne. Sein Sohn, der jun­ge Mann, der neben sei­ner Groß­mutter sitzt, erzählt indes­sen in eng­li­scher Spra­che, sei­ne Groß­mutter habe das Dorf, aus dem die Fami­lie vor Mona­ten geflüch­tet war, in ihrem ganz Leben nicht ein ein­zi­ges Mal ver­las­sen, und jetzt sitzt sie also hier auf einer Bank in die­sem Nord­land, Bahn­steig 23, Cen­tral­bahn­hof, ver­steht kein Wort, von dem was da so über­all um sie her­um gespro­chen wird, und streicht mit ihren Hän­den behut­sam über das Haar des schla­fen­den Kin­des. Immer wie­der schaut sie zu ihren Füßen hin, als wäre sie nicht sicher, dass die­se Füße ihre eige­nen Füße sind. Vor­sich­tig bewegt sie sie hin und her, noch kei­ne Vier­tel­stun­de ist ver­gan­gen, da hat­te sich ihr Enkel vor ihr nie­der­ge­kniet, um ihr nagel­neue feu­er­ro­te Turn­schu­he anzu­zie­hen von Puma. – stop

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2 + 5 = 8

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alpha : 7.12 — Seit eini­gen Tagen wer­de ich von mei­ner Par­tic­les-Word­press­ma­schi­ne, sobald ich die Sei­te der Anmel­dung öff­ne, auf­ge­for­dert, unver­züg­lich nach­zu­wei­sen, dass ich ein Mensch bin: Pro­ve your huma­ni­ty. Die­ser prä­gnan­ten Auf­for­de­rung ist je eine Rechen­auf­ga­be nach­ge­stellt, Zah­len sind zu addie­ren, bei­spiels­wei­se die Zahl 4 zur Zahl 6, wes­we­gen ich mir zu die­sem Zeit­punkt noch kei­ne Sor­gen mache. Eigen­tüm­li­cher­wei­se jedoch emp­fin­de ich die Auf­for­de­rung, mei­ne mensch­li­che Eigen­art dar­zu­stel­len, als eine Zumu­tung. Ein­mal unter­läuft mir ein Rechen­feh­ler, und tat­säch­lich wer­de ich nicht wei­ter vor­ge­las­sen, obwohl ich mei­nen kor­rek­ten Benut­zer­na­men und mein kor­rek­tes Pass­wort, mehr­fach geprüft, in die Mas­ke des Log­ins notier­te. Es ist selt­sam, seit ich mich bewei­sen muss, habe ich den Ein­druck, mei­ne Par­tic­les-Word­press­ma­schi­ne sei selbst mäch­ti­ger oder mensch­li­cher gewor­den, eine Per­sön­lich­keit, die mir viel­leicht in weni­gen Tagen zum Beweis mei­nes mensch­li­chen Ursprungs die Lösung eines Drei­sat­zes abver­lan­gen wird. — stop

schleuse

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tokio

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gink­go : 0.22 — Ein Kind will sehen. So fängt es immer an, und auch damals fing es so an. Ein Kind woll­te sehen. Der Jun­ge konn­te lau­fen, und er konn­te an eine Tür­klin­ke her­an­rei­chen. Es steck­te kei­ner­lei Absicht dahin­ter, nur der instink­ti­ve Tou­ris­mus des Kin­des­al­ters. Eine Tür war dazu da, auf­ge­sto­ßen zu wer­den; er ging hin­ein, blieb ste­hen, schau­te. Da war nie­mand, der ihn beob­ach­tet hät­te; er dreh­te sich um und ging fort, wobei er sorg­sam die Tür hin­ter sich zumach­te. — Ich erin­ner­te mich an die­se Zei­len Juli­an Bar­nes als ich zum ers­ten Mal von B. hör­te, der eine tie­fe Lei­den­schaft für die Stadt Tokio ent­wi­ckelt haben soll, obwohl er nie dort gewe­sen ist. Was weiß ich von B. an die­sem Abend? Eigent­lich nicht sehr viel. B. ist 52 Jah­re alt, unge­fähr 1,88 Meter groß, schlank, stu­dier­te sla­wi­sche Spra­chen, arbei­te­te als Über­set­zer, Alten­pfle­ger, Autor von Restau­rant­be­schrei­bun­gen, Dra­ma­turg, Post­schaff­ner, seit vier Jah­ren nun weder das eine noch das ande­re, weil er wohl­ha­bend gewor­den ist durch uner­war­te­te Erb­schaft. Er blieb damals vor vier Jah­ren in sei­ner klei­nen Woh­nung, kauf­te sich einen Com­pu­ter mit einem gro­ßen Bild­schirm und muss irgend­wie in Tokio gelan­det sein. Sei­nen ers­ten Besuch mit­tel der Street­views ( Goog­le-Maps ) beschreibt er als ein wesent­li­ches Ereig­nis sei­nes Lebens, er sei irgend­wo in der Stadt gelan­det, habe sich gewun­dert über die Enge der Stra­ße, auf wel­cher er sich plötz­lich befand, und über Bäu­me, die aus Häu­sern zu wach­sen schie­nen. Ein Mann stand vor einem Geträn­ke­au­to­ma­ten, er schau­te in die Kame­ra, die ihn gera­de ablich­te­te. Sei­ne Augen, durch Unschär­fe ver­frem­det, waren nicht zu erken­nen, aber eine Ziga­ret­te, die der Mann zwi­schen Fin­ger sei­ner rech­ten Hand geklemmt hat­te. So, erzähl­te B., habe es ange­fan­gen. Stun­de um Stun­de, Tag für Tag, beweg­te er sich fort­an durch die Stadt. Immer wie­der ent­de­cke er Spu­ren selt­sams­ter Geschich­ten. Ich habe eine Tür geöff­net. — stop

joseph

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ein päckchen

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tan­go : 17.01 — Im August ein­mal ste­he ich in einer Schlan­ge war­ten­der Men­schen. Der Ort: U.S. Gene­ral Post Office, New York, 8. Stra­ße. Die Zeit: Kurz vor sechs Uhr abends. Ich bin müde, bin wei­te Stre­cken durch die Stadt gewan­dert. Ich den­ke noch, wenn ich nicht acht­sam bin, könn­te ich viel­leicht im Ste­hen ein­schla­fen. Ich über­le­ge, ob ich in die­sem Fal­le umfal­len oder ein­fach so schla­fend ste­hen blei­ben wür­de. Drau­ßen ist es höl­lisch heiß, schwül und feucht, in der Hal­le des Post­am­tes eher kühl. Vor mir, so nah, dass ich sie ver­se­hent­lich umar­men könn­te, war­tet eine zier­li­che, älte­re Dame, sie ist viel­leicht gera­de vom Fri­seur gekom­men, ihr Haar, ein bläu­lich schim­mern­der Ball, der hef­tig duf­tet. Auf ihren Schul­tern ruht ein Fuchs, der tot ist. Als sie an die Rei­he kommt, tritt sie an den Schal­ter her­an, stellt sich auf ihre Zehen­spit­zen und legt ein Päck­chen auf den Tre­sen ab. Mit einer läs­si­gen Hand­be­we­gung schiebt sie die Ware zu einer Post­an­ge­stell­ten hin. Die Frau­en unter­hal­ten sich. Ich kann nicht jedes Wort ver­ste­hen, sie spre­chen sehr schnell. Ich mei­ne, zu hören, wie die Post­an­ge­stell­te bemerkt, dass das Päck­chen sehr leicht sei, so leicht, als ob in ihm nichts ent­hal­ten wäre. Die alte Dame erwi­dert, in dem Päck­chen sei sehr wohl etwas ent­hal­ten, näm­lich 7 x 1 Stun­de Schlaf, die sie einem Freund über­mit­teln wür­de, der nahe Bos­ton woh­ne, ein Geschenk. Dar­auf­hin lacht die Post­an­ge­stell­te mit tie­fer Stim­me. Sie sagt: Das ist ein unglaub­li­ches Geschenk, sie wür­de auch ein­mal sehr ger­ne etwas Schlaf­zeit geschenkt bekom­men. Kurz dar­auf dreht sich die alte, zier­li­che Frau auf dem Absatz um, ein feu­er­rot geschmink­ter Mund, gepu­der­te, hel­le Haut, win­zi­ge blaue Augen. Sie durch­quert den Saal nach Nor­den hin. Klei­ne Schrit­te, sehr schnell. Kurz vor einer der Türen, da sie die Rich­tung kor­ri­gie­ren muss, wird sie bei­na­he aus der Kur­ve getra­gen. — stop
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in der paukenhöhle

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del­ta : 7.10 — Es ist leicht, sich Zell­kör­per vor­zu­stel­len, die vor­sich­tig geöff­net wur­den, um in sie hin­ein spä­hen zu kön­nen. Ich wünsch­te ihre Struk­tu­ren mit Namen bezeich­nen zu kön­nen, mit Wort­kör­pern, die mir gefal­len. Bereits die Ana­to­mie der Amei­sen Wort für Wort aus­zu­wei­sen, wird einen lan­gen poe­ti­schen Atem erfor­dern. Ich über­leg­te, wie sich afri­ka­ni­sche Men­schen bald erhe­ben wer­den, sie for­dern, ihre uralten Spra­chen in unse­re human­ana­to­mi­sche Nomen­kla­tur ein­zu­spei­sen, ner­vus oli­mam­bo, der fort­an unter die­ser Bezeich­nung mensch­li­che Augen­li­der inner­vie­ren wird. Bald mel­den sich Bewoh­ner Grön­lands, sun­ni­ti­sche und schii­ti­sche Stäm­me, India­ner der wil­den Wäl­der Papua Neu­gui­ne­as. Sie alle haben den Wunsch, ihre Spra­che, Wör­ter, ihre geis­ti­ge Welt in der Vor­stel­lung eines all­ge­mein gül­ti­gen mensch­li­chen Kör­pers zu hin­ter­las­sen. Das zustän­di­ge Büro der Uno hoch über dem East River, eine Behör­de, Jahr­zehn­te nach­drück­li­cher Ver­hand­lung in der Pau­ken­höh­le. — stop 

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herr bisaso

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hima­la­ya : 2.08 — Jeden Mor­gen, im Früh­ling oder im Som­mer, Herbst oder Win­ter, erscheint Herr Bisaso gegen 4 Uhr am Ter­mi­nal 1 des Frank­fur­ter Flug­ha­fens. Er trägt eine graue Hose, ein dun­kel­blau­es Hemd, eine gel­be Kra­wat­te und ein Schild­chen, auf dem das Wort SECURITY zu lesen steht, außer­dem ein Stäb­chen von etwa 1 Meter 50 Län­ge, das er in der rech­ten oder lin­ken Hand mit sich zu füh­ren pflegt. Das Stäb­chen scheint aus Bam­bus­rohr gemacht, an sei­ner Spit­ze sitzt eine wei­che Bee­re von Leder und Samt, die von Herrn Bisaso ver­mut­lich höchst­per­sön­lich dort ange­bracht wor­den war. Der alte Mann ist von statt­li­cher Erschei­nung, bei­na­he zwei Meter groß, er wur­de in Mom­ba­sa gebo­ren, lebt aber schon lan­ge Zeit, Jahr­zehn­te, in Euro­pa. Blitz­blan­ke, schwar­ze Schu­he. Auf die­sen Schu­hen macht er sich nun auf sei­nen mor­gend­li­chen Weg, der ihn über das Ter­mi­nal 1 zum Ter­mi­nal 2 und wie­der zurück füh­ren wird. Ich sehe ihn, wie er sich umsieht und pfeift, er scheint fröh­lich zu sein, er liebt den Mor­gen und viel­leicht auch sei­ne Arbeit, sei­nen Auf­trag. In die­ser Wei­se, lei­se pfei­fend, nähert er sich einer Bank, auf wel­cher ein Mann liegt, der schläft. Das Hemd des Man­nes ist ver­rutscht, sein Bauch zu sehen, auch sind sei­ne Schu­he zu Boden gefal­len. Es riecht ein biss­chen bit­ter in der Luft. Behut­sam berührt Herr Bisaso den Mann mit jenem wei­chen Bee­re­n­en­de sei­nes Bam­bus­zei­gers an der Schul­ter, und schon fährt der Mann hoch aus einem Traum, reibt sich die Augen, fuch­telt dann mit den Hän­den, und beginnt laut zu schimp­fen. Guten Mor­gen! ent­geg­net Herr Bisaso mit tie­fer Stim­me. Er steht ganz ruhig und war­tet bis der noch halb­wegs Schla­fen­de auf­ge­stan­den ist. Jetzt ist er zufrie­den. Er schlen­dert zur nächs­ten Bank, die zum Nacht­la­ger einer jun­gen Frau gewor­den ist, auch sie scheint ein wenig bit­ter zu rie­chen und ohne Kof­fer zum Flug­ha­fen gekom­men zu sein. Bald steht auch sie, reibt sich die Augen, betrach­tet den gro­ßen Mann und sein Stäb­chen, das Herr Bisaso noch nicht sehr lan­ge Zeit mit sich führt. Fol­gen­de Nach­richt wäre vor weni­gen Wochen noch mög­lich gewe­sen. MELDUNG: Von 4 bis 5 Uhr wur­den in den Ter­mi­nals des Frank­fur­ter Flug­ha­fens 87 Per­so­nen, die auf Sitz­ge­le­gen­hei­ten ruh­ten, von Mr. Bisaso geweckt. Er muss­te des­halb 2 Trit­te, eine Umar­mung, alle­samt unwill­kür­lich, aber nur zwei Ohr­fei­gen ent­ge­gen­neh­men. — stop

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