Aus der Wörtersammlung: wasser

///

hispaniola

2

sier­ra : 22.02 — Män­ner, die mit blo­ßen Hän­den Trüm­mer­ber­ge durch­su­chen. Der Fuß eines Kin­des, stau­big, das unter einer Beton­de­cke gefan­gen liegt. Erdi­ge Stra­ßen, gesäumt von ver­we­sen­den Kör­pern. Eine tote Frau, die auf einem Stuhl sitzt. Ein Mäd­chen, wie im Traum, nicht ansprech­bar, ihr Blick in die Fer­ne gerich­tet, wie sie durch eine Men­ge stam­meln­der Men­schen schrei­tet. Wei­nen­de Stim­men. Ver­stör­te Kin­der­ge­sich­ter. Rufen. Durst. Ver­zweif­lung. Infer­no. Flim­mer­bil­der. — Im Zug nach Süden erzählt eine Frau, die in Hai­ti gebo­ren wur­de und vie­le Jah­re dort leb­te, von dem Land, von dem Volk, das sie liebt, und alle Rei­sen­den, die in ihrer Nähe sit­zen, hören ihr zu, gebannt, mit­füh­lend, fra­gend. Ein­mal sagt sie, dass die Bewoh­ner der Stadt Port-au-Prin­ce, die ihr Leben unter Kor­rup­ti­on in größ­ter Armut auf einer hei­ßen Erd­man­tel­fal­te zei­ti­gen, nie an die Gefahr gedacht haben wür­den, in der sie sich in jeder Minu­te ihrer Exis­tenz befan­den. Nie­mand habe mit einem Erd­be­ben die­ser Stär­ke gerech­net, obwohl ein Erd­be­ben genau die­ser Inten­si­tät lan­ge vor­her­ge­sagt wor­den sei. Eine Fra­ge der Zeit, alles eine Fra­ge der Zeit, sagt die Frau, und sieht aus dem Fens­ter des Zuges, auf Schnee, der in der Däm­me­rung bläu­lich schim­mert. Man denkt, ver­ste­hen Sie, man denkt nicht an Erd­be­ben, an eine Gefahr, die nicht sicht­bar ist, wenn man in Ster­bens­ar­mut lebt. Man denkt an sau­be­res Was­ser. Man denkt an Brot. Man denkt an das Über­le­ben der Kin­der von Abend zu Abend. 

///

caravelle

2

romeo : 0.02 — Ich über­leg­te, ob ich, wenn ich bei wol­ken­lo­sem Him­mel in 33000 Fuß Höhe befind­lich aus einem Flug­zeug­fens­ter spä­hen wür­de, ein Schiff erken­nen könn­te, ein Schiff von der Grö­ße der Queen Mary sagen wir, einen Luxus­damp­fer, der zur Zeit mei­ner Geburt noch regel­mä­ßig zwi­schen New York und Sout­hamp­ton über den Atlan­tik hin und her gepen­delt war. Ich stell­te mir zunächst einen Berg vor von ent­spre­chen­der Höhe, einen Berg, der Him­mel und Flug­zeug berühr­te, kurz dar­auf ein Schiff. Und ich ahn­te sehr bald, dass ich das Schiff wohl eher nicht, ver­mut­lich aber die ihm fol­gen­de Spur im Was­ser erken­nen wür­de, Wel­len und Wir­bel von Luft. Eine jun­ge Frau, so unsicht­bar wie das Schiff, an des­sen Heck sie steht, betrach­tet die Spur, die das Schiff im Was­ser hin­ter­lässt. Ein­mal wir­belt eine Bö ihren Hut durch die Luft. Sie schaut zum Him­mel. Ein Blit­zen viel­leicht. Ten-four. Char­lie. Char­lie. Kurz nach Mit­ter­nacht. Klir­ren­de Käl­te. — stop
ping

///

engelgeschichte für geraldine

9

del­ta : 0.03 — Vor lan­ger Zeit habe ich eine klei­ne Geschich­te geschrie­ben, die von Engeln erzählt. Ich kann nicht genau sagen war­um, ich habe die­se Geschich­te bereits zwei­mal aus dem Licht der Öffent­lich­keit zurück­ge­zo­gen, sie aber nie gelöscht. Als ich ges­tern nun über die Kind­heit eines Mäd­chens nach­dach­te, das in einer vor­neh­men Gegend Man­hat­tans auf­ge­wach­sen ist, fiel mir die Geschich­te wie­der ein und ich habe nach ihr gesucht. Ich wer­de sie jetzt für Geral­di­ne an die­ser Stel­le end­gül­tig notie­ren. Lie­be Geral­di­ne, wo auch immer Du sein magst, die­se fol­gen­de Geschich­te gehört Dir. Hör zu: Ein­mal, immer nur ein­mal im Jahr, kom­men die Engel der Stadt New York in einer Kir­che zur gro­ßen Ver­samm­lung geflo­gen. Die stei­ner­nen Engel kom­men von den Fried­hö­fen her, die höl­zer­nen Engel aus den Gar­ten­lau­ben, kost­ba­re Por­zel­la­nen­gel öff­nen ihre Vitri­nen und segeln über den Hud­son durch die küh­le Abend­luft. Auch von den Tape­ten stei­gen Engel auf, ver­las­sen ihre Post­kar­ten­zim­mer, Bücher und Zei­len, in wel­chen sie ver­merkt wor­den sind Zei­chen für Zei­chen. Sie stei­gen aus den Träu­men der Kin­der, der Müt­ter, der Väter, wie Men­schen aus Stra­ßen­bah­nen stei­gen sie aus. Sobald sie Luft unter ihren Schwin­gen füh­len, wer­fen sie ihre Gold­staub­män­tel von den Schul­tern, sprin­gen aus Bade­wan­nen, stark schon unterm Was­ser geschmol­zen, löschen das Licht, das auf ihren Köp­fen fla­ckert, umflat­tern noch ein­mal kurz die Häup­ter der stei­ner­nen Mari­en, auf deren Hän­den sie um ein wei­te­res Jahr geal­tert sind. Es ist kaum rich­tig Nacht gewor­den, da kann man es in den Kel­lern schon äch­zen hören, wenn sie sich mit ver­ein­ten Kräf­ten gegen die schwe­ren Deckel der Tru­hen stem­men, in denen sie auf­ge­ho­ben sind von Fest zu Fest. Man muss sich, sofern man ein Mensch ist, nur im Dezem­ber in Man­hat­tan, Queens oder Brook­lyn am rich­ti­gen Tag zur rich­ti­gen Stun­de vor einen Engel set­zen. Sobald es dun­kel gewor­den ist, setzt man sich hin und war­tet. Man war­tet nicht lan­ge, man war­tet eine Stun­de oder zwei und plötz­lich ist der Engel fort­ge­flo­gen. Nach Süden ist er geflo­gen, oder nach Nor­den, auf kür­zes­tem Weg vor­bei an beben­den Vögeln zur größ­ten Kir­che der Stadt. Dort nimmt der Engel unter Engeln Platz. Über­all sit­zen sie inzwi­schen bis unter die Gewöl­be, auf der Kan­zel, den Bet­stüh­len, den hei­li­gen Figu­ren, auch auf den Mosai­ken des Bodens, den Chö­ren, dem Altar, den Ver­stre­bun­gen der Kreu­ze, den Kno­chen­fi­gu­ren, ja, auf Chris­tus selbst haben sie Platz genom­men. Sie sind alle sehr leicht. Im Grun­de wie­gen sie nichts. Sie sind von der Schwe­re eines Wun­sches und spre­chen in einer von kei­nem For­scher erschlos­se­nen Spra­che. Fröh­li­che Engel­ge­stal­ten, jawohl. Sie lachen, das Lachen der Engel, wie tol­le Fle­der­mäu­se lachen sie, so hell. Dann, kurz nach Mit­ter­nacht ist’s gewor­den, kommt einer der drei gro­ßen Engel, immer kommt nur einer von ihnen und immer kommt er zu spät, wur­de auf­ge­hal­ten im Auf­trag befind­lich, ein­mal ist es Gabri­el, dann Rapha­el, dann Micha­el. Sehr lang­sam, ein Künst­ler des Flie­gens, schwebt er her­ein, nimmt Platz auf den Stu­fen, schlägt die Bei­ne über­ein­an­der und leuch­tet. Ruhig sieht er unter die Ver­samm­lung, wäh­rend er sei­ne gewal­ti­gen Schwin­gen hin­ter dem Rücken fal­tet. Jetzt wer­den die klei­nen Engel andäch­tig und still. Ver­ein­zelt kommt noch ein ver­gess­li­cher Kund­schaf­ter durchs Kir­chen­schiff gerast, da und dort tru­delt ein betrun­ke­nes Feder­we­sen von höhe­rer Stel­le. Ist dann alles schön geord­net, erhebt der Erz­engel sei­ne Stim­me. Es ist ein Sin­gen, ein wun­der­ba­rer Alt­so­pran, eine uner­hört schö­ne Spra­che. Er sagt: Guten Abend, Engel.
ping

///

ein kleiner engel

9

ulys­ses : 0.03 – Es ist Sonn­tag, aber noch nicht lan­ge. Genau­ge­nom­men ist Sams­tag, aber auch nicht rich­tig Sams­tag, weil ich die­sen Text am Frei­tag, am Abend näm­lich, geschrie­ben, ihn am Sams­tag­mor­gen in mei­ne Word­Press­ma­schi­ne gefüllt und sofort Anwei­sung gege­ben habe, ihn am Sonn­tag kurz nach Mit­ter­nacht sicht­bar wer­den zu las­sen. Es ist also ein merk­wür­di­ger Sonn­tag, ein Sonn­tag der Abwe­sen­heit und der Anwe­sen­heit zur glei­chen Zeit, ein gro­ßes Ver­gnü­gen. Aber eigent­lich woll­te ich rasch eine klei­ne Geschich­te erzäh­len. Ich habe, ganz unglaub­lich, vor einer Stun­de einen klei­nen Engel, den ich seit Tagen ver­miss­te, wie­der­ge­fun­den. Ich stand bei leich­tem Regen mit mei­ner Kame­ra vor einem Karus­sell, weil ich ver­spro­chen hat­te, einen Film vom wär­men­den Dreh­licht auf­zu­neh­men. Plötz­lich saß der klei­ne Engel, wir ken­nen uns schon lan­ge, auf mei­ner Schul­ter, leicht wie eine Mozart­ku­gel. Er woll­te wis­sen, ob er denn auf dem Film, den ich gera­de auf­ge­nom­men hat­te, zu sehen sein wer­de, und ich frag­te natür­lich unver­züg­lich zurück, was er über­haupt hier tun wür­de und ob er sich nicht den­ken kön­ne, dass ich mir Sor­gen gemacht habe wäh­rend der ver­gan­ge­nen Tage. Aber mit Engeln ist das so eine Sache, sie genü­gen sich selbst, machen, was sie wol­len. Sie flie­gen, nur so zum Bei­spiel, mit oder neben einem Karus­sell durch die Luft, weil sie die wei­ten, die gefähr­li­chen Rei­se­rou­ten üben, atlan­ti­sche Stre­cken, sagen wir, vie­le Tage über Was­ser dahin in der Geschwin­dig­keit der Bie­nen. Ich weiß nun, ich ahne, auch dann, wenn sie schla­fen, segeln sie immer­zu wei­ter. – Guten Abend. Guten Mor­gen. Gute Nacht.

ping

///

zarte lügen

14

alpha

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : ZARTE LÜGEN

Mein lie­ber Jona­than, ges­tern, stel­len Sie sich vor, habe ich von Ihrem Mut erzählt, von Ihrer Begeis­te­rung, unse­re Welt, die Welt der Luft­men­schen zu erkun­den, eine Welt, die Sie so vie­le Jah­re in einer Was­ser­woh­nung lebend, nicht berüh­ren konn­ten. Man frag­te mich, wo genau Sie sich gera­de auf­hal­ten mögen und da muss­te ich zuge­ben, dass ich das nicht wüss­te. Auch woll­te man hören, wie Ihre fri­schen, jun­gen Lun­gen sich ver­hal­ten, wo genau an Ihrem Kör­per sie ange­bracht wor­den sind und wie sie funk­tio­nie­ren. Natür­lich habe ich kei­ne Aus­kunft erteilt, will Sie zunächst ersu­chen, mir zu sagen, ob ich berich­ten darf, weil ihr Atem­ver­mö­gen doch eine beson­de­re und des­halb auch pri­va­te Ange­le­gen­heit sein könn­te. Viel­leicht sind Sie so freund­lich, bei Gele­gen­heit sich mir in die­ser Sache zu erklä­ren. Ihren Eltern im Übri­gen geht es gut. Natür­lich machen sie sich erns­te Gedan­ken, weil Sie, mein lie­ber Kek­ko­la, nichts von sich hören las­sen. Ihre Mut­ter blass wie Krei­de, und Ihr Vater, ihr Vater um vie­le Jah­re älter gewor­den. Bald wer­de ich mei­nem Wunsch nach­ge­ben und Brie­fe erfin­den, zar­te Lügen, beru­hi­gen­de Nach­rich­ten aus den Wäl­dern, man will stolz sein, man will wis­sen, was sie so tun auf Ihrem Weg dem Süden zu und ob sie noch unter den Leben­den wei­len. Bleibt mir zu sagen, dass ihre Eltern wie­der Nah­rung zu sich neh­men. Ich ver­mu­te, sie glau­ben mir in die­sen Tagen end­lich, dass ihre Woh­nung nach Jahr­zehn­ten undicht gewor­den sein könn­te. Wir machen Fort­schrit­te. – Ihr Lou­is, ers­ten Schnee erwartend.

gesen­det am
02.12.2009
22.32 MEZ
1605 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »


ping

///

franny and zooey

9

fox­trott : 10.00 — Flug­zeug über Atlan­tik quer. 7 Stun­den 25 Minu­ten. Bewe­gung auf dem Bild­schirm wie Däm­me­rung, wie Eis­schmel­ze, wie Gras­wach­sen. Luft von Zimt, Mund­voll Leb­ku­chen. So lie­gen, ein Auge ruhend auf Pixel­meer, das ande­re auf Salin­gers Fran­ny. Wis­pern­de Stim­men der Man­hat­ten­of­fi­zers, lei­se Auf­nah­me, einen Tag fest­hal­ten, eine Nacht. Das Was­ser des Grön­land­ei­ses, noch lang­sa­mer als das Älter­wer­den und so sicher, so aus­ge­macht, wie es im Süden nach den Häu­sern der armen Küs­ten­men­schen greift. Man hört das nicht, man denkt das nicht. Es ist längst schon ein­ge­ar­bei­tet, viel­leicht, in jede Erwar­tung. Luft von Zimt, Mund­voll Leb­ku­chen. Ein Auge ruhend auf dem Meer, das ande­re auf Fran­ny. Col­tra­ne, John: A love supre­me. Zeit ver­geht. — stop

ba185

///

regenschirmtiere vol.2

9

tan­go : 22.28 — Seit eini­gen Tagen den­ke ich, sobald ich lese, begeis­tert an Neu­ro­ne, Syn­ap­sen, Axo­ne, weil ich hör­te, dass ich mit­tels Gedan­ken, die Ana­to­mie mei­nes Gehirns zu gestal­ten ver­mag. Vor­hin, zum Bei­spiel, ich folg­te der Ankunft eines Schif­fes in New York im Jah­re 1867, über­leg­te ich, was nun eigent­lich geschieht in die­sem Moment der Lek­tü­re dort oben hin­ter mei­nen lesen­den Augen, ob man ver­zeich­nen könn­te, wie für das Wort M a r y, das in dem Buch immer wie­der auf­ge­ru­fen wird, fri­sche Fäd­chen gezo­gen wer­den, indem sich das Wort schritt­wei­se mit einer unheim­li­chen Geschich­te ver­bin­det. Oder der Regen, der Regen, was geschieht, wenn ich schla­fend, Stun­de um Stun­de, Geräu­sche fal­len­den Was­sers ver­neh­me? In der ver­gan­ge­nen Nacht jeden­falls habe ich wie­der ein­mal von Regen­schirm­tie­ren geträumt, sie schei­nen sich fest ein­ge­schrie­ben zu haben in mei­nen Kopf, viel­leicht des­halb, weil ich sie schon ein­mal nacht­wärts gedacht und einen klei­nen Text notiert hat­te, der wie­der­um in mei­nem Gehirn zu einem blei­ben­den Schat­ten gewor­den ist. Natür­lich besuch­te ich mei­nen Schat­ten­text und erkann­te ihn wie­der. Trotz­dem das Gefühl, Gedan­ken einer fer­nen Per­son wahr­ge­nom­men zu haben. Die Geschich­te geht so: Von Regen­schirm­tie­ren geträumt. Die Luft im Traum war hell vom Was­ser, und ich wun­der­te mich, wie ich so durch die Stadt ging, bei­de Hän­de frei, obwohl ich doch allein unter einem Schirm spa­zier­te. Als ich an einer Ampel war­ten muss­te, betrach­te­te ich mei­nen Regen­schirm genau­er und ich staun­te, nie zuvor hat­te ich eine Erfin­dung die­ser Art zu Gesicht bekom­men. Ich konn­te dunk­le Haut erken­nen, die zwi­schen bleich schim­mern­den Kno­chen auf­ge­spannt war, Haut, ja, die Flug­haut der Abend­seg­ler. Sie war durch­blu­tet und so dünn, dass die Rinn­sa­le des abflie­ßen­den Regens deut­lich zu sehen waren. In jener Minu­te, da ich mei­nen Schirm betrach­te­te, hat­te ich den Ein­druck, er wür­de sich mit einem wei­te­ren Schirm unter­hal­ten, der sich in nächs­ter Nähe befand. Er voll­zog leicht schau­keln­de Bewe­gun­gen in einem Rhyth­mus, der dem Rhyth­mus des Nach­bar­schirms ähnel­te. Dann wach­te ich auf. Es reg­ne­te noch immer. Jetzt sit­ze ich seit bald einer hal­ben Stun­de mit einer Tas­se Kaf­fee vor mei­nem Schreib­tisch und über­le­ge, wie mein geträum­ter Regen­schirm sich in der Luft hal­ten konn­te. Ob er wohl über Augen ver­füg­te und über ein Gehirn viel­leicht und wo genau moch­te die­ses Gehirn in der Ana­to­mie des schwe­ben­den Schirms sich auf­ge­hal­ten haben. — stop
ping

///

coney island

14

nord­pol

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : CONEY ISLAND

Mein lie­ber Kek­ko­la, das müs­sen Sie wis­sen, ich bin glück­lich, füh­le mich leicht, alle Sor­gen der ver­gan­ge­nen Wochen sind von mir gefal­len, ein Mensch, der mir nahe ist, wird wei­ter­le­ben. Wie schwe­ren Zei­ten, leich­te­re Zei­ten fol­gen! Nun wie­der ange­neh­mes Arbei­ten. Bin zu atlan­ti­schen Phä­no­me­nen zurück­ge­kehrt, das Hör­ver­mö­gen der Tief­see­ele­fan­ten, natür­lich, eine unend­li­che Geschich­te. Habe dar­über nach­ge­dacht, ob es nicht viel­leicht mög­lich sein könn­te, dass Tief­see­ele­fan­ten über klei­ne, kaum noch sicht­ba­re Ohren ver­fü­gen, die an ihren Rüs­sel­spit­zen gewach­sen sind über Jahr­mil­lio­nen ihres heim­li­chen Lebens hin­weg, um hören zu kön­nen, was man spricht in der Trom­pe­ten­spra­che jen­seits des Was­sers. So könn­te ich wei­ter­kom­men in die­ser Ange­le­gen­heit. Es ist nun bei­na­he sicher, dass ihre Her­den bereits in der Mit­te des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts vor Coney Island im Staa­te New York wahr­ge­nom­men wor­den sind. Ein Herr schrieb mir von Hand, sei­ne gelieb­te Rose habe ihm, wäh­rend eines Aus­flu­ges an den Strand, von Erschei­nun­gen erzählt, die alle unse­re Ver­mu­tun­gen bestä­ti­gen. Ich füge, lie­ber Kek­ko­la, mei­nem Brief eine Foto­gra­fie hin­zu, die an genau jenem Tag der Beob­ach­tung auf­ge­nom­men wor­den sein soll. Sieht sie nicht hin­rei­ßend unsterb­lich aus, Mrs. Rose, wie sie so sitzt und sich über das Tief­see­leuch­ten ihres Kop­fes zu freu­en scheint? – Ihr Lou­is, ihr Vogel.

gesen­det am
14.11.2009
22.58 MESZ
1668 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

rose

///

napapiin

9

india : 6.22 — Schau­te gegen den Him­mel. Bemerk­te, dass sich die Dun­kel­heit wie eine Flüs­sig­keit ver­hielt. Vögel hüpf­ten in die­ser feuch­ten Licht­lo­sig­keit in Kas­ta­ni­en­bäu­men von Ast zu Ast, ein traum­ar­ti­ges Bild. Viel­leicht habe ich etwas gese­hen, das ich nur des­halb beob­ach­ten konn­te, weil ich ohne jeden Grund auf der Stra­ße stand, wie aus einem Ver­se­hen her­aus, ein Mann, der die fal­sche Tür genom­men hat­te. Jetzt, etwas spä­ter, ahne ich, dass ich dort vor dem Haus gelan­det war, weil ich ins­ge­heim wünsch­te, mit mei­nen Gedan­ken an den gewalt­sa­men Tod eines Tor­hü­ters, unter frei­em Him­mel zu ste­hen. Und wie ich so war­te­te, hör­te ich die Stim­me sei­ner muti­gen, jun­gen Frau in mei­nem Kopf, eine Stim­me, die ver­such­te, von all dem Wahn­sinn, dem Wahn­sinn des Ver­heim­li­chens zu spre­chen. Da war ein­mal ein Mensch gewe­sen, der nicht wei­ter­le­ben konn­te, der ster­ben muss­te, weil er sei­ne Ver­letz­lich­keit, sei­ne Schwä­che, sei­ne Mensch­lich­keit nicht zei­gen durf­te oder glaub­te, sie nicht zei­gen zu dür­fen. So könn­te das gewe­sen sein. Ein Mensch, der lan­ge Zeit über Was­ser has­te­te. So weit ist er gelau­fen, dass kein Land mehr zu sehen, kein Laut mehr zu hören gewe­sen war. — 2 Uhr und fünf­zehn Minu­ten. Die Welt dreht sich, um einen Atem­zug lang­sa­mer gewor­den, wei­ter, immer wei­ter. Soeben wur­de amt­li­cher­seits die Öff­nung fol­gen­der Weih­nachts­post­äm­ter, nörd­li­che Hemi­sphä­re, bekannt gege­ben: Nord­pol-Grön­land San­ta Claus Nord­po­len, Jule­man­dens Post­kon­tor DK-3900 Nuuk / Finn­land Santa’s Main Post Office FIN-96930 Napa­pi­in / USA San­ta Claus India­na 47579.
ping

///

existenz

14

oli­mam­bo

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : EXISTENZ

Wie weit Sie wohl gekom­men sind, mein lie­ber Kek­ko­la? Sie soll­ten New Hamp­shire längst erreicht haben. Nach wie vor erseh­ne ich eine Nach­richt, obwohl ich mir unge­zähl­te Male vor­ge­nom­men habe, nie wie­der in einem Zustand von Erwar­tung zu leben. Und doch ist das jetzt so gekom­men, dass ich mich sor­ge, weil Sie kein Zei­chen, nicht das gerings­te Lebens­zei­chen über­mit­teln. Ein Satz, mein Freund, eine lee­re E‑Mail wür­de genü­gen, ich wäre zufrie­den, weil ich doch wüss­te, dass Sie in der Lage sind, zu lesen, was ich für Sie notie­re. Stel­len Sie sich vor, in der ver­gan­ge­nen Nacht habe ich mir über­legt, ob Sie nicht viel­leicht rei­ne Erfin­dung sind und Ihre Brie­fe an mich nur aus­ge­dacht. Mein lie­ber Kek­ko­la, wo auch immer Sie sich auf­hal­ten mögen, neh­men Sie wahr, dass ich an Sie den­ke. Unlängst, das soll­ten Sie wis­sen, stell­te ich noch die Fra­ge, wie Tief­see­ele­fan­ten hören, was sie mit­ein­an­der spre­chen, da doch die Sprech­ge­räu­sche ihrer Rüs­sel sehr weit von ihren Ohren ent­fernt jen­seits der Was­ser­ober­flä­che zur Welt kom­men und rasch in alle Him­mels­rich­tun­gen ver­schwin­den. Ihr Lou­is, hoffend.

gesen­det am
10.10.2009
22.38 MESZ
1138 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

ping



ping

ping