Aus der Wörtersammlung: sommer

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josephine besucht chelsea

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ulys­ses : 15.07 — Ich erin­ne­re mich an einen Tag im Mai des Jah­res 2010, als Jose­phi­ne und ich durch den Cen­tral Park spa­zier­ten. Es war ein war­mer Tag gewe­sen, ein Tag, an dem Wasch­bä­ren ihre Ver­ste­cke im Unter­holz flüch­te­ten, um den Som­mer zu begrü­ßen. Nie zuvor hat­te ich Wasch­bä­ren per­sön­lich gese­hen, und auch an die­sem Tag hat­te ich kaum Zeit, sie zu beob­ach­ten, weil die betag­te Dame an mei­ner Sei­te süd­wärts dräng­te. Gut gelaunt schien sie ihr Alter nicht im min­des­ten zu spü­ren, und so folg­ten wir der 8th Ave­nue Rich­tung South Fer­ry, pas­sier­ten die Port Aut­ho­ri­ty Bus­sta­ti­on, das zen­tra­le Post­amt und die Penn Sta­ti­on, um nahe dem Joy­ce-Thea­ter in die 18th Stra­ße ein­zu­bie­gen. Bei­na­he zwei Stun­den waren wir bis dort­hin unter­wegs gewe­sen, es däm­mer­te bereits. Vor dem Haus 264 West blieb Jose­phi­ne ste­hen. Sie hol­te ihr Tele­fon aus der Hand­ta­sche und mel­de­te mit lau­ter Stim­me, dass sie bereits unten vor dem Haus ste­hen wür­de und abge­holt zu wer­den wün­sche! Ein Herr, in etwa dem­sel­ben Alter, in dem sich Jose­phi­ne befand, öff­ne­te uns kurz dar­auf die Tür. Er war mit einem Haus­man­tel beklei­det, der in einem tie­fen Blau leuch­te­te, hat­te kei­ner­lei Haar auf dem Kopf und trug Turn­schu­he. Ich erin­ne­re mich, dass ich mich wun­der­te über sei­ne gro­ßen Füße, denn der Mann, den mir Jose­phi­ne mit dem Namen Valen­tin vor­stell­te, war eher zier­lich, wenn nicht klein gera­ten. Wäh­rend wir eine enge Trep­pe in den sechs­ten Stock hin­auf­stie­gen, dach­te ich an die­se Schu­he und auch dar­an, ob ich selbst in ihnen über­haupt lau­fen könn­te. Bald tra­ten wir durch eine schma­le Tür, hin­ter der sich ein Raum von uner­war­te­ter Grö­ße befand, ein Saal viel­mehr, mit einer hohen Decke und einem gut gepfleg­ten Boden von Holz, der nach Oran­gen duf­te­te. Lin­ker Hand öff­ne­te sich ein Fens­ter, das die gesam­te Brei­te des Rau­mes füll­te, mit einem groß­ar­ti­gen Aus­blick auf Chel­sea, auf Dach­gär­ten, Anten­nen und Satel­li­ten­wäl­der, ich glaub­te, vor einer Stadt ohne Stra­ßen zu ste­hen. Und da war nun die­ser alte Mann in sei­nem blau­en Haus­man­tel, der uns bat, auf einem Sofa Platz zu neh­men, wel­ches das ein­zi­ge Möbel­stück gewe­sen war, das ich in dem Raum ent­de­cken konn­te. Ein paar Was­ser­fla­schen reih­ten sich an einer der Wän­de, die von Back­stein waren, von hel­lem Rot, und an die­sen Wän­den waren nun Papie­re, Foto­ko­pien von Buch­sei­ten, genau­er, akku­rat anein­an­der gereiht, sodass sie die Wän­de des Saa­les bedeck­ten. Jose­phi­ne schien sehr berührt zu sein von die­sem Anblick. Sie saß mit durch­ge­drück­tem Rücken auf dem Sofa und bewun­der­te das Werk ihres Freun­des, der uns zu die­sem Zeit­punkt bereits ver­ges­sen zu haben schien. Er stand vor einer der Buch­sei­ten und las. Es han­del­te sich um ein Papier des 1. Band der Entde­ckungs­rei­sen nach Tahi­ti und in die Süd­see von Georg Fors­ter in eng­li­scher Über­set­zung. Und wie wir den alten Mann beob­ach­te­ten, erzähl­te mir Jose­phi­ne, dass er das mit jedem der Bücher machen wür­de, die er lesen wol­le, er wür­de sie ent­fal­ten, ihre Zei­chen­li­nie sicht­bar machen, er lese immer im Ste­hen, er sei ein Wan­de­rer. — stop

jose­phi­ne

ping

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schneeechsen

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ulys­ses : 6.55 — Im Traum spa­zie­re ich die win­ter­li­che Küs­te der Sta­ten Island Insel ent­lang. San­di­ger Boden, Strand, der unter mei­nen Füßen knis­tert. Es ist sehr kalt, der Schnee in der Nähe des Was­sers geschmol­zen, land­ein­wärts aber türmt er sich, Wehen, die Kie­fer­bäu­me, die gan­ze Häu­ser ver­schlu­cken. An mei­ner Sei­te wan­dert eine alte, hoch­ge­wach­se­ne Frau. Sie erzählt in rasen­der Geschwin­dig­keit eine Geschich­te, die ich nicht wirk­lich wahr­neh­men kann, weil ich ihre Spra­che nicht ver­ste­he. Aber das scheint die alte Frau nicht wei­ter zu küm­mern, viel­leicht erzählt sie nur des­halb unent­wegt vor sich her, damit ich ihre Stim­me hören kann und sie in der Dun­kel­heit nicht ver­lie­re. Tat­säch­lich ist fast licht­lo­se Nacht, nur ein hal­ber Mond und ein paar grö­ße­re Schif­fe weit drau­ßen, die in Rich­tung des offe­nen Atlan­tiks fah­ren. Ich erin­ne­re mich, dass die alte Frau eine Pelz­müt­ze und einen Pelz­man­tel trägt, som­mer­li­che Schu­he, Sport­schu­he und kei­ner­lei Strümp­fe. Um sie her­um flit­zen Eidech­sen, sie schei­nen ihr zu fol­gen, weiß sind sie wie der Schnee, aus dem sie gekom­men sind. Wenn ich mich bücke, kom­men sie neu­gie­rig näher, ich kann sie auf­he­ben, ich kann sie zer­bre­chen, sie tra­gen schnee­wei­ße Zun­gen in ihren klei­nen Mün­dern und sie fau­chen und tau­en, sobald ich sie in mei­ne Hosen­ta­sche ste­cke. In die­sem Moment mei­ne ich, die alte Frau mit einem Namen ange­spro­chen zu haben, an den ich mich nicht erin­nern kann. Ein­mal bleibt sie ste­hen, kau­ert sich auf den Boden, singt lei­se eine Melo­die vor sich hin, der Faden ihrer Stim­me wird sicht­bar in der fros­ti­gen Luft. Jetzt hebt sie Stei­ne aus dem Sand, schich­tet sie über­ein­an­der, sodass sie Tür­me bil­den, die sich in der Dun­kel­heit wie Wäch­ter­we­sen, wie Mah­nen­de beneh­men. Ein hell beleuch­te­tes Fähr­schiff fährt dicht am Ufer ent­lang. Ich sehe Men­schen, die tan­zen. Das Schiff wird von wei­te­ren Men­schen gezo­gen, die im eis­kal­ten Was­ser schwim­men. — stop

ping

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eine sprechende maschine

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reming­ton : 6.52 — Vor weni­gen Tagen hat­te ich von der Ent­de­ckung eines Muse­ums der Nacht­häu­ser erzählt, das sich am Shore Bou­le­vard nörd­lich der Hell Gates Bridge befin­det, die den Stadt­teil Queens über den East River hin­weg mit Ran­di­lis Island ver­bin­det. Es ist noch immer ein recht klei­nes Haus, rote Back­stei­ne, ein Schorn­stein, der an einen Fabrik­schlot erin­nert, ein Gar­ten, in dem ver­wit­ter­te Apfel­bäu­me ste­hen, der Fluss so nah, dass man ihn rie­chen kann. Heu­te liegt der Gar­ten tief ver­schneit. Ich ste­he unter einem der Apfel­bäu­me, die ohne Blät­ter sind. Die­ser Baum trägt sei­ne Som­mer­früch­te so, als ob er sie fest­hal­ten wür­de, sie sind etwas klei­ner gewor­den, vol­ler Fal­ten, aber sie leuch­ten Rot und sie duf­ten. Der jun­ge Mann, der mich bereits ein­mal durch das Muse­um geführt hat­te, kommt in die­sem Moment auf mich zu. Er freut sich, dass ich wie­der­ge­kom­men bin. Eine Wei­le ste­hen wir uns gegen­über, es ist zum Erbar­men kalt, wir tre­ten von einem Bein aufs ande­re, wäh­rend der jun­ge Mann eine Ziga­ret­te raucht, dann ist es fast dun­kel und wir tre­ten wie­der in das Muse­um ein. Er möch­te mir eine klei­ne Maschi­ne zei­gen, die im ers­ten Stock seit vie­len Jah­ren in einer wei­te­ren Vitri­ne sitzt. Auf den ers­ten Blick scheint es sich um eine ähn­li­che Appa­ra­tur zu han­deln, wie jene von der ich berich­te­te. Ein Gecko von Metall, der in der Lage ist, sich zum Zwe­cke pro­tes­tie­ren­der Kom­mu­ni­ka­ti­on Wän­de hin­auf an die Decke eines Zim­mers zu bege­ben, um sich dort fest­zu­sau­gen. Aber anstatt eines oder meh­re­rer Schlag­in­stru­men­te, mit wel­chen gegen die Decke getrom­melt wer­den könn­te, ver­fügt die­ses klei­ne Wesen über einen Laut­spre­cher, der wie ein Mund gestal­tet ist, und des­halb her­vor­ra­gend geeig­net zu sein scheint, hef­ti­ge Geräu­sche des Spre­chens zu erzeu­gen. Bei die­ser Appa­ra­tur, sagt der jun­ge Ange­stell­te, han­delt es sich um den ers­ten Decken­spre­cher der Geschich­te, ein äußerst sinn­vol­les Gerät. Er for­dert mich auf, näher­zu­tre­ten. Sehen Sie genau hin, sehen Sie, er ist ver­beult! Tat­säch­lich war der klei­ne eiser­ne Gecko von zahl­rei­chen Schlä­gen so ver­letzt, dass er viel­leicht kaum noch in der Lage gewe­sen war, sei­ner Auf­ga­be nach­zu­kom­men. Denk­bar ist, dass er in einer Nacht der Tag­men­schen der­art wir­kungs­voll gear­bei­tet haben könn­te, dass man ihn fan­gen woll­te, wes­halb man in die Woh­nung des Nacht­men­schen ein­ge­bro­chen war, um ihn zum Schwei­gen zu brin­gen. Als man das ram­po­nier­te Gerät vie­le Jah­re spä­ter öff­ne­te, ent­deck­te man eine Ton­band­spu­le, auf wel­cher Lite­ra­tur von Bedeu­tung fest­ge­hal­ten war. Ein Bruch­stück der his­to­ri­schen Auf­nah­me war noch vor­han­den gewe­sen, und jetzt, in die­ser Nacht, spielt mir der jun­ge Mann vor, was der Appa­rat gespro­chen hat­te. Eine äußerst lau­te, schep­pern­de Stim­me ist zu ver­neh­men: Zuerst woll­te er mit dem unte­ren Teil sei­nes Kör­pers aus dem Bett hin­aus­kom­men, aber die­ser unte­re Teil, den er übri­gens noch nicht gese­hen hat­te und von dem er sich kei­ne rech­te Vor­stel­lung machen konn­te, erwies sich als zu schwer beweg­lich; es ging so lang­sam; und als er schließ­lich, fast wild gewor­den, mit gesam­mel­ter Kraft, ohne Rück­sicht sich vor­wärts stieß, hat­te er die Rich­tung falsch gewählt, schlug an dem unte­ren Bett­pfos­ten hef­tig an, und der bren­nen­de Schmerz, den er emp­fand, belehr­te ihn, dass gera­de der unte­re Teil augen­blick­lich viel­leicht der emp­find­lichs­te war. — Hier endet die Spu­le, ums sofort wie­der von vorn zu begin­nen. — stop

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tod in peking

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tan­go : 0.25 — Ich war ein­mal zuge­gen, als Ted­dy sei­ne Kame­ra in den Park spa­zie­ren führ­te, an einem kal­ten, win­ter­li­chen Tag, es hat­te geschneit. In den Hän­den des statt­li­chen run­den Man­nes sah der Foto­ap­pa­rat, der einen Com­pu­ter ent­hielt, klein aus, zer­brech­lich. Unent­wegt berich­te­te sein stol­zer Besit­zer von den Mög­lich­kei­ten der Foto­gra­fie, die die­se Kame­ra in Zukunft für ihn eröff­nen wür­de. Es war eine Art Lie­bes­be­zie­hung, die ich damals beob­ach­te­te, Ted­dy und sei­ne klei­ne Licht­fang­ma­schi­ne, wie er mit sei­nem drit­ten Auge den Schnee betas­te­te, wie er mir erzähl­te, dass man Schnee eigent­lich nicht foto­gra­fie­ren kön­ne. Das war vor vier oder fünf Jah­ren gewe­sen. Seit­her sind Ted­dy und sei­ne Kame­ra weit her­um­ge­kom­men in der Welt, vor allem reis­ten sie nach Peking, ver­brach­ten dort meh­re­re Mona­te im Jahr, wan­der­ten durch die gro­ße Stadt auf der Suche nach Augen­bli­cken, die Ted­dy sam­mel­te. Es war ein Foto­gra­fie­ren wie ein Gespräch, auch ein Selbst­ge­spräch gegen die Ver­lo­ren­heit, gegen die Angst viel­leicht ein­mal wie­der in den Alko­hol zurück­zu­fal­len, jedes Bild ein Beweis für die eige­ne Exis­tenz. Eine sei­ner Foto­gra­fien aus dem Som­mer 2012 zeigt zwei Jun­gen, wie sie dem rie­si­gen, run­den Mann mit dem klei­nen Foto­ap­pa­rat begeg­ne­ten. Der eine Jun­ge scheint zu stau­nen, der ande­re will die rech­te, seit­wärts aus­ge­streck­te Hand des Foto­gra­fen berüh­ren. Es ist eine typi­sche Foto­gra­fie, das Werk eines Künst­lers, der manch­mal in Euro­pa anrief, weil er sich ein­sam fühl­te in irgend­ei­nem Hotel der chi­ne­si­schen Pro­vinz bei Eis und Schnee. Auch in Peking hat­te er Freun­de, gute, wirk­li­che Freun­de, in sei­ner klei­nen Woh­nung dort wohn­ten eine jun­ge Stu­den­tin und ihre Mut­ter. Vor weni­gen Tagen erreich­te mich nun die Nach­richt sei­nes Todes, für den es zu die­sem Zeit­punkt kei­ne Erklä­rung gibt. Auf Face­book notier­te er noch: Bit­te beach­te, dass ich prin­zi­pi­ell kei­ne Nach­rich­ten schrei­be oder beant­wor­te. Ver­wen­de bit­te immer mei­ne E‑Mail-Adres­se, um mich zu errei­chen. Per Mail bin ich stets zu errei­chen. – Lie­ber Ted­dy, ich wer­de das sofort ver­su­chen. — stop

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im pullmannwagen

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hima­la­ya : 6.46 — Seit eini­gen Stun­den sind hef­ti­ge Arbeits­ge­räu­sche, – Häm­mern, Boh­ren, Sägen -, aus dem klei­nen Raum zu ver­neh­men, der sich neben mei­nem Arbeits­zim­mer befin­det, und Män­ner­stim­men, die scher­zen und pfei­fen. Ich will das schnell erzäh­len, es han­delt sich um einen Vor­gang der Mon­ta­ge, weil zwei Hand­wer­ker damit beschäf­tigt sind, einen Eisen­bahn-Rei­se­wa­gon, genau­er, die Abteil­schei­be eines Zuges, zu ver­schrau­ben, die mir ges­tern Nach­mit­tag bei äußerst schlech­tem Wet­ter in Ein­zel­tei­len ange­lie­fert wor­den waren. Ich habe kei­nen wirk­li­chen Aus­blick auf das, was dort im Ein­zel­nen geschieht, aber ich kann das fei­ne Leder der Sit­ze des alten Pull­man­wa­gens bereits rie­chen, den ich mir wünsch­te, um dar­in jeder­zeit fah­ren und arbei­ten zu kön­nen. Ein groß­ar­ti­ges Erleb­nis soll das sein, Stun­de um Stun­de im his­to­ri­schen Wag­gon zu sit­zen und zu schau­en und zu schrei­ben oder zu schla­fen, das rhyth­mi­sche Geräusch der Schwel­len, som­mer­li­che Rhein­land­schaf­ten, die auf Bild­schirm­fens­tern vor­über­zie­hen. Die Stim­me eines Schaff­ners, der sich nach Fahr­kar­ten erkun­digt, sie kommt näher, der Mann grüßt durch das Fens­ter der Tür in mei­ne Rich­tung, immer wie­der wird er kom­men, ohne je das Abteil zu betre­ten, in dem ich sit­ze. Kin­der tol­len auf den Flu­ren her­um, jemand schreit, dass end­lich Ruhe sein soll, Tanz­mu­sik vom Nach­bar­ab­teil, Rei­sen­de ver­tre­ten sich die Bei­ne, zei­gen auf Damp­fer­schif­fe drau­ßen auf dem Fluss, auch sie sind Bild­schirm­we­sen, Drei­ßi­ger­jah­re, her­vor­ra­gend gemacht. Ein Kom­bü­sen­wä­gel­chen schep­pert vor­über, ein Bahn­hof, eine Uhr, es wird dun­kel und plötz­lich tief ste­hen­de Son­ne über den wil­den zor­ni­gen Bäu­men, die geduckt in einer Schnee­land­schaft ste­hen, bald, in weni­gen Minu­ten, wer­den wir Oslos Zen­tral­sta­ti­on errei­chen. — stop
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rom : umberto ecco

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alpha : 22.57 — Der Mann hin­ter dem Tre­sen ist ein freund­li­cher Mann, unra­siert, akku­rat gebü­gel­tes wei­ßes Hemd, ein hüb­sches, jun­ges Gesicht, das an den Wän­den auf zahl­rei­chen Foto­gra­fien wie­der­zu­fin­den ist, ver­mut­lich des­halb, weil man sich mit ihm zei­gen woll­te, abge­lich­tet sein, sagen wir, berühm­te Men­schen und ein­fa­che Men­schen, die ich nicht aus­ein­an­der­hal­ten kann, weil ich die berühm­ten Men­schen der Stadt Rom nicht ken­ne. Sie lächeln an der Sei­te des jun­gen Man­nes ste­hend, man­che schei­nen viel­leicht betrun­ken zu sein. Aber einen der foto­gra­fier­ten Män­ner habe ich schon ein­mal gese­hen, es han­delt sich bei die­sem Herrn um Umber­to Eco. Der Schrift­stel­ler zeigt sei­ne Zäh­ne, er lacht in die Kame­ra. Umber­to Eco scheint an die­sem Abend, der einem Stem­pel­auf­druck zufol­ge drei Jah­re zurück­liegt, her­vor­ra­gend gelaunt gewe­sen zu sein. Viel­leicht hat­te er gera­de einen die­ser herr­li­chen Espres­sos getrun­ken, wie ich an die­sem Mor­gen. Es war ver­mut­lich Win­ter gewe­sen, Umber­to Ecco trägt einen Hut und einen Man­tel mit einem Pelz­kra­gen. Oder es war Som­mer und Umber­to Ecco hat­te sich in der Jah­res­zeit ver­tan. Wie­der ist es sehr warm heu­te. Eine Ambu­lanz rast an der weit geöff­ne­ten Tür des Cafés vor­bei, man kann das Geräusch der Sire­nen der Not den gan­zen Tag über ver­neh­men. Aber nachts ist es still in die­ser Stadt, Rom ist eine Stadt, die schläft wie die Men­schen, die sie bewoh­nen. Es riecht nach war­mem Schin­ken in die­sem Moment. Auf dem Bild­schirm mei­nes Foto­ap­pa­ra­tes sind Säu­len zu sehen und Durch­leuch­tungs­ma­schi­nen und Hun­der­te lee­re Plas­tik­fla­schen, Sub­stan­zen, die man nicht mit in die gro­ße, kal­te Kir­che am Peters­platz neh­men darf, sie könn­ten explo­die­ren. Ich hebe den Foto­ap­pa­rat leicht an und foto­gra­fie­re Umber­to Eco, sodass er jetzt zwei­fach im Pelz­kra­gen exis­tiert. Wenn ich mir nicht vor­ge­nom­men hät­te, das Pan­the­on zu besu­chen, ich wür­de gern war­ten, Tage, Wochen, um nach­zu­se­hen, ob Umber­to Eco zurück­kom­men wird. Ich habe bemerkt, dass mei­ne Ohren knis­tern, wenn ich Kaf­fee trin­ke in Rom. — stop
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winterfliegen

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char­lie : 6.37 — Regen fällt. So viel Regen fällt, dass die Nacht­luft hell wird vom Was­ser. Viel­leicht war es die­se Hel­le, die mich an die Fra­ge nach der Exis­tenz der Win­ter­flie­gen erin­ner­te. Vor eini­gen Tagen hat­te ich mich auf die Suche nach die­ser Spe­zi­es bege­ben. Nicht in der wirk­li­chen, aber in der Welt der Zah­len, wel­che Zei­chen, Bil­der, Fil­me in Licht­ge­schwin­dig­keit durch den Raum trans­por­tie­ren. Ich such­te nach Win­ter­flie­gen vor­nehm­lich in den Maga­zi­nen digi­ta­ler Biblio­the­ken, aber ich habe kei­ne Flie­gen­sor­te gefun­den, die mei­nen Vor­stel­lun­gen einer pola­ren Flie­gen­gat­tung ent­spro­chen haben wür­de, denn die Art der Win­ter­flie­gen soll­te in eisi­ger Umge­bung exis­tie­ren, in Höh­len, stel­le ich mir vor, die sie mit ihren Flie­gen­fü­ßen höchst­per­sön­lich in den Schnee gegra­ben haben. Viel­leicht sind sie von Natur aus eher küh­le Wesen, oder aber sie tra­gen einen Pelz, ein Fell, wie das der Eis­bä­ren, wei­che, wei­ße Män­tel von Haut und Haar, die ihre äußerst lang­sam schla­gen­den Her­zen schüt­zen. Die­se Flie­gen wer­den ein­hun­dert Jah­re oder älter, sie könn­ten sich von feins­ten Stäu­ben ernäh­ren, vom Plank­ton der Luft, das aus wind­ge­beug­ten Wäl­dern ange­flo­gen kommt, Moo­se, Bir­ken­pol­len, Kot­sand von nor­di­schen Füch­sen. Ich stel­le mir vor, dass die­se Flie­gen so weiß sind, dass man sie nicht sehen wird, wenn sie über den Schnee spa­zie­ren. Man wird mei­nen, der Schnee bewe­ge sich selbst oder es wäre der Wind, der den Schnee bewegt, aber statt­des­sen sind es die Flie­gen, die nicht grö­ßer sind als jene Flie­gen, die nacht­wärts in mei­ner Küche im Som­mer aus einem Apfel stei­gen. — stop
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august august

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alpha : 1.02 — Der 23. August. Gewit­ter plus­tern sich über dem Haus. Ich bin ein wenig unru­hig, weil ich mich einem beson­de­ren Tag nähe­re. Ich habe für die­sen beson­de­ren Tag in mei­nem digi­ta­len Kalen­der vor bei­na­he fünf Jah­ren fol­gen­den Satz ver­merkt: Tru­man kehrt zurück! Noch drei Näch­te, dann ist es so weit, Tru­man wird zurück­ge­kehrt sein und mir viel­leicht auf eine Fra­ge ant­wor­ten, die ich ihm gestellt hat­te. Ein Par­tic­le aus dem Som­mer des Jah­res 2007 erzählt davon: > Frü­her Abend. Sehr hei­ße Luft. Ich wün­sche zu wis­sen, ob Geschöp­fe, die über 5 Bein­paa­re ver­fü­gen, noch als Käfer anzu­se­hen sind. Also schrei­be ich einem Freund eine E‑Mail. Kaum habe ich mei­ne Fra­ge notiert, abge­schickt und mich erho­ben, um etwas die Bei­ne zu ver­tre­ten, kommt mit einem Ping­ge­räusch sei­ne Ant­wort: Bin zurück > Sonn­tag, 26. August 2012. Haben Sie eine gute Zeit. Tru­man. — Es ist jetzt bei­na­he 5 Jah­re spä­ter. Und wie­der die Fra­ge: Habe ich die­se Geschich­te erfun­den? — stop

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engelware

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nord­pol : 6.50 — Fan­gen wir noch ein­mal von vorn an. stop. Jener war­me Som­mer­tag. stop. Mein Vater trägt hel­le Hosen, ein wei­ßes Hemd, Turn­schu­he, Hosen­trä­ger. Immer wie­der erhebt er sich, geht über­le­gend auf und ab, weil ich ihm Fra­gen stel­le, vie­le, schwie­ri­ge Fra­gen. An eine die­ser Fra­gen kann ich mich noch gut erin­nern. Ich woll­te wis­sen, ob es grund­sätz­lich mög­lich sei, die Dau­er eines Momen­tes mathe­ma­tisch in einer For­mel dar­zu­stel­len, in wel­chem ein Trop­fen, der von einem Was­ser­spiel gegen den Him­mel gewor­fen wird, in der Luft ver­harrt, ohne sich wei­ter auf­wärts oder schon abwärts zu bewe­gen, also ohne Schwe­re ist. Lei­der kann ich mich an die Ant­wort mei­nes Vaters nicht erin­nern, aber an eine Geschich­te, die mein Vater an genau jenem Tag der Was­ser­trop­fen erzähl­te. Die­se Geschich­te han­del­te von mir selbst. Sie soll sich ereig­net haben, als ich noch sehr jung und klein gewe­sen war. Ich konn­te damals schon lau­fen und spre­chen, das wohl, und ich wuss­te, dass Weih­nachts­fes­te sich wie­der­ho­len, dass zur hei­li­gen Nacht Geschen­ke unter einem Baum zu fin­den sind, und dass die­se Geschen­ke von Engeln her­bei­ge­bracht wer­den. Der Geschich­te mei­nes Vaters zur Fol­ge kau­er­te ich an einem Dezem­ber­tag meh­re­re Stun­den vor einem Fens­ter zum Gar­ten. Schnee war gefal­len und es schnei­te immer wei­ter ohne Unter­bre­chung. Mei­ne Eltern beob­ach­te­ten mich genau, sie wun­der­ten sich, weil ich mich kaum beweg­te und weil ich in mei­ner Obser­va­ti­on der Schnee­land­schaft kei­ne Pau­sen mach­te. Nach einer gewis­sen Zeit kam mein Vater zu mir. Er frag­te, was ich da tue, ob ich viel­leicht etwas Beson­de­res ent­deckt haben wür­de. Ich ant­wor­te­te, dass ich auf das Erschei­nen eines Engels war­ten wür­de. Wie ich denn dar­auf kom­me, dass ich gera­de an die­sem Tag oder über­haupt je einen Engel sehen kön­ne, woll­te mein Vater wis­sen. Ich erklär­te, dass ich hör­te, jene Geschen­ke, die bald unter unse­rem Weih­nachts­baum lie­gen wür­den, sei von Engeln gelie­fer­te Ware, ich kön­ne also sicher sein, dass Engel den Luft­raum vor dem Fens­ter zum Wohn­zim­mer in Stun­den­zeit pas­sie­ren wür­den, ich müss­te nur lan­ge genug war­ten, um die Erschei­nung eines oder meh­re­rer Engel beob­ach­ten zu kön­nen. Eine Wei­le, erzähl­te mein Vater, habe er sich dann neben mich gesetzt, zwei gedul­di­ge Beob­ach­ter des Schnees, Schul­ter an Schul­ter. — stop

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zeit

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india : 0.05 — Saß an einem Som­mer­tag mit mei­nem Vater am Ufer eines Sees. Mein Vater trug hel­le Hosen, ein wei­ßes Hemd, Turn­schu­he und Hosen­trä­ger. Immer wie­der erhob er sich, ging über­le­gend auf und ab, weil ich ihm Fra­gen stell­te, vie­le, schwie­ri­ge Fra­gen. An eine die­ser Fra­gen kann ich mich noch gut erin­nern. Ich woll­te wis­sen, ob es grund­sätz­lich mög­lich sei, die Dau­er jenes Momen­tes mathe­ma­tisch in einer For­mel dar­zu­stel­len, in wel­chem ein Trop­fen, der von einem Was­ser­spiel gegen den Him­mel gewor­fen wird, in der Luft ver­harrt, ohne sich wei­ter auf­wärts oder schon abwärts zu bewe­gen, also ohne Schwe­re ist. Lei­der kann ich mich an die Ant­wort mei­nes Vaters nicht erin­nern, aber an eine Geschich­te, die mein Vater an genau jenem Tag der Was­ser­trop­fen erzähl­te. Die­se Geschich­te han­del­te von mir selbst. Sie soll sich ereig­net haben, als ich noch sehr jung und klein gewe­sen war. Ich wer­de sie mor­gen erzäh­len, weil sich gera­de ein groß­ar­ti­ges Gewit­ter ereig­net. — stop



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