sierra : 16.15 UTC — Ein Freund zeigte eine Mappe, die er stets mit sich nimmt, um zur Arbeit zu fahren. Schau, sagte er, bei diesem Fach hier handelt es sich um ein operatives Fach, in welchem sich vier weitere Fächer befinden, dort ruhen Schlüssel, Portemonnaie, Codekarten, Handytelefon. Das zweite größere Fach linker Hand birgt Abteile für meine Reisebücher für die Straßenbahn, 1 Kühlfach für Schokolade, 1 Fach, in welchem 2 fingerlange Engel hausen, das öffnen wir lieber nicht, und in diesem Fach hier nun befinden sich weitere sehr wesentliche Dinge, Blütensamen beispielsweise, 1 Streichholzschachtel, 1 Kompass und 1 Wanderkarte, 1 Kaffeethermoskanne, 1 Fotoapparat, 28 Beutel Trinkwasser des Jahres 1988, 16 Portionen Fertignahrung, 3 Kilogramm Trockenbrot, 36 Tabletten gegen Seekrankheit, 1 schwimmfähiges Messer, 5 Signalfackeln in Rot, 2 Signalfackeln in Gelb, 1 Signalflöte, 1 Schöpfgefäß, 1 Rettungswesten, 1 Wurfring mit Leine, 1 wasserdichte Taschenlampe, 14 Batterien, 1 Gasfeuerzeug, 5 Fettstifte, 1 Überlebenshandbuch in finnischer Sprache, 1 Funkschreibmaschine mit Handkurbel. — Seltsame Geschichte. — stop
Aus der Wörtersammlung: teile
abschnitt neufundland
Abschnitt Neufundland meldet folgende gegen Küste geworfene Artefakte : Wrackteile [ Seefahrt – 12, Luftfahrt — 22, Automobile — 122], Grußbotschaften in Glasbehältern [ 18. Jahrhundert — 3, 19. Jahrhundert – 14, 20. Jahrhundert – 453, 21. Jahrhundert — 532 ], Trolleykoffer [ blau : 2, rot : 6, gelb : 18, schwarz : 322 ], Seenotrettungswesten [ 7538 ], physical memories [ bespielt — 15, gelöscht : 28 ], Ameisen [ Arbeiter ] auf Treibholz [ 156 ], 1 Brissonte Dreirad [ Baujahr 1953 ], Brummkreisel : 5, Öle [ 0.87 Tonnen ], Prothesen [ Herz — Rhythmusbeschleuniger – 66, Kniegelenke – 355, Hüftkugeln – 18, Brillen – 453 ], Halbschuhe [ Größen 28 – 39 : 134, Größen 38 — 45 : 22 ], Plastiksandalen [ 5325 ], Reisedokumente [ 246 ], Kühlschränke [ 2 ], Telefone [ 548 ], Puppenköpfe [ 3 ] Gasmasken [ 12 ], Tiefseetauchanzüge [ ohne Taucher – 3, mit Taucher – 1 ], Engelszungen [ 88 ] | stop |
html 5
nordpol : 18.28 UTC — Gestern war ein glücklicher Tag. L., der in Lissabon lebt, notierte, er werde mich in der Rettung Birdy’s aus unsicherer Flashumgebung unterstützen. Vor den himmelblauen digitalen Bildschirmreisekoffern meiner Erzählmaschine sitzend, plötzlich die Erinnerung an eine Fotografie Robert Doisneau’s, die Jacques Tati zeigt, wie er als Postbote in einem Zustand leiser Verwunderung hinter Teilen seines Dienstfahrrades steht, welches er vermutlich mit eigenen Händen zerlegte. Ich stelle fest: Die Differenzierung eines Gegenstandes in notwendige oder typische Portionen könnte bereits für sich genommen, als äußerst anspruchsvolle Aufgabe zu betrachten sein. — stop
am hugli
alpha : 5.25 — Hörte mich gestern noch sagen, ich würde im Auftrag einer Geschichte im kommenden Jahr nach Kalkutta reisen. Tatsächlich scheinen Geschichten, sobald sie sich verwirklichen, Persönlichkeiten zu werden, die Weisungen erteilen. Noch in derselben Nacht träumte ich von einer indischen Briefmarke, auf welcher Kiemenmenschen, eine Dame und ein Herr, in Wasser schweben. — stop
lichtbild
sierra : 3.24 — Man möchte fast glauben, die folgende Begebenheit könnte reine Erfindung sein, weil in unserer Zeit kaum vorstellbar ist, was ich in wenigen Sätze erzähle. Ich hatte mein Fernsehgerät beobachtet, dort waren auf dem Bildschirm Menschen zu erkennen, die auf Wagondächern eines Güterzuges von Mittelamerika aus durch Mexiko nach Nordamerika reisten. Eine gefährliche Fahrt, junge Männer, aber auch junge Frauen, immer wieder, so erzählt man, wurden sie beraubt oder fielen auf die Geleise und würden vom Zug überrollt oder von Blitzen heftiger Gewitter getroffen. Lang waren die Überlebenden bereits unterwegs gewesen, hatten nach einiger Zeit kaum noch zu essen oder zu trinken. Hunger und Durst würden sie ganz sicher gezwungen haben, vom Zug zu springen, wenn da nicht Menschen gewesen wären, arme Menschen, die entlang der Zugstrecke standen, um den Zugreisenden Wasser und Nahrungsmittel in Tüten zuzuwerfen. Eine Frau, Maria, erzählte, sie und ihre Familie würden immer wieder hierherkommen zu den Zügen mit ihren Broten, dabei hätten sie selbst nur sehr wenig zum Leben, aber das Wenige würden sie gerne teilen, immerzu habe sie das Gefühl, es sei viel zu gering, was sie unternehmen, um den Flüchtenden zu helfen. Bald verschwand sie aus dem Bild, trat in den dichten Wald zurück, auch der Zug entfernte sich langsam. — stop
papiere
marimba : 5.02 — Auf einer Briefmarke sind deutlich Menschen zu erkennen, die im Wasser schweben. Sie bewegen sich langsam, grüßen oder alarmieren mit winkenden Bewegungen ihrer Arme und Hände, drei Gestalten, drei Personen. Der Brief, auf dem das merkwürdige Postwertzeichen vor längerer Zeit augenscheinlich mit Speichel befestigt worden war, ruht auf meinem Küchentisch. Dort herrscht Unordnung, weil ich für Unordnung sorgte. Am Freitag habe ich mit der Unordnung angefangen, indem ich meine alte mechanische Schreibmaschine zerlegte. Zunächst entfernte ich das Gehäuse der Schreibmaschine, dann die Tastatur, kurz darauf die Papierwalze der Schreibmaschine, sowie eine Klingel, deren Geräusch ich mit der Methode des Schreibens zu früheren Zeiten verbinde. Sie war gedacht, wenn ich mich recht erinnere, den schreibenden Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass das Ende der Zeile, an der er gerade arbeitete, bald erreicht sein wird, auch damals ging man schon davon aus, dass Menschen existieren, die während des Schreibens insbesondere ihre Hände betrachten, Finger, wie sie über die Tastatur hüpfen, so dass sie das Papier, das sie beschreiben, überhaupt nicht wahrnehmen, weshalb sie versäumen könnten, den Papierwalzenschlitten der Schreibmaschine zurückzusetzen, um eine weitere Zeile zu beginnen. Während ich die Maschine zerlegte, bemerkte ich, dass jedes ihrer Einzelteile in weitere Einzelteile zerlegt werden konnte. Bald arbeitete ich mit einer Lupe, bald waren Schrauben, Streben, metallene Häute von einer Kleinheit, dass ich fürchtete, ich könnte sie versehentlich atmend zu mir nehmen. Ich arbeitete Stunde um Stunde voran, ohne daran zu denken, einen Plan zu fertigen, der mich in die Lage versetzen würde, die zerlegte Schreibmaschine wieder zu einer vollständigen funktionierenden Einheit zu fügen. In dieser Zeit der Auflösung, lag der Brief winkender Briefmarkenmenschen in nächster Nähe. Eine wundervolle blaue Briefmarke, auf einem Brief, den ich zurzeit noch immer nicht geöffnet habe, ich nehme an, weil ich noch ein wenig weiter schlafen will. — stop
aleppo
romeo : 0.15 — Ärzte ohne Grenzen notieren am 15. Oktober 2016: „Syrische und russische Luftangriffe haben innerhalb von 24 Stunden vier Krankenhäuser im belagerten Ost-Aleppo getroffen. Eines der Krankenhäuser wurde dabei schwerbeschädigt, mindestens zwei Ärzte wurden verletzt. Auch ein Krankenwagen wurde bei den Angriffen zerstört und dessen Fahrer getötet. / Das Gesundheitssystem im belagerten Ost-Aleppo erlitt damit am 14. Oktober die schwersten Schäden seit dem Scheitern der kurzen Waffenruhe Ende September. Die Intensität der Luftangriffe auf die nordsyrische Stadt nahm in den Tagen zuvor weiter zu. / Laut der Direktion für Gesundheit sowie dem forensischen Zentrum in Ost-Aleppo starben dort zwischen dem 11. und dem 14. Oktober mindestens 62 Menschen, 467 Menschen wurden verletzt, darunter 98 Kinder. Die Zahl der Toten und Verwundeten liegt möglicherweise noch höher, denn viele Familien begraben ihre Toten selbst, ohne sie in ein Krankenhaus zu bringen. / “Die Stadt bricht immer weiter zusammen” / „Die rücksichtslosen Luftangriffe sind eindeutig noch schlimmer geworden“, sagt Carlos Francisco, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen für Syrien. „Eines der Krankenhäuser, die gestern getroffen wurden, wurde stark beschädigt. Es ist ein wichtiges chirurgisches Zentrum, das in den vergangenen Wochen schon dreimal getroffen worden ist. Die Intensität der Angriffe erstickt die wenigen medizinischen Kapazitäten, die das Gesundheitssystem in Aleppo noch hat. Die Stadt bricht immer weiter zusammen, Tag für Tag, Stunde für Stunde. Syrien und Russland zerstören die letzten Orte, an denen noch Leben gerettet werden können. Damit zeigen sie, dass sie in Ost-Aleppo jegliches Leben unmöglich machen wollen.“ / Laut Berichten von Krankenhausmitarbeitern in Ost-Aleppo wurden bei den Angriffen vom 14. Oktober zwei Ärzte verletzt, ein Lagerverwalter eines der Krankenhäuser erlitt Verbrennungen. Bislang gab es in Aleppo noch 35 Ärzte für rund 250.000 Menschen. Nur sieben von ihnen sind Chirurgen, die Kriegsverletzte operieren können. Seit dem Beginn der Belagerung des Ostteils im Juli wurden die wenigen verbliebenen Krankenhäuser 27 Mal getroffen, nicht ein einziges Krankenhaus ist bei den Luftangriffen ohne Schaden geblieben. / Nur noch elf funktionstüchtige Krankenwagen / Auch ein Krankenwagen der Nichtregierungsorganisation (NGO) Al-Scham-Humanitarian-Foundation (AHF) wurde am 14. Oktober komplett zerstört, der Fahrer wurde getötet. Die AHF stellt den Menschen in Syrien seit 2011 kostenlose medizinische Hilfe zur Verfügung. Erst einige Tage zuvor hatte die Direktion für Gesundheit berichtet, dass aufgrund der Luftangriffe sowie der fehlenden Ersatzteile nur noch elf funktionsfähige Krankenwagen in Ost-Aleppo bereitstehen. Freiwillige und NGOs nutzen einfache Fahrzeuge, um Verwundete zu transportieren. / „Wir haben es bereits gesagt und sagen es erneut: Alle Konfliktparteien müssen ermöglichen, dass schwer Verwundete und Kranke aus der Stadt gebracht werden, bevor es zu spät ist“, sagt Pablo Marco, Leiter der Nahost-Programme von Ärzte ohne Grenzen. „Überlebenswichtige Güter und medizinisches Material müssen in die Stadt gebracht werden können. Die Menschen dort leiden nicht nur unter dem anhaltenden Bombenhagel, sondern auch darunter, dass sie überhaupt keine Unterstützung erhalten.“ / Ärzte ohne Grenzen unterstützt in Ost-Aleppo alle acht verbliebenen Krankenhäuser. Landesweit unterstützt die Hilfsorganisation mehr als 150 Gesundheitszentren und Kliniken. Im Norden Syriens betreibt Ärzte ohne Grenzen selbst sechs medizinische Einrichtungen. Zu den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten einschließlich West-Aleppo erhält die Organisation keinen Zugang. - stop
aleppo
himalaya : 0.02 — Vielleicht darf ich folgenden Bericht in voller Länge wiedergeben. Der junge Journalist Zouhir al Shimle berichtet via E‑Mail für Die Zeit: Seit Aleppo belagert ist, fliegen Assads Truppen und seine Verbündeten jeden Tag Luftschläge auf die Viertel der Rebellen, also auch dort, wo ich lebe. Ununterbrochen dröhnen Kampfjets über uns hinweg, Helikopter kreisen über den Häusern. Jeden Tag sterben hier fast fünfzig Zivilisten. Wir leben in einem nie endenden Getöse von Schießereien, Explosionen, Geschrei. Die meisten von uns trauen sich nicht mehr, nach draußen zu gehen. Manchmal hetzen ein paar Leute die Straßen entlang, um Lebensmittel zu besorgen – und rennen sofort nach dem Einkauf zurück in ihre Wohnungen. Dabei ist es zu Hause nicht sicherer als auf der Straße. Denn die Bomben treffen auch unsere Häuser. Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich das Donnern der Kampfflugzeuge, von irgendwo her dringt Gefechtslärm. Gott sei Dank habe ich bisher alle Angriffe überlebt. Aber vor ein paar Tagen war ich dem Tod so nah wie nie zuvor. Ich war im Viertel Al-Mashhad unterwegs, dort, wo mein Büro ist. Ich stand gerade im Laden in unserer Straße, um mir etwas zu trinken zu kaufen, als die erste Fassbombe einschlug, gerade mal fünf Häuser von uns entfernt. Ich duckte mich für einige Sekunden vor den umherfliegenden Metallteilen. Dann rannte ich raus auf die Straße. Nur wenige Sekunden später schlug in der Straße die zweite Fassbombe ein. Ein Metallsplitter bohrte sich in meinen Rücken, ein anderer in mein Bein. Ich rannte von der Straße wieder zurück zum Laden. Und war vor Schock wie gelähmt: Sieben Menschen, die dort Schutz vor der zweiten Bombe gesucht hatten, waren tot, zerquetscht vom Schutt der eingestürzten Decke. Sie starben nur, weil sie sich in den Sekunden der Explosion anders entschieden hatten: Sie hielten sich zwischen den Regalen versteckt, während ich auf die Straße lief. Nur deswegen habe ich als Einziger von uns überlebt. Die Helfer hatten große Mühe, die verdrehten und durchtrennten Körper aus dem Geröll zu ziehen. Angehörige der Toten lagen am Boden und schrien, Kinder weinten. Aus einigen Körpern quollen Innereien, überall lagen abgetrennte Hände und Beine. Insgesamt starben durch diese Angriffe 15 Menschen, 25 – mit mir – wurden verletzt. Ich kann diese Bilder nicht vergessen. Ich hätte einer dieser Körper sein können. Ich wurde schnell in ein Krankenhaus gebracht, doch helfen konnte mir dort niemand. Zu viele Menschen benötigten Hilfe, unaufhörlich brachten Männer neue Tragen mit Schwerverletzten hinein. Während ich auf den Arzt wartete, sah ich so viel Blut, dass ich zu halluzinieren begann. Ein Freund brachte mich deshalb in ein anderes Krankenhaus, wo sich Schwestern um mich kümmerten. Sie entfernten einen Metallsplitter, der andere steckt noch in meinem Bein. Sie sagen, er könne erst in einiger Zeit entfernt werden. Doch es sind nicht nur die Bomben und Gefechte, die unser Überleben immer schwerer machen. Das Regime hat nun auch die Castello-Straße eingenommen. Sie ist eine Todeszone geworden: Ständig wird geschossen, brennende Autos liegen am Straßenrand. Das Regime kämpft dort mit aller Macht – und schneidet uns damit von der Außenwelt ab. Die Castello-Straße war bislang die einzige Verbindung von Aleppo nach draußen, in die Vororte und in die Türkei. Es war die Lebensader der Stadt, von dort haben wir Lebensmittel, Gas, Brennstoff, Trinkwasser und Medizin bekommen. Die Belagerung ist für uns dramatisch. Denn jetzt gibt es kaum noch Obst und Gemüse zu kaufen, überhaupt sind die Märkte fast leer. Auch haben wir immer weniger Brennstoff, wir verbrauchen gerade die letzten Reserven der Stadt. Bald schon werden wir in kompletter Dunkelheit leben. Das ist es, was das Regime und seine Milizen wollen: dass Aleppo langsam stirbt. Sie setzen dabei allein auf die Zeit. Wir, die noch rund 300.000 Verbliebenen, werden nicht mehr lange versorgt werden können. Ich fürchte, dass unser Untergang schließlich dadurch kommt, dass wir alle um Wasser und Brot kämpfen. Und dass die, die nicht mehr stark genug sind, darum zu kämpfen, einfach verhungern werden. Fakt ist: Wir sitzen fest. Wir haben keine Chance mehr, aus Ost-Aleppo herauszukommen. Ich habe immer mit drei Freunden in einer WG zusammen gewohnt. Jetzt ist nur noch einer von ihnen hier. Malek hat geheiratet und lebt nun mit seiner Frau zusammen, sie erwarten ein Baby. Der andere, Jawad, konnte in die Türkei entkommen. Sein Vater wurde bei einem Angriff schwer verletzt und Jawad konnte mit ihm vor ein paar Wochen in die Türkei fahren, damit er dort medizinische Hilfe bekommt. Jawad versucht, wieder zu studieren. Er wird nicht mehr nach Aleppo zurückkommen. So zynisch es klingt: Er hat Glück gehabt. Denn nur sehr kranke Menschen dürfen mit einer Begleitung den Grenzübergang Bab al-Salameh in die Türkei passieren. Die Türkei ist da sehr strikt. Für mich gilt das also nicht Selbst, wenn ich Aleppo verlassen wollte: Ich kann es nicht. Die Bombardierungen in der Stadt sind zu stark, ich würde nicht mehr weit kommen. Ich weiß, dass ich hier nicht mehr wegkommen werde. Die Bomben fallen weiter, jeden Tag, jede Stunde. Sie treffen alles, was sich bewegt. Ich sitze in Aleppo fest. Aber noch bin ich am Leben. — stop
abschnitt neufundland
Abschnitt Neufundland meldet folgende gegen Küste geworfene Artefakte : Wrackteile [ Seefahrt – 102, Luftfahrt — 24, Automobile — 503], Grußbotschaften in Glasbehältern [ 18. Jahrhundert — 2, 19. Jahrhundert – 18, 20. Jahrhundert – 326, 21. Jahrhundert — 788 ], Trolleykoffer [ blau : 3, rot : 77, gelb : 8, schwarz : 866 ] physical memories [ bespielt — 166, gelöscht : 12 ], Seenotrettungswesten : [ 6788 ], Ameisen [ Arbeiter ] auf Treibholz [ 10 ], Brummkreisel : 3, Öle [ 0.88 Tonnen ], Hörrauschgeräte Typ Audifon Sueno T : 2, Prothesen [ Herz — Rhythmusbeschleuniger – 6, Kniegelenke – 698, Hüftkugeln – 12, Brillen – 77 ], Halbschuhe [ Größen 28 – 39 : 551, Größen 38 — 45 : 43 ], Plastiksandalen [ 8722 ], Reisedokumente [ 108 ], Kühlschränke [ 1 ], Telefone [ 536 ], Puppenköpfe [ 18 ] Gasmasken [ 6 ], Tiefseetauchanzüge [ ohne Taucher – 1, mit Taucher – 2 ], Engelszungen [ 101 ] | stop |
leon grog abends
echo : 2.55 — Am Flughafen, in einem Wartesaal unter dem Terminal 1, hockte ein älterer Mann am späten Abend auf einer Bank. Neben ihm stand eine Flasche Milch auf dem Boden, sowie eine kleine, arg ramponierte Ledertasche, die man früher vielleicht einmal über die Schulter hängen konnte, aber der Riemen der Tasche war vom langen Tragen zerschlissen, baumelte zu Teilen von den Seiten der Tasche, die leicht geöffnet war, sodass ein Blick möglich wurde auf einen Stapel von Luftpostbriefen, die sich in die Tasche fügten, als wären sie genau für diese Tasche gefertigt oder aber die Tasche für genau diese Sammlung scheinbar weit gereister Briefe. Sie waren vielfach geöffnet worden, vielleicht gelesen, das war deutlich zu erkennen. Einen der Briefe hielt der Mann gerade in dem Moment, da ich ihn auf der Bank bemerkte, an sein Ohr, er schien zu lauschen. Seine Augen hatte er geschlossen, er wirkte konzentriert, ja andächtig. Als ich von dem alten Mann in dieser Haltung eine Fotografie mit meinem Telefonapparat machen wollte, sah er mich plötzlich an und hob in einer reflexartigen Bewegung den Brief in die Höhe, sodass sein Gesicht nun beinahe ganz verdeckt war. Da ging ich weiter, um nicht zu stören, aber der Mann rief mir zu: Warten sie, setzen sie sich! Er überreichte mir den Brief, mit dem er kurz zuvor noch sein Gesicht maskiert hatte, und forderte mich auf, das Kuvert an mein Ohr zu halten. Der Brief knisterte, als ich ihn in meine Hände nahm. Auf der Anschriftseite des Briefes war mit feinen Zeichen folgender Schriftzug aufgetragen: Leon Grog, Av. Rovisco, 26, Lisboa. Der Mann lachte und deutete auf sich selbst: Das bin ich, sagte er, Leon. Er wies mit einer großzügigen Geste auf eine Briefmarke hin, die akkurat am rechten oberen Rand des Briefes befestigt wurde, ein Stück Himmel war zu erkennen von hellem Blau, und ein blitzendes Flugzeug, eine Caravelle, die soeben zu starten schien. Als ich selbst die Briefmarke an mein Ohr legte, hörte ich ein helles Rauschen, ich hörte die Motoren des Flugzeuges und schloss die Augen, wie der Herr zuvor seine Augen geschlossen hatte. Als ich sie wieder öffnete, bemerke ich einen weiteren Brief, der gleichfalls an Herrn Leon Grog adressiert worden war, wiederum nach Lissabon, während der erste Brief aus den Vereinigten Staaten gesendet worden war, kam dieser hier von Kolumbien her, eine Briefmarke zeigte etwas Regenwald und einen Nashornvogel von prächtigem Gefieder. — stop