Aus der Wörtersammlung: familie

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oft habe man tage lang gewartet

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nord­pol : 2.58 — Von ihrer Zeit, die sie als Flücht­lings­kind auf dem Land ver­brach­te, erzählt Mut­ter immer wie­der gern. Sie hat­ten genug zu essen, weil sie und ihre Schwes­tern bei einer Bau­ern­fa­mi­lie wohn­ten. Wenn der Vater am Wochen­en­de zu Besuch kam, ahn­te sie nichts von Tief­flie­ger­an­grif­fen auf Züge, mit wel­chen der Vater reis­te, aber an sei­ne stau­bi­gen Anzü­ge, weil er sich auf den Boden wer­fen muss­te. Die bren­nen­de Stadt Mün­chen, obwohl in gro­ßer Ent­fer­nung lie­gend, war im Schein der Feu­er damals am Hori­zont zu erah­nen gewe­sen, wie Abend­rot inmit­ten der Näch­te. Dann das War­ten auf eine Nach­richt am nächs­ten Mor­gen. Oft habe man Tage lang gewar­tet. Sie selbst habe zwei­mal einen Bom­ben­an­griff auf Mün­chen erlebt, das war zu Beginn des Luft­krie­ges. Sie habe sich nicht gefürch­tet, es sei viel­mehr span­nend gewe­sen mit ihren Nach­barn und ande­ren Leu­ten so eng in einem Kel­ler zu sit­zen. Es gab Pra­li­nen für die Kin­der und einen Geschich­ten­er­zäh­ler. Ein Jahr spä­ter sei ihre gro­ße Schwes­ter nach einem Angriff lan­ge Zeit ver­schüt­tet gewe­sen und des­halb für Wochen ver­stummt. In die­ser Zeit habe sie gehört, dass die Scholl­wöcks abge­holt wor­den sei­en, sie kön­ne nicht sagen, wes­halb sie als Kind schon wuss­te, dass das Abho­len etwas Schreck­li­ches gewe­sen sein muss­te für die, die abge­holt wur­den. Sie habe beob­ach­tet, dass die Abge­hol­ten nie­mals wie­der­ge­kom­men sei­en, und dass von ihnen bald nicht mehr gespro­chen wur­de. Das alles habe sie als Kind schon so bemerkt, weil Kin­der sehr viel mehr bemerkt haben, als die Erwach­se­nen viel­leicht glaub­ten. Dass die Eltern in der Woh­nung vor dem Krieg das Hit­ler­bild immer umge­dreht haben, davon durf­te sie nicht erzäh­len, in der Schu­le nicht und auch anders­wo nicht. Ein­mal sei sie vom Land her wie­der in die zer­stör­te Stadt zurück­ge­kom­men, es war ein neb­li­ger Tag gewe­sen, sie habe zunächst gedacht, es sei der Nebel, aber das Haus, in dem sie und ihre Schwes­tern auf­ge­wach­sen waren, exis­tier­te nicht mehr. Damals wür­den sie Bisam­rat­ten geges­sen haben, die schmeck­ten sehr gut, und der Vater sei gelb gewor­den im Gesicht, weil sei­ne letz­te Nie­re lang­sam ver­sag­te. In die­ser Zeit habe der Vater ihr viel von der Welt erzählt, wie sie funk­tio­niert, er sei ver­stört gewe­sen, dann sei er gestor­ben. — stop

paula

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aleppo

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romeo : 0.15 — Ärz­te ohne Gren­zen notie­ren am 15. Oko­ber 2016: “Syri­sche und rus­si­sche Luft­an­grif­fe haben inner­halb von 24 Stun­den vier Kran­ken­häu­ser im bela­ger­ten Ost-Alep­po getrof­fen. Eines der Kran­ken­häu­ser wur­de dabei schwer beschä­digt, min­des­tens zwei Ärz­te wur­den ver­letzt. Auch ein Kran­ken­wa­gen wur­de bei den Angrif­fen zer­stört und des­sen Fah­rer getö­tet. / Das Gesund­heits­sys­tem im bela­ger­ten Ost-Alep­po erlitt damit am 14. Okto­ber die schwers­ten Schä­den seit dem Schei­tern der kur­zen Waf­fen­ru­he Ende Sep­tem­ber. Die Inten­si­tät der Luft­an­grif­fe auf die nord­sy­ri­sche Stadt nahm in den Tagen zuvor wei­ter zu. / Laut der Direk­ti­on für Gesund­heit sowie dem foren­si­schen Zen­trum in Ost-Alep­po star­ben dort zwi­schen dem 11. und dem 14. Okto­ber min­des­tens 62 Men­schen, 467 Men­schen wur­den ver­letzt, dar­un­ter 98 Kin­der. Die Zahl der Toten und Ver­wun­de­ten liegt mög­li­cher­wei­se noch höher, denn vie­le Fami­li­en begra­ben ihre Toten selbst, ohne sie in ein Kran­ken­haus zu brin­gen. / “Die Stadt bricht immer wei­ter zusam­men” / „Die rück­sichts­lo­sen Luft­an­grif­fe sind ein­deu­tig noch schlim­mer gewor­den“, sagt Car­los Fran­cis­co, Lan­des­ko­or­di­na­tor von Ärz­te ohne Gren­zen für Syri­en. „Eines der Kran­ken­häu­ser, die ges­tern getrof­fen wur­den, wur­de stark beschä­digt. Es ist ein wich­ti­ges chir­ur­gi­sches Zen­trum, das in den ver­gan­ge­nen Wochen schon drei­mal getrof­fen wor­den ist. Die Inten­si­tät der Angrif­fe erstickt die weni­gen medi­zi­ni­schen Kapa­zi­tä­ten, die das Gesund­heits­sys­tem in Alep­po noch hat. Die Stadt bricht immer wei­ter zusam­men, Tag für Tag, Stun­de für Stun­de. Syri­en und Russ­land zer­stö­ren die letz­ten Orte, an denen noch Leben geret­tet wer­den kön­nen. Damit zei­gen sie, dass sie in Ost-Alep­po jeg­li­ches Leben unmög­lich machen wol­len.“ / Laut Berich­ten von Kran­ken­haus­mit­ar­bei­tern in Ost-Alep­po wur­den bei den Angrif­fen vom 14. Okto­ber zwei Ärz­te ver­letzt, ein Lager­ver­wal­ter eines der Kran­ken­häu­ser erlitt Ver­bren­nun­gen. Bis­lang gab es in Alep­po noch 35 Ärz­te für rund 250.000 Men­schen. Nur sie­ben von ihnen sind Chir­ur­gen, die Kriegs­ver­letz­te ope­rie­ren kön­nen. Seit dem Beginn der Bela­ge­rung des Ost­teils im Juli wur­den die weni­gen ver­blie­be­nen Kran­ken­häu­ser 27 Mal getrof­fen, nicht ein ein­zi­ges Kran­ken­haus ist bei den Luft­an­grif­fen ohne Scha­den geblie­ben. / Nur noch elf funk­ti­ons­tüch­ti­ge Kran­ken­wa­gen / Auch ein Kran­ken­wa­gen der Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on (NGO) Al-Scham-Huma­ni­ta­ri­an-Foun­da­ti­on (AHF) wur­de am 14. Okto­ber kom­plett zer­stört, der Fah­rer wur­de getö­tet. Die AHF stellt den Men­schen in Syri­en seit 2011 kos­ten­lo­se medi­zi­ni­sche Hil­fe zur Ver­fü­gung. Erst eini­ge Tage zuvor hat­te die Direk­ti­on für Gesund­heit berich­tet, dass auf­grund der Luft­an­grif­fe sowie der feh­len­den Ersatz­tei­le nur noch elf funk­ti­ons­fä­hi­ge Kran­ken­wa­gen in Ost-Alep­po bereit­ste­hen. Frei­wil­li­ge und NGOs nut­zen ein­fa­che Fahr­zeu­ge, um Ver­wun­de­te zu trans­por­tie­ren. / „Wir haben es bereits gesagt und sagen es erneut: Alle Kon­flikt­par­tei­en müs­sen ermög­li­chen, dass schwer Ver­wun­de­te und Kran­ke aus der Stadt gebracht wer­den, bevor es zu spät ist“, sagt Pablo Mar­co, Lei­ter der Nah­ost-Pro­gram­me von Ärz­te ohne Gren­zen. „Über­le­bens­wich­ti­ge Güter und medi­zi­ni­sches Mate­ri­al müs­sen in die Stadt gebracht wer­den kön­nen. Die Men­schen dort lei­den nicht nur unter dem anhal­ten­den Bom­ben­ha­gel, son­dern auch dar­un­ter, dass sie über­haupt kei­ne Unter­stüt­zung erhal­ten.“ / Ärz­te ohne Gren­zen unter­stützt in Ost-Alep­po alle acht ver­blie­be­nen Kran­ken­häu­ser. Lan­des­weit unter­stützt die Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on mehr als 150 Gesund­heits­zen­tren und Kli­ni­ken. Im Nor­den Syri­ens betreibt Ärz­te ohne Gren­zen selbst sechs medi­zi­ni­sche Ein­rich­tun­gen. Zu den von der syri­schen Regie­rung kon­trol­lier­ten Gebie­ten ein­schließ­lich West-Alep­po erhält die Orga­ni­sa­ti­on kei­nen Zugang. - stop

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kein einziges wort

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nord­pol : 3.18 — Ipek} Name geän­dert {, die in einem Dorf der ana­to­li­schen Regi­on Der­sim (Tun­ce­li) gebo­ren wur­de, erzähl­te in weni­gen Wor­ten, wes­halb sie vor drei Wochen um Haa­res­brei­te von einer Rei­se nicht nach Hau­se nach Ber­lin zurück­ge­kom­men wäre. Ihr Vater, sag­te sie, sei gestor­ben. Ihre Fami­lie und sie selbst sei­en des­halb nach Ana­to­li­en gereist, um den Leich­nam ihres Vaters in der Hei­mat zu bestat­ten. Auf der Hin­rei­se habe sie kei­ner­lei Pro­ble­me gehabt, viel Mili­tär auf den Stra­ßen, aber das ken­ne sie schon von Kind­heit an. Sie habe einen Tag vor der Beer­di­gungs­ze­re­mo­nie vom Dorf aus die Stadt besucht, um eini­ge Stan­gen Ziga­ret­ten ein­zu­kau­fen, die ihre Fami­lie den Trau­er­gäs­ten anbie­ten woll­te. Das sei so üblich in ihrer Gegend, das wüss­te jeder Mensch, auch die Kin­der. Bei der Rück­fahrt sei der Bus in eine Poli­zei­kon­trol­le gera­ten. Man habe sie aus dem Bus geholt, man woll­te wis­sen, für wen genau die Ziga­ret­ten bestimmt sei­en. Da habe sie erzählt, war­um sie die Ziga­ret­ten gekauft habe, aber man woll­te ihr nicht glau­ben, man sag­te, sie habe Nach­schub für Ter­ro­ris­ten gekauft. Da habe sie gesagt, dass das nicht so sei, aber die Män­ner in Uni­form sag­ten, dass das eben doch so sei, und dass sie jetzt still sein sol­le, andern­falls wür­de man ihren deut­schen Rei­se­pass zer­reis­sen, den hat­te einer der Män­ner bereits in der Hand. Der Mann sag­te, dass das mit den Ziga­ret­ten nur genau­so sein kön­ne, wie er es sage, dass sie für die Ber­ge bestimmt sei­en, kön­ne man dar­an erken­nen, wo sie, Ipek, gebo­ren wor­den sei, in Der­sim näm­lich, das bedeu­tet in Tun­ce­li, so hei­ße die Regi­on Der­sim in der tür­ki­schen Spra­che. Er fuhr fort, wenn sie, Ipek, jetzt noch ein wei­te­res Wort sagen wür­de, dann wür­de sie nie wie­der nach Hau­se kom­men. Also war sie still gewe­sen. Sie habe kein ein­zi­ges Wort gesagt, auch nicht im Bus, noch min­des­tens eine Stun­de lang kein ein­zi­ges Wort. — stop
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wegen unsichtbarkeit

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lima : 0.08 — Die klei­ne M. erzähl­te, sie habe mit ihrer Mut­ter fünf Jah­re im fünf­zehn­ten Stock eines Miets­hau­ses auf Roo­se­velt Island gelebt. Dort hat­ten sie zwei Nach­barn, eine Fami­lie links, puer­to­ri­ca­ni­scher Her­kunft, Mut­ter, Vater, drei Kin­der, — sowie eine ver­mut­lich allein­ste­hen­de Frau in der Woh­nung rechts. Wäh­rend M. und ihre Mut­ter sehr herz­li­chen Kon­takt zu den Men­schen auf der lin­ken Sei­te ihrer Woh­nung pfleg­ten, man fei­er­te sogar gemein­sa­me Fes­te, grüss­te von Bal­kon zu Bal­kon, waren sie jener Frau, deren Stim­me häu­fig schrill durch die Wand zu ihnen in die Wohung drang, in all den Jah­ren räum­li­cher Nähe nie per­sön­lich begeg­net. Auch auf dem Bal­kon, berich­te­te M., hät­ten sie die Per­son, die zu der schril­len Stim­me gehör­te, nie gese­hen, nur das Licht, das von der Woh­nung her kam, Licht auch, das unter der Tür hin­durch auf den Flur leuch­te­te, ein schma­ler Strei­fen, fade. Das Schild­chen, das neben der Tür zur Woh­nung ange­bracht wor­den war, behaup­te­te hin­ter der Tür lebe Lucil­la Mil­ler, ein Brief­kas­ten, der zur Woh­nung gehör­te, exis­tier­te vor dem Haus, der Brief­kas­ten wur­de von irgend­je­man­dem regel­mä­ßig geleert. Manch­mal nachts war aus der Woh­nung Streit zu hören, Mrs. Mil­lers kei­fen­de Stim­me, dann wie­der Flüs­tern, von Zeit zu Zeit auch Geräu­sche, die mög­li­cher­wei­se aus einem Fern­seh­ge­rät kamen, Schrit­te wei­ter­hin, fer­ne Schrit­te. Mrs. Mil­ler tele­fo­nier­te häu­fig und jeweils lan­ge Zeit, wäh­rend die­ser Gesprä­che schien Mrs. Mil­ler her­um­zu­lau­fen, zwei oder drei­mal hat­ten ihre Nach­barn den Ver­dacht, sie sei viel­leicht ver­reist, ein­mal woll­te man das Jau­len einer Kat­ze ver­nom­men haben. Eigent­lich war alles in Ord­nung, eigent­lich gab es kei­nen Grund zur Beun­ru­hi­gung, wenn man doch Mrs. Lucil­la Mil­ler wenigs­tes ein­mal gese­hen hät­te, einen Schat­ten, oder eine Hand, die hin­ter den ver­git­ter­ten Fens­tern einer Auf­zugs­tü­re wink­te. Dar­um wohl haupt­säch­lich, wegen Unsicht­bar­keit, wur­de an einem eisi­gen Win­ter­tag jene geheim­nis­vol­le Woh­nung von zwei Feu­er­wehr­män­nern geöff­net. Die Woh­nung war, von zwei Laut­spre­chern abge­se­hen, auf wel­chen eine schä­bi­ge Lam­pe thron­te, voll­stän­dig leer. Die klei­ne M. sag­te, wäh­rend sie an ihrem gro­ßen Zeh dreh­te wie an einem Radio­knopf, dass sie sich sehr gewun­dert habe. Auch alle ande­ren haben sich gewun­dert, wie natür­lich auch ich, der die­se Geschich­te auf­ge­schrie­ben hat. — stop

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gelb

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nord­pol : 0.12 — Wie gut, dass digi­ta­le Such­ma­schi­nen exis­tie­ren, die in der Lage sind, die­sen Ort : par­tic­les : zu durch­su­chen, sobald ich eine Fra­ge an ihn rich­te, zum Bei­spiel, wie oft ich das Wort Blau ver­wen­det habe in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ( : 53 Mal ), oder das Wort Rot ( : 35 Mal ), das Wort Oran­ge ( : 10 Mal, eher sel­ten ), auch mit dem Wort Gelb war ich spar­sam gewe­sen ( : 18 Mal ). Als ich das Wort Gelb, die Häu­fig­keit sei­nes Vor­kom­mens prüf­te, erin­ner­te ich mich an einen wun­der­ba­ren Text, Uwe John­sons Brief aus New York, in dem das Wort Gelb eine her­vor­ra­gen­de Rol­le spielt. Der Text beginnt so: Über was hier anders ist / in New York im Staat New York / weißt du es ist eine von jenen Städ­ten in die die west­ber­li­ner Zei­tungs­ver­le­ger klei­ne Klin­geln aus Por­zel­lan schi­cken an Fami­li­en denen ein Ange­hö­ri­ger umge­bracht wur­de bei dem Ver­such Ange­hö­ri­ge ande­rer Fami­li­en umzu­brin­gen / in Viet­nam das ist noch hin­ter der Tür­kei / ein Brief über was hier anders ist über einen Unter­schied / Ende der Über­schrift // Gelb, zum Bei­spiel / Gelb ist hier anders­wo / ich mei­ne die gan­ze Far­ben­fa­mi­lie / was noch gelb ist oder so nahe an Gelb wie Ocker oder Kana­ri­en­vo­gel oder über­haupt alles im Bereich zwi­schen Rot und Grün / nicht nur any of the colors nor­mal­ly seen when the por­ti­on of the phy­si­cal spec­trum of wave lengths 571,5 to 578,5 mil­li­mi­crons employ­ed as a sti­mu­lus wie Webs­ter sagt / son­dern auch was mal gelb war / Gelb ist hier anders­wo / nicht nur im Ei in den Mon­go­len in der Gelb­sucht in Schwäm­men Schmet­ter­lin­gen But­ter­blu­men / nie so viel Gelb gese­hen wie hier … / — stop. Ich habe die­sen Text in dem Buch Eine Lite­ra­ri­sche Land­kar­te ent­deckt, das von Hans Magnus Enzens­ber­ger im Jahr 1999 her­aus­ge­ge­ben wur­de. Gleich werd ich mich an mei­nen Schreib­tisch set­zen und mit Blei­stift aus­ge­rüs­tet, das Wort Gelb zu zäh­len begin­nen. — stop
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ai : BAHRAIN

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MENSCH IN GEFAHR : “Der bah­rai­ni­sche Men­schen­rechts­ver­tei­di­ger Nabeel Rajab ist am 13. Juni fest­ge­nom­men wor­den. Er ist wegen “Ver­brei­tung von fal­schen Infor­ma­tio­nen und Gerüch­ten mit dem Ziel, den Staat in Ver­ruf zu brin­gen” ange­klagt. Die Staats­an­walt­schaft hat eine sie­ben­tä­gi­ge Haft­an­ord­nung gegen ihn erlas­sen. Er ist ein gewalt­lo­ser poli­ti­scher Gefan­ge­ner. Am 13. Juni gegen 5 Uhr mor­gens umstell­ten Bereitschaftspolizist_innen das Vier­tel des Dor­fes Bani Jam­ra west­lich der Haupt­stadt Mana­ma, in dem Nabeel Rajab wohnt, und nah­men den Men­schen­rechts­ver­tei­di­ger fest. Sie leg­ten einen Durch­su­chungs­be­schluss für sein Haus sowie einen Haft­be­fehl gegen ihn und einen Beschluss für sei­ne Über­ga­be an die Kri­mi­nal­po­li­zei vor. Eine Begrün­dung für die­se Maß­nah­men war dar­aus jedoch nicht ersicht­lich. Sein Han­dy und sein Com­pu­ter wur­den beschlag­nahmt und er ist auf die Poli­zei­sta­ti­on in Ost-Rif­fa süd­lich von Mana­ma gebracht wor­den, wo er sich noch immer befin­det. Man hat ihm erlaubt, sei­ne Fami­lie anzu­ru­fen. Am 14. Juni hat man Nabeel Rajab zur Staats­an­walt­schaft gebracht, wo er wegen “Ver­brei­tung von fal­schen Infor­ma­tio­nen und Gerüch­ten mit dem Ziel, den Staat in Ver­ruf zu brin­gen” ange­klagt wur­de. Die Staats­an­walt­schaft erließ zudem wegen der lau­fen­den Ermitt­lun­gen eine sie­ben­tä­gi­ge Haft­an­ord­nung gegen ihn. Die Rechts­bei­stän­de von Nabeel Rajab waren bei dem Ter­min am 14. Juni anwe­send. Als sei­ne Ange­hö­ri­gen ihn gegen 21 Uhr des­sel­ben Tages besuch­ten, sag­te er ihnen, dass man ihn anders als ande­re Gefan­ge­ne in Ein­zel­haft fest­hal­te. Gegen Nabeel Rajab wird zusätz­lich wegen sepa­ra­ter Vor­wür­fe bezüg­lich eini­ger Twit­ter-Kom­men­ta­re und geteil­ter Twit­ter-Nach­rich­ten ermit­telt. The­men der Kom­men­ta­re sol­len der Krieg im Jemen und Fol­ter­vor­wür­fe im Zusam­men­gang mit einem Häft­lings­streik am 10. März 2015 im Jaw-Gefäng­nis gewe­sen sein. Soll­te auch die­ser Fall vor Gericht gebracht und Nabeel Rajab ver­ur­teilt wer­den, dro­hen ihm bis zu zehn Jah­re Haft. Im Novem­ber 2014 wur­de ein Rei­se­ver­bot gegen ihn ver­hängt.” — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 28. Juli 2016 hin­aus, unter > ai : urgent action

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ai : SÜDAFRIKA

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MENSCHEN IN GEFAHR : “Im März wur­de der süd­afri­ka­ni­sche Land­rechts­ak­ti­vist und Vor­sit­zen­de des Ama­di­ba Cri­sis Com­mit­tee (ACC), Sik­ho­si­phi Rha­de­be, erschos­sen. Kurz vor sei­nem Tod hat­te er erfah­ren, dass sein Name sowie die Namen zwei­er wei­te­rer Sprecher_innen des ACC auf einer “Abschuss­lis­te” ste­hen. Es gibt Zwei­fel an der Gründ­lich­keit der Unter­su­chun­gen der Tötung. Zudem besteht Sor­ge um die Sicher­heit der bei­den ACC-Spre­cher_in­nen sowie wei­te­rer Aktivist_innen, die in Xolo­be­ni gegen ein Berg­bau­pro­jekt kämp­fen. Sik­ho­si­phi “Bazoo­ka” Rha­de­be wur­de am 22. März 2016 von zwei Män­nern erschos­sen, die ihn bei sich zuhau­se in Lur­hol­we­ni in der Pro­vinz Ost­kap auf­such­ten und sich als Poli­zis­ten aus­ga­ben. Sein min­der­jäh­ri­ger Sohn war bei dem Vor­fall anwe­send. Weni­ge Stun­den vor sei­nem Tod hat­te Sik­ho­si­phi Rha­de­be erfah­ren, dass sein Name auf einer “Abschuss­lis­te” stand. Auf die­ser Lis­te befin­den sich zudem die Namen zwei­er wei­te­rer ACC-Mit­glie­der, Mza­mo Dla­mi­ni und Nonhle Mbut­hu­ma. Sik­ho­si­phi Rha­de­be war Lei­ter des ACC, einer Gemein­schafts­in­itia­ti­ve gegen den Abbau von Titan und ande­ren Schwer­me­tal­len in einem Tage­bau auf Gemein­schafts­land in Xolo­be­ni durch ein loka­les Toch­ter­un­ter­neh­men des aus­tra­li­schen Kon­zerns Mine­ral Com­mo­di­ties Limi­t­ed (MRC). Das ACC befürch­tet, dass infol­ge des Berg­bau­pro­jekts Hun­der­te Ange­hö­ri­ge der Gemein­schaft der Umgun­gund­l­o­vu von ihrem ange­stamm­ten Land ver­trie­ben wer­den, und dass durch Umwelt­schä­den wie z. B. Was­ser­ver­schmut­zung ihr Recht auf einen ange­mes­se­nen Lebens­stan­dard (ein­schließ­lich Zugang zu sau­be­rem Trink­was­ser) ver­letzt wird. Das ACC besteht aus etwa 3.000 Mit­glie­dern und kämpft seit zehn Jah­ren für die Rech­te der Anwohner_innen, die im Fall einer Berg­bau­li­zenz für die MRC-Toch­ter­ge­sell­schaft gefähr­det wären. ACC-Mit­glie­der sind wegen ihrer Arbeit bedroht und ange­grif­fen wor­den, unter ande­rem auch von Anwohner_innen, die das Berg­bau­pro­jekt unter­stüt­zen. Die Orga­ni­sa­ti­on hat die­se Angrif­fe bei der Poli­zei ange­zeigt, die jedoch größ­ten­teils untä­tig geblie­ben ist. Nach der Tötung von Sik­ho­si­phi Rha­de­be sind füh­ren­de ACC-Mit­glie­der äußerst besorgt um ihre Sicher­heit. Kurz nach dem Vor­fall über­gab die ört­li­che Poli­zei die Unter­su­chung der Tötung an die Ein­heit zur Unter­su­chung schwe­rer Straf­ta­ten (Direc­to­ra­te for Prio­ri­ty Cri­mes Inves­ti­ga­ti­on — DCPI) des natio­na­len Poli­zei­diens­tes. Doch die Ermitt­lun­gen wei­sen eini­ge Män­gel auf, was Zwei­fel dar­an auf­kom­men lässt, ob die Fami­lie von Sik­ho­si­phi Rha­de­be Gerech­tig­keit erfah­ren wird.” — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 6. Juli 2016 hin­aus, unter > ai : urgent action

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in üsküdar

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whis­key : 0.55 — Y. erzähl­te vor eini­gen Tagen eine Geschich­te, die sie als Mäd­chen im Alter von sie­ben oder acht Jah­ren in Istan­bul erleb­te, genau­er in einem Hin­ter­hof des Stadt­teils Üsküdar. Sie soll­te damals eine Tüte Pis­ta­zi­en und noch eini­ge ande­re Din­ge von einem Kios­kla­den holen, es war Som­mer, und sie hüpf­te raus auf die Stra­ße und um die Ecke und rein in den klei­nen Laden, und las einem Mann eine Lis­te der bestell­ten Din­ge vor. Der Mann sah ihre Lis­te durch, lächel­te ihr zu und stell­te ein oder zwei Fra­gen, so in etwa: Wie vie­le Pis­ta­zi­en sol­len es denn sein? Y. über­leg­te sorg­fäl­tig, aber letzt­lich konn­te sie sich nicht erin­nern, wie vie­le Gramm Pis­ta­zi­en ihr die Mut­ter zum Kauf auf­ge­tra­gen hat­te. Des­halb hüpf­te sie auf die Stra­ße zurück, aber anstatt zur Ein­gangs­tür ihres Wohn­hau­ses zurück­zu­keh­ren, trat sie in einem Hin­ter­hof vor einen Bal­kon im 2. Stock. Die Tür zum Wohn­zim­mer der Fami­lie, hin­ter der sie ihre Mut­ter wuss­te, war geöff­net. Sie rief so laut sie konn­te: Mama! Dann war­te­te sie eine kur­ze Zeit. Als die Mut­ter nicht auf dem Bal­kon erschien, rief sie noch ein­mal: Mama, Mama, ich habe eine Fra­ge, ich bin’s! Wie­der­um rief sie ver­geb­lich, sie war­te­te und rief und war­te­te. Gera­de als sie umkeh­ren woll­te, um den wei­te­ren Weg, den sie gekom­men war, zur Mut­ter in die Woh­nung zurück­zu­neh­men, bemerk­te sie ein frem­des Mäd­chen neben sich, das viel­leicht zwei Jah­re jün­ger war als sie selbst. Das Mäd­chen hat­te eine ihrer Hän­de genom­men, sah sie bedeu­tungs­voll an, hob dann den Kopf zum Bal­kon empor und rief mit lei­ser, sanf­ter Stim­me: Mama! Mama! Y. erin­ner­te sich noch nach vie­len Jah­ren an die fei­ne Stim­me des Mäd­chens, die bei­na­he nicht zu hören gewe­sen war. Kaum eine vier­tel Minu­te ver­ging, da erschien ihre Mut­ter auf dem Bal­kon und schau­te zu den bei­den Mäd­chen her­ab. Das war ein Moment ihres Lebens gewe­sen, den Y., die inzwi­schen selbst zwei Söh­ne gebar, nie ver­ges­sen konn­te, ein Geheim­nis: War­um hat­te die Mut­ter auf die lei­se Stim­me eines frem­den Mäd­chens reagiert, aber die Stim­me der eige­nen Toch­ter nicht gehört? — stop

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von frauen unter zelten

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oli­mam­bo : 0.55 — Vor Stra­ßen­bahn­hal­te­stel­len war­ten Flücht­lings­men­schen in Trai­nings­be­klei­dung, Fami­li­en, sie stei­gen nicht ein, sie schau­en, schau­en die­se selt­sa­men Men­schen an, beob­ach­ten viel­leicht das Leben hier im Nor­den, Ein­hei­mi­sche, wie sie aus Stra­ßen­bah­nen stei­gen. Im Foy­er des Hos­pi­tals ein jun­ger Mann an der Sei­te eines Wesens, das sich als wan­deln­des Zelt dar­stellt, schwarz mit einem Seh­schlitz. Dort sind ein Paar Augen zu erken­nen. Eine irri­tie­ren­de Erschei­nung. Ich wer­fe dem Wesen, ver­mut­lich einer Frau, im geh­ba­ren Zelt einen Blick zu in einer kon­zen­trier­ten, direk­ten, auch fra­gen­den Wei­se, die für mich nicht üblich ist. Im Flur vor der Inten­siv­sta­ti­on, wei­te­re Frau­en in schwar­zen Gewän­der­zel­ten, die Gesich­ter die­ser Frau­en lie­gen jedoch frei. Ich ver­mag ihre Nasen, ihre Mün­der, gleich­wohl ihre Augen zu sehen, ihr scheu­es Lächeln. Sie ste­hen auf Zehen­spit­zen, spre­chen in ein Mikro­phon, das an einer Wand befes­tigt ist neben einer Tür von opa­k­em Glas. In eng­li­scher Spra­che erkun­di­gen sie sich nach ihrem Vater, der auf der Inten­siv­sta­ti­on lie­gen soll. — stop
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kakapo

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whis­key : 0.55 — Ich zähl­te 378 Mal das Wort Schlaf. So oft habe ich das Wort Schlaf in den ver­gan­ge­nen sie­ben Jah­ren an die­ser Stel­le [ par­tic­les ] ver­wen­det. Ein­mal such­te ich Optio­nen das Wort Nacht fort­zu­set­zen, ich ent­deck­te 628 Vari­an­ten, zum Bei­spiel: Nach­ti­gal­len­af­fe Nacht­ge­wöl­be Nacht­duft Nacht­durch­schwär­mer Nacht­eu­len­ton Nacht­ge­fie­der Nacht­wolf. Oder aber Nacht­pa­pa­gei : das ist der merk­wür­digs­te aller papa­gei­en, der kaka­po von neu­see­land [ stri­go­ps habrop­ti­lus ], den man mit dem­sel­ben rech­te, mit wel­chen man die eulen im gegen­satz mit den fal­ken einer beson­de­ren fami­lie unter­bringt, als einen ver­tre­ter einer eige­nen fami­lie betrach­ten muss. [ nach Grimm­sches Wör­ter­buch N bis Q ] — Heu­te ist ein wei­te­res Nacht­wort hin­zu­ge­kom­men, das Wort Nacht­amei­se. Ich habe vor weni­gen Minu­ten zunächst die Amei­se selbst, dann das Wort, das die Amei­se bezeich­net, mit eige­nen Augen gese­hen. — stop
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