Aus der Wörtersammlung: still

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kairo nachts

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india : 17.02 - Gigi Ibra­him, ägyp­ti­sche Akti­vis­tin, twit­tert von Mit­ter­nacht bis 10 Uhr mor­gens fol­gen­de Sequen­zen in eng­li­scher Spra­che, 42 Tweets in ara­bi­scher Spra­che sind an die­ser Stel­le nicht wie­der­ge­ge­ben: 

Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 17h 

My friend’s uncle was shot and kil­led in ‪#Alex­an­dria along 5 others +100s inju­red while mil­li­ons of peo­p­le chee­ring Sisi to end bloodshed
 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 17h 

Fol­low ‪@Fo2ElSoto7 report­ing on his uncle’s death and the inju­red from insi­de the hopi­tal in ‪#alex­an­dria ..may he RIP :(

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 17h 

Fol­low ‪@Moud_Aly for updates in ‪#Alex­an­dria
 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 17h 

Com­ra­de Med­hat El Shin­na­wy got detai­ned by poli­ce in ‪#Damit­ta for rai­sing anti-SCAF ban­ner along with Sus­an Gho­niem and others

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 17h 

The situa­ti­on in ‪#alex­an­dria is inten­se, 150 arres­ted inclu­ding women and inju­red (trans­la­ti­on of ‪#PT ) armed thugs around the mos­que
 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 16h 

‪@Beltrew by 6 oct brig­de on nasr st …it’s far from cen­ter that why u cant see it
 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 16h 

‪@alaa ‪@Fo2ElSoto7 while army and poli­ce the­re but not inter­vening

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 14h 

Reprots on clas­hes by ‪#Rabaa pro Mor­sy sit-in resul­ting in 3 dead and many inju­red (so far), seems like Sisi’s man­da­te is in effect.

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 14h 

I live in ‪#NasrCi­ty clo­se to ‪#Rabaa and I can hear the sound of the ambu­lan­ces the­re
 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 13h 

‪@MowSamy the ques­ti­on is how did the­se wea­pons get the­re in the first place?
 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 13h 

‪@QALAWA ‪@MowSamy exact­ly then who is respon­si­ble and should be pro­se­cu­ted? The lea­ders of ikhwan not kil­ling pro­tes­ters
 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 13h 

‪@MowSamy to arrest the lea­ders of ikhwan even go into the sitin to cap­tu­re them, why r the­se ppl still free?
 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 12h 

I am hea­ring gun shots from home ..near rabaa ‪#NasrCi­ty

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 11h 

I lite­ral­ly am hea­ring machi­ne guns being fired ‪#NasrCi­ty near ‪#Rabaa

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 11h 

Still hea­ring gun fire being shot while sit­ting home near / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 11h 

It’s a bit iro­nic that the tear gas being fired at Pro-Mor­sy pro­tes­ters was pro­ba­b­ly shipped/delivered under Mor­sy to be used against us

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 11h 

It is also iro­nic to read tweets coming from ‪#Rabaa abt how hor­ri­ble the tear gas is,simply cuz it has been a while sin­ce MB have smel­led it

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 11h 

Let me be clear,I didnt join pro­tests cal­ling for Sisi’s man­da­te &i’m against Mor­sy & ‪#Rabaa sitin but I only belie­ve in one slo­gan ‪#ACAB

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 11h 

Repe­ti­ti­ve gun shots ‪#NasrCi­ty ..near ‪#Rabaa

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 11h 

‪@0301kalam check my time­line u idi­ot ‪#block! / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 10h 

I love hea­ring chruch bells in the mor­ning ..for a chan­ge ‪#NasrCi­ty

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 10h 

Still hea­ring gun shots being fired repe­ti­tively ‪#NasrCi­ty …near ‪#Rabaa
 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 9h 

‪#Rabaa field hos­pi­tal via ‪@soltanlife / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 9h 

GRAPHIC peo­p­le kil­led at ‪#Rabaa via ‪@3askarKateloon / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 9h 

GRAPHIC I’m against Mor­sy, against Sisi/SCAF man­da­te and against poli­ce kil­ling pro­tes­ters (pic) / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 9h 

The sound of gun fire on and off sin­ce 3am until now ..near ‪#Rabaa ‪#NasrCi­ty

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 9h 

GRAPHIC makes­hift hos­pi­tal 4hrs ago via ‪@moh_sawaf / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 9h 

:( RT ‪@kfahim: Nine­teen bodies in the ‪#Rabaa field hos­pi­tal just now. / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 8h 

I haven’t slept all night and I cant sleep ..this is real­ly too much hap­pe­ning to take in at once ‪#men­talb­reak­down

 Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 8h 

I am hea­ring someone yel­ling “ya allah” on the street by my house near ‪#Rabaa ‪#NasrCi­ty

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 8h 

I have a pro­blem w/ peo­p­le who are ok & actual­ly hap­py w/mascares even if I oppo­se tho­se being kil­led & would like to see them pro­se­cu­ted

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 8h 

MB will not lea­ve any easier now and anyo­ne who was ever in clas­hes b4 never for­gets the moment ur fri­end was kil­led regard­less of the cau­se

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 8h 

I will never for­gi­ve all the 60 years of past regimes, poli­ti­cal cor­rup­ti­on & dic­ta­tor­ship is the root of all night­ma­res we are living today

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 7h 

‪@Agenda_kid ‪@SoniaElSakka ‪@TheKaouther ‪@hfakhry dont open ur mouth befo­re actual­ly kno­wing what u r tal­king about ‪#idi­ot

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 7h 

:(( I still cant sleep ..I will try

 / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 8h 

Seems like in all Arab Spring sta­tes, ques­ti­on of poli­ti­cal Islam is domi­na­ting the streets and the poli­ti­cal sce­ne ‪#Tuni­sia ‪#Egypt ‪#Libya / Gigi Ibra­him ‏‪@Gsquare86‬ 11m 

I woke up hoping that the mas­sacre at Rabaa was just a night­ma­re to find out that I am day­d­re­a­ming ..last night was a tra­ge­dy RIP

 — stop :::  gigi ibra­him on twitter
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südostnordwest

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tan­go

~ : oe som
to : louis
sub­ject : SÜDOSTNORDWEST
date : july 02 13 8.12 p.m.

Tau­cher Noe seit 851 Tagen unter der Was­ser­ober­flä­che. Tie­fe 812 Fuß. Posi­ti­on: 42°55’NORD 51° 42’ WEST. stop. Es ist kurz nach Mit­ter­nacht, die See wie­der ruhig. Ges­tern, unge­fähr zur sel­ben Tages­zeit, wur­den wir wie aus dem Nichts von einer mäch­ti­gen Wel­le getrof­fen. Bei­na­he wären wir geken­tert. Ent­setzt über das Vor­ge­fal­le­ne, lagen wir eini­ge Minu­ten still. Dann mach­ten wir uns auf die Suche, woll­ten wis­sen, ob wir noch voll­zäh­lig waren. Momen­te vol­ler Demut. Ich erin­ne­re mich an Lid­wi­ens zar­tes, blas­ses Gesicht, wie sie vor dem Funk­ge­rät sitzt und Noe anruft, er möge sich mel­den. Es war wie ein Gebet, sie fürch­te­te, ihn ver­lo­ren zu haben, das Tau, an dem er in der Tie­fe schwebt, könn­te geris­sen sein, aber wir spür­ten ein leich­te, schau­keln­de Bewe­gung unter dem Schiff. Es hat­te den Anschein, als wür­de Noe unter uns durchs Dun­kel pen­deln. Nach einer hal­ben Stun­de gedul­di­gen Hof­fens mel­de­te er sich, woll­te wis­sen, was gesche­hen war. Natür­lich ant­wor­te­ten wir aus­wei­chend, um ihn nicht zu beun­ru­hi­gen. Erst ver­gan­ge­ne Woche war es gewe­sen, da wir Noe erklär­ten, dass zu sei­nen Füßen wei­te­re 10660 Fuß Tie­fe war­te­ten. Noe war für zwei Tage sprach­los gewe­sen, dann begann er Mur­phys Geschich­te zu lesen Stun­de um Stun­de, setz­te immer wie­der von vorn an, das Buch scheint ihn zu beru­hi­gen. In die­sem Moment, da ich Dir schrei­be, geht es wie­der los: Die Son­ne schien, da sie kei­ne ande­re Wahl hat­te, auf nichts Neu­es. Mur­phy saß, als ob es ihm frei stün­de, im Schat­ten, in einer Gas­se West Bromb­tons. Hier hat­te er wohl schon sechs Mona­te lang geses­sen, getrun­ken, geschla­fen, sich an- und aus­ge­zo­gen, in einem mit­tel­gro­ßen Käfig mit Front nach Nord­wes­ten und unun­ter­bro­che­ner Sicht auf mit­tel­gro­ße Käfi­ge mit Front nach Süd­os­ten. – Es ist uns, lie­ber Lou­is, ein gutes Zei­chen, dass Noe wie­der liest. Wir haben ihm ver­spro­chen, noch in die­sem Monat eine Bril­le auf­zu­trei­ben, ein Gestell zu fabri­zie­ren, das an sei­nem Helm befes­tigt wer­den kann. Manch­mal den­ke ich, Noe glaubt uns nicht mehr, kei­nem unse­rer Ver­spre­chen, kei­ner Idee. — Ahoi! Dein OE SOM

gesen­det am
03.07.2013
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oe som to louis »

 

polaroidkueste3

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sieben punkte

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hima­la­ya : 5.06 — Drau­ßen, vor weni­gen Stun­den noch, rausch­te Was­ser vom Him­mel. Aber jetzt ist es still. Es ist eine tat­säch­lich nahe­zu geräusch­lo­se Nacht. Die letz­te Stra­ßen­bahn ist längst abge­fah­ren, kein Wind, des­halb auch die Bäu­me still und die Vögel, alle Men­schen im Haus unter mir schei­nen zu schla­fen. Für einen Moment dach­te ich, dass ich viel­leicht wie­der ein­mal mein Gehör ver­lo­ren haben könn­te, ich sag­te zur Sicher­heit ein Wort, das ich ges­tern ent­deck­te: Kapr­un­bi­ber. Das Wort war gut zu hören gewe­sen, mei­ne Stim­me klang wie immer. Aber auf dem Fens­ter­brett hockt jetzt ein Mari­en­kä­fer, einer mit gel­bem Pan­zer, sie­ben Punk­te, ich habe nicht bemerkt, wie er ins Zim­mer geflo­gen war. Es ist nicht der ers­te Käfer die­ses Jah­res, aber einer, den ich mit ganz ande­ren Augen betrach­te. Ich hat­te für eine Sekun­de die Idee, die­ser Käfer könn­te viel­leicht ein künst­li­cher Käfer sein, einer, der mich mit dem Vor­satz besuch­te, Foto­gra­fien mei­ner Woh­nung auf­zu­neh­men, oder Gesprä­che, die ich mit mir selbst füh­re, wäh­rend ich arbei­te. War­um nicht auch ich, dach­te ich, ein Ziel. Ich nahm den Käfer, der sei­ne Geh­werk­zeu­ge unver­züg­lich eng an sei­nen Kör­per leg­te, in mei­ne Hän­de und trans­por­tier­te ihn in die Küche, wo ich ihn in das grel­le Licht einer Tisch­lam­pe leg­te. Wie ich ihn betrach­te­te, bemerk­te ich zunächst, dass ich nicht erken­nen konn­te, ob der Käfer in der künst­li­chen Hel­lig­keit sei­ne Augen geschlos­sen hat­te. Weder Herz­schlag noch Atmung war zu erken­nen, auch nicht unter einer Lupe, nicht die gerings­te Bewe­gung, aber ich fühl­te mich von dem Käfer selbst beob­ach­tet. Also dreh­te ich den Käfer auf den Rücken und such­te nach einem Zugang, nach einem Schräub­chen da oder dort, einer Ker­be, in wel­che ich ein Mes­ser­werk­zeug ein­füh­ren könn­te, um den Pan­zer vom Käfer zu heben. Man stel­le sich ein­mal vor, ein sehr klei­ner Motor wäre dort zu fin­den, Mikro­fo­ne, Sen­der, Lin­sen, es wäre eine unge­heu­re Ent­de­ckung. Gegen­wär­tig zöge­re ich noch, den ers­ten Schnitt zu setz­ten, es reg­net wie­der, jawohl, ich wer­de am bes­ten zunächst noch ein wenig den Regen beob­ach­ten, es ist kurz nach drei. – stop

ping

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louis 1 + 2 + 3

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kili­man­dscha­ro : 22.58 — Merk­wür­di­ge Stil­le an die­sem Tag, da die Nach­richt gesen­det wird, dass tat­säch­lich mög­lich gewor­den ist, mensch­li­che Wesen zu klo­nen. Ich stell­te mir vor, wie in zwei oder drei Jahr­zehn­ten Lou­is 1 und Lou­is 2 und Lou­is 3 mit mir, mit Lou­is 0 auf Rei­sen gehen. Wie sie sich dar­um strei­ten, mei­nen Kof­fer tra­gen zu dür­fen. Wie ich sie betrach­te und mich wun­de­re, dass ich mich vor ihrem Anblick nicht fürch­te. — stop
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polaroidlinda

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vögel

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del­ta

~ : oe som
to : louis
sub­ject : VOEGEL
date : april 24 13 2.05 p.m.

Ich hör­te, wie Noe mit Vögeln sprach. Eine Stun­de lang war sei­ne knis­tern­de Stim­me zu ver­neh­men. Er flüs­ter­te: Hal­lo, hier ist Noe, seht ihr mich? Schaut her, was für ein Wun­der!  Aber dann, sobald sich die Vögel von ihm ent­fern­ten, wur­de sei­ne Stim­me laut, sein Aus­druck nach­drück­lich. Er ver­such­te sich bemerk­bar zu machen, als ob er hoff­te, sie wür­den ihn mit sich neh­men. Nie­mand kann sei­ne Stim­me hören, nur wir kön­nen Noes Stim­me hören! Gegen drei Uhr habe ich Tau­cher Noe ange­spro­chen, um ihn fest­zu­hal­ten, um ihn dar­an zu erin­nern, dass wir noch bei ihm sind. Noe, sag­te ich, Noe, hör zu! Ich erwar­te, dass Du mir erzählst, was Du siehst! — Da sind Vögel, ant­wor­te­te Noe, sehr gro­ße Vögel, Vögel, wie ich sie noch nie zuvor gese­hen habe. Wir wol­len davon schwei­gen! — Der Mor­gen kam glück­li­cher­wei­se rasch, Mar­tin mach­te sich unver­züg­lich auf den Weg in die Tie­fe, noch drei oder vier Stun­den und er wird Noe errei­chen. Unser Tau­cher indes­sen war ein­ge­schla­fen. Mehr­fach habe ich ver­sucht, ihn zu wecken. Ich sag­te: Noe, wie geht es Dir? Erzähl mir, was sind das für Vögel, die Du siehst? Kei­ne Ant­wort. Stil­le von der Tie­fe her, nichts als Noes lang­sam schla­gen­des Herz. Gegen den Mit­tag zu ver­merk­te Noe plötz­lich, wir hät­ten ihm schon lan­ge Zeit eine Bril­le ver­spro­chen. Ich mei­ne, fuhr Noe fort, dass ich ein Recht auf eine Bril­le habe, wenn ich schon lese, stun­den­lang aus Büchern lese, die ich weder wähl­te noch wünsch­te. Mei­ne Augen schmer­zen, Ihr soll­tet mich her­auf­ho­len und mir eine Bril­le ver­pas­sen. Das sag­te Noe noch vor weni­gen Minu­ten. Es klang wie eine Dro­hung. — stop. — Mitt­woch, 24. April 2013. Tau­cher Noe seit 781 Tagen unter Was­ser. — stop. Tie­fe 828 Fuß. — stop. Ahoi! Dein OE SOM

gesen­det am
24.04.2013
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oe som to louis »

polaroidqualle

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i love you

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romeo : 15.18 — Am See im Pal­men­gar­ten. Ers­te mil­de Stun­den. Abend­seg­ler jagen durch die Däm­me­rung. Für einen Moment der Ein­druck, es könn­te sich bei den Schat­ten der Flie­gen­jä­ger um klei­ne, spie­len­de Engel han­deln. Auf der Bank neben mir ruht mein Film­te­le­fon, soeben erscheint der Feu­er­ball einer deto­nie­ren­den Bom­be in der Stadt Bos­ton nahe einer Mara­thon­stre­cke. Wenn ich den Kanal wech­se­le, Skate­board­fah­rer, die über Haus­dä­cher sprin­gen auf der Insel San­to­rin, ein Mäd­chen mit Zahn­span­ge träl­lert: I love you, i love you! Bald dunk­le Rauch­pil­ze über der Stadt Alep­po. Auf einer Stra­ße liegt der Kör­per einer Frau, der sich noch bewegt, obwohl sie unbe­dingt tot sein müss­te, so furcht­bar die Ver­let­zun­gen, die ihr zuge­fügt wor­den sind. Ich spie­le den Film immer wie­der ab, war­um? Als es dun­kel wird über dem Was­ser, Stil­le. Man hört in der Licht­lo­sig­keit nichts vom Jagen der Tie­re, wenn man sie nicht sieht. Weni­ge Stun­den spä­ter wird Wla­di­mir Putin sagen, bei dem Anschlag in Bos­ton han­de­le es sich um ein bar­ba­ri­sches Ver­bre­chen. — stop

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von der freiheit der maria

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vic­tor : 6.28 — Jeden Sams­tag kam Maria ins Café Gazet­te. Wenn Mitt­woch war, konn­te man sie im Heming­ways besu­chen, einem her­un­ter­ge­kom­me­nen Laden in der Nähe des Haupt­bahn­ho­fes. Mon­tags saß sie in der Bar-Celo­na. An Diens­ta­gen und Frei­ta­gen war sie mal da und mal dort, und am Don­ners­tag ging sie ins Kino. Es war immer das­sel­be, die klei­ne Frau, deren Alter nie­mand zu bestim­men wuss­te, kam her­ein, setz­te sich an einen frei­en Tisch, oder war­te­te so lan­ge im Ste­hen, bis ein Tisch frei­ge­wor­den war, um sofort mit ihrer Arbeit zu begin­nen. Sie bedeck­te den Tisch, an dem sie Platz genom­men hat­te, mit wei­ßen Papie­ren in unter­schied­li­chen Grö­ßen, hol­te aus einem Kof­fer­wa­gen, der ihr stän­di­ger Beglei­ter war, kräf­ti­ge Filz­stif­te und begann zu malen. Wer sie ein­mal genau beob­ach­tet hat­te, wird viel­leicht bemerkt haben, dass sie bei Ein­tritt in das Café oder die Bar, mit einem scheu­en Blick alle anwe­sen­den Men­schen wahr­ge­nom­men oder in sich auf­ge­nom­men hat­te, um sie nun zu por­trä­tie­ren, einen Men­schen nach dem ande­ren Men­schen, auch dann, wenn sie den Ort längst ver­las­sen hat­ten. Maria mal­te lang­sam, sie mal­te wie ein Kind, manch­mal biss sie sich auf die Zun­ge. Sie war eine sehr stil­le, eine stum­me Frau, und ihr Gesicht vom Leben ohne Obdach gezeich­net. Sie hat­te einen Buckel, der mit den Jah­ren zu wach­sen schien und sie immer wei­ter gegen den Boden dräng­te. Vie­le Men­schen kann­ten sie. Viel­leicht kann man sagen, dass es sich bei Maria um eine Iko­ne der Stadt han­del­te, sie lach­te nie­mals, aber alle Men­schen auf ihren Bil­dern lach­ten. Alle sahen sie aus wie Maria, ihre Gesich­ter genau genom­men, Augen, Nase, Mund, aber die Haa­re waren ande­re Haa­re, auch die Far­ben der Hem­den, Pull­over, Kra­wat­ten, Blu­sen, waren genau jener Sekun­den­wirk­lich­keit ent­nom­men, da Maria von der Stra­ße her­ein­ge­kom­men war. Ja, sie mal­te lang­sam, und wenn es ein­mal sehr still war, konn­te man die Geräu­sche ihrer Werk­zeu­ge deut­lich hören. Sobald Maria alle Men­schen por­trä­tiert hat­te, erhob sie sich und ging von Tisch zu Tisch, um ihre klei­nen, wert­vol­len Male­rei­en zu ver­kau­fen. Sie ver­lang­te nie mehr als 1 Deut­sche Mark. Im Lau­fe der Jah­re kauf­te ich immer wie­der ein­mal eines ihrer Bil­der, also Maria und mich, mal mit kur­zen, mal mit län­ge­ren Haa­ren. Da war der Som­mer der wei­ßen Hem­den und dort der Som­mer der blau­en Hem­den. Ein­mal, es war Win­ter gewe­sen, tru­gen wir einen Hut. – stop

ping

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elisabeth

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hima­la­ya : 6.10 — Im Win­ter des ver­gan­ge­nen Jah­res, an einem win­dig kal­ten Tag, besuch­te ich in Brook­lyn einen alten Herrn, Mr. Tomaszwes­ka und sei­ne Frau Eli­sa­beth. Sie woh­nen nahe der Clark Street in einem sechs­stö­cki­gen Haus mit Blick auf die Upper Bay von New York. Ich hat­te den alten Mann wäh­rend einer Fahrt auf einem Fähr­schiff zufäl­lig ken­nen­ge­lernt. Er beob­ach­te­te, wie ich Fahr­gäs­te foto­gra­fier­te, die ihre Namen heim­lich in die höl­zer­nen Sitz­bän­ke des Schif­fes ritz­ten. Er sprach mich freund­lich an, woll­te mir einen Schrift­zug zei­gen, den er selbst drei Jahr­zehn­te zuvor an Ort und Stel­le in der glei­chen Wei­se wie die beob­ach­te­ten Pas­sa­gie­re ein­ge­tra­gen hat­te. Stolz war der alte Mann gewe­sen. Wir führ­ten ein kur­zes Gespräch über die New Yor­ker Hafen­be­hör­de, Eisen­bah­nen und Flug­zeu­ge, weiß der Him­mel, wie dar­auf gekom­men waren. Als wir das Schiff ver­lie­ßen, lud Mr. Tomaszwes­ka mich ein, ein­mal zu ihm zu kom­men, dar­um stieg ich nur weni­ge Tage spä­ter in den sechs­ten Stock des schma­len Hau­ses auf den Höhen Brook­lyns. Die Tür zur Woh­nung stand offen, war­me Luft kam mir ent­ge­gen, die nach süßem Teig duf­te­te, nach Zimt und Früch­ten. Die Räu­me hin­ter der Tür waren ver­dun­kelt. Ich hat­te sogleich den Ein­druck, dass ich viel­leicht träum­te oder ver­rückt gewor­den sein könn­te, weil in die­sem Halb­dun­kel an den Wän­den, auch auf dem Boden, Lam­pen, Dioden­lich­ter, glüh­ten. Modell­ei­sen­bahn­zü­ge fuh­ren auf schma­len Gelei­sen her­um. Ich höre noch jetzt das lei­se Pfei­fen einer Dampf­lo­ko­mo­ti­ve, das mei­nen Besuch beglei­te­te. Es war eine rasen­de Zeit, Stun­den des Stau­nens, da in der Woh­nung des alten Herrn eine sehr beson­de­re Modell­an­la­ge gas­tier­te, ja, ich soll­te sagen, dass die Woh­nung selbst zur Anla­ge gehör­te, wie der Him­mel zur wirk­li­chen Welt. Alle Züge fuh­ren auto­ma­tisch von einem Com­pu­ter gesteu­ert, die Luft über den Gelei­sen roch scharf nach Zinn. Wir spra­chen indes­sen nicht viel, Mr. Tomaszwes­ka und ich, son­dern schau­ten dem Leben auf dem Boden in aller Stil­le zu. An einem Fens­ter, des­sen Vor­hän­ge zuge­zo­gen waren, saß Mr. Tomaszweska’s Frau Eli­sa­beth. Sie beach­te­te mich nicht, starr­te viel­mehr lächelnd auf eine klei­ne Klap­pe, die in die Wand des Hau­ses ein­ge­las­sen war. Manch­mal öff­ne­te sich die Klap­pe und ich konn­te für Momen­te das Meer erken­nen, das an die­sem Tag von grün­grau­er Far­be gewe­sen war, wun­der­ba­re Augen­bli­cke, denn immer dann, wenn das Meer in dem klei­nen Fens­ter erschien, lach­te die alte Frau mit glo­cken­hel­ler Stim­me auf, um kurz dar­auf wie­der zu erstar­ren. Ein­mal setz­te sich Mr. Tomaszwes­ka neben sei­ne Frau und füt­ter­te sie mit war­mem Oran­gen­ku­chen, den er selbst geba­cken hat­te. Und wie wir uns wie­der auf den Boden setz­ten, um ein Modell des Ori­ent­ex­press durch die Zim­mer der Woh­nung krei­sen zu sehen, erzählt der alte Mann, dass sie gemein­sam hier oben sehr glück­lich sei­en. Er kön­ne mit sei­ner Frau zwar nicht mehr spre­chen, er kön­ne sie nur noch strei­cheln, was sie irgend­wie ver­ste­hen wür­de oder sich erin­nern an die Spra­che sei­ner Hän­de. Ver­stehst Du, sag­te er, sie ver­gisst immer sofort, alles ver­gisst sie, auch wer ich bin, aber sie ver­gisst nie­mals nach den klei­nen Engeln zu sehen, die uns besu­chen, sie kom­men dort durch die Klap­pe, siehst Du, schau genau hin, es ist schon ein Wun­der, sag­te der alte Mann, wie schön sie lacht, mein jun­ges Mäd­chen, nicht wahr, mein jun­ges Mäd­chen. — stop

polaroidstrandburg

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amsterdam

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sier­ra : 7.05 — Immer wie­der wun­de­re ich mich dar­über, wie ein Bild, eine Vor­stel­lung, eine Idee, ohne mein Zutun, ohne dass ich also den Ein­druck haben wür­de, Arbeit ver­rich­tet zu haben, wei­te­re Bil­der erzeugt, Geschich­ten, Fil­me, Zeit­räu­me von Abwe­sen­heit. Ich erin­ne­re mich, in einem die­ser Räu­me kürz­lich in Ams­ter­dam gewe­sen zu sein, wäh­rend ich zur sel­ben Zeit im Zug durch süd­li­che Land­schaft reis­te. Ich hat­te das Bild eines Läd­chens vor Augen, in wel­chem in einer Pfan­ne mensch­li­che Ohren gerös­tet wur­den. Es roch gut nach gebra­te­nem Fleisch und natür­lich fra­ge ich mich, woher ich die­se Vor­stel­lung genom­men habe. Men­schen stan­den bis auf die Stra­ße hin­aus, war­te­ten gedul­dig, bis sie an der Rei­he waren, eine Por­ti­on der gerös­te­ten Ohren in einer Papier­tü­te ent­ge­gen­zu­neh­men. 100 Gramm kos­te­ten 72 eng­li­sche Pfund, viel­leicht war es des­halb, in Anbe­tracht des Prei­ses, so still im Laden, man hör­te nur ein Zischen, sobald aus einem Schäu­fel­chen eine wei­te­re Por­ti­on Ohren in die Pfan­ne fiel. Aber drau­ßen auf der Stra­ße war Tumult ent­stan­den. Wäh­rend die einen sich über den enor­men Preis der Ohren beschwer­ten, waren ande­re sehr deut­lich gegen den Ver­kauf mensch­li­cher Ohren über­haupt ein­ge­stellt. Das sind gezüch­te­te Orga­ne, sag­ten sie, sie waren nie an einem mensch­li­chen Kopf befes­tigt. Ande­re hin­ge­gen empör­ten sich dar­über, dass es doch ver­rückt sei, für etwas, das nie­mals echt gewe­sen war, eine der­art exzel­len­te Sum­me Gel­des pro Gramm bezah­len zu müs­sen. Die einen wie die ande­ren schie­nen mir recht zu haben. Fens­ter gin­gen zu Bruch, berit­te­ne Poli­zei feg­te über eine Brü­cke. Und wie ich in die­ser Wei­se in einem Zug sit­zend einen Film erleb­te aus dem Nichts, beob­ach­te­te mich ein Freund. Ich bemerk­te ihn nicht. Als ich ihm spä­ter erzähl­te, was ich erlebt hat­te, sag­te er, er habe indes­sen, in der Beob­ach­tung mei­ner Per­son, nicht den gerings­ten Laut gehört. — stop

ping

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zwergseerosen

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sier­ra : 6.38 — Vor Kur­zem noch habe ich nicht gewusst, dass Lam­pen­me­du­sen bevor­zugt Zwerg­see­ro­sen zu sich neh­men. Eigent­lich müss­te ich sagen, dass Lam­pen­me­du­sen ihrer Auf­ga­be der Lich­ter­zeu­gung nur dann nach­zu­kom­men in der Lage sind, wenn sie eini­ge Gramm einer bestimm­ten Zwerg­see­ro­sen­gat­tung auf­ge­nom­men haben. Die­se Zwerg­see­ro­sen nun sind wun­der­ba­re Wesen, die man mit blo­ßem mensch­li­chem Auge nicht wahr­zu­neh­men ver­mag. Sobald sie aber häu­fig sind, also gehäuft, sagen wir zehn­tau­send Zwerg­see­ro­sen in nächs­ter Nähe zuein­an­der, sehen wir eine röt­li­che Wol­ke, die sich in der Form einer fla­chen Lin­se sehr wohl­zu­füh­len scheint. Unter einem Mikro­skop betrach­tet sind an jeder Zwerg­see­ro­se wun­der­vol­le Blü­ten von roter Far­be zu erken­nen, die sich lang­sam um die eige­ne Ach­se dre­hen, wes­we­gen Zwerg­see­ro­sen durch das Was­ser wan­dern­de Geschöp­fe sind, schwe­ben­de, oder genau­er, tau­chen­de Blu­men. Sie sol­len zart nach Hum­mer­fleisch schme­cken, jedoch nicht genieß­bar sein, weil auch dann, wenn Men­schen sie ver­kos­ten, eben jene Men­schen in der Art der Lam­pen­me­du­sen zu leuch­ten begin­nen, ihre Haut und ihre Haa­re, dann fal­len sie um und hören auf zu atmen. Einer, der das nicht glau­ben woll­te, wur­de ges­tern auf hoher See bestat­tet. Ein selt­sa­mer Anblick, wie man berich­tet, ein blau­es Leuch­ten mit Armen, Bei­nen und einem Kopf, das lang­sam in der Tie­fe ver­schwand. — Es ist schon weit nach Mit­ter­nacht, also Nach­mit­tag gewor­den. Ich spa­zie­re lei­se durch mei­ne Woh­nung, weil ich nie­man­den wecken möch­te. Unter mir schla­fen Men­schen. Das ist immer wie­der eine selt­sa­me Vor­stel­lung, dass sie sehr nah sind, nur durch etwas Holz und Bast und Stein von mir getrennt. Man kann in die­ser Wei­se Jah­re woh­nen, ohne zu wis­sen, wen genau man atmen oder spa­zie­ren hört. Einer der Men­schen unter mir, scheint im Schlaf zu spre­chen. Wenn er zu spre­chen beginnt, höre ich das Geräusch einer Tür, dann hört er auf zu spre­chen. Für eine Wei­le ist es still. Es gibt viel zu erzäh­len im Schlaf. — stop

polaroidblumen

 



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