Aus der Wörtersammlung: geschehen

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schatten

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echo : 0.22 — Vor eini­gen Jah­ren stell­te ich mir vor, wie ich eines Tages erwa­che und jedes Wort erin­nern kön­ne, das ich von die­sem Moment des Erwa­chens an den­ken wür­de, erin­nern jedes mei­ner Selbst­ge­sprä­che, auch jene Gedan­ken, die ich nie wirk­lich bemer­ke, weil sie so schnell vor­über­zie­hen, dass ich sie vor­dem bereits ver­ges­sen habe, in dem ich mich schon in dem nächs­ten Gedan­ken­zim­mer befin­de. Nichts, über­leg­te ich, wür­de von die­sem Moment an noch ver­lo­ren gehen. Auch alle Sät­ze nicht, die ich hören oder lesen wer­de, sobald ich das Haus ver­las­se, Notiz­zet­tel, Ein­kaufs­lis­ten, Frag­men­te von Zei­le zu Zei­le fal­len­der Anzei­ge­ta­feln an Flug­hä­fen oder Bahn­hö­fen, Zei­tungs­ar­ti­kel, Film­dia­lo­ge, alles das wür­de gespei­chert sein und könn­te zu jeder Zeit in genau der Rei­hen­fol­ge wie­der­holt wer­den, in der es von lei­sen Wör­ter­stim­men auf­ge­zeich­net wur­de. Ich frag­te, was wür­de mit mir gesche­hen? Wie lan­ge Zeit könn­te ich mit die­sem Ver­mö­gen aus­ge­stat­tet über­le­ben? In wel­cher Art und Wei­se wür­de ich mich erin­nernd durch mei­ne Ver­zeich­nis­se bewe­gen? Wür­de ich nicht viel­leicht in einem die­ser Maga­zi­ne auf der Suche nach einem Wort, einem Satz, einer Erin­ne­rung, für immer ver­schwin­den? — stop

ping

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ai : IRAN

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MENSCH IN GEFAHR: „Der ira­nisch-ame­ri­ka­ni­sche Jour­na­list Jason Rezai­an befin­det sich seit sechs Mona­ten im Tehe­ra­ner Evin-Gefäng­nis in Ein­zel­haft. Er hat kei­nen Zugang zu einem Rechts­bei­stand, wur­de aber am 6. Dezem­ber zum ers­ten Mal vor Gericht gestellt. Er ist ein gewalt­lo­ser poli­ti­scher Gefan­ge­ner. / Jason Rezai­an, ein Iran-Kor­re­spon­dent der Washing­ton Post, wur­de am Abend des 22. Juli zusam­men mit sei­ner Frau Yega­neh Salehi, die für die Zei­tung The Natio­nal aus den Ara­bi­schen Emi­ra­ten schreibt, von Sicher­heits­kräf­ten in Zivil fest­ge­nom­men. Das Haus des Ehe­paars wur­de durch­sucht und ihre Päs­se kon­fis­ziert. Etwa einen Monat spä­ter erst wur­de die Fami­lie von Jason Rezai­an und Yega­neh Salehi über den Ver­bleib der bei­den infor­miert. Yega­neh Salehi kam im Okto­ber auf Kau­ti­on frei. Jason Rezai­an wur­de sei­nem Bru­der Ali Rezai­an zufol­ge mehr­mals ver­hört. Ein von der Fami­lie beauf­trag­ter Rechts­bei­stand hat bis­lang kei­ne Erlaub­nis erhal­ten, Jason Rezai­an zu besu­chen oder sei­ne Gerichts­ak­ten ein­zu­se­hen. Bei der Gerichts­ver­hand­lung am 6. Dezem­ber, die laut Ali Rezai­an einen gan­zen Tag lang ange­dau­ert haben soll, wur­de Jason Rezai­an ledig­lich ein Dol­met­scher und kein Rechts­bei­stand zur Ver­fü­gung gestellt. Zudem wur­de er auf­ge­for­dert, ein Doku­ment zu unter­zeich­nen, in dem er sich der Ankla­gen schul­dig bekennt. Was Jason Rezai­an vor­ge­wor­fen wird oder war­um, ist nicht bekannt. / Seit sei­ner Fest­nah­me wird Jason Rezai­an im Evin-Gefäng­nis in Ein­zel­haft fest­ge­hal­ten. Dort darf ihn sei­ne Fami­lie nur gele­gent­lich besu­chen. Er lei­det unter Blut­hoch­druck und muss des­halb täg­lich Medi­ka­men­te ein­neh­men. / In einem Inter­view mit der Nach­rich­ten­agen­tur Euro­News am 6. Novem­ber wur­de der Vor­sit­zen­de des ira­ni­schen Obers­ten Rats für Men­schen­rech­te, Moham­mad Javad Lari­ja­ni, gefragt, wann Jason Rezai­an frei­ge­las­sen wer­de. Nach sei­ner Ein­schät­zung hät­te dies “in weni­ger als einem Monat” gesche­hen müs­sen. Kaum eine Woche spä­ter sag­te jedoch der Stell­ver­tre­ter der Obers­ten Jus­tiz­au­to­ri­tät des Irans, Hadi Sadeghi, dass die Ermitt­lun­gen im Fall Jason Rezai­an noch im Gan­ge sei­en und dass die­se län­ger als einen Monat dau­ern kön­nen. Die ira­ni­schen Behör­den haben bis­her nichts über die Grün­de für die Fest­nah­me von Jason Rezai­an ver­lau­ten las­sen.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 20. Janu­ar 2015 hin­aus, unter »> ai : urgent action

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vom anemonentext

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alpha : 6.55 — Neh­men wir ein­mal an, dem ursprüng­li­chen Code einer See­ane­mo­ne wür­de ein wei­te­rer Code hin­zu­ge­fügt, eine sehr kur­ze Stre­cke nur, sagen wir Jack Kerou­acs Roman The Town and The City mit­tels Nukleo­ba­sen­paa­ren notiert. Was wür­de gesche­hen? Inwie­fern wür­de Jack Kerou­acs Text Wesen oder Gestalt einer See­ane­mo­ne berüh­ren? Wür­de der Text von See­ane­mo­ne zu See­ane­mo­ne wei­ter­ge­reicht, wür­de der Jack Kerou­acs Text sich nach und nach ver­än­dern, wür­de er viel­leicht ent­lang der Küs­ten­li­ni­en wan­dern? Seit ges­tern, ich habe geträumt, sind mensch­li­che Per­so­nen denk­bar, die nur zu dem einem Zweck exis­tie­ren, näm­lich Ohren, ein gutes Dut­zend wahl­wei­se auf ihren Armen oder Schul­tern zu tra­gen, um sie gut durch­blu­tet, solan­ge zu kon­ser­vie­ren, bis man sie von ihnen abneh­men wird, um sie auf eine wei­te­re Per­son zu ver­pflan­zen, die eine gewis­se Zeit oder schon immer ohne Ohren gewe­sen ist. Unheim­li­che Sache. — stop

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kollibry

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echo : 5.55 — Im ver­gan­ge­nen Novem­ber ver­leg­te ich eine Nach­richt, die mir per E‑Mail zuge­stellt wor­den war. Ver­mut­lich hat­te ich ihre Exis­tenz bereits nach weni­gen Stun­den ver­ges­sen, sodass ihr Sen­der ver­geb­lich auf eine Ant­wort war­te­te. Heu­te Nacht habe ich sie glück­li­cher­wei­se wie­der ent­deckt. Es war damals etwas Bedeu­ten­des gesche­hen. L. hat­te ein Note­book geschenkt bekom­men, das ers­te Note­book sei­nes Lebens. Es war kein neu­es, es war ein gebrauch­tes Gerät, aber noch in einem guten Zustand, kaum ein Krat­zer am sil­ber­grau­en Gehäu­se, sei­ne Tas­ten funk­tio­nier­ten tadel­los, und die Pro­gram­me des Betriebs­sys­tems waren her­vor­ra­gend sor­tiert. Ein erns­tes Pro­blem stell­te aller­dings eine Buch­sta­ben­ma­schi­ne dar, prä­zi­se die Kor­rek­tur­rou­ti­ne eines Text­ver­ar­bei­tungs­pro­gramms, wel­ches vom Vor­be­sit­zer des Note­books jah­re­lang inten­siv ver­wen­det wor­den sein muss­te. Das klei­ne Zusatz­pro­gramm konn­te nicht aus­ge­schalt wer­den, was ange­nehm gewe­sen wäre. Zahl­rei­che feh­ler­haf­te Wör­ter waren in sei­ne tie­fen Spei­cher gewan­dert, und so web­te das Pro­gramm, wäh­rend L. mit sei­ner Hil­fe notier­te, Vor­schlä­ge in gera­de eben ent­ste­hen­de Tex­te, bei­spiels­wei­se anstatt des Wor­tes Koli­bri das Wort Kol­li­bry, was schließ­lich zu äußerst erstaun­li­chen Befun­den führ­te. L. glaub­te bald, sehr ernst­haft krank gewor­den zu sein. Er bat mich um Unter­stüt­zung, er wol­le den Spei­cher der Wort­miss­bil­dun­gen unver­züg­lich aus­ra­die­ren. – Es ist kurz vor drei Uhr. Ver­mut­lich kom­me ich mit mei­nen Hin­wei­sen viel zu spät, das ist denk­bar, sogar wahr­schein­lich, dass ich viel zu spät sein wer­de. Machen wir uns trotz­dem sofort auf die Suche nach einer Lösung. Gewit­ter­stim­mung vor den Fens­tern, Flie­gen, Blit­ze, aber kein Don­ner, viel­leicht eine Art Wet­ter­leuch­ten, gran­dio­se, aus dem Him­mel stür­zen­de Bäu­me von Licht. – stop

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tian’anmen

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nord­pol : 2.21 — Ich erin­ne­re mich an ein Gespräch vor fünf Jah­ren mit Din. Ihre lei­se sin­gen­de Stim­me. Sie sei, als die Pan­zer kamen, in eine Sei­ten­stra­ße geflüch­tet. Wie sie ihre Augen schloss, wie sie sag­te, sie habe kei­ne Men­schen mehr gese­hen nach kur­zer Zeit, eini­ge Freun­de nur, die sich an Häu­ser­wän­de drück­ten. Die Hand ihrer gro­ßen Schwes­ter. Die Druck­luft, die auf ihrem klei­nen Kör­per beb­te. Aber Men­schen­stil­le. Wie sie nach Wör­tern such­te, nach Wör­tern in deut­scher Spra­che, die geeig­net gewe­sen wären, zu beschrei­ben, was sie in dem Moment, da ich auf die Fort­set­zung ihrer Erzäh­lung war­te­te, hör­te in ihrem Kopf. Das fei­ne, selt­sa­me Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie am Aus­druck mei­ner Augen bemerkt, dass ich wahr­ge­nom­men haben könn­te, dass die Bil­der, die ich wuss­te, tat­säch­lich gesche­hen waren, das Mas­sa­ker auf dem gro­ßen Platz, stol­pern­de Men­schen, Men­schen auf Bah­ren, zer­malm­te Fahr­rä­der, der Mann mit Ein­kaufs­tü­ten in sei­nen Hän­den auf der Para­de­stra­ße vor einem Pan­zer ste­hend. Dann die Flucht ins häus­li­che Leben zurück wie in ein Ver­steck, das stum­me Ver­schwin­den jun­ger Leben für immer. -Du soll­test mit Stäb­chen essen, sag­te Din, das machst Du so, schau! — stop

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ai : FRANKREICH

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MENSCHEN IN GEFAHR: „Mehr als 200 Roma, dar­un­ter 50 Kin­dern, droht die rechts­wid­ri­ge Zwangs­räu­mung. Gegen die Bewohner_innen einer infor­mel­len Sied­lung nahe der fran­zö­si­schen Gemein­de Bobi­gny wur­de ein Räu­mungs­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet. Das Urteil eines Gerichts in Bobi­gny wird für den 30. Mai erwar­tet. / Die Bewohner_innen der Sied­lung nahe Bobi­gny, nord­öst­lich der Haupt­stadt Paris, wur­den offi­zi­ell am 23. Mai durch einen Gerichts­die­ner über das lau­fen­de Räu­mungs­ver­fah­ren infor­miert. Weni­ge Tage zuvor kamen Behördenvertreter_innen in die Sied­lung und teil­ten den Roma mit, dass ihre Wohn­stät­ten am 2. Juni geräumt wür­den. Aller­dings erklär­ten sie den Bewohner_innen nicht, wie genau dies gesche­hen wür­de, was bei den Roma Besorg­nis und Furcht her­vor­rief. Amnes­ty Inter­na­tio­nal geht davon aus, dass die Siedlungsbewohner_innen nicht kon­sul­tiert wur­den und den Fami­li­en kei­ne alter­na­ti­ven Unter­kunfts­mög­lich­kei­ten ange­bo­ten wor­den sind. Die Roma befin­den sich nun in einer pre­kä­ren Situa­ti­on ohne Per­spek­ti­ve und sind in Gefahr, obdach­los zu wer­den. / Die Kin­der der Sied­lung sind an ihren Schu­len gut inte­griert und wer­den von ihren Mitschüler_innen und Lehrer_innen unter­stützt. Die fran­zö­si­sche inter­mi­nis­te­ri­el­le Ver­tre­tung für Woh­nen (Délé­ga­ti­on inter­mi­nis­té­ri­el pour l’hé­ber­ge­ment et l’ac­cès au loge­ment — DIHAL) hat die Bil­dung, die Roma-Kin­der in Bobi­gny der­zeit erhal­ten, als Bei­spiel für “gute Pra­xis” gelobt. Wenn die­se Fami­li­en ver­trie­ben wer­den, wird dies die Schul­bil­dung der Kin­der beein­träch­ti­gen, wie bereits in ande­ren Fäl­len rechts­wid­ri­ger Zwangs­räu­mun­gen gesche­hen, die von Amnes­ty Inter­na­tio­nal doku­men­tiert wur­den. Vie­le Jugend­li­che der Sied­lung enga­gie­ren sich ehren­amt­lich im Rah­men eines Pro­jekts zur sozia­len Inklu­si­on, das von Rom Civic ins Leben geru­fen wur­de, eine Initia­ti­ve, die von ver­schie­de­nen Minis­te­ri­en, die für jun­ge Men­schen, Woh­nungs­bau und sozia­le Inklu­si­on zustän­dig sind, begrüßt wird. Vie­le der erwach­se­nen Siedlungsbewohner_innen leben seit über zehn Jah­ren in Frank­reich, spre­chen Fran­zö­sisch und haben ent­we­der eine Arbeits­stel­le oder sind aktiv arbeits­su­chend. / Soll­te die­se rechts­wid­ri­ge Zwangs­räu­mung tat­säch­lich statt­fin­den, so wür­de sie gegen inter­na­tio­na­le Stan­dards ver­sto­ßen, die rechts­wid­ri­ge Zwangs­räu­mun­gen unter­sa­gen und fest­le­gen, dass Räu­mun­gen nur dann recht­mä­ßig sind, wenn die im Völ­ker­recht vor­ge­ge­be­nen Bestim­mun­gen über ent­spre­chen­de Schutz­maß­nah­men ein­ge­hal­ten wer­den. Hier­zu gehört auch die Vor­ga­be, den Betrof­fe­nen ange­mes­se­ne Alter­na­tiv­un­ter­künf­te zur Ver­fü­gung zu stel­len. Eine rechts­wid­ri­ge Zwangs­räu­mung der Sied­lung wür­de alle Fort­schrit­te, die von den Fami­li­en bei der Inte­gra­ti­on in die loka­le Gemein­de bereits erzielt wur­den, wie­der zunich­te­ma­chen.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 2. Juni 2014 hin­aus, unter »> ai : urgent action

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ein unfall

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whis­key : 3.05 — Es war ges­tern Nacht um kurz nach drei Uhr, da ist etwas Schreck­li­ches gesche­hen. Eine Kaf­fee­tas­se fiel mir aus der Hand in genau dem Moment, da ich Esme­ral­da auf dem Weg von der Küche in mein Arbeits­zim­mer pas­sier­te. Die klei­ne Schne­cke war mir auf dem Fuß­bo­den ent­ge­gen­ge­kom­men, viel­leicht woll­te sie nach­se­hen, wo ich geblie­ben war. Natür­lich wur­de sie von der Tas­se getrof­fen, ich hör­te ein hel­les Geräusch, die Tas­se zer­brach, Kaf­fee spritz­te gegen die Wän­de, und ich dach­te, dass Esme­ral­da die­sen Unfall nicht über­lebt haben könn­te. Ich rief: Esme­ral­da! Um Him­mels­wil­len! Und ging in die Knie. Aber anstatt eines Kalk­stein­scher­ben­hau­fens, fand ich eine äußer­lich voll­stän­dig intak­te Schne­cke vor, die sich aller­dings nicht beweg­te, ver­mut­lich des­halb, weil sie erschro­cken gewe­sen war. Ich hob sie vor­sich­tig auf, setz­te sie in der Küche auf einen Tel­ler und war­te­te. Es dau­er­te unge­fähr drei Stun­den, bis Esme­ral­da wie­der Zei­chen von Leben zeig­te. In die­ser Zeit wich ich nicht von ihrer Sei­te, berühr­te sie immer wie­der vor­sich­tig, um sie zu wecken, rede­te ihr gut zu, ein­mal ent­schul­dig­te ich mich für mei­ne Unacht­sam­keit. Esme­ral­das Kör­per schien in mei­nen Augen hel­ler gewor­den zu sein, er schim­mer­te, plötz­lich streck­te sie einen Füh­ler nach mir aus und so war ich unver­züg­lich wie­der glück­lich gewor­den. Seit­her sind bei­na­he 24 Stun­den ver­gan­gen. Ich kann in die­sem Augen­blick noch nicht sagen, ob Esme­ral­das Kri­se über­stan­den ist, denn sie ver­hält sich wei­ter­hin merk­wür­dig, kriecht den Rand des Tel­lers ent­lang, ohne eine Pau­se ein­zu­le­gen, immer im Kreis her­um, immer im Kreis her­um. Zeit­wei­se folg­te ich ihr mit einer Lupe, um ihr Gehäu­se nach Bruch­spu­ren zu unter­su­chen. Nicht der kleins­te Riss war zu erken­nen, nicht ein­mal ein Abrieb, ich konn­te den Ort, da die Tas­se auf ihrem Gehäu­se zer­schell­te, nicht fin­den. Und so läuft Esme­ral­da immer wei­ter im Kreis her­um. — stop

nach­rich­ten von esmeralda »
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am telefon

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sier­ra : 6.05 — Mein Freund Lou­is erzähl­te eine Geschich­te von einem Mann, dem er vor weni­gen Jah­ren in New York begeg­net sein will. Ich wer­de kurz berich­ten, obwohl es schon spät gewor­den ist. An dem Tag, an dem Lou­is’ Geschich­te sich ereig­ne­te, wan­der­te er durch die Stadt ohne Ziel. Manch­mal stieg er in einen Zug der Sub­way und fuhr irgend­wo­hin. Ein­mal, es war Abend gewor­den, erreich­te er Brigh­ton Beach, aber anstatt den Strand zu besu­chen, fuhr er sofort wie­der zurück. Das war ein gro­ßes Glück gewe­sen, denn hät­te er nur einen oder zwei spä­te­re Züge nach Man­hat­tan genom­men, wäre er dem Mann, von dem er mir erzähl­te, ver­mut­lich nie begeg­net. Die­ser Mann war ein klei­ner, schmäch­ti­ger Herr, der breit­bei­nig vor einer Tür stand und zu tele­fo­nie­ren schien. Er sprach, ohne eine Pau­se zu machen, mit lau­ter Stim­me Wör­ter, die Lou­is nicht ver­ste­hen konn­te. Als der Zug nach einer hal­ben Stun­de Fahrt über den Dächern Brook­lyns in den Unter­grund tauch­te, geschah etwas Selt­sa­mes, denn der Mann sprach wei­ter in sein Tele­fon, obwohl jede Funk­ver­bin­dung im Tun­nel­sys­tem sofort unter­bro­chen wur­de. Kaum jemand unter den Fahr­gäs­ten schien den klei­nen Mann zu bemer­ken. Eine Fünf-Mann-Band betrat den Wag­gon, sie spiel­te einen Brass­tan­go, der Zug beb­te und der schmäch­ti­ge Mann tele­fo­nier­te und lach­te und spen­de­te einen Dol­lar. In der Lex­ing­ton Ave­nue, Höhe 63. Stra­ße, stieg der Mann aus, fuhr mit der Roll­trep­pe in das Zwi­schen­ge­schoss, stieg zur Stra­ßen­ebe­ne hin­auf und lief wei­ter nord­wärts. Er hat­te bis dahin, eine Stun­de war seit sei­ner Ent­de­ckung ver­gan­gen, nie auf­ge­hört zu spre­chen, und auch jetzt, im Gehen, setz­te er sei­ne Rede fort. An der Ecke zur 83. Stra­ße besuch­te der Mann eine Piz­ze­ria, auch Lou­is trat in den düs­te­ren Laden ein. Er hör­te dem Mann wei­ter zu, wie er mit vol­lem Mund sei­nen Text voll­zog, als könn­te er unmög­lich auf­hö­ren, als wür­de etwas Schreck­li­ches gesche­hen, wenn er nur ein­mal für eine Sekun­de eine Pau­se mach­te. Bald trat der klei­ne, spre­chen­de Mann wie­der auf die Stra­ße und setz­te sei­nen Weg in Rich­tung Har­lem fort. Es war inzwi­schen spä­ter Abend gewor­den, die Luft küh­ler, Men­schen saßen ent­lang der Häu­ser­wän­de auf Klapp­stüh­len. Um kurz nach Mit­ter­nacht plötz­lich hielt der Mann an und ver­stumm­te. Er stand eini­ge Minu­ten ganz still. Er schien zu über­le­gen. Dann leg­te er das Tele­fon auf dem Boden ab, dreh­te sich um und mach­te sich auf den Weg zurück. Er ging zunächst süd­wärts über die Lex­ing­ton Ave­nue, Höhe der 60. Stra­ße bog er nach links ab, schlen­der­te lang­sam zur Tram­way – Sta­ti­on, gegen drei Uhr lös­te er ein Ticket. — stop
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vom nachthausmuseum

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sier­ra : 20.14 — Mein lie­ber Freund, als ich Dei­nen nächt­li­chen Brief las von den Geräu­schen im Haus, in dem Du wohnst, erin­ner­te ich mich an eine Geschich­te, die ich vor zwei Jah­ren notier­te. Ich stel­le mir vor, die­se Geschich­te könn­te Dich inter­es­sie­ren. Wenn Du Fra­gen haben soll­test, wie man als Nacht­mensch unter Tag­men­schen sinn­voll exis­tie­ren kann, mel­de Dich bit­te unver­züg­lich. Dein Lou­is. ps. > Hier mei­ne Geschich­te: Das Muse­um der Nacht­häu­ser befin­det sich am Shore Bou­le­vard nörd­lich der Hell Gates Bridge, die den Stadt­teil Queens über den East River hin­weg mit Ran­di­lis Island ver­bin­det. Es ist ein recht klei­nes Haus, rote Back­stei­ne, ein Schorn­stein, der an einen Fabrik­schlot erin­nert, ein Gar­ten, in dem ver­wit­ter­te Apfel­bäu­me ste­hen, und der Fluss so nah, dass man ihn rie­chen kann. Wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges, zufäl­lig, ent­deck­te ich die­ses Muse­um, von dem ich nie zuvor gehört hat­te. Es war ein spä­ter Nach­mit­tag, ich muss­te etwas war­ten, weil, so war zu lesen, das Muse­um nicht vor Ein­bruch der Däm­me­rung geöff­net wür­de. Es ist eben ein Muse­um für Nacht­men­schen, die in Nacht­häu­sern woh­nen, wel­che erfun­den wor­den waren, um Nacht­men­schen art­ge­rech­tes Woh­nen zu ermög­li­chen. Als das Muse­um öff­ne­te, war ich schon etwas müde gewor­den, und weil ich der ein­zi­ge Besu­cher in die­ser Nacht gewe­sen war, führ­te mich ein jun­ger Mann her­um. Er war sehr gedul­dig, war­te­te, wenn ich wie wild in mein Notiz­buch notier­te, weil er über­aus span­nen­de Geschich­ten erzähl­te von jenen merk­wür­di­gen Gegen­stän­den, die in den Vitri­nen des Muse­ums ver­sam­melt waren. Von einem die­ser Gegen­stän­de will ich kurz erzäh­len, von einem metal­le­nen Wesen, das mich an eine Kreu­zung zwi­schen einem Gecko und einer Spin­ne erin­ner­te. Das Ding war ver­ros­tet. Es hat­te die Grö­ße eines Schuh­kar­tons. An je einer Sei­te des Objekts saßen Bei­ne fest, die über Saug­näp­fe ver­füg­ten, eine Kame­ra thron­te oben­auf wie ein Rei­ter. Der jun­ge Mann erzähl­te, dass es sich bei die­sem Gerät um ein Instru­ment der Ver­tei­di­gung han­de­le, aus einer Zeit, da Nacht­men­schen mit Tag­men­schen noch unter den Dächern ein und der­sel­ben Häu­ser wohn­ten. Das klei­ne Tier saß in der Vitri­ne, als wür­de er sich ducken, als wür­de es jeder­zeit wie­der eine Wand bestei­gen wol­len. Das war näm­lich sei­ne vor­neh­me Auf­ga­be gewe­sen, Zim­mer­wän­de zu bestei­gen in der Nacht, sich an Zim­mer­de­cken zu hef­ten und mit klei­nen oder grö­ße­ren Ham­mer­werk­zeu­gen Klopf,- oder Schlag­ge­räu­sche zu erzeu­gen, um Tag­men­schen aus dem Schlaf zu holen, die ihrer­seits weni­ge Stun­den zuvor noch durch ihre har­ten Schrit­te den Erfin­der der Geck­oma­schi­ne, einen Nacht­ar­bei­ter, aus sei­nen Träu­men geris­sen hat­ten. Ja, zum Teu­fel, schon zum hun­derts­ten Male war das so gesche­hen, obwohl man aller freund­lichst um etwas Ruhe, um etwas Vor­sicht gebe­ten hat­te, nein gefleht, nein geflüs­tert. Es war, sag­te der jun­ge Mann, immer so gewe­sen damals in die­ser schreck­li­chen Zeit, dass sich jene Tag­men­schen, die über geräu­mi­gen Zim­mern wohn­ten, sicher fühl­ten vor jenen Nacht­men­schen, die unter ihnen wohn­ten und mit ihren Schrit­ten die Zim­mer­de­cke nie­mals errei­chen konn­ten. Aus und fini! — stop

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montevideo

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MELDUNG. Selt­sa­me Din­ge gesche­hen in dem zen­tra­len Par­que Pra­do zu Mon­te­vi­deo. Segel­fal­ter der Gat­tung Iphicli­des ant­ar­c­ti­ca 8bX haben sich zu Grup­pen ver­sam­melt, flie­gen For­ma­tio­nen, bil­den Kugeln, Qua­der und wei­te­re geo­me­tri­sche Kör­per. Bei Regen, so heu­te Mor­gen gesche­hen, stellt man exakt gezir­kel­te Tür­me in die Luft. Die Stadt wird unter Qua­ran­tä­ne gestellt. — stop

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