MENSCH IN GEFAHR : “Milagro Sala, ehrenamtliche Sprecherin der Organisation Tupac Amaru, befindet sich seit dem 16. Januar 2016 willkürlich in Haft. Die argentinische Regierung muss sie umgehend freilassen, wie es die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen in einer Entscheidung vom 27. Oktober angeordnet hat. / Am 14. Dezember 2015 erstattete der Gouverneur der Provinz Jujuy, Gerardo Morales, Anzeige gegen Milagro Sala und das Netzwerk Sozialer Organisationen (Red de Organizaciones Sociales) wegen Protestierens vor dem Regierungsgebäude der Provinz Jujuy. Milagro Sala wurde am 16. Januar 2016 in Gewahrsam genommen. Obwohl ihre Freilassung angeordnet wurde, leitete man weitere strafrechtliche Verfahren gegen sie ein und behielt sie in Untersuchungshaft. / Im Februar reichten Amnesty International und andere Organisationen eine Beschwerde bei der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen ein und beantragten darüber hinaus beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte Schutzmaßnahmen für Milagro Sala. / Die Arbeitsgruppe kam am 27. Oktober zu dem Schluss, dass die “Inhaftierung von Milagro Sala willkürlich ist” und forderte die argentinische Regierung deshalb auf, “sie unverzüglich freizulassen”. Die Arbeitsgruppe stellte fest, dass zum Zeitpunkt ihrer Festnahme und Inhaftierung eine “Kette von Anschuldigungen” vorgebracht wurde, um eine Inhaftierung auf unbestimmte Zeit zu rechtfertigen. Zudem war Milagro Sala nach Ansicht der Arbeitsgruppe von der Regierung daran gehindert worden, ihr Recht auf Verteidigung wahrzunehmen, was eine Verletzung der Unabhängigkeit der Justiz darstellte. Darüber hinaus kam die Arbeitsgruppe nach Analyse der Rechtsgründe für die Inhaftierung von Milagro Sala zu dem Schluss, dass es keine Grundlage für ihre Inhaftierung gebe. / Am 3. November forderte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte von der argentinischen Regierung Informationen darüber, welche Maßnahmen sie ergriffen hat, um die Entscheidung der UN-Arbeitsgruppe umzusetzen. Daraufhin erklärte der Staatssekretär für Menschenrechte öffentlich, dass “der Bericht dieser Arbeitsgruppe als Meinungsäußerung zu betrachten und in keiner Weise bindend ist”. Der Gouverneur der Provinz Jujuy soll gesagt haben: “Ich werde diese Frau nicht freilassen.” Milagro Sala ist nach wie vor willkürlich inhaftiert.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 29. Dezember 2016 hinaus, unter > ai : urgent action
Aus der Wörtersammlung: riff
passport
echo : 5.05 — Ob ich etwas tatsächlich weiss, ist nicht bedeutend. Wirklich bedeutend ist, ob ein elektronisches System, das sich meiner Zeichen bemächtigt haben könnte, annimmt, dass ich von etwas oder jemandem Kenntnis habe, das oder der als geheim, beziehungsweise gefährlich zertifiziert werden müsste. Vor Jahren, auch heute, immer wieder die Frage: Wie mutig wäre ich im Widerstand gegen den geheimdienstlichen Zugriff einer Diktatur auf meine Person? Wie genau würde ich mich verhalten, wenn man versuchte, mich für Spionagearbeit unter Freunden zu gewinnen? Ich bin in der Suche nach einer Antwort noch keinen Schritt vorangekommen. Stattdessen weitere Fragen. Welcher Art könnten die Werkzeuge sein, Druck auf mich auszuüben? Würde mir Tortur angekündigt oder nahestehende Menschen mit dem Tod bedroht? Existieren Orte meiner Persönlichkeit, die sich als so schwach erweisen, dass man dort Zugang finden könnte? Habe ich einen geheimen Preis? Meine Schreibmaschine? Meinen Reisepass? — stop
oft habe man tage lang gewartet
nordpol : 2.58 — Von ihrer Zeit, die sie als Flüchtlingskind auf dem Land verbrachte, erzählt Mutter immer wieder gern. Sie hatten genug zu essen, weil sie und ihre Schwestern bei einer Bauernfamilie wohnten. Wenn der Vater am Wochenende zu Besuch kam, ahnte sie nichts von Tieffliegerangriffen auf Züge, mit welchen der Vater reiste, aber an seine staubigen Anzüge, weil er sich auf den Boden werfen musste. Die brennende Stadt München, obwohl in großer Entfernung liegend, war im Schein der Feuer damals am Horizont zu erahnen gewesen, wie Abendrot inmitten der Nächte. Dann das Warten auf eine Nachricht am nächsten Morgen. Oft habe man Tage lang gewartet. Sie selbst habe zweimal einen Bombenangriff auf München erlebt, das war zu Beginn des Luftkrieges. Sie habe sich nicht gefürchtet, es sei vielmehr spannend gewesen mit ihren Nachbarn und anderen Leuten so eng in einem Keller zu sitzen. Es gab Pralinen für die Kinder und einen Geschichtenerzähler. Ein Jahr später sei ihre große Schwester nach einem Angriff lange Zeit verschüttet gewesen und deshalb für Wochen verstummt. In dieser Zeit habe sie gehört, dass die Schollwöcks abgeholt worden seien, sie könne nicht sagen, weshalb sie als Kind schon wusste, dass das Abholen etwas Schreckliches gewesen sein musste für die, die abgeholt wurden. Sie habe beobachtet, dass die Abgeholten niemals wiedergekommen seien, und dass von ihnen bald nicht mehr gesprochen wurde. Das alles habe sie als Kind schon so bemerkt, weil Kinder sehr viel mehr bemerkt haben, als die Erwachsenen vielleicht glaubten. Dass die Eltern in der Wohnung vor dem Krieg das Hitlerbild immer umgedreht haben, davon durfte sie nicht erzählen, in der Schule nicht und auch anderswo nicht. Einmal sei sie vom Land her wieder in die zerstörte Stadt zurückgekommen, es war ein nebliger Tag gewesen, sie habe zunächst gedacht, es sei der Nebel, aber das Haus, in dem sie und ihre Schwestern aufgewachsen waren, existierte nicht mehr. Damals würden sie Bisamratten gegessen haben, die schmeckten sehr gut, und der Vater sei gelb geworden im Gesicht, weil seine letzte Niere langsam versagte. In dieser Zeit habe der Vater ihr viel von der Welt erzählt, wie sie funktioniert, er sei verstört gewesen, dann sei er gestorben. — stop
1:16:15
echo : 0.08 — Auf dem Kapitol zu Washington berichtet ein pakistanischer Bürger, Überlebender eines Drohnenangriffs, im Beisein seiner Kinder Abgeordneten des amerikanischen Kongresses: Ich mag keine blauen Himmel mehr. Graue Himmel sind mir lieber. Bei grauem Himmel fliegen die Drohnen nicht. Für kurze Zeit lassen die Angst und die Anspannung nach. Klart der Himmel auf, kehren die Drohnen zurück und mit ihnen die Angst. Wenige Minuten später sind in dem norwegischen Dokumentarfilm Drone Kinder zu sehen, die mit Steinschleudern gegen den Himmel schiessen. Auf Flachdächern eines Dorfes werden überlebensgroße Porträts von Opfern des Luftkrieges ausgelegt. Der Versuch eines Gespräches, wie mir scheint, mit in der Ferne operierenden Piloten der Drohnenmaschinen am Himmel, Klage, Bitte, Mahnung. Ist das eine Nachricht? — stop
aleppo
romeo : 0.15 — Ärzte ohne Grenzen notieren am 15. Okober 2016: “Syrische und russische Luftangriffe haben innerhalb von 24 Stunden vier Krankenhäuser im belagerten Ost-Aleppo getroffen. Eines der Krankenhäuser wurde dabei schwer beschädigt, mindestens zwei Ärzte wurden verletzt. Auch ein Krankenwagen wurde bei den Angriffen zerstört und dessen Fahrer getötet. / Das Gesundheitssystem im belagerten Ost-Aleppo erlitt damit am 14. Oktober die schwersten Schäden seit dem Scheitern der kurzen Waffenruhe Ende September. Die Intensität der Luftangriffe auf die nordsyrische Stadt nahm in den Tagen zuvor weiter zu. / Laut der Direktion für Gesundheit sowie dem forensischen Zentrum in Ost-Aleppo starben dort zwischen dem 11. und dem 14. Oktober mindestens 62 Menschen, 467 Menschen wurden verletzt, darunter 98 Kinder. Die Zahl der Toten und Verwundeten liegt möglicherweise noch höher, denn viele Familien begraben ihre Toten selbst, ohne sie in ein Krankenhaus zu bringen. / “Die Stadt bricht immer weiter zusammen” / „Die rücksichtslosen Luftangriffe sind eindeutig noch schlimmer geworden“, sagt Carlos Francisco, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen für Syrien. „Eines der Krankenhäuser, die gestern getroffen wurden, wurde stark beschädigt. Es ist ein wichtiges chirurgisches Zentrum, das in den vergangenen Wochen schon dreimal getroffen worden ist. Die Intensität der Angriffe erstickt die wenigen medizinischen Kapazitäten, die das Gesundheitssystem in Aleppo noch hat. Die Stadt bricht immer weiter zusammen, Tag für Tag, Stunde für Stunde. Syrien und Russland zerstören die letzten Orte, an denen noch Leben gerettet werden können. Damit zeigen sie, dass sie in Ost-Aleppo jegliches Leben unmöglich machen wollen.“ / Laut Berichten von Krankenhausmitarbeitern in Ost-Aleppo wurden bei den Angriffen vom 14. Oktober zwei Ärzte verletzt, ein Lagerverwalter eines der Krankenhäuser erlitt Verbrennungen. Bislang gab es in Aleppo noch 35 Ärzte für rund 250.000 Menschen. Nur sieben von ihnen sind Chirurgen, die Kriegsverletzte operieren können. Seit dem Beginn der Belagerung des Ostteils im Juli wurden die wenigen verbliebenen Krankenhäuser 27 Mal getroffen, nicht ein einziges Krankenhaus ist bei den Luftangriffen ohne Schaden geblieben. / Nur noch elf funktionstüchtige Krankenwagen / Auch ein Krankenwagen der Nichtregierungsorganisation (NGO) Al-Scham-Humanitarian-Foundation (AHF) wurde am 14. Oktober komplett zerstört, der Fahrer wurde getötet. Die AHF stellt den Menschen in Syrien seit 2011 kostenlose medizinische Hilfe zur Verfügung. Erst einige Tage zuvor hatte die Direktion für Gesundheit berichtet, dass aufgrund der Luftangriffe sowie der fehlenden Ersatzteile nur noch elf funktionsfähige Krankenwagen in Ost-Aleppo bereitstehen. Freiwillige und NGOs nutzen einfache Fahrzeuge, um Verwundete zu transportieren. / „Wir haben es bereits gesagt und sagen es erneut: Alle Konfliktparteien müssen ermöglichen, dass schwer Verwundete und Kranke aus der Stadt gebracht werden, bevor es zu spät ist“, sagt Pablo Marco, Leiter der Nahost-Programme von Ärzte ohne Grenzen. „Überlebenswichtige Güter und medizinisches Material müssen in die Stadt gebracht werden können. Die Menschen dort leiden nicht nur unter dem anhaltenden Bombenhagel, sondern auch darunter, dass sie überhaupt keine Unterstützung erhalten.“ / Ärzte ohne Grenzen unterstützt in Ost-Aleppo alle acht verbliebenen Krankenhäuser. Landesweit unterstützt die Hilfsorganisation mehr als 150 Gesundheitszentren und Kliniken. Im Norden Syriens betreibt Ärzte ohne Grenzen selbst sechs medizinische Einrichtungen. Zu den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten einschließlich West-Aleppo erhält die Organisation keinen Zugang. - stop
aleppo
himalaya : 0.02 — Vielleicht darf ich folgenden Bericht in voller Länge wiedergeben. Der junge Journalist Zouhir al Shimle berichtet via E‑Mail für Die Zeit: Seit Aleppo belagert ist, fliegen Assads Truppen und seine Verbündeten jeden Tag Luftschläge auf die Viertel der Rebellen, also auch dort, wo ich lebe. Ununterbrochen dröhnen Kampfjets über uns hinweg, Helikopter kreisen über den Häusern. Jeden Tag sterben hier fast fünfzig Zivilisten. Wir leben in einem nie endenden Getöse von Schießereien, Explosionen, Geschrei. Die meisten von uns trauen sich nicht mehr, nach draußen zu gehen. Manchmal hetzen ein paar Leute die Straßen entlang, um Lebensmittel zu besorgen – und rennen sofort nach dem Einkauf zurück in ihre Wohnungen. Dabei ist es zu Hause nicht sicherer als auf der Straße. Denn die Bomben treffen auch unsere Häuser. Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich das Donnern der Kampfflugzeuge, von irgendwo her dringt Gefechtslärm. Gott sei Dank habe ich bisher alle Angriffe überlebt. Aber vor ein paar Tagen war ich dem Tod so nah wie nie zuvor. Ich war im Viertel Al-Mashhad unterwegs, dort, wo mein Büro ist. Ich stand gerade im Laden in unserer Straße, um mir etwas zu trinken zu kaufen, als die erste Fassbombe einschlug, gerade mal fünf Häuser von uns entfernt. Ich duckte mich für einige Sekunden vor den umherfliegenden Metallteilen. Dann rannte ich raus auf die Straße. Nur wenige Sekunden später schlug in der Straße die zweite Faßbombe ein. Ein Metallsplitter bohrte sich in meinen Rücken, ein anderer in mein Bein. Ich rannte von der Straße wieder zurück zum Laden. Und war vor Schock wie gelähmt: Sieben Menschen, die dort Schutz vor der zweiten Bombe gesucht hatten, waren tot, zerquetscht vom Schutt der eingestürzten Decke. Sie starben nur, weil sie sich in den Sekunden der Explosion anders entschieden hatten: Sie hielten sich zwischen den Regalen versteckt, während ich auf die Straße lief. Nur deswegen habe ich als Einziger von uns überlebt. Die Helfer hatten große Mühe, die verdrehten und durchtrennten Körper aus dem Geröll zu ziehen. Angehörige der Toten lagen am Boden und schrien, Kinder weinten. Aus einigen Körpern quollen Innereien, überall lagen abgetrennte Hände und Beine. Insgesamt starben durch diese Angriffe 15 Menschen, 25 – mit mir – wurden verletzt. Ich kann diese Bilder nicht vergessen. Ich hätte einer dieser Körper sein können. Ich wurde schnell in ein Krankenhaus gebracht, doch helfen konnte mir dort niemand. Zu viele Menschen brauchten Hilfe, unaufhörlich brachten Männer neue Tragen mit Schwerverletzten hinein. Während ich auf den Arzt wartete, sah ich so viel Blut, dass ich zu halluzinieren begann. Ein Freund brachte mich deshalb in ein anderes Krankenhaus, wo sich Schwestern um mich kümmerten. Sie entfernten einen Metallsplitter, der andere steckt noch in meinem Bein. Sie sagen, er könne erst in einiger Zeit entfernt werden. Doch es sind nicht nur die Bomben und Gefechte, die unser Überleben immer schwerer machen. Das Regime hat nun auch die Castello-Straße eingenommen. Sie ist eine Todeszone geworden: Ständig wird geschossen, brennende Autos liegen am Straßenrand. Das Regime kämpft dort mit aller Macht – und schneidet uns damit von der Außenwelt ab. Die Castello-Straße war bislang die einzige Verbindung von Aleppo nach draußen, in die Vororte und in die Türkei. Es war die Lebensader der Stadt, von dort haben wir Lebensmittel, Gas, Brennstoff, Trinkwasser und Medizin bekommen. Die Belagerung ist für uns dramatisch. Denn jetzt gibt es kaum noch Obst und Gemüse zu kaufen, überhaupt sind die Märkte fast leer. Auch haben wir immer weniger Brennstoff, wir verbrauchen gerade die letzten Reserven der Stadt. Bald schon werden wir in kompletter Dunkelheit leben. Das ist es, was das Regime und seine Milizen wollen: dass Aleppo langsam stirbt. Sie setzen dabei allein auf die Zeit. Wir, die noch rund 300.000 Verbliebenen, werden nicht mehr lange versorgt werden können. Ich fürchte, dass unser Untergang schließlich dadurch kommt, dass wir alle um Wasser und Brot kämpfen. Und dass die, die nicht mehr stark genug sind, darum zu kämpfen, einfach verhungern werden. Fakt ist: Wir sitzen fest. Wir haben keine Chance mehr, aus Ost-Aleppo herauszukommen. Ich habe immer mit drei Freunden in einer WG zusammen gewohnt. Jetzt ist nur noch einer von ihnen hier. Malek hat geheiratet und lebt nun mit seiner Frau zusammen, sie erwarten ein Baby. Der andere, Jawad, konnte in die Türkei entkommen. Sein Vater wurde bei einem Angriff schwer verletzt und Jawad konnte mit ihm vor ein paar Wochen in die Türkei fahren, damit er dort medizinische Hilfe bekommt. Jawad versucht, wieder zu studieren. Er wird nicht mehr nach Aleppo zurückkommen. So zynisch es klingt: Er hat Glück gehabt. Denn nur sehr kranke Menschen dürfen mit einer Begleitung den Grenzübergang Bab al-Salameh in die Türkei passieren. Die Türkei ist da sehr strikt. Für mich gilt das also nicht Selbst wenn ich Aleppo verlassen wollte: Ich kann es nicht. Die Bombardierungen in der Stadt sind zu stark, ich würde nicht mehr weit kommen. Ich weiß, dass ich hier nicht mehr wegkommen werde. Die Bomben fallen weiter, jeden Tag, jede Stunde. Sie treffen alles, was sich bewegt. Ich sitze in Aleppo fest. Aber noch bin ich am Leben. — stop
eine geschichte von büchern
nordpol : 4.02 — B. erzählte gestern, warum sie ihren Liebhaber M. nun wirklich zum letzten Mal aus ihrer Wohnung geworfen habe. Sie sei, sagte sie, ihrem jungen Freund noch immer sehr verbunden, aber es sei eben auch so, dass sie gelernt habe, niemals vorhersagen zu können, was M. Verrücktes in der nächsten oder übernächsten Stunde unternehmen würde. Einmal habe er sich auf eine Straße gelegt, um Kindern, die ihn beobachteten, vorzuführen, was geschehen würde, wenn sie bei Rot über die Straße gingen. Er sei dann bald selbst überfahren worden, nur weil die Kinder winkend auf der Straße einem sich nähernden Bus entgegengelaufen seien, war er vermutlich am Leben geblieben. Wiederholt, sieben oder acht Male, sei er außerdem in das Klassenzimmer, in dem B. gerade unterrichtete, eingedrungen, um ihr, mit Rosen bewaffnet, je einen Heiratsantrag zu eröffnen. Einmal, das werde sie niemals vergessen, sei M. während einer Filmvorführung im Metropolis-Kino aufgesprungen und habe darum gebeten, den Film sofort anzuhalten, zurückzuspulen und langsam wieder vorwärts laufen zu lassen, da er etwas Besonderes beobachtet haben wollte, er sei sich aber nicht sicher gewesen, er müsste das überprüfen. Nun also habe sich M. an ihrer, B.’s, Bibliothek vergriffen. Zweitausend Bücher, sorgfältigst sortiert, Philosophie, Kunst, Reise, Dichtung, ein System, in dem sie sofort jedes gesuchte Buch noch im Traum finden konnte. Auch wenn er in guter Absicht gehandelt haben mochte, an einem Vormittag, da sie unterrichtete, habe M. ihre Bibliothek völlig neu organisiert, er habe ihre Bücher sowohl der Größe, als auch der Farbe ihrer Buchrücken nach in die Regal einsortiert, noch schlimmer sei gewesen, dass er sich ihre Empörung nicht erklären konnte. Sie habe ihn in die Arme genommen, und dann habe sie ihn behutsam auf den Gehsteig vor ihr Haus gestellt. — stop
ai : BAHRAIN
MENSCH IN GEFAHR : “Der bahrainische Menschenrechtsverteidiger Nabeel Rajab ist am 13. Juni festgenommen worden. Er ist wegen “Verbreitung von falschen Informationen und Gerüchten mit dem Ziel, den Staat in Verruf zu bringen” angeklagt. Die Staatsanwaltschaft hat eine siebentägige Haftanordnung gegen ihn erlassen. Er ist ein gewaltloser politischer Gefangener. Am 13. Juni gegen 5 Uhr morgens umstellten Bereitschaftspolizist_innen das Viertel des Dorfes Bani Jamra westlich der Hauptstadt Manama, in dem Nabeel Rajab wohnt, und nahmen den Menschenrechtsverteidiger fest. Sie legten einen Durchsuchungsbeschluss für sein Haus sowie einen Haftbefehl gegen ihn und einen Beschluss für seine Übergabe an die Kriminalpolizei vor. Eine Begründung für diese Maßnahmen war daraus jedoch nicht ersichtlich. Sein Handy und sein Computer wurden beschlagnahmt und er ist auf die Polizeistation in Ost-Riffa südlich von Manama gebracht worden, wo er sich noch immer befindet. Man hat ihm erlaubt, seine Familie anzurufen. Am 14. Juni hat man Nabeel Rajab zur Staatsanwaltschaft gebracht, wo er wegen “Verbreitung von falschen Informationen und Gerüchten mit dem Ziel, den Staat in Verruf zu bringen” angeklagt wurde. Die Staatsanwaltschaft erließ zudem wegen der laufenden Ermittlungen eine siebentägige Haftanordnung gegen ihn. Die Rechtsbeistände von Nabeel Rajab waren bei dem Termin am 14. Juni anwesend. Als seine Angehörigen ihn gegen 21 Uhr desselben Tages besuchten, sagte er ihnen, dass man ihn anders als andere Gefangene in Einzelhaft festhalte. Gegen Nabeel Rajab wird zusätzlich wegen separater Vorwürfe bezüglich einiger Twitter-Kommentare und geteilter Twitter-Nachrichten ermittelt. Themen der Kommentare sollen der Krieg im Jemen und Foltervorwürfe im Zusammengang mit einem Häftlingsstreik am 10. März 2015 im Jaw-Gefängnis gewesen sein. Sollte auch dieser Fall vor Gericht gebracht und Nabeel Rajab verurteilt werden, drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Im November 2014 wurde ein Reiseverbot gegen ihn verhängt.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 28. Juli 2016 hinaus, unter > ai : urgent action
auf stelzen
delta : 5.15 — Ein merkwürdiger Tag, die halbe Stadt steht im Wasser wie auf Stelzen. Man hört das Wasser nicht, aber es ist anwesend, in den Kellern, in den Stimmen in den Telefonen, den Unterführungen, den tiefer gelegenen Straßen. Spät, hoch auf einem Stelzhaus, sagte Marguerite Duras in einem Gespräch mit dem französischen Regisseur Benoît Jacquot gestern auf einem Fernsehbildschirm berührende Sätze über das wilde Schreiben, über die Verbindung von Zweifel und Einsamkeit. Ein Schriftsteller sei stumm. Unmöglich über ein Buch zu sprechen, das gerade im Entstehen begriffen ist. Ein Buch sei Nacht. — stop
ai : SÜDAFRIKA
MENSCHEN IN GEFAHR : “Im März wurde der südafrikanische Landrechtsaktivist und Vorsitzende des Amadiba Crisis Committee (ACC), Sikhosiphi Rhadebe, erschossen. Kurz vor seinem Tod hatte er erfahren, dass sein Name sowie die Namen zweier weiterer Sprecher_innen des ACC auf einer “Abschussliste” stehen. Es gibt Zweifel an der Gründlichkeit der Untersuchungen der Tötung. Zudem besteht Sorge um die Sicherheit der beiden ACC-Sprecher_innen sowie weiterer Aktivist_innen, die in Xolobeni gegen ein Bergbauprojekt kämpfen. Sikhosiphi “Bazooka” Rhadebe wurde am 22. März 2016 von zwei Männern erschossen, die ihn bei sich zuhause in Lurholweni in der Provinz Ostkap aufsuchten und sich als Polizisten ausgaben. Sein minderjähriger Sohn war bei dem Vorfall anwesend. Wenige Stunden vor seinem Tod hatte Sikhosiphi Rhadebe erfahren, dass sein Name auf einer “Abschussliste” stand. Auf dieser Liste befinden sich zudem die Namen zweier weiterer ACC-Mitglieder, Mzamo Dlamini und Nonhle Mbuthuma. Sikhosiphi Rhadebe war Leiter des ACC, einer Gemeinschaftsinitiative gegen den Abbau von Titan und anderen Schwermetallen in einem Tagebau auf Gemeinschaftsland in Xolobeni durch ein lokales Tochterunternehmen des australischen Konzerns Mineral Commodities Limited (MRC). Das ACC befürchtet, dass infolge des Bergbauprojekts Hunderte Angehörige der Gemeinschaft der Umgungundlovu von ihrem angestammten Land vertrieben werden, und dass durch Umweltschäden wie z. B. Wasserverschmutzung ihr Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (einschließlich Zugang zu sauberem Trinkwasser) verletzt wird. Das ACC besteht aus etwa 3.000 Mitgliedern und kämpft seit zehn Jahren für die Rechte der Anwohner_innen, die im Fall einer Bergbaulizenz für die MRC-Tochtergesellschaft gefährdet wären. ACC-Mitglieder sind wegen ihrer Arbeit bedroht und angegriffen worden, unter anderem auch von Anwohner_innen, die das Bergbauprojekt unterstützen. Die Organisation hat diese Angriffe bei der Polizei angezeigt, die jedoch größtenteils untätig geblieben ist. Nach der Tötung von Sikhosiphi Rhadebe sind führende ACC-Mitglieder äußerst besorgt um ihre Sicherheit. Kurz nach dem Vorfall übergab die örtliche Polizei die Untersuchung der Tötung an die Einheit zur Untersuchung schwerer Straftaten (Directorate for Priority Crimes Investigation — DCPI) des nationalen Polizeidienstes. Doch die Ermittlungen weisen einige Mängel auf, was Zweifel daran aufkommen lässt, ob die Familie von Sikhosiphi Rhadebe Gerechtigkeit erfahren wird.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 6. Juli 2016 hinaus, unter > ai : urgent action