Abschnitt Neufundland meldet folgende gegen Küste geworfene Artefakte : Wrackteile [ Seefahrt – 102, Luftfahrt — 24, Automobile — 503], Grußbotschaften in Glasbehältern [ 18. Jahrhundert — 2, 19. Jahrhundert – 18, 20. Jahrhundert – 326, 21. Jahrhundert — 788 ], Trolleykoffer [ blau : 3, rot : 77, gelb : 8, schwarz : 866 ] physical memories [ bespielt — 166, gelöscht : 12 ], Seenotrettungswesten : [ 6788 ], Ameisen [ Arbeiter ] auf Treibholz [ 10 ], Brummkreisel : 3, Öle [ 0.88 Tonnen ], Hörrauschgeräte Typ Audifon Sueno T : 2, Prothesen [ Herz — Rhythmusbeschleuniger – 6, Kniegelenke – 698, Hüftkugeln – 12, Brillen – 77 ], Halbschuhe [ Größen 28 – 39 : 551, Größen 38 — 45 : 43 ], Plastiksandalen [ 8722 ], Reisedokumente [ 108 ], Kühlschränke [ 1 ], Telefone [ 536 ], Puppenköpfe [ 18 ] Gasmasken [ 6 ], Tiefseetauchanzüge [ ohne Taucher – 1, mit Taucher – 2 ], Engelszungen [ 101 ] | stop |
Aus der Wörtersammlung: rot
ai : IRAN
MENSCH IN GEFAHR: „Die iranische Menschenrechtsverteidigerin und gewaltlose politische Gefangene Narges Mohammadi befindet sich seit dem 27. Juni im Hungerstreik. Sie protestiert damit gegen die fortgesetzte Weigerung der Behörden, ihr den telefonischen Kontakt zu ihren neunjährigen Zwillingen zu ermöglichen. Da Narges Mohammadi schwer krank ist und mehrere Medikamente nehmen muss, sind ihre Gesundheit und ihr Leben aufgrund des Hungerstreiks noch mehr gefährdet. Die bekannte Menschenrechtsverteidigerin und gewaltlose politische Gefangene Narges Mohammadi ist am 27. Juni in einen Hungerstreik getreten. Sie sieht darin die letzte Möglichkeit des Protests gegen die anhaltende Weigerung der Behörden, ihr den telefonischen Kontakt zu ihren Kindern zu erlauben. Ihre inzwischen neunjährigen Zwillinge mussten vor einem Jahr ins Ausland zu ihrem Vater ziehen, da sich im Iran seit der Inhaftierung von Narges Mohammadi im Mai 2015 niemand um sie kümmern konnte. Die Menschenrechtlerin durfte im vergangenen Jahr lediglich ein Telefongespräch mit ihren Kindern führen. Am 27. Juni schrieb sie aus dem Evin-Gefängnis einen Brief, in dem sie ihren Hungerstreik ankündigte. Darin erklärte Narges Mohammadi, dass alle ihre Anträge auf telefonischen Kontakt zum ihren Kindern abgelehnt worden seien, bis ihr am 2. April auf schriftliche Anweisung des Staatsanwalts von Teheran ein zehnminütiges Gespräch mit ihren Zwillingen erlaubt worden sei. Sie schrieb: “Ich kann mich nicht mehr an ihre Stimmen erinnern. Ihre Fotos stehen nicht mehr neben meinem Bett. Ich kann es nicht mehr ertragen, sie anzuschauen … [Die Behörden] betrachten es als Verbrechen, dass ich eine Menschenrechtsverteidigerin bin. Aber noch schmerzhafter ist, dass sie mir vorenthalten, Frau und Mutter zu sein. Bis zum Tag an dem ich sterbe und für immer verstumme, werde ich protestieren und ich werde das alles nie vergessen.” Im Februar 2016 hatte sie einen offenen Brief an die Oberste Justizautorität geschrieben, in dem sie beklagte, dass die Behörden ihr den telefonischen Kontakt mit ihren Kindern verweigerten, um sie noch mehr zu bestrafen. Narges Mohammadi ist schwer krank. Sie leidet an einer Lungenembolie (ein Blutgerinnsel in ihren Lungen) und an einer neurologischen Erkrankung, die zu Krampfanfällen und Lähmungserscheinungen führt. Sie benötigt eine permanente fachärztliche Behandlung, die im Gefängnis nicht möglich ist. Zudem muss sie täglich Medikamente einnehmen. Der Hungerstreik bedeutet eine weitere Gefahr für ihre Gesundheit und ihr Leben. Am 3. Juli wurde sie aus dem Teheraner Evin-Gefängnis ins Krankenhaus Iran Mehr in Teheran gebracht, um Routineuntersuchungen wegen ihrer Lungenembolie vornehmen zu lassen. Narges Mohammadi wurde in einem unfairen Gerichtsverfahren im April 2016 in mehreren Anklagepunkten für schuldig befunden und zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Anklagepunkte lauteten auf “Gründung einer verbotenen Gruppierung” und “Verbreitung von Propaganda gegen das System”. Sie verbüßt bereits eine sechsjährige Haftstrafe, die in einem separaten Verfahren gegen sie verhängt wurde. Die Schuldsprüche stehen alle in Zusammenhang mit ihrer Menschenrechtsarbeit.“ — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 17. August 2016 hinaus, unter > ai : urgent action
eine geschichte von büchern
nordpol : 4.02 — B. erzählte gestern, warum sie ihren Liebhaber M. nun wirklich zum letzten Mal aus ihrer Wohnung geworfen habe. Sie sei, sagte sie, ihrem jungen Freund noch immer sehr verbunden, aber es sei eben auch so, dass sie gelernt habe, niemals vorhersagen zu können, was M. Verrücktes in der nächsten oder übernächsten Stunde unternehmen würde. Einmal habe er sich auf eine Straße gelegt, um Kindern, die ihn beobachteten, vorzuführen, was geschehen würde, wenn sie bei Rot über die Straße gingen. Er sei dann bald selbst überfahren worden, nur weil die Kinder winkend auf der Straße einem sich nähernden Bus entgegengelaufen seien, war er vermutlich am Leben geblieben. Wiederholt, sieben oder acht Male, sei er außerdem in das Klassenzimmer, in dem B. gerade unterrichtete, eingedrungen, um ihr, mit Rosen bewaffnet, je einen Heiratsantrag zu eröffnen. Einmal, das werde sie niemals vergessen, sei M. während einer Filmvorführung im Metropolis-Kino aufgesprungen und habe darum gebeten, den Film sofort anzuhalten, zurückzuspulen und langsam wieder vorwärtslaufen zu lassen, da er etwas Besonderes beobachtet haben wollte, er sei sich aber nicht sicher gewesen, er müsste das überprüfen. Nun also habe sich M. an ihrer, B.’s, Bibliothek vergriffen. Zweitausend Bücher, sorgfältigst sortiert, Philosophie, Kunst, Reise, Dichtung, ein System, in dem sie sofort jedes gesuchte Buch noch im Traum finden konnte. Auch wenn er in guter Absicht gehandelt haben mochte, an einem Vormittag, da sie unterrichtete, habe M. ihre Bibliothek vollkommen neu organisiert, er habe ihre Bücher sowohl der Größe, als auch der Farbe ihrer Buchrücken nach in die Regale einsortiert, noch schlimmer sei gewesen, dass er sich ihre Empörung nicht erklären konnte. Sie habe ihn in die Arme genommen, und dann habe sie ihn behutsam auf den Gehsteig vor ihr Haus gestellt. — stop
rot
india : 5.58 — Zwei Fotografien, die möglicherweise nicht mehr existieren, zeigen den Kopf eines älteren Mannes ohne Haare, dessen Mund weit geöffnet ist. In diesem weit geöffneten Mund hockt ein kleiner schwarzer Vogel von rotem Stirngefieder. Der Vogel scheint sich in dem Mund des alten Mannes wohlzufühlen, er kauert dort, als wäre der Mund sein Nest. Weitere Vögel sind auf dem Bild zu erkennen, die dem Vogel im Mund des Mannes gleichen, dunkles Gefieder, das über ihren Augen hellrot leuchtet. Vier Vögel sitzen auf dem Kopf des alten Mannes, fünf auf seinen Schultern, von einem Vogel ist am linken Rand der Fotografie nur ein Schwanz zu erkennen, zwölf Vögel befinden sich schwirrend in einem Orbit um den Kopf in der Höhe der Ohren, es sieht so aus als wären diese Vögel Kopfvögel, eine Spezies für sich, wie Putzerfische vielleicht, die Mondfische ein Leben lang begleiten. Auf einer zweiten Fotografie, von der sich nicht sagen lässt, ob sie vor oder nach der beschriebenen Aufnahme gefertigt wurde, zeigt sich der Mund des alten Mannes geschlossen, er lächelt. Strahlend blaue Augen sitzen hinter einer Brille, in deren Gläsern sich warmes Licht spiegelt. Als ich beide Bilder vor einiger Zeit nebeneinander legte, begann ich unverzüglich jene Vögel, die sich um den Kopf des Mannes herumbewegten oder auf ihm saßen, jeweils sorgfältig zu zählen. — stop
im nachtexpress
MELDUNG. In einem Großraumwagon des Nachtexpresses Mozart von München ( Flughafen ) nach Wien ( Hauptbahnhof ) sind gegen Mitternacht aufgrund versehentlicher Entfaltung eines 2‑Sekundenzeltes drei tasmanische Singzikaden ( Cicadidae ), 22 australische Knotenameisen ( rot / Myrmicinae ) sowie ein Dornteufelchen ( 25 Gramm ) in die Freiheit entwichen. Noch etwas Weiteres war flüchtig, das knurrte, ehe es verstummte. — stop
zwitschern
kilimandscharo : 2.02 — Beim Ohrenarzt trete ich durch eine schmale Tür in einen Saal. Vögel fliegen herum, sie piepsen und pfeifen, dass es eine wahre Freude ist. Da sind Rotkehlchen, Sperlinge, Tigerwaldsänger, Seidenschwänze, Ammern, Tangaren, Schwanzmeisen, woher ich nur diese wunderbaren Namen habe? Zwei Finken landen auf meinem Kopf, sie singen nicht nur, sie sprechen, sie sagen: Sie sind zu spät, haben Sie bitte etwas Geduld! Im Saal liegen zwanzig oder dreißig Menschen in Badewannen, andere sitzen auf Stühlen, tragen irgendwelche blinkenden Käfige über dem Kopf. Grad als ich mich heimisch fühle, bemerke ich einen Korb, in dem menschliche Ohren liegen, das war nahe der Joralemon Street. Ich sitze bald auf einer Bank mit Blick auf die Upper New York Bay. Es ist früher Abend. Wolkenloser Himmel. Noch immer kann ich nicht sagen, ob ich wirklich wach bin. — stop
gelb
nordpol : 0.12 — Wie gut, dass digitale Suchmaschinen existieren, die in der Lage sind, diesen Ort : particles : zu durchsuchen, sobald ich eine Frage an ihn richte, zum Beispiel, wie oft ich das Wort Blau verwendet habe in den vergangenen Jahren ( : 53 Mal ), oder das Wort Rot ( : 35 Mal ), das Wort Orange ( : 10 Mal, eher selten ), auch mit dem Wort Gelb war ich sparsam gewesen ( : 18 Mal ). Als ich das Wort Gelb, die Häufigkeit seines Vorkommens prüfte, erinnerte ich mich an einen wunderbaren Text, Uwe Johnsons Brief aus New York, in dem das Wort Gelb eine hervorragende Rolle spielt. Der Text beginnt so: Über was hier anders ist / in New York im Staat New York / weißt du es ist eine von jenen Städten in die die westberliner Zeitungsverleger kleine Klingeln aus Porzellan schicken an Familien denen ein Angehöriger umgebracht wurde bei dem Versuch Angehörige anderer Familien umzubringen / in Vietnam das ist noch hinter der Türkei / ein Brief über was hier anders ist über einen Unterschied / Ende der Überschrift // Gelb, zum Beispiel / Gelb ist hier anderswo / ich meine die ganze Farbenfamilie / was noch gelb ist oder so nahe an Gelb wie Ocker oder Kanarienvogel oder überhaupt alles im Bereich zwischen Rot und Grün / nicht nur any of the colors normally seen when the portion of the physical spectrum of wave lengths 571,5 to 578,5 millimicrons employed as a stimulus wie Webster sagt / sondern auch was mal gelb war / Gelb ist hier anderswo / nicht nur im Ei in den Mongolen in der Gelbsucht in Schwämmen Schmetterlingen Butterblumen / nie so viel Gelb gesehen wie hier … / — stop. Ich habe diesen Text in dem Buch Eine Literarische Landkarte entdeckt, das von Hans Magnus Enzensberger im Jahr 1999 herausgegeben wurde. Gleich werd ich mich an meinen Schreibtisch setzen und mit Bleistift ausgerüstet, das Wort Gelb zu zählen beginnen. — stop
pinguin
ulysses : 0.08 — Nachts bei geöffnetem Fenster: Geräusche eines Regenwaldes. Sie kamen um Sekunden in der Zeit verzögert über das Internet zu mir ins Zimmer. Ich glaube, der wilde Regenwald war ein peruanischer Regenwald, wunderbare Klänge, Vogel- und Affenstimmen, Regen und Wind in den Blättern der Bäume. Ich dachte, wenn doch nur jemand auf der anderen Seite der Leitung wahrnehmen könnte, welche Geräusche in einer mitteleuropäischen Wohnung unter dem Dach eines Hauses im Herzen einer großen Stadt in einer Nacht wie dieser Nacht zu hören sind. Ich prüfte das Mikrofon meiner Schreibmaschine. Dann stand ich auf und spielte aus der Konserve: Benny Goodman. Ich stellte mir vor, wie es für einen kurzen Moment im Wald drüben in Peru still werden würde, wie man lauscht auf den Bäumen, wie sich das Orchester der Waldtiere fröhlich neu sortieren würde. Es regnete, kaum war die Straße vor dem Haus noch zu sehen. Auf meinem Fensterbrett kauerten fünf nasse Spatzen, ein Rotkehlchen, zwei Amseln und eine Taube, auch sie lauschten. Deutlich konnte ich auf dem Giebel eines nahen Hauses einen Pinguin erkennen, der sich gegen den Regenwind stemmte. — stop
benny
goodman
lets dance
louis im gebirge
nordpol : 0.02 — Wieder während der Nacht lange sitzen. Nichts tun. Nur atmen. Gegen zwei Uhr Abstieg über eine steile Treppe aus der Kammer unter dem Dach, wo im Winter Tauben wohnen. Die Stufen der Treppe knarren bei jedem Schritt, seufzen, sprechen. Auf dem steilen, gefährlichen Pfad in der Nähe des Abgrunds vor der Hütte leichter, kühler Höhenwind. In den Bäumen Geräusche, als würden die Vögel murmeln im Schlaf. Es ist aber deshalb, weil es nie wirklich dunkel wird unterm Himmel voller Sterne. Stundenlang kann man sich von hier aus über das Nahen des Morgens streiten. Wie ich zurückkomme, Licht weit oben, ein kleines Fenster, alle weiteren Fenster sind ohne Licht. Plötzlich bin ich wieder bei mir, trete in die Kammer, die vor Kurzem noch ohne mich gewesen ist. Mein Heft auf dem Tisch. Draußen, von den Wiesen her, die Nachtglocken der Kühe, leise, leise. Ich notiere: Beobachtete unlängst eine japanische Reisende, die im Flughafensupermarkt mit ihrem Mobiltelefon 1 halbe Stunde lang Schokoladenengel filmte. — stop
louis im
gebirge
22. mai
2016
rot
echo : 0.02 — Ich träumte von einem roten Briefkasten. Als ich ihn öffnete, entdeckte ich weitere Briefkästen, rot wie der Briefkasten, der sie verwahrte. Es waren ungefähr zwölf Briefkästen in der Höhe und zwölf Briefkästen in der Breite. Als ich einen dieser kleinen Briefkästen besichtigte, waren in ihm zwölf Briefkästen in der Breite und zwölf Briefkästen in der Länge zu beobachten. In diesem Moment beschloss ich, in der Erkundung der Briefkästen nicht weiter fortzufahren. Ich erwachte und war zufrieden. – stop