tango : 2.01 — Vor wenigen Stunden erreichte mich die Nachricht von der Existenz weiterer Fotografien, die enthauptete Menschen zeigen sollen. Ein Verweis, der zu den Aufnahmen im Netz führe, sei auf Position Twitter zu lesen. Ich überlegte eine Weile, ob ich dem beigefügten Link folgen sollte. Ich dachte, wie nah wir doch immer wieder Höllenansichten kommen, die möglicherweise nur deshalb produziert werden, weil zu vermuten ist, dass Millionen Menschen weltweit sie betrachten werden. Ich notierte einen Briefentwurf: Mein lieber Maximilian, vielen Dank, dass Du mich wieder einmal auf schreckliche Ereignisse, die sich in der libyschen Wüste ereignet haben, aufmerksam machst. Noch einmal will ich Dich bitten, auf weitere Hinweise dieser Art zu verzichten, da ich leblose Köpfe nicht weiter besichtigen möchte, sie wirken so hilflos, müde, und entsetzt von der ungeheuren Gewalt, die in der letzten Sekunde ihres Lebens auf sie wirkte. Ich weiß, Du kannst selbst nicht damit nicht aufhören, Du zählst menschliche Köpfe ohne Leib, Du vergleichst leblose Gesichter, Du sicherst Beweise, ich nehme an, Du wirst Dich in dieser Arbeit weniger hilflos fühlen. Wie traurig, dass noch immer keine Nachricht von Julia bei Dir eingetroffen ist, keine Spur in der Wüste, kein Hinweis, es ist eine Tragödie. Vielleicht willst Du mich einmal besuchen! Wir könnten spazieren, Du könntest mir erzählen, ich könnte Dir zuhören. Im botanischen Garten wird gerade der Honig der Wildbienen geerntet. Herzliche Grüße sendet Dir Dein Louis – stop
Aus der Wörtersammlung: stunden
unordentliches kind
india : 0.58 — Unordentliches Kind: Jeder Stein, den es findet, jede gepflückte Blume und jeder gefangene Schmetterling ist ihm von Anfang an schon Sammlung, und alles, was es überhaupt besitzt, macht ihm eine einzige Sammlung aus. An ihm zeigt diese Leidenschaft ihr wahres Gesicht, der in den Antiquaren, Forschern, Büchernarren nur noch getrübt und manisch weiterbrennt. Kaum tritt es ins Leben, so ist es Jäger. Es jagt die Geister, deren Spur es in den Dingen wittert. Seine Nomadenjahre sind Stunden im Traumwald. Dorther schleppt es die Beute heim, um sie zu reinigen, zu festigen, zu entzaubern. Seine Schubladen müssen Zeughaus und Zoo, Kriminalmuseum und Krypta werden. Aufräumen hieße einen Bau vernichten voll stacheliger Kastanien, die Morgensterne, Stanniolpapiere, die ein Silberhort, Bauklötze, die Särge, Kakteen, die Totembäume und Kupferpfennige, die Schilder sind. Walter Benjamin. Ein Pfiff. — stop
ai : SÜDAFRIKA
MENSCHEN IN GEFAHR: „Im März wurde der südafrikanische Landrechtsaktivist und Vorsitzende des Amadiba Crisis Committee (ACC), Sikhosiphi Rhadebe, erschossen. Kurz vor seinem Tod hatte er erfahren, dass sein Name sowie die Namen zweier weiterer Sprecher_innen des ACC auf einer “Abschussliste” stehen. Es gibt Zweifel an der Gründlichkeit der Untersuchungen der Tötung. Zudem besteht Sorge um die Sicherheit der beiden ACC-Sprecher_innen sowie weiterer Aktivist_innen, die in Xolobeni gegen ein Bergbauprojekt kämpfen. Sikhosiphi “Bazooka” Rhadebe wurde am 22. März 2016 von zwei Männern erschossen, die ihn bei sich zuhause in Lurholweni in der Provinz Ostkap aufsuchten und sich als Polizisten ausgaben. Sein minderjähriger Sohn war bei dem Vorfall anwesend. Wenige Stunden vor seinem Tod hatte Sikhosiphi Rhadebe erfahren, dass sein Name auf einer “Abschussliste” stand. Auf dieser Liste befinden sich zudem die Namen zweier weiterer ACC-Mitglieder, Mzamo Dlamini und Nonhle Mbuthuma. Sikhosiphi Rhadebe war Leiter des ACC, einer Gemeinschaftsinitiative gegen den Abbau von Titan und anderen Schwermetallen in einem Tagebau auf Gemeinschaftsland in Xolobeni durch ein lokales Tochterunternehmen des australischen Konzerns Mineral Commodities Limited (MRC). Das ACC befürchtet, dass infolge des Bergbauprojekts Hunderte Angehörige der Gemeinschaft der Umgungundlovu von ihrem angestammten Land vertrieben werden, und dass durch Umweltschäden wie z. B. Wasserverschmutzung ihr Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (einschließlich Zugang zu sauberem Trinkwasser) verletzt wird. Das ACC besteht aus etwa 3.000 Mitgliedern und kämpft seit zehn Jahren für die Rechte der Anwohner_innen, die im Fall einer Bergbaulizenz für die MRC-Tochtergesellschaft gefährdet wären. ACC-Mitglieder sind wegen ihrer Arbeit bedroht und angegriffen worden, unter anderem auch von Anwohner_innen, die das Bergbauprojekt unterstützen. Die Organisation hat diese Angriffe bei der Polizei angezeigt, die jedoch größtenteils untätig geblieben ist. Nach der Tötung von Sikhosiphi Rhadebe sind führende ACC-Mitglieder äußerst besorgt um ihre Sicherheit. Kurz nach dem Vorfall übergab die örtliche Polizei die Untersuchung der Tötung an die Einheit zur Untersuchung schwerer Straftaten (Directorate for Priority Crimes Investigation — DCPI) des nationalen Polizeidienstes. Doch die Ermittlungen weisen einige Mängel auf, was Zweifel daran aufkommen lässt, ob die Familie von Sikhosiphi Rhadebe Gerechtigkeit erfahren wird.“ — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 6. Juli 2016 hinaus, unter > ai : urgent action
louis im gebirge
nordpol : 0.02 — Wieder während der Nacht lange sitzen. Nichts tun. Nur atmen. Gegen zwei Uhr Abstieg über eine steile Treppe aus der Kammer unter dem Dach, wo im Winter Tauben wohnen. Die Stufen der Treppe knarren bei jedem Schritt, seufzen, sprechen. Auf dem steilen, gefährlichen Pfad in der Nähe des Abgrunds vor der Hütte leichter, kühler Höhenwind. In den Bäumen Geräusche, als würden die Vögel murmeln im Schlaf. Es ist aber deshalb, weil es nie wirklich dunkel wird unterm Himmel voller Sterne. Stundenlang kann man sich von hier aus über das Nahen des Morgens streiten. Wie ich zurückkomme, Licht weit oben, ein kleines Fenster, alle weiteren Fenster sind ohne Licht. Plötzlich bin ich wieder bei mir, trete in die Kammer, die vor Kurzem noch ohne mich gewesen ist. Mein Heft auf dem Tisch. Draußen, von den Wiesen her, die Nachtglocken der Kühe, leise, leise. Ich notiere: Beobachtete unlängst eine japanische Reisende, die im Flughafensupermarkt mit ihrem Mobiltelefon 1 halbe Stunde lang Schokoladenengel filmte. — stop
louis im
gebirge
22. mai
2016
8 cent
delta : 4.18 — Vor wenigen Stunden, es hatte gerade aufgehört zu regnen, beobachtete ich ein Rudel Eichhörnchen, das über das Dach eines nahen Hauses tollte. Ich meinte bisweilen ihre Augen durch die Dunkelheit blitzen zu sehen. Wie, dachte ich, könnten sie auf das Dach gekommen sein? Was haben sie dort zu suchen? Sind sie wirklich auf dem Dach, oder vielleicht nur eine Vorstellung, die sich nicht verwirklichen lässt? Als ich das Fenster öffnete, saßen sie plötzlich ganz still, und schauten zu mir herüber. Gegen drei Uhr notierte ich einen Brief an Mr. Ben Lauritzen: Sehr geehrter Ben Lauritzen, mit großer Freude lese ich von Ihrem Angebot, weitere Texte meiner particles – Arbeit von Ihrem Büro in Brooklyn übersetzen zu lassen. Ich bin versucht, Ihren Vorschlag zu prüfen, leider erscheint mir Ihr Angebot von 8 Cent je Wort noch deutlich zu hoch, da eine Forderung von insgesamt 31.200 Dollar auf mich zukommen würde. Wäre es für Sie vorstellbar, anstatt wortweise, zeilenweise mit mir zu verhandeln? Dass es sich bei meinen Texten nicht immer um leicht zu übersetzte Texte handelt, will ich nicht bestreiten, ich freue mich über ihre Bewertung. In diesem Sinne, lieber Ben, warte ich gespannt auf eine Antwort. Hochachtungsvoll. Ihr Louis – stop
brighton beach ave
~ : louis
to : mrs. valentina zeiler
brooklyn translation services
23 brighton beach ave,
Brooklyn
subject : BRYANT PARK
Sehr geehrte Frau Zeiler, ich danke Ihnen herzlich für Ihre rasche Antwort. Ich will nun abschließend den Auftrag erteilen, mein unten folgendes Schreiben in die englische Sprache zu übersetzen. Ich bitte um sorgfältigste Arbeit, Sie werden erkennen, in diesem Text ist von einem Reisetunnel nach Amerika die Rede, der in meiner Vorstellung von äußerster Bedeutung ist, ein poetischer Entwurf, jedes Wort scheint mir für seine Verwirklichung von hoher Bedeutung zu sein. Mit vereinbarter Vergütung bin ich einverstanden, der Betrag von 82 Dollar wurde bereits angewiesen. Weitere Aufträge werde ich mit Ihnen in Kürze bei einem Besuch in ihrem Büro persönlich besprechen. Darf ich an dieser Stelle meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, dass die Übersetzung desselben Textes in die chinesische Sprache 122 Dollar kosten würde? Ich frage mich, worin die erhebliche Differenz von 40 Dollar begründet sein könnte. Mit allerbesten Grüßen – Ihr Louis
BRYANT PARK — 570 WÖRTER > GO /// Es hatte Stunden lang geregnet, jetzt dampfte der Boden im südwärts vorrückenden Nordlicht, und das Laub, das alles bedeckte, die steinernen Bänke, Brunnen und Skulpturen, die Büsche und Sommerstühle der Cafés, bewegte sich trocknend wie eine abgeworfene Haut, die nicht zur Ruhe kommen konnte. Boulespieler waren vom Himmel gefallen, fegten ihr Spielfeld, schon war das Klicken der Kugeln zu hören, Schritte, Rufe. Wie ich so zu den Spielern schlenderte, kreuzte eine junge Frau meinen Weg. Sie tastete sich langsam vorwärts an einem weißen, sehr langen Stock, den ich eingehend beobachtete, rasche, den Boden abklopfende Bewegungen. Als sie in meine Nähe gekommen war, vielleicht hatte sie das Geräusch meiner Schritte gehört, sprach sie mich an, fragte, ob es bald wieder regnen würde. Ich erinnere mich noch gut, zunächst sehr unsicher gewesen zu sein, aber dann ging ich ein Stück an ihrer Seite und berichtete vom Oktoberlicht, das ich so liebte, von den Farben der Blätter, die unter unseren Füßen raschelten. Bald saßen wir auf einer nassen Bank, und die junge Frau erzählte, dass sie ein kleines Problem haben würde, dass sie einen Brief erhalten habe, einen lang erwarteten, einen ersehnten Brief, und dass sie diesen Brief nicht lesen könne, ein Mann mit Augenlicht hätte ihn geschrieben, ob ich ihr den Brief bitte vorlesen würde, sie sei so sehr glücklich, diesen Brief endlich in Händen zu halten. Ich öffnete also den Brief, einen Luftpostbrief, aber da standen nur wenige, sehr harte Worte, ein Ende in sechs Zeilen, Druckbuchstaben, eine schlampige Arbeit, rasch hingeworfen, und obwohl ich wusste, dass ich etwas tat, das ich nicht tun durfte, erzählte meine Stimme, die vorgab zu lesen, eine ganz andere Geschichte. Liebste Marlen, hörte ich mich sagen, liebste Marlen, wie sehr ich Dich doch vermisse. Konnte so lange Zeit nicht schreiben, weil ich Deine Adresse verloren hatte, aber nun schreibe ich Dir, schreibe Dir aus unserem Café am Bryant Park. Es ist gerade Abend geworden in New York und sicher wirst Du schon schlafen. Erinnerst Du Dich an die Nacht, als wir hier in unserem Café Deinen Geburtstag feierten? Ich erzählte Dir von einer kleinen, dunklen Stelle hinter der Tapete, die so rot ist, dass ich Dir nicht erklären konnte, was das bedeutet, dieses Rot für sehende Menschen? Erinnerst Du Dich, wie Du mit Deinen Händen nach jener Stelle suchtest, wie ich Deine Finger führte, wie ich Dir erzählte, dass dort hinter der Tapete, ein Tunnel endet, der Europa mit Amerika verbindet? Und wie Du ein Ohr an die Wand legtest, wie Du lauschtest, erinnerst Du Dich? Lange Zeit hast Du gelauscht. Ich höre etwas, sagtest Du, und wolltest wissen, wie lange Zeit die Stimmen wohl unter dem atlantischen Boden reisten, bis sie Dich erreichen konnten. – An dieser Stelle meiner kleinen Erzählung unterbrach mich die junge Frau. Sie hatte ihren Kopf zur Seite geneigt, lächelte mich an und flüsterte, dass das eine schöne Geschichte gewesen sei, eine tröstliche Geschichte, ich sollte den Brief ruhig behalten und mit ihm machen, was immer ich wollte. Und da war nun das aus dem Boden kommende Nordlicht, das Knistern der Blätter, die Stimmen der spielenden Menschen. Wir gingen noch eine kleine Strecke nebeneinander her, ohne zu sprechen. Ich sehe gerade ihren über das Laub tastenden Stock und ein Eichhörnchen mit einer Nuss im Maul, das an einem Baumstamm kauerte. Beinahe kommt es mir in dieser Sekunde so vor, als hätte ich dieses Eichhörnchen und seine Nuss nur erfunden. /// END
warning : distressing content
romeo : 2.01 — Dieser folgende LINK wird an dieser Stelle verankert, um ihn niemals zu vergessen, niemals aus den Augen zu verlieren, immer wiederfinden zu können. In wenigen Stunden werden, auch in meinem europäischen Namen, geflüchtete Menschen zwangsweise von Griechenland aus in ein Land gebracht, das ein unsicheres Land für sie ist. — stop
ai : TÜRKEI
MENSCH IN GEFAHR: „Der syrische Flüchtling F.M. befindet sich seit dem 15. März 2015 unter unmenschlichen Bedingungen im Flughafen Istanbul-Atatürk willkürlich in Haft. Er läuft weiterhin Gefahr, jederzeit nach Syrien abgeschoben zu werden. / Der Syrer F.M. ist im August 2012 aus Syrien geflohen, um dem Wehrdienst zu entgehen. Er wird seit dem 15. März 2015 in einem “Raum für problematische Passagiere” im Flughafen Istanbul-Atatürk festgehalten. Im November 2015 war er in den Libanon geflogen, wo ihm die Einreise jedoch verweigert wurde, woraufhin er in die Türkei zurückreiste. Die Inhaftierung von F.M. im Flughafen scheint willkürlich zu sein und jeglicher rechtlichen Grundlage zu entbehren. Der Rechtsbeistand von F.M. hat einen Antrag auf Freilassung gestellt, bis zum 4. März 2016 ist jedoch noch keine Entscheidung getroffen worden. / In dem “Raum für problematische Passagiere” gibt es lediglich künstliches Licht, das 24 Stunden am Tag eingeschaltet ist. Zudem gibt es keine Betten und keine Privatsphäre. Die Bedingungen entsprechen einer grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung und es verstößt gegen die Rechtsprechung des Landes und gegen das Völkerrecht, wenn Personen in solchen Einrichtungen für einen längeren Zeitraum — in diesem Fall seit einem Jahr — festgehalten werden. / F.M. hat Verwandte in anderen Ländern, die versuchen, ihn finanziell bei der Beantragung eines Visums zu unterstützen. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge hat jedoch bislang kein Vertreter einer ausländischen Botschaft F.M. in Haft besucht, um ihn für den Antrag zu befragen. Es ist allerdings unklar, ob dies daran liegt, dass der Kontakt durch die türkischen Behörden verweigert wurde, oder ob tatsächlich kein Versuch von Seiten der Botschaften unternommen wurde. / F.M. ist in Gefahr, jederzeit nach Syrien zurückgeschickt zu werden. Es ist bekannt, dass die türkischen Behörden Rückführungen von Flüchtlingen nach Syrien und in den Irak durchführen, wo ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Dies stellt einen Verstoß gegen den für die Türkei bindenden Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) gemäß dem nationalen Recht und dem Völkerrecht dar. Es sind außerdem Fälle bekannt, in denen Flüchtlinge von den türkischen Behörden unter Druck gesetzt wurden, in ihr Heimatland zurückzukehren, indem man ihnen mit einer unbefristeten Inhaftierung gedroht hat. F.M. hat Verwandten gegenüber gesagt, dass er in Erwägung zieht, einer Rückkehr nach Syrien zuzustimmen. Er sagte: “Dort sterbe ich wenigstens sofort und es ist vorbei, anstatt jeden Tag, den ich hier verbringe, ein bisschen mehr zu sterben.“ — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 21. April 2016 hinaus, unter > ai : urgent action
vor neufundland 02.12.08 : atem
alpha : 0.02 — Vom Fenster aus beobachte ich seit zwei Stunden ein Rudel Eichhörnchen, das auf der Straße weit unten tollt, als gäbe es etwas zu feiern. Wenn ich sie mit einer Taschenlampe beleuchte, bleiben sie für einen Moment still sitzen, ich kann sie zählen, es sind 12 Eichhörnchen, sie schauen zu mir herauf, ich habe keine Ahnung, ob sie mich erkennen. Ich dachte an Taucher Noe, der gestern eine Nachricht sendete und an Nathalie Sarraute, ihre Bemerkung, sie habe mit ihrem Roman Kindheit versucht, Bilder ihrer Erinnerung zusammenzustellen, die sie wie aus einem Stück Watte herausziehen konnte. Gerne würde ich Noe von Nathalie Sarraute erzählen. Er ist nicht erreichbar, er vermag zu senden, aber kann keine Nachrichten empfangen. Gestern zuletzt aus 785 Fuß Tiefe vor Neufundland > ANFANG 02.12.08 | | | > s t o p. niemals werde ich aufhören zu schreiben und wenn ich nur noch ein wort schreiben könnte weil mir kein weiteres wort einfallen wird. s t o p an welchem wort werde ich mich festhalten? s m a l l g r e e n f i s h m a k i n g b a c k f l i p s . s t o p ich wünschte ich könnte lesen was ich je geschrieben habe. s t o p zurückkehren in zeiten die ich denke. s t o p korrigieren. s t o p löschen was ich einmal geschrieben und gedacht haben werde. t w o b l u e f i s h e s i n l o v e r i g h t w a r d s . s t o p solange ich schreibe atme ich. s t o p es ist ein und das selbe. s t o p ich hebe meinen linken fuß und sinke nach rechts. s t o p ich hebe meinen rechten fuß und sinke nach links. s t o p. erstaunlich. s t o p | | | ENDE 02.15.32 — stop
mexico
nordpol : 1.15 — Gestern Abend ist etwas Lustiges passiert. Schnecke Esmeralda entdeckte eine Möglichkeit, mein Fernsehgerät zu besteigen. Sie saß wohl schon eine Weile dort obenauf, als ich sie, kurz nachdem ich das Fernsehgerät eingeschaltet hatte, bemerkte. Vom aufblendenden Licht unter ihrem Haftfuß überrascht, begann sie, kreuz und quer über den Bildschirm zu flüchten, ihre Augen indessen streckte sie so weit wie möglich von sich, schließlich ließ sie sich einfach fallen, wand sich auf dem Boden als wäre sie verrückt geworden, lag dann eine Weile still, sodass ich mich vorsichtig näherte, weil ich fürchtete, sie könnte ernsthaft Schaden genommen haben. Ich fuhr, um ihre Lebensgeister zu locken, mit einem feinen Pinsel über ihre feuchte, ledrige Haut, und bemerkte bald, wie ein Schimmern über ihren Körper wanderte. Kurz darauf streckte sich ihr Körper unter ihrem schweren Gehäuse in der Art der Schecken, wenn sie sich erheben, und wanderte über den Boden fort in die Diele und von dort aus in die Küche hoch auf den Tisch, wo sie nun seit Stunden auf einer Banane sitzt. Ich glaube, sie schläft, ihre Turmaugen haben sich in den Körper zurückgezogen, aber sie erwacht unverzüglich, wenn ich und solange ich telefoniere, zum Beispiel mit M., die von ihrem Freund erzählt, der bald nach Mexiko reisen wird. Sie wohnt seit Jahren mit ihm in einer Wohnung, ohne ein Wort mit ihm zu sprechen. Sie sagt, jede seiner Reisen seien für sie mit dem Wunsch verbunden, er möge bald zurückkehren, sie sei fröhlich, sobald er wieder in die Wohnung trete, sprechen werde sie jedoch nie wieder mit ihm an diesem Ort, und das sei gut so, weil sie sich in dieser Weise zu Hause nie streiten, sie lebten sehr harmonisch, er mache immer Frühstück für sie, er lege Fotografien, zum Beispiel von Mexiko, auf ihren gemeinsamen Tisch, sie suche dann die Guten heraus, Bilder, die gelungen sind, es gebe nie Diskussionen deswegen, weil sie eben nicht mehr miteinander sprechen, höchstens mit den Augen und mit den Händen oder mittels Gegenständen, die irgendwo liegen oder nicht liegen. — stop