india : 5.12 — Nehmen wir einmal an, man erkundigte sich, ob ich bereit wäre, mir einen Bildschirm anstatt Wangenhaut auf mein Gesicht verlegen zu lassen, einen hochauflösenden Lichtschirm, sowie einen kleinen Speicher, der unsichtbar in einen meiner Wangenknochen vertieft werden könnte. Welche Filme würde ich selbst auf meinem Gesicht zur Aufführung bringen? Ganz sicher Jim Jarmusch’s Down by law oder Wong Kar Wai’s Melodram 2046. Eine aufregende Idee. Welchen Filmen würde ich wohl begegnen, wenn ich in eine U‑Bahn steige, sagen wir in der Stadt Madrid. Wie wir uns gegenübersitzen und schauen. An der Haltestelle Bilbao wünsche ich auszusteigen, aber eine ältere Dame hält mich an, reicht mir eine Pfundnote, bittet mich dringend, sitzenzubleiben, weil sie noch nicht fertig sei, dieser wunderbare Streifen, den sie noch nie gesehen habe: Paris, Texas. — Existieren vielleicht Menschen auf unserer Erde, die nach ihrer Geburt niemals von einem weiteren Menschen berührt worden sind? — stop
Aus der Wörtersammlung: bild
robotslogfile
whiskey : 5.58 — Leroy schrieb mir einen Brief auf Papier. Er notierte: Lieber Louis, seit sechs Wochen nun bin ich online. Man kann mich lesen so oft und so lange man möchte, ohne einen Cent dafür bezahlen zu müssen. Das ist ein angenehmes Gefühl. Ich hatte dieses Gefühl so nicht erwartet. Manchmal sitze ich vor dem Bildschirm und beobachte meinen Text auf demselben Weg, den auch andere nehmen, um mich lesen zu können. Ich bin begeistert davon, dass ich dem Text nicht anzusehen vermag, ob ihn gerade in diesem Moment andere Augen betrachten, weil es doch derselbe Text mit demselben Ursprung ist. Ich werde noch dahinterkommen, bis dahin wundere ich mich weiter. Gestern war Singer zu Besuch, der sich auskennt in digitalen Dingen. Er fragte, ob ich ihm sagen könne, wie viele Menschen denn meine elektrischen Texte besuchten. Ich erzählte ihm, dass ich selbstverständlich Nachricht davon erhalten habe. Ich genieße, sagte ich, die Aufmerksamkeit einiger Leser in Island, Amerika, Togo, Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden, China, England, Frankreich, Marokko, Spanien. Manche kommen häufig und lesen, sie kommen stündlich vorbei, auf die Sekunde genau, andere eher selten, als würde sie mich gelesen haben und sofort wieder vergessen. Ich holte uns am Kiosk eine Limonade, während Singer sich mit meinen Logfiles beschäftigte. Als ich zurückkam, hörte ich Singer lachen, in dem Moment genau, da ich die Tür öffnete, hörte ich Singer lachen. Dann hörte er auf, und wir sprachen über Kakteen und ihre Winterblüte, und dass er bald wieder für einige Monate nach Manarola reisen würde, wo es mild sei im Winter. Kurz darauf schlief ich ein. Ich erwachte vom Lärm vieler Stimmen. Auf der Straße liefen Menschen hin und her, es war früher Nachmittag, ich wusste, dass die Nacht für mich zu Ende war. Heute ist also Sonntag. Ich grüße Dich. Dein Leroy. — stop
regensprache
tango : 6.35 — Während einer Trauerfeier für Nelson Mandela, heftiger Regen, soll ein Mann, den ich mit eigenen Augen ohne Verzögerung beobachtete, in einer merkwürdigen Zeichensprache Reden übersetzt oder begleitet haben, die für gehörlose Menschen nicht verständlich gewesen war. Bereits nach den ersten Minuten seines Auftritts hatten sich Menschen irritiert und wütend an Fernsehsender mit der Frage gewendet, um wen es sich dort auf dem Bildschirm eigentlich handelte. Eine doch seltsame Geschichte. Man überlegte, ob der Mann vielleicht gefährlich gewesen sein könnte. Aber der Mann machte nur Luftzeichen mit seinen Händen, nichts weiter. Ich habe mich in den vergangenen Tagen gefragt, was der Mann erzählt haben könnte oder durch seinen Auftritt andeuten wollte. Der Mann war von sehr ordentlicher Gestaltung gewesen, wirkte klar und konzentriert. Er erweckte nicht den Eindruck, als wollte er aus rein persönlichen, aus Eitelkeitsgründen dort oben auf der Bühne neben berühmten Persönlichkeiten stehen, um auf sich aufmerksam zu machen. Er war ganz einfach da und gestikulierte. Ich dachte, es könnte sich in dieser weltweit sichtbaren Sprache um eine erfundene, um eine zufällige, also gar keine Sprache gehandelt haben, weil man sie niemals eindeutig wiederholen könnte. Vielleicht war es Musik, die der Mann mit seinen Zeichen in aller Stille zur Aufführung brachte. Vielleicht übersetzte er die Geräusche des Regens. — stop
ai : LAOS
MENSCH IN GEFAHR: “Auch ein Jahr nach der Verschleppung von Sombath Somphone haben die laotischen Behörden immer noch keine umfassenden Ermittlungen eingeleitet, um sein Schicksal aufzuklären. Deshalb besteht Anlass zu großer Sorge um den 62-Jährigen. Der zivilgesellschaftlich engagierte Aktivist wurde vor knapp einem Jahr an einem Kontrollpunkt der Polizei in Vientiane, der Hauptstadt von Laos, entführt. Aufgrund einer chronischen Erkrankung ist Sombath Somphone auf die tägliche Einnahme von Medikamenten angewiesen. / Sombath Somphone wurde am Abend des 15. Dezember 2012 an einem Kontrollpunkt der Polizei in Vientiane in Anwesenheit von Sicherheitspersonal in einem Lastwagen verschleppt. Seither ist gut ein Jahr vergangen, und bislang fehlt von ihm jede Spur. Der bevorstehende Jahrestag des “Verschwindens” von Sombath Somphone und der Mangel an umfassenden und unparteiischen Untersuchungen in seinem Fall geben Anlass zur Sorge um das Schicksal und Wohlergehen des Aktivisten. /Die Verschleppung von Sombath Somphone wurde mit einer Verkehrskamera aufgezeichnet. Seiner Familie war es gelungen, das Videomaterial zu kopieren. Die laotischen Behörden behaupten, auf den Aufnahmen seien nicht die Kennzeichen der Fahrzeuge zu sehen, mit denen Sombath Somphone verschleppt wurde. Die USA, die Europäische Union, Mitglieder des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) sowie die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte haben die laotischen Behörden wiederholt dazu aufgefordert, die Verschleppung von Sombath Somphone dringend zu untersuchen. Dennoch scheinen die bislang unzureichenden Ermittlungen stillzustehen. Technische Unterstützung bei der Auswertung des Videomaterials haben die Behörden abgelehnt. Drei parlamentarische Delegationen, die nach Laos fuhren, um den Fall direkt bei den Behörden vorzubringen, sehen keinerlei Anzeichen dafür, dass die Behörden bei den Ermittlungen Fortschritte machen oder dass echte Anstrengungen unternommen werden, Sombath Somphone zu finden und mit seiner Familie zu vereinen. Offensichtlich fehlt es an der ernsthaften Absicht, das Schicksal von Sombath Somphone aufzuklären. Dies legt nahe, dass die Behörden versuchen, seine Verschleppung zu verschleiern. / Sombath Somphone gründete im Jahre 1996 das Trainingscenter für mitbestimmte Entwicklung (Participatory Development Training Centre) zur Förderung von Bildung, Führungsqualitäten und nachhaltiger Entwicklung in Laos. 2005 wurde er mit dem Ramon Magsaysay-Preis (Ramon Magsaysay Award for Community Leadership) ausgezeichnet. Er gehörte zu den Organisatoren des Asia-Europe People’s‑Forums, das im Oktober 2012 in Vientiane stattfand. Letzteres ist möglicherweise ein Grund für seine Verschleppung.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 22. Januar 2014 hinaus, unter »> ai : urgent action
schlafen in turku
himalaya : 2.32 — Vielleicht werden Sie sich erinnern. Vom Schlafen habe ich bereits im Jahr 2008 notiert, und zwar im Monat November. Vor wenigen Minuten, als ich nach schwebenden Ballonen über der Stadt Turku suchte, habe ich einen entsprechenden Text unter dem Titel „Schlafen in Turku“ in den Verzeichnissen der Google-Suchmaschine wiederentdeckt. Der Text ist mir noch immer nah, weshalb ich ihn mitgenommen und an diesem Zeitort eingefügt habe. Ich stelle nun zum zweiten Mal die Frage: Ist Ihnen vielleicht bekannt, dass Wale, Pottwale genauer, wenn sie schlafen, Kopf nach oben im Wasser schweben? Langsam sinkende Türme, leise singend, leise knatternd, friedvolle Versammlungen, die mit dem Golfstrom treiben. Wenn Sie einmal wach liegen sollten, wenn Sie nicht schlafen können, weil Sorgen Sie bedrängen oder andere schmerzvolle Gedanken, wird es hilfreich sein, eine Tauchfahrt zu unternehmen im Kopf durchs Bild der träumenden Wale. Oder Sie reisen an die Ostsee, nehmen die nächste Fähre nach Turku. Sie werden dann schon sehen. Ballone, zum Beispiel, Ballone werden Sie sehen am Horizont, Ballone am dämmrigen Himmel, dort müssen Sie hin. Alles ist gut zu Fuß zu erreichen, eine Stunde oder zwei, nicht länger, je nach Gepäck. Man wird Sie schon erwarten, man wird Sie freundlich begrüßen, man wird Sie fragen, wie lange Zeit Sie zu schlafen wünschen, welcher Art die Dinge sind, die Sie zu vergessen haben, die Sie beschweren. Man wird Ihren Blick zum Himmel lenken und Sie werden erkennen, dass unter den Ballonen Menschen schweben, aufrecht und reglos, in Daunenmäntel gehüllt, von einem leichten Wind hin und her geschaukelt, hunderte, ja tausende Menschen. — Stille herrscht. — Nur das Fauchen der Feuermaschinen von Zeit zu Zeit. - Drei Uhr dreiunddreißig auf dem Maidan zu Kyjiw. — stop
bristolhotel
alpha : 2.26 — Folgende Person, ein Mann, könnte reine Erfindung sein. Der Mann war mir während eines Spazierganges aufgefallen, das heißt, ich hatte einen Einfall oder eine Idee, oder ich machte vielleicht eine Entdeckung. Ich könnte von dieser Person, die sich nicht wehren kann, behaupten, dass sie nicht ganz bei Verstand sein wird, weil sie seit langer Zeit in einem Hotelzimmer lebt, welches sie niemals verlässt. Das Hotel, in dem sich dieses Zimmer befindet, erreicht man vom Flughafen der norwegischen Stadt Bergen aus in 25 Minuten, sofern man sich ein Taxi leisten kann. Es ist das Bristol, unweit des Nationaltheaters gelegen, dort, im dritten Stock, ein kleines Zimmer, der Boden hell, sodass man meinen möchte, man spazierte auf Walknochen herum. Nun aber zu dem Mann, von dem ich eigentlich erzählen will. Es handelt sich um einen wohlhabenden Mann im Alter von fünfzig Jahren. Er ist 176 cm groß, gepflegt, kaum Haare auf dem Kopf, wiegt 73 Kilogramm, und trägt eine Brille. Sieben weiße Hemden gehören zu ihm, Strümpfe, Unterwäsche, dunkelbraune Schuhe mit weichen Sohlen, ein hellgrauer Anzug und ein Koffer, der unter dem Bett verwahrt wird. Auf einem Tisch nahe einem Fenster, zwei Handcomputer. In den Anschluss des einen Computers wurde ein USB-Speichermedium eingeführt. Auf dem Bildschirm sind Verzeichnisse und Dateinamen zu erkennen, die sich auf jenem Speichermedium befinden. Auf dem Bildschirm des zweiten Computers ein ähnliches Bild, Verzeichnisse, Dateinamen, Zeitangaben, Größenordnungen. Was wir sehen, sind Computer des Mannes, der Mann arbeitet in Bergen im Bristol im Zimmer auf dem Knochenboden. Er sitzt vor den Bildschirmen und öffnet Dateien, um sie zu vergleichen, Texte im Blocksatz. Zeile um Zeile wandert der Mann mithilfe einer Bleistiftspitze durch das Gebiet der Worte, die ich nicht lesen kann, weil sie in einer Sprache notiert wurden, die mir unbekannt. Es scheint eine verschlüsselte Sprache zu sein, weshalb der Mann dazu gezwungen ist, jedes Zeichen für sich zu überprüfen. Fünf Stunden Arbeit am Vormittag, fünf Stunden Arbeit am Nachmittag, und weitere fünf Stunden am Abend bis in die Nacht. Der Mann trinkt Tafelwasser, raucht nicht, und isst gern Fisch, Dorsch, Seeteufel, Steinbutt. 277275 Dateien sind zu überprüfen, 12.532.365 Seiten. Er scheint noch nicht sehr weit gekommen zu sein. Die Vorhänge der Fenster sind zugezogen, es ist ohnehin gerade eine Zeit ohne Licht. Ein Mädchen, das ihm manchmal seinen Fisch serviert, macht ihm schöne Augen. Morgens sind die Hörner der Schiffe zu vernehmen, die den Hafen der Stadt verlassen. Es ist der 1. Dezember 2013. — stop
an martha
tango : 12.15 — Im Gespräch mit einer alten Dame über das Vergessen. Sie sagte, dass man, wenn man wirklich vergesslich wird, diese Vergesslichkeit nur dann bemerkt, wenn man darauf aufmerksam gemacht wird. An Tagen, da sie sich allein in ihrer Wohnung aufhalte, könne sie vergessen, soviel sie wolle, es würde ihr selbst nicht und niemand anderem auffallen, dass sie eigentlich einen Film betrachten wollte, aber auf dem Weg zum Fernsehgerät plötzlich ein Buch auf dem Tisch entdeckte, weshalb ihr Filmwunsch verloren ging. — Liebe Martha, Du hast versäumt, nach einem Text zu suchen, von dem ich Dir erzählte. Ich sende diesen Text noch einmal und rufe Dich gleich an, damit Du ihn für mich vorlesen wirst. Hier ist er: Eines der letzten bewegten Bilder, die ich von meinem Vater in Erinnerung habe, zeigt ihn, wie er in seinem Arbeitszimmer am Computer arbeitet. Auf dem Bildschirm sind dutzende Programmfenster geöffnet. Der alte Mann sitzt fast bewegungslos in seinem Sessel. Manchmal tastet eine Hand durch die Luft, greift unsicher nach einem Glas Milch, bald stellt sie das Glas wieder auf den Tisch zurück. Ich sehe einen Zeiger über den Bildschirm fahren. Ein weiteres Programmfenster öffnet sich. Ein kleines Mädchen fährt in diesem Fenster auf einem Fahrrad über einen sandigen Weg. Sie bewegt sich in Schlangenlinien dahin, lacht hoch zur Kamera, die rückwärts durch die Luft zu fliegen scheint. Es ist ein heiterer Film. Sobald der Film zu Ende ist, spielt ihn mein Vater von vorn ab. Aber dann öffnet sich wie von Geisterhand noch ein Fenster, das den heiteren Film verdeckt. Eine Fotografie, Mutter nahe Lissabon an einem Strand. Neben ihr liegt der Mann, der vor dem Computer sitzt, im Sand. Er trägt Turnschuhe. Auch meine Mutter trägt Turnschuhe. Ich fragte mich, wer diese Aufnahme machte, und komme nicht darauf. Ein Schatten ist zu erkennen, der Schatten eines Fotografen vielleicht. In diesem Moment ruft die Frau, die auf der Fotografie zu sehen ist, von unten, vom Wohnzimmer her, dass das Mittagessen bald fertig sei. Wie nun mein Vater sich an die Arbeit macht, alle Fenster, die er im Laufe des Vormittages geöffnet hatte, wieder zu schließen. Nein, alles muss aufgeräumt werden. Mein Vater steht nicht einfach auf, um sich sofort unsicheren Schrittes auf die Treppe zu wagen. Ich sehe, wie sich der Zeiger auf dem Bildschirm den Rahmen der Programmfenster nähert. Er scheint das Symbol für das Schließen der Fenster zu suchen, aber das Symbol ist nicht zu entdecken, nicht zu erkennen. Der Zeiger irrt auf dem Bildschirm herum, Fenster drängen sich in den Vordergrund und verschwinden wieder. Dann kommt Mutter herbei, sie ruft zärtlich: Komm, komm, das Essen ist fertig. Schritte auf der Treppe. Das Geräusch der Bestecke. Das Zwitschern der Vögel vom Garten her. Im Zimmer auf dem Schreibtisch ist der Computer längst eingeschlafen. — stop
sturmvögel
ulysses : 0.01 — Mein Vater erzählte, wenn man ernsthaft an etwas arbeite, würde man auch nachts damit beschäftigt sein. Einmal sei an einem riesigen, schnellen Computer im Kernforschungszentrum CERN bei Genf, der mittels tausender Kabelverbindungen an weitere Computer geknüpft gewesen war, ein Kabel versehentlich oder mit Vorsatz aus seinem Stecker gezogen worden. Tagelang seien sie damals auf Knien unterwegs gewesen, um das lose Kabel aufzuspüren, dessen sorglose Existenz ohne Angabe des Ortes auf einem Bildschirm angezeigt wurde. Er habe, sagte Vater, damals die Welt in gelben Farben gesehen und von Kornwaren geträumt. Ich erinnerte mich heute daran, jetzt weiß ich Bescheid und bin zufrieden. Träume seit Tagen von Wirbelstürmen und von kleinen Vögeln, die durch diese Stürme irren. — stop
schwarzweißballone
india : 6.52 — Auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie, die ich in den Magazinen meines Vaters entdeckte, sind Wanderer im Gebirge zu sehen. Die Aufnahme wurde irgendwann in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gefertigt, 1926 oder 1928, undeutliche Schriftzeichen verhindern genauere Bestimmung. Ich hatte ein Vergrößerungsglas zu Hilfe genommen, um in die Tiefe der Fotografie vordringen zu können. Acht Menschen sind zu erkennen, einige lachen, andere scheinen doch erschöpft zu sein. Sie sind in der Phase des Aufstiegs festgehalten. Ein sehr steiler Pfad. Jenseits dieses Pfades ein Abgrund. Die Wanderer haben Stöcke in der Hand, Hüte auf dem Kopf, feste, schwere Schuhe an den Füßen. Bemerkenswert ist, dass sie keine Rucksäcke auf dem Rücken tragen. Im Bildausschnitt sind außerdem keine Träger zu sehen, weder Mulis noch Pferde, stattdessen einige Steinböcke am oberen Bildrand. Dort vor allem Felsen, kein Himmel, einige Latschenkiefern. Ich legte die Fotografie zur Seite. Einige Zeit später bemerkte ich unter weiteren Fotografien, eine zweite Schwarz-Weiß-Fotografie der Wandergruppe. Sie hatte nun einen Grat erreicht, Himmel ist zu sehen, Himmel ohne Wolken. Einer der Männer deutet abwärts ins Tal. Die Gruppe scheint insgesamt angehalten zu haben. Sie besteht noch immer aus acht Personen. Über diesen Personen schweben helle Ballone, die mit den Menschen verbunden gewesen sein müssen, da sie sich je in derselben Höhe über den Köpfen der Wanderer befinden. Unter den Ballonen hängen Körbchen, in welchen sich Waren befinden, die nur undeutlich aus dem Pixelsand des Bildes treten, Ahnungen. Ich hatte Ballone dieser Art bis dahin weder mit eigenen Augen gesehen, noch hatte ich je von der Erfindung fliegender Rucksäcke gehört. Die Fotografien waren ohne jede Beschädigung, nur etwas gewölbt, als wären sie für kurze Zeit feucht geworden. Kein Hinweis auf Ort oder Urheber der Arbeiten. Vielleicht Aufnahmen meines Großvaters, den ich nie persönlich kennengelernt habe, Aufnahmen, die wenige Jahre vor der Geburt meines Vaters angefertigt sein müssten. Sie schweben nun selbst frei, ohne lebende Zeugen, wie Ballone in der Zeit herum. — stop
unter salzbäumen
tango : 2.02 — Im Traum sitze ich mit einem alten Mann an einem Tisch. Große Hitze auch im Schatten, den Salzbäume spenden. Wir trinken Kaffee und Wasser, das süß ist wie Honig. Der alte Mann trägt kakifarbene Shorts, seine Haut ist dunkel, gebrannt wie Kaffee, hellgrüne Augen. Eine Erscheinung, zahnlos, die nicht spricht, Haut und Knochen, aber ein Wesen von enormer Ausdauer. Ich höre, der alte Mann soll seit Jahren bereits vor diesem Tisch sitzen, ohne je aufgestanden zu sein. Papiere liegen auf dem Tisch und auf dem Boden. Sie sind beschriftet, kaum leserliche Zeichen. Vor dem Mann ruht ein kleines, schwer atmendes Notebook. Einmal blickt er auf den Bildschirm seiner Maschine, dann wieder auf ein Blatt Papier, das vor ihm liegt, und schreibt. Ameisen von Metall irren im Sand herum. Es gibt keinen Ton im Traum, wenn ich spreche, vernehme ich weder Gedanken noch Stimme. – stop