echo : 2.16 — Wallstreet gestern Abend auf Fernsehbildschirm. Hinter einem Reporter, der vom abwärts strebenden Verhalten der Kurse erzählte, warteten japanische Menschen. Sie winkten fröhlich in die Kamera, grüßten, fächelten sich Luft zu mit fleischfarbenen Zeitungspapieren. Es schien warm zu sein in New York, schwül. Wäre ich jetzt dort, dachte ich, würde ich südwärts laufen zur nahegelegenen Hafenstation, würde mich auf das obere Deck eines der alten Fährschiffe begeben, würde bald im kühlenden Fahrtwind sitzen, eine Coke in der linken, eine Teigtasche mit Hummerfleisch in der rechten Hand, das Tonbandgerät in der Tasche und Mels Stimme im Kopfhörerohr, wie sie erzählt von anatomischer Zeit. — 2 Uhr und zwanzig Minuten. Regen. Blitze. Donner. Gerade eben hörte ich mich selbst, meine eigene Stimme. Ich formulierte vorsichtig eine Frage, wollte wissen, ob Mel sich im anatomischen Saal gefürchtet habe? Nein, antwortete Mel ohne zu zögern, sie habe sich nicht eine Sekunde lang vor den Toten gefürchtet. > Ich hatte in diesen 6 Wochen keine Zeit, Angst zu haben. Ich habe mich auf meine Aufgabe konzentriert. Ich habe mich vor Testaten ein wenig gefürchtet, und ganz am Anfang vielleicht davor einmal rasch umzufallen. Nur deshalb hatte ich wirklich Angst, umzufallen, das heißt nicht arbeiten zu können, aber davon erzählte ich bereits. Wenn ich mir das jetzt genau überlege, dann kann ich mich nicht erinnern, dass im Präpariersaal überhaupt irgendjemand umgefallen ist. Vielleicht musste man mal aus dem Saal gehen und sich setzen, weil man die Nacht zuvor nur kurz geschlafen hatte und deshalb müde war und weil die Augen brannten vom Formaldehyd in der Luft. Aber umgefallen, ich meine, ohnmächtig geworden, davon habe ich nichts mitbekommen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass ich das alles nur geträumt habe. Auch in der Zeit, als ich noch präparierte, hatte ich bisweilen den Eindruck, dass dieser Saal nicht wirklich war. Ich konnte meine Eindrücke nicht mit der Straße, über die ich nach Hause spazierte oder mit den Gesprächen der Menschen, die ich in der U‑Bahn gehört habe, in Verbindung bringen. Ich hatte den Eindruck, dass der Saal, dass die ganze Situation irgendwie frei schwebte, also ganz für sich war, isoliert. Und so reiste ich also hin und her, von da nach dort und wieder zurück, aber das war nicht schwer gewesen, so hin und her zu springen. Ich habe von dem ein oder anderen meiner Freunde gehört, dass sie Albträume gehabt hätten. Ich selbst habe aber nie geträumt. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, geträumt zu haben. Ich glaube, ich war in irgendeiner Weise geschützt. Ich kann nicht genau sagen, was mich geschützt hat, vielleicht war es die Dichte der Aufgaben, die mir gestellt waren. Ich hatte keine Zeit, lange über diese merkwürdige Situation nachzudenken. Ich meine, ich habe nicht lange darüber nachgedacht, dass ich, Mel, hier den Körper einer alten Frau so lange zerlege und betrachte, dass er fast verschwunden sein wird, wenn ich fertig sein werde. Ja, – es war sehr viel zu tun. Das hat es leichter gemacht.
Aus der Wörtersammlung: dach
PRÄPARIERSAAL : namen
marimba : 22.51 — Feuchte Fliegen lungern am Abend auf dem Boden herum. Das sanfte, einschläfernde Geräusch des Wassers, Dunkelheit kommt bald aus den Wolken gefallen. Unter dem Schirm dort weiter anatomische Tonbänder verzeichnet. Veronika* erzählt eine feine Geschichte, die ich beinahe genau so wiedergebe, wie ich sie vor wenigen Minuten hörte: > Ich stehe vor einem Tisch und betrachte einen Körper. Das ist ein Bild, das ich nicht erfunden habe, ein Bild, das jetzt zu meinem Leben gehört. Eine Frau, die in einem weißen Kittel vor einem Tisch steht, auf dem ein Mensch liegt, der tot ist. Ich habe mit den Ursachen dieses Todes nichts zu tun, ich empfinde keine Trauer, aber Respekt. In den ersten Minuten im Saal am Tisch habe ich nicht sehr geordnet, nicht systematisch jedenfalls nachgedacht. Ich glaube, ich habe zunächst versucht, ein Gefühl, ein geeignetes Gefühl für diese Situation zu finden, eine Position, meine Position. Kurz zuvor waren wir noch im Hörsaal gewesen. Unser Professor hatte ein Präparat mitgebracht. Dieser helle Körper, der weit entfernt in einem Oval unter den hoch aufragenden Sitzreihen auf einer Bahre lag, hatte etwas Einsames an sich. Als ich mich dann an meinem Tisch stehend über den Körper eines Mannes beugte, den ich in den folgenden Wochen zerlegen würde, suchte ich unwillkürlich nach Spuren, die zu einer Vorstellung führen könnten, wie er einmal lebte. Aber da war nichts, was mich mit seiner Zeit noch verbinden konnte, kein Name. Das Haar des Mannes war entfernt, an seinen Ohren waren hölzerne Schilder angebracht, auch an seinen Handgelenken und an seinen Füßen, sein Gesicht war ohne jeden Ausdruck. Ich erinnere mich, der Mann wirkte weder friedlich noch so, als würde er nur schlafen, da waren weder Zeichen einer langen Leidenszeit noch Spuren eines Kampfes. Das Gesicht war leblos, ein Gesicht ohne Ausstrahlung, ohne Elektrizität. Der Körper erinnerte mich an eine große Puppe, er hatte etwas Schematisches, aber vielleicht war das bereits mein Blick, meine Perspektive gewesen, die diesen Eindruck erzeugte? Ein Bein und noch ein Bein. Ein Arm und noch ein Arm, und ein Kopf. Ich konnte das bald gut, diesen Mann, diesen Körper betrachten. Ich war ganz entspannt dabei. Ich wusste auch, dass sich dieser Körper sehr rasch verändern würde in der Folge meiner Arbeit. Ich war der festen Überzeugung, dass wir dem Toten keinen Namen geben sollten. Ich war sehr froh, dass ich nicht wusste, wie sein Name lautete, als er noch lebte. Ich habe, kurzum, versucht, diesen Körper auf dem Tisch als ein Präparat zu betrachten, als eine für uns kostbare Hülle, als ein Vermächtnis. Meine Kommilitonen haben ihm einen Namen gegeben, aber wir haben uns deshalb nicht gezankt. Ich habe mich an der Suche nach einem Namen ganz einfach nicht beteiligt. - stop
* Name geändert
isaac bashevis singer
sierra : 22.55 — Mittwoch. Abend. Weiterhin Regen. Regen auch während ich schlief. Ich konnte ihn hören bisweilen, wenn ich auftauchte, ohne ganz wach zu werden. Von irgendwoher jetzt ein Geräusch, pling, pling, und Isaac B. Singers helle und zugleich raue Stimme, indem sie eine Geschichte erzählt, die ich in den vergangenen Tagen wieder und wieder hörte. Die Geschichte geht so: Kurz nach meiner Ankunft (in Amerika) betrat ich zum ersten Mal eine Cafeteria, ohne zu wissen, was das ist. Ich hielt es für ein Restaurant. Ich sah lauter Leute mit Tabletts und fragte mich, warum man in so einem kleinen Restaurant so viele Kellner brauchte. Ich gab jedem, der mit einem Tablett vorbeikam, ein Zeichen. Ich hielt sie alle für Kellner und wollte etwas bestellen. Aber sie ignorierten mich, manche lächelten auch. Und ich dachte, was für ein unwirklicher Ort! Es war wie in einem Traum. Ein kleines Café mit so vielen Kellnern, und niemand beachtet mich! Irgendwann begriff ich, was eine Cafeteria ist. Sie wurde mein zweites Zuhause. Die Cafeterien wurden eine Art Zuhause für Flüchtlinge aus Polen, Russland und anderen Ländern. Viele meiner Geschichten spielen in Cafeterien, wo all diese Menschen aufeinandertrafen: die Normalen, die weniger Normalen und die Verrückten. Das ist also der Hintergrund meiner Geschichten, die in Cafeterien spielen. — stop
hummergeschichte
india : 6.32 — Ein Solarisschiff, von dem ich träumte, war derart nahtlos in ein düsteres Stadthaus von enormer Größe montiert, dass niemand, der nicht in Kenntnis gesetzt worden war, seine Existenz wahrzunehmen vermochte. Natürlich spielte die Fahrstuhlanlage eine bedeutende Rolle. Dort war eine zentrale Achse des Raumkreuzers hineingedacht, umgebende Wohnungen gehörten dazu, Teile der Küchen, Bäder, Flure, Wohnzimmer, auch weiter entfernte Abteilungen des Gebäudes, in dem allerorten Wasser von den Decken tropfte. An einem Abend, von dem ich präzise träumte, wurden rauschhafte Feste unter Regenschirmen gefeiert. Sie dienten einem einzigen Zweck, Weltraumreisende nämlich von zurückbleibenden Menschen zu separieren. Ich konnte im Traum den ein oder anderen Bewohner des Hauses leicht narkotisiert von einem Apartment in das nächste wandeln sehen. Als ich erwachte, hockte ein kleiner blauer Hummer an der Wand meines Zimmers. — stop
PRÄPARIERSAAL : erste schritte erste minuten
nordpol : 3.12 — Abends spät erreicht mich die E‑Mail eines jungen Mannes, den ich längst vergessen hatte, ich meine, ich hatte vergessen, dass dieser Mann jemals existierte, weil ich lange Zeit, ein Jahr ungefähr, nicht an ihn dachte. Sein Name ist Elia. Elia hatte auf eine Frage, die ich ihm schriftlich stellte, nicht geantwortet. Irgendwann habe ich aufgehört zu warten, ich kann nicht sagen, wann genau das gewesen sein könnte, im Winter vielleicht oder bereits im Herbst. Seltsam ist, das fällt mir in dieser Minute des Notierens auf, dass ich nie wahrnehmen kann, wenn ich etwas vergesse, den exakten Zeitpunkt des Leichterwerdens genauer, weil ich das Vergessen stets mit einem Eindruck der Schwerelosigkeit in Verbindung setzte. Das Vergessen scheint ein heimlicher Prozess zu sein, so heimlich, dass ich erst dann, wenn etwas Vergessenes zurückkehrt ins Leben, überhaupt in der Lage bin, sein Verschwinden zu bemerken. Nun ist sie also wieder hier bei mir, meine vergessene Frage. Ich hatte Elia gefragt, wie er die ersten Minuten in einem anatomischen Präpariersaal erlebte. Er beobachtete Folgendes: > Zuerst habe ich das Gebäude von außen gesehen, die Milchglasfenster, die riesigen Röhren an den Fenstern vorbei und die Rundungen des verheißenden und mich ängstigenden Raumes. dann hat mich das ehrwürdige Gebäude verschluckt. die Treppe hinauf konnte ich diesen widerlichen Geruch atmen. ich fand es unglaublich, mit welcher Liebe zum Detail dieses Gebäude ausgestattet ist. auf der Suche nach einem Ansprechpartner habe ich die Verzierungen im Boden bewundert. nachdem ich die Erlaubnis bekommen hatte, bin ich den langen Gang an den hautfarbenen Spinden vorbeigegangen zur Tür des Präpariersaales. sie war verschlossen. aber durch den kleinen Spalt konnte ich in eine Apsis voller mit rot leuchtenden Wachstüchern bedeckter Körper sehen. ich habe nur die Tücher gesehen, aber ich wusste, was darunter sein würde und war mir dabei trotzdem nicht sicher. ich hatte Angst. in der Nacht hatte ich Albträume und machte Sezierversuche. am nächsten Tag hatte ich meinen frischen weißen Kittel dabei, der aber durch das Bevorstehende schon jetzt mit einer seltsamen Schwere versehen war. ich wurde an ein paar Assistenten übergeben. willenlos folgte ich ihnen mit einer Mischung aus Angst und Neugier in den Saal. nach fünf Schritten blieb ich stehen. ich hatte das Gefühl, ich würde aufgesaugt vom Geruch und dem tosenden Lärm der klappernden Instrumente. mir war heiß und kalt. ich musste mich widerwillig zwingen tiefer zu atmen. und atmete noch intensiver den süßlich stechenden Duft des Formalins. diesmal mit den entsprechenden Bildern vor meinen Augen. ich befahl mir genau hinzusehen. ich zwang meine Augen ihre Blicke über die Körper schweifen zu lassen. um nicht mit den Mosaiken im Boden zu verschmelzen, musste ich alle Bilder vor meinen Augen mit Wörtern versehen.
kokons
echo : 22.58 — Im botanischen Garten das leise, das Nichtdenken geübt. Ich legte mein Ohr auf einen hölzernen Tisch und dachte nichts. Aber da war etwas merkwürdig: Mein Ohr auf dem Tisch hörte sich selbst. Und das andere, zum Himmel gerichtete Ohr, erlebte den Besuch einer Ameise. Also dachte ich doch an die Ameise, wie sie meine Ohrmuschel untersuchte. Wie gut, an Ameisen und an nichts Weiteres denken zu müssen. Dann schlief ich ein. Als ich erwachte, dachte ich sofort weiter an nichts. Die Ameise war verschwunden, aber ich hörte mein Ohr auf dem Tisch, und ich hörte den Gesang einer Nachtigall, die zunächst geschwiegen, dann aber meinen Besuch vielleicht vergessen hatte, weil ich reglos zu einer Pflanze unter anderen Pflanzen geworden war. Ich fragte mich, denke ich, indem ich der Stimme eines Vogels lausche? Ist das Denken nur dann gedacht, wenn ich meiner denkenden Stimme zuhöre, mich und meine denkende Stimme also wahrnehme? Immer wieder bemerkt, dass ich Sekunden zuvor noch an etwas oder über etwas gedacht habe, obwohl ich mir nicht zugehört hatte. Eine Gedankenerinnerung. Manchmal verhalten sich Gedanken wie Räume, Kokons, die verwickelte Gedankenpakete enthalten. Schallplattengedanken. Ich könnte demnach Schallplatten verzeichnen, die angenehme Stimmen und Stimmungen wiederholen, frohe Begegnungen und gelungene Gespräche. — stop
herzgeschichte
hibiskus : 0.05 — Zu einer Zeit, als meine Mutter noch für mich atmete, bewegte sich zum ersten Mal mein Herz. Bald wurde ich geboren und lernte zu schweigen, zu sitzen, zu stehen und meine Schuhe zu binden, mit Kreide auf eine Tafel zu schreiben und zu lesen, und während ich diese feinen Dinge lernte, schlug immerfort mein Herz. Auch am Tag, als ich sieben Jahre alt wurde, schlug mein Herz so unbemerkt, wie an allen anderen Tagen zuvor, und ich freute mich, weil ich an diesem Tag ein Schachspiel überreicht bekam. Der kleine Junge, der mir dieses Schachspiel schenkte, war nicht zu meinem Fest für Freunde gekommen, stattdessen kam seine Mutter. Sie war blass, nein durchsichtig, sie erzählte, ihr Sohn könne nicht kommen, weil sein Herz sehr schwach geworden sei. Kurze Zeit später starb der Junge, der beinahe mein Freund geworden wäre, an dieser Nachricht. An jenem Abend, am Abend meines kleinen Festes, lebte der kleine Junge noch, und ich dachte an ihn und überlegte, was die Worte ein schwaches Herz vielleicht bedeuteten. Ich lag also auf dem Bett und hatte eine Hand auf die Brust gelegt und spürte den Bewegungen meines Herzens nach. Mit geschlossenen Augen, ich erinnere mich genau, konnte ich Erschütterungen fühlen, eine seltsame Erfahrung. Sehr lange lag ich so rücklings auf dem Bett und dachte, dass mein Herz ein starkes Herz zu sein schien, aber als ich meine Hand zur Seite legte, war mir für einen kurzen Moment, als ob mein Herz stehen geblieben war, weil ich seine Bewegungen nicht länger spüren konnte. Als ich erwachte, wunderte ich mich, dass ich noch immer lebte, obwohl ich mein Herz vergessen hatte während der Nacht. Und jetzt, da ich diese kleine Geschichte notiere, denke ich, dass ich damals vielleicht, an jenem Abend genau, damit begonnen habe, mich zu wundern. Auch heute noch, um viele Jahre älter, wundere ich mich über mein Herz, oder ich wundere mich über Straßenbahnen, dass sie existieren. Ja, sehr gerne wundere ich mich über Straßenbahnen.
lampion
marimba : 2.27 — Man könnte vielleicht sagen, dass es sich bei der Gattung der Lampionkäfer um Geschöpfe handelt, die bevorzugt nach innen ausgedacht worden sind, weshalb man an ihrer äußeren Gestalt sparsam zu wirken wünschte. Man machte ihnen Flügel, sehr kleine, kaum noch sichtbare Flügel, die kurze Strecken des Luftreisens gestatten, sparte dagegen an Beinen, vergaß Augen und Fühler, auch Ohren sind an ihrem vollkommen runden Körper bislang nicht zu entdecken gewesen. Niemand könnte zu diesem Zeitpunkt also ernsthaft behaupten, an welcher Stelle nun genau der Kopf, also das Vorn des Käferwesens zu finden sein könnte. Meistens liegen sie demzufolge bewegungslos auf dem Boden herum, schlafen vielleicht oder träumen. Man kann sie dann leicht übersehen, weil sie sehr klein sind und fast lichtlos auf den ersten Blick. Unerkannt haben sie in dieser bescheidenen Weise bis vor Kurzem in den Wäldern des Karwendelgebirges nahe der Baumgrenze gelebt, bis ein Steinsammler ihr Geheimnis unlängst entdeckte, in dem er sich mit einem sehr feinen Bohrer ins Innere eines der Käferkörper vorarbeitete. Lange Stunden des Wartens, des Kühlens, des Bangens, dann spähte der junge Forscher in eine vollständig unbekannte Welt. Seither fehlt ihm jede Sprache. Die Augen weit geöffnet, scheint er zu suchen, nach Sätzen vielleicht, nach Wörtern, nach angemessenen Geräuschen der Bewunderung, der Anerkennung. — Was bleibt noch zu bemerken? — Sie summen wie die Bienen, sobald sie fliegen.
froschgeschichte
echo : 2.01 — Vor einigen Jahren ist mir etwas Lustiges passiert. Ich spazierte und träumte, indem ich arbeitete. So, in Gedanken, querte ich eine rot geschaltete Ampelüberführung und wurde von einem Polizisten angehalten, der mir erklärte, ich hätte gerade eine Ordnungswidrigkeit begangen. Zu meiner Verteidigung erläuterte ich dem jungen Herrn, dass ich ohne Absicht über die Straße gegangen sei, dass ich eigentlich gar nicht über die Straße gehen wollte, und dass ich das rote Licht der Ampel nicht bemerkt haben würde. Ich erzählte eine kleine Geschichte, an die ich kurz zuvor noch gedacht hatte, als ich verbotenerweise auf die Straße getreten war. Die Geschichte handelte von einem Frosch, der die menschliche Sprache sprechen konnte. Bald schlenderte ich über die Straße zurück, um noch einmal von vorn zu beginnen. Seither immer wieder die Frage, ob ich, sobald ich eine Geschichte erzähle, um diese erzählte Geschichte leichter oder schwerer werde? — stop
ein kleiner kopf
alpha : 20.38 – Ich beobachtete einen faszinierenden Mann. Dieser Mann verfügte über einen ungewöhnlich kleinen, zum Himmel hin spitz zulaufenden Kopf. Er saß auf einer Bank, Terminal 2, des Flughafens, seine Hände hielten eine Tasse Kaffee vor einen kleinen Mund, kleine helle Augen starrten in diese Tasse, kurz fixierten sie mich, dann wieder die Oberfläche des Kaffees, der sich im Gefäß langsam drehte. Staunend wartete ich in der Nähe des Mannes auf einer weiteren Bank, öffnete ein Buch, aber anstatt zu lesen, sah ich immer wieder hin zu dem kleinen Kopf. Ich konnte mir nicht denken, wie es möglich ist, mit einem derart kleinen Kopf zu überleben. Man stelle sich das einmal vor, der Kopf des Mannes war nicht sehr viel größer gewesen als der Kopf eines Kindes von zwei oder drei Jahren. Eigentlich, dachte ich, müsste dieser Mann tot sein oder aber von eingeschränktem Denkvermögen. Danach allerdings sah der Mann nicht aus, er trug die feine Kleidung eines Geschäftsreisenden, außerdem war er vermutlich in der Lage, aus Blicken Gedanken zu lesen, weswegen ich bald selbst zum Gegenstand intensiver Beobachtung wurde. Nichts weiter. — stop